Guntherus de Thuringia
33

Gilad Atzmon: Btzelem, Athen und Jerusalem ... | Btzelem, Athens and Jerusalem ... [DE EN]

Aus der israelischen Presse erfahre ich, dass sich die wichtigste israelische Menschenrechtsorganisation Btzelem in einer akuten Krise befindet. Die Mitglieder sind in der Frage gespalten, ob die Organisation die angeblichen Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober (die inzwischen weitgehend widerlegt sind) anprangern und eine unparteiische Position zu den Menschenrechten einnehmen soll oder ob sie sich weiterhin auf den kolossalen israelischen Völkermord im Gazastreifen und im Westjordanland konzentrieren soll.

Um die Tiefe und das Wesen dieses innerjüdischen Kampfes zu verstehen, müssen wir die Bedeutung des Wortes Btzelem verstehen. Das alte hebräische Wort hat seine begrifflichen Wurzeln im Buch Genesis. Btzelem lässt sich mit dem englischen Wort "image" ["Bild"] übersetzen. Demnach schuf Gott Adam nach seinem eigenen Tzelem, nach seinem Ebenbild und seiner eigenen Gestalt ( בצלמו ובדמותו ).

Der Streit innerhalb von Btzelem geht darum, ob die Organisation das universelle Tzelem (Bild) des Menschen anstreben oder sich stattdessen auf das jüdische Stammes-Tzelem beschränken soll. Im Grunde handelt es sich um eine Wiederholung des alten Kampfes zwischen dem Stammes-Tzelem und dem Universal-Tzelem. Einerseits gibt der Aufruf zur Verurteilung der Hamas vor, "universell" zu sein, aber in der Praxis richtet er sich an die israelische und weltweite jüdische Öffentlichkeit, unabhängig von der Stichhaltigkeit der Vorwürfe gegen die Hamas.

Die interne Debatte in Btzelem ist ebenso faszinierend wie beunruhigend, und ich hoffe, dass diese gut gemeinte Einrichtung trotz aller Widrigkeiten überlebt. Ich habe natürlich nicht die Absicht, in dieser Debatte Partei zu ergreifen, aber sie bot mir eine weitere Gelegenheit, das Wesen der Jerusalemer und der jüdischen Metaphysik zu beleuchten.

Im Judentum wird die Ethik durch Mitzvoth, d.h. Gesetze und Gebote, ersetzt. Von den Anhängern der jüdischen Religion wird nicht erwartet, dass sie ethische Urteile fällen, sondern dass sie stattdessen das Gesetz befolgen. Das Gesetz, d. h. der Talmud und die Halacha, sind dazu da, ein Bild (tzelem) von ethischem Verhalten zu vermitteln. In dieser Hinsicht ahmt das jüdische Gesetz den ethischen Urteilsprozess nach. Es vermittelt ein "Bild" von einer "moralischen Gesellschaft". Wie wir wissen, geht es bei der künstlichen Intelligenz um die Nachahmung menschlichen Verhaltens. Es wäre daher vernünftig zu argumentieren, dass den Anhängern des Judentums KI nicht neu ist, sondern dass sie von dieser Denkweise seit mehr als zwei Jahrtausenden durchdrungen sind.

Der sprachliche hebräische Begriff Btzelem bringt die Idee der Nachahmung menschlichen Verhaltens ans Licht. Btzelem bezieht sich auf das Verhalten, das einem "Menschenbild" entspricht. Indem die israelische Menschenrechtsorganisation sich Btzelem nennt, hat sie sich transzendent dem "Bild" menschlichen Verhaltens verschrieben, anstatt sich in den (sozusagen einfachen) Akt des Menschseins zu vertiefen. Menschen, die in ihre eigene Menschlichkeit vertieft sind, streben nicht nach dem tzelem (Bild) der Menschlichkeit. Sie feiern stattdessen den Akt des Menschseins und der Menschlichkeit. Echte Künstler lassen sich auch nicht darauf ein, ein Bild des Künstlerseins zu imitieren. Sie leben stattdessen einfach ihre Kunst!

Natürlich will ich die großartigen und engagierten Leute von Btzelem nicht kritisieren. Als hebräische Muttersprachler sind sie wahrscheinlich blind oder sogar taub für die konzeptionelle Tiefe des Namens, den sie für sich gewählt haben. Aber die Debatte, in die sie verwickelt sind, ist ein Fenster zur widersprüchlichen Natur jeder jüdischen Solidaritäts- und humanistischen Organisation. Es ist immer der Kampf zwischen dem Tribalen und dem Universellen auf der einen Seite, es ist die ungelöste Spannung zwischen Athen und Jerusalem auf der anderen.

In Athen lernen wir, selbst zu denken, indem wir mit der Weisheit (philo-sophia) Liebe machen. In Jerusalem lernen wir, uns koscher in einem Bereich der Korrektheit zu bewegen.

Vor allem seit dem 7. Oktober verfolge ich die israelischen Medien sehr aufmerksam. Mehr als oft höre ich israelische Verteidigungskorrespondenten, die sich darüber beschweren, dass IDF-Soldaten Videos von sich selbst hochladen, in denen sie Kriegsverbrechen begehen und mit der Zerstörung prahlen, die sie den Menschen im Gazastreifen zufügen. Manchmal prahlen sie auch damit, wehrlose Zivilisten zu töten. Die israelischen Kommentatoren beschweren sich immer über den Schaden, den diese israelischen Soldaten dem Ansehen Israels zufügen, sie sorgen sich um den Tzelem Israels.

___

Kommentar zum obigen Beitrag:

Ich habe noch nie gehört, dass sich eine einzige israelische Medienperson (außer dem großen Gideon Levi natürlich) über das grob unethische Verhalten dieser randalierenden IDF-Soldaten beschwert hätte.

Was in Israel geschieht, ist für mich kaum eine Überraschung. Es ist, davon bin ich überzeugt, das unvermeidliche Schicksal einer Gesellschaft, die Ethik durch Rechtsstreitigkeiten ersetzt. Traurigerweise breitet sich diese verhängnisvolle Denkweise nun auch im Westen aus. Wir werden mit immer mehr Gesetzen konfrontiert, wir sind mit einem schnell wachsenden Regime der "Korrektheit" konfrontiert, mit dem Vorwand, ethisch zu sein, im Gegensatz zu ethischem Handeln, und wir sind Zeugen eines wachsenden Widerstands gegen kritisches Denken.

Ich kann nur hoffen, dass der Völkermord, den wir in Gaza erleben, eine klare Botschaft an den Westen ist.
Es ist überfällig, dass wir uns sofort von der Jerusalemer Denkweise verabschieden und uns wieder ganz auf Athen einlassen.

-

Btzelem, Athens and Jerusalem …

I learn from the Israeli press that Israeli most important human rights organisation Btzelem is facing an acute crisis. The members are divided on a question whether the organisation should have denounced Hamas’ 7 October alleged crimes (that by now are largely debunked) and uphold an impartial position on human rights or should the organisation keep focussing on the colossal Israeli ongoing genocide in Gaza and West Bank.

In order to understand the depth and the nature of this internal Jewish battle we have to understand the meaning of the word Btzelem. The old Hebraic word actually has its conceptual roots in the book of Genesis. Btzelem translates into the English word ‘image.’ Accordingly God made Adam in his own Tzelem and likeliness, in his own image and form ( בצלמו ובדמותו ) .

The fight within Btzelem is whether the organisation should aspire to human universal Tzelem (image) or restrict itself to the Jewish Tribal Tzelem instead. It is basically a repetition of that old battle between the tribal and the universal. On the one hand, the call to denounce Hamas pretends to be ‘universal’ but in practice it actually appeals to the Israeli and world wide Jewish public regardless of the validity of the accusations against Hamas.

The internal debate in Btzelem is fascinating as much as it is upsetting and I hope that this well meaning institution survives against all odds, I of course do not intend to take side in this debate but it provided me a further opportunity to enlighten the nature of the Jerusalemite and Judaic metaphysics.

In Judaism, ethics is replaced by Mitzvoth i.e. laws and commandments. The follower of the Jewish religion is not expected to make ethical judgments, he or she are expected to follow the law instead. The law i.e. The Talmud and The Halacha are there to convey an image (tzelem) of ethical behaviour. In that regards, the Judaic Law mimics the ethical judgment process. It conveys an ‘image’ of a ‘moral society.’ As we know, the imitation of human behaviour is what Artificial Intelligence is all about. It would be reasonable, therefore, to argue that the followers of Judaism are not new to AI, they have been consumed by that thinking manner by more than two millennia.

The lingual Hebraic concept of Btzelem brings to light the idea of mimicking human behaviour. Btzelem refers to the conduct that correspond with a ‘human image’. By calling itself Btzelem, the Israeli human right organisation has committed transcendentally to the ‘image’ of human behaviour instead of being immersed in the (simple so to say) act of Being human. People who are absorbed in their own humanity do not aspire by the tzelem (image) of humanity. They instead celebrate the act of being human and humane. Similarly, genuine artists do not engage in the act of mimicking an image of being artists. They just live their art instead!

I of course do not intend to criticise the great and dedicated people of Btzelem, being native Hebrew speakers, they are probably blind or even deaf to the conceptual depth of the name they have picked for themselves. But the debate they are engulfed in is a window to the contradictory nature of every Jewish solidarity and humanist organisation. It is always the battle between the tribal and the universal on one hand, it is the unresolved tension between Athens and Jerusalem on the other.

In Athens we learn to think for ourselves by means of making love with wisdom (philo-sophia). In Jerusalem we learn to operate kosherly within a realm of correctness.

I follow Israeli media obsessively especially since 7 October. More than often, I hear Israeli defence correspondents complaining about IDF soldiers uploading videos of themselves committing war crimes, boasting on the destruction they inflict on Gazans. Sometime bragging about killing defenceless civilians. The Israeli commentators always complain about the damage these Israeli soldiers inflict on Israel’s image, they care about the Tzelem of Israel.
Cont’ in first comment …
Qu.

___

Cont of above post:

I have never heard a single Israeli media person (except the great Gideon Levi of course) complaining about the gross unethical behaviour performed by these hooligan IDF soldiers.

What is happening in Israel is hardly a surprise for me. It is, I am convinced, the inevitable fate of a society that replaces ethics with litigation. Sadly, this disastrous fashion of thought is now spreading in the West. We are encountered with more and more laws, we face a rapidly growing regime of ‘correctness’ , pretence of being ethical as opposed to acting ethically and all along we witness growing opposition to critical thinking.

I can only hope that the genocide we see in Gaza is a clear message to the West.
Time is overdue to immediately depart from Jerusalem mindset and fully embrace Athens again.
Qu.