Lilien Dorner
177

Die Tempelreinigung

Aus dem Heiligen Evangelium nach Johannes (Joh 2, 13-25)

Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus, ihre Tische stieß er um und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! Seine Jünger erinnerten sich, dass geschrieben steht: Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren. Da ergriffen die Juden das Wort und sagten zu ihm: Welches Zeichen lässt du uns sehen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen war.

Predigt
Da geht die Post ab im Evangelium: Jesus räumt auf. Ob dieses Ereignis so stattgefunden hat, ist unter historischer Betrachtung des Textes umstritten, aber es ist auffällig, dass alle vier Evangelien von dieser Tempelreinigung berichten. Sie scheint also ein wichtiges Thema in der jungen Kirche zu sein. Schauen wir einmal auf die Situation. Der Tempel in Jerusalem zeigte sich damals wie so mancher Wallfahrtsort heute auch: Rund ums Heiligtum finden sich allerlei Verkaufsstände. Sind es heute eher Devotionalienläden, die den Pilgernden Frommes und weniger Frommes anbieten, waren es im alten Israel Läden, in denen die Pilgernden kaufen konnten, was zum Opferkult im Tempel benötigt wurde - beispielsweise die Opfertiere, von denen wir im Evangelium hörten. Wenn Jesus nun mit rigidem Handeln das Treiben der Händler beendet, dann hat das nicht nur mit einer Wiederaufwertung des heiligen Tempelbezirkes zu tun. Es weist darüber hinaus. Was Jesus dort im Tempel tut, hat vor allem anderen Heilsbedeutung. Wenn Jesus mit dem Opferkult im Tempel - im wahrsten Sinne des Wortes - aufräumt, dann tut er das, um anzukündigen, dass bald keine Opfer im Tempel mehr nötig sind, um mit Gott in Kontakt zu kommen, weil bald ein Opfer dargebracht wird, das ein für alle Male mit Gott versöhnt: nämlich Jesu eigenes Opfer am Kreuz. Mit zwei Aussagen deutet der Evangelist das bereits im Tempelkonflikt an. Als Jesus seinem Zorn freien Lauf lässt, erinnert die Jünger an das Psalmwort): "Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren." (Ps 69,9. Dass der Evangelist damit das Verzehren der ganzen Existenz Jesu durch den Tod meint, ist den Jüngern zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Dann hörten wir Jesus sagen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. - Und er meint den Tempel seines Leibes. Die Leute sind verblüfft - und die Jünger verstehen auch dieses Wort erst, als sie Tod und Auferstehung erlebt haben. In der Tempelreinigung wird einmal mehr in überdeutlichen Bildern der Übergang vom Alten zum Neuen Bund aufgezeigt - das Alte manifestiert sich in den wehrhaften Mauern des Tempels; der Neue Bund offenbart sich im zerbrechlichen Leib des Gottessohnes. Und mitten in diesem Gegensatz wird deutlich: Das Schwache und Zerbrechliche wird das Starke und Wehrhafte überwinden. Mit anderen Worten: Gottes Kraft offenbart sich im Kleinen. Der Evangelist Johannes streicht das noch viel deutlicher heraus als die anderen Evangelisten, indem er die Erzählung von der Tempelreinigung an den Anfang seines Evangeliums setzt. Es ist das erste Paschafest in Jesu öffentlichem Wirken. Diese Botschaft von Gottes Kraft im Einfachen und Zerbrechlichen begleitet die ganze Verkündigung des Johannes. Bei Markus, Lukas und Matthäus findet sich der Text in näherer Umgebung zur Passionsgeschichte. Da gibt es eine logische Verknüpfung zwischen Jesu rüdem Handeln und der Anklage vor Pontius Pilatus. Bei Johannes hingegen zieht sich die Botschaft von der Kraft des Schwachen von Anfang an wie einen roten Faden durch sein Evangelium. Der Apostel Paulus weist in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth noch auf etwas anderes Paradoxes, Seltsames hin. Während Johannes uns Zuhörern deutlich macht, dass das Schwache und Zerbrechliche über das Starke und Wehrhafte siegen wird, lässt Paulus uns wissen, dass Gottes Heilshandeln wider alle Logik, wider allen Verstand geht: "Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit. - Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen." Gottes Heilshandeln an den Menschen verläuft nicht in den Grenzen menschlicher Vernunft und Berechnung. Immer dann, wenn wir denken, wenn wir nur genug beten oder sonst wie genug fromm sind, dann muss der Weg Gottes mit uns Menschen schon irgendwie nach unseren Vorstellungen verlaufen, liegen wir in unserem Kalkül vermutlich ganz schön daneben. Und andererseits genau dann, wenn wir meinen, hier geht’s in unserem Leben sicher keinen Schritt mehr weiter, hier sieht alles völlig dunkel und verbaut aus, passiert es eben doch. So, wie wir uns unseren Gott und sein Handeln zurechtlegen, geht das in den seltensten Fällen auf. Wir stehen mitten in der Fastenzeit und bereiten uns auf das Osterfest vor. An Ostern werden wir den Sieg des Schwachen und Zerbrechlichen über das Dunkle und Starke feiern, wir feiern den Sieg der Wege Gottes über die Logik und Vorstellungen der Menschen. Einmal mehr sind wir aufgerufen und eingeladen, uns darauf einzulassen. Amen.
(Quelle: Bistum Meinz)