"Die Festtagsrede, die der Vizekanzler und von Zeitgenossen wie geschichtswissenschaftlicher Forschung gleichermaßen als »Steigbügelhalter« Hitlers bezeichnete Papen anlässlich der Hauptversammlung des städtischen Universitätsbundes an jenem Tag vortrug, gilt zu Recht als »literarisch-rhetorisches Meisterstück«und als ein echter »Husarenritt« Letzteres ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass …Mehr
"Die Festtagsrede, die der Vizekanzler und von Zeitgenossen wie geschichtswissenschaftlicher Forschung gleichermaßen als »Steigbügelhalter« Hitlers bezeichnete Papen anlässlich der Hauptversammlung des städtischen Universitätsbundes an jenem Tag vortrug, gilt zu Recht als »literarisch-rhetorisches Meisterstück«und als ein echter »Husarenritt« Letzteres ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass es sich bei der Rede um »die schärfste öffentliche Kritik«handelte, die dasNS-Regime zwischen 1933 und 1945 innerhalb der deutschen Grenzen von einem führenden Staatsvertreter erfuhr. (...)
Dagegen existierte innerhalb der Vizekanzlei Franz von Papens eine Gruppe konservativ-katholisch gesinnter Männer unter der Führung Edgar Julius Jungs und Herbert von Boses, deren Plan es war, diese Spannungen bis zu ihrer Eskalation systematisch zu befeuern. Die Verschwörer hofften, derart eine Situation von unübersehbarer Bedrohlichkeit zu schaffen, die den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg veranlassen würde, den Ausnahmezustand zu erklären und mithilfe der Reichswehr die NS-Regierung abzusetzen. Obwohl der Vizekanzler in diesen waghal sigen »Staatsstreich von oben« nicht eingeweiht war, stellte er einen unverzichtbaren Baustein für die Putschisten dar: Papen diente nicht nur als »Deckmantel, hinter dem sie ihre verschwörerischen und (rein juristisch gesehen) hochverräterischen Aktivitäten tarnten«, vielmehr war er das einzig verbliebene Werkzeug, das nach 1933 noch reale Möglichkeiten offerierte, um die NS-Diktatur zu stürzen. Denn durch die Beziehung Papens zu Hindenburg erhielt sein Mitarbeiterstab, und damit die Verschwörer, einen direkten Zugang zum Reichspräsidenten, der wiederum zwingend notwendig war, um ihr Vorhaben überhaupt zu verwirklichen. Ziel dieser Aktionen war jedoch keineswegs eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie der Weimarer Jahre, die den Ver- schwörern um Jung und Bose ebenso verhasst war wie die Ideen von »Masse«, Parteien und Wahlvolk; stattdessen verfolgten sie eine radikal antidemokratische und autoritä re Staatskonzeption, die sich gegen sämtliche Parteien, unter Einschluss der NSDAP richtete. Ausgehend von ihrem eigenen aristokratisch-elitären Selbstverständnis be- absichtigten diese Männer,den Parteienstaat zuzerschlagen und das Parlament zuent machten, damit an deren Stelle eine konservative, akademisch gebildete Elite von ge- sellschaftlichem Rang regieren konnte. Heute steht außer Zweifel, dass die »Kanzlei-Gruppe« um Jung und Bose mit der Marburger Rede die geplante Eskalation herbeiführen und zugleich ein »Fanal« gegen die NS-Herrschaft geben wollte.(...)