Familie politischen Ideologien ausgesetzt
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(gloria.tv/ Bistum Fulda) Seit Wochen schon wird eine mitunter diffuse bis unfaire Debatte geführt, oft von kleinen Lobby-Gruppen provozierend in Gang gebracht: Es geht um die Familie, die, obgleich Keimzelle der Gesellschaft, zunehmend politischen Ideologien ausgesetzt ist. Da tut es gut, einige grundsätzliche Tatsachen und Vergewisserungen zur Sprache zu springen. Von Bischof Heinz Josef Algermissen, Beitrag als „Wort des Bischofs“ in der Kirchenzeitung „Bonifatiusbote“ vom 23. September 2012.
Kaum je zuvor stand die Familie so sehr im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, noch nie war in Politik und Gesellschaft so viel von ihr die Rede. Davon, dass Familie in der modernen säkularen Gesellschaft etwa ein „Auslaufmodell“ ohne Zukunft sei, spricht heute keiner mehr. Umfragen unter jungen Menschen zeigen immer wieder, dass für sie eine stabile Partnerschaft und die Gründung einer Familie einen hohen Stellenwert einnehmen und zu einem erfüllten Leben zählen. Junge Menschen erfahren heute vielleicht noch deutlicher als in früheren Zeiten, dass Ehe und Familie einen unersetzbaren Lebensraum bieten, indem sich der Einzelne nicht durch seine Fähigkeiten und Leistungen beweisen muss, sondern so angenommen und geliebt wird, wie er ist. In dieser gegenseitigen und vorbehaltlosen Liebe drückt sich auch die Liebe Gottes zu uns Menschen aus. Und so dürfen wir einen Teil dieser Liebe bereits heute erfahren. Denn „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleib in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16).
Getragen von solcher gegenseitigen Verbundenheit erbringen Familien vielfältige Leistungen, ohne die unsere Gesellschaft nicht existieren könnte. Eltern verzichten auf Einkommen und Freizeit, um ihren Kindern eine optimale Betreuung und Erziehung zukommen zu lassen. Eheleute stehen einander in Krisensituationen bei, in Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Sie gehen dabei teilweise bis an die Grenze der eigenen Belastbarkeit, nicht selten sogar darüber hinaus.
Unsere Gesellschaft nimmt diesen Einsatz für den Anderen wie selbstverständlich hin; er ist aber nicht selbstverständlich, und deshalb gebührt allen Familien Dank und Anerkennung durch Kirche und Gesellschaft. Die einzigartige Mehrleistung der Institution Familie für die Gemeinschaft liegt der Verfassungsregelung von Artikel 6 (GG) zum besonderen Schutz von Ehe und Familie zu Grunde.
Auch in der heutigen Zeit verbreiten die Familien also viel Licht. Hingegen sind auch Schattenseiten unübersehbar. Besorgniserregend ist für mich die Tatsache, dass die Form des Zusammenlebens der Eltern dabei weitgehend aus dem Blickfeld geraten ist. Für die katholische Kirche bilden Ehe und Familie eine unauflösliche Einheit. In der intakten, auf gegenseitiger Liebe und Respekt beruhenden Ehe finden Kinder den Ort, indem sie zu gefestigten und selbstverantwortlichen Persönlichkeiten heranreifen können. Zwar kann und darf die Kirche ihre Augen nicht für die besonderen Belastungen verschließen, die getrennt Lebende und Alleinerziehende zu bewältigen haben. Mit Nachdruck fordere ich die Gemeinden des Bistums Fulda dazu auf, den Geschiedenen und Wiederverheirateten in ihrer Lebens- und Glaubenssituation beizustehen und sie am Leben der jeweiligen Gemeinde zu beteiligen. Aber dies darf nicht dazu führen, den Stellenwert der auf Dauer geschlossenen Ehe zu relativieren oder gar in Frage zu stellen.
Ein weiterer Grund zur Sorge ist die Tatsache, dass sich viele junge Menschen bewusst gegen die Gründung einer Familie entscheiden. Sie sehen in der Elternschaft nicht mehr die höchste Sinnerfüllung ihres Lebens. Andere Werte wie der Wunsch nach Selbstverwirklichung und individueller Freiheit treten gleichrangig hinzu. In unserer heutigen Gesellschaft sind es vor allem die Schwierigkeiten, Familie und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren, die zahlreiche junge Menschen davon abhalten, eine Familie zu gründen. Viele Ältere stehen dem verständnislos gegenüber, da sie doch selbst unter wesentlich schwierigeren Bedingungen und weitgehend ohne staatliche Hilfen Familien gegründet und Kinder erzogen haben. Aber wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt grundlegend geändert haben. Die Belastungen, die Familien tragen, sind heute andere als früher. Auf diese veränderte Situation muss sich die Kirche einstellen, dabei aber grundsätzlich die auf die Ehe gegründete Familie im Zentrum ihrer Bemühungen haben.
Die Familien sind die Keimzelle jeder Gesellschaft, und damit auch der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche. Nur in einer Familie, in der der Glaube einen festen Stellenwert hat, können junge Menschen in einem gefestigten Glauben heranwachsen, ihn leben und später selbst weitergeben. Der Glaube bietet eine Fülle an Riten und Bräuchen an, die gerade auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen. Das Gefühl der Geborgenheit in Gott nach dem Abendgebet, das Zusammengehörigkeitsgefühl beim gemeinsamen Kirchgang und die gemeinsame Freude auf die hohen kirchlichen Feste sind Erfahrungen, die den Menschen auch heute tief prägen und den Glauben im jungen Menschen verwurzeln.
Viele, gerade junge Eltern, fühlen sich mit dieser Aufgabe überfordert. Sei es, dass sie selbst in ihrer Kindheit diese Glaubenserfahrung nicht machen konnten oder dass sie sich in ihrer Jugend vom kirchlichen Leben entfernt und erst wieder durch die kirchliche Heirat und die Geburt und Taufe ihres Kindes zurück gefunden haben. Für sie stellen die Gemeinden zahlreiche Angebote bereit, von Kinder- und Jugendgottesdiensten über Kinderbibelwochen bis hin zu speziellen Beratungsangeboten. Ich darf alle Eltern einladen, diese Angebote auch wahrzunehmen. Für die Familien stellen sich hier neue Aufgaben. Ich denke da besonders auch an die Großeltern, die den reichen Schatz der christlichen Bräuche und Riten aus ihrer eigenen Kindheit häufig noch kennen. Ihnen kann in der Glaubensvermittlung an die Enkelgeneration eine neue, persönlich bereichernde Aufgabe zufallen.
Ehe und Familie gehören zu den kostbarsten Gütern der Menschheit. Wir alle sind dazu aufgerufen, diese Güter im christlichen Verständnis zu leben und sich für deren Erhalt mit allem Nachdruck einzusetzen.