Am Rebhuhn lässt sich eines der größten Dramen unserer Zeit gut erklären.Der kugelig-kompakte Charaktervogel ist ein Indikator für Biodiversität: Wo er sich wohlfühlt, fühlen sich auch andere Tiere und Pflanzen wohl.
Aber das Rebhuhn fühlt sich nicht mehr wohl. Perdix perdix, das ist sein altgriechischer Name, hat in den vergangenen Jahrzehnten so dramatische Verluste wie kaum eine andere Vogelart erlitten. Über 90 Prozent gingen seine Bestände seit den achtziger Jahren zurück. Einen ähnlich hohen Schwund wie das Rebhuhn verzeichneten der Kiebitz und die Turteltaube, typische Allerortsarten, könnte man meinen. Auch der markante Gesang von Feldlerche und Goldammer ist flächendeckend aus unseren Fluren verschwunden.
Weil die Bestände in vielen Regionen Europas stark zurückgehen, befürchten Ökologen ein regelrechtes Vogelsterben. Nicht nur einzelne Populationen seien bedroht, sondern die Summe aller Arten.
Die
Hoch subventionierte Agrarindustrie schädigt Europas Artenvielfalt.Die
in Europaverbotenen Neonicotinoide werden weiter für den Export in Drittländer produziert. Obwohl die Substanzen auf Bienen, Schmetterlinge, Vögel, Wasserlebewesen und wichtige Bodenorganismen als Nervengift wirken und sie nachweislich schwer schädigen können, werden sie über Notfallzulassungen auch in Deutschland weiter ausgebracht.
Flurbereinigungen als Beginn der biologischen Tragödie
Ökologen sehen in Deutschland die sogenannte „Flurbereinigung“ als Beginn der biologischen Tragödie. Um effektiver zu wirtschaften, wurden viele kleine Äcker zu wenigen großen zusammengefasst, die für die Vielfalt wichtigen Randstreifen, Brachen und Hecken verschwanden. Artenreiche Feuchtgebiete wichen Hochleistungswiesen.
Die Intensivierung der Landwirtschaft setzte eine Kaskade in Gang – Massentierhaltung, Überdüngung, massiver Einsatz von Pflanzenschutz- und Insektenvernichtungsmitteln, den Pestiziden. Als Folge der Monowirtschaft verschwand ein Großteil der Pflanzen, die heute an Naturbeschreibungen alter Romane erinnern: der Gute Heinrich, das Acker-Löwenmäulchen, der Teufelsabbiss.
Damit nahmen die Mitteleuropäer dem Rebhuhn seinen Lebensraum wieder weg.
3.09.2022, Focus