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PEGIDA, Luther, Müntzer und eine protestantische Pastorentochter

Zwei Kommentare zum Thema PEGIDA von Jürgen Elsässer versuchen die Ereignisse der letzten Tage einzuordnen. Insbesondere Elsässers Argumente, ob PEGIDA von den Eliten gelenkt sei, sind lesenswert:

juergenelsaesser.wordpress.com/…/30-000-bei-pegi…

www.compact-online.de/das-duemmste-ge…

Angela Merkel hat mit ihrer Neujahrsansparche zu einer Selbstgleichschaltung der demokratischen Gesellschaft aufgerufen, und mit Ausnahme von Dresden hat die demokratischen Gesellschaft diese Selbstgleichschaltung gut befolgt. Die aktuellen Absichten sind klar:

Merkel braucht die innere Geschlossenheit der Gesellschaft für ihren Kurs einer kontrollierten und nachhaltigen Konfrontation mit Russland. Die diffuse Kriegsangst muss in eine politisch organisierbare Form gebracht werden. Das ist die eine Seite der aktuellen Entwicklung.

Die andere und zweite Seite ist, dass die Eliten die Bevölkerung in Bewegung bringen und formieren müssen. Die Menschen geraten dadurch in Aufregung, werden verunsichert und damit auch aufgeschlossen für Diskussionen politischer Art oder eben auch für religiöse Fragen. Das ist gefährlich. Und um genau dieses Risiko eines Entgleitens der politischen Mobilisierung zu vermeiden, müssen die Eliten in dieser schwierigen Phase auf eine Polarisierung der Diskussionen drängen, damit die Schafe – sprich mündigen Bürger – nicht auf die schiefe Bahn des selbstständigen Denkens geraten.

Für uns Katholiken ist die aktuelle Situation in besonderer Weise bedrückend. Die katholische Kirche war einst mit der alten feudal-agrarischen Machtelite verheiratet. Nun sind diese Eliten untergegangen, und die moderne industriell-bürgerliche Elite ist säkular, hedonistisch und selfish. Kardinal Woelki handelt in der Kölner Diskussion konsequent logisch, wenn er die alte Allianz auf die neuen Verhältnisse überträgt, das demokratisch-antifaschistische und gegenderte Bündnis sucht, und doch überschreitet er eine Grenze. Er persönlich überschreitet keine Grenze, aber die ihm anvertraute Kirche kann seinen Weg der Gleichschaltung mit den modernen Machteliten nicht gehen, ohne Gott in eine Nicht-Existenz zu transformieren. Noch lebt unser Glaube aus den alten Formen. Noch steigt der Weihrauch in der Messe zum Himmel auf. Noch ist Christus König. Dominus Jesus.

Die feudalen Eliten behaupteten einst, ihren Herrschaftsauftrag von Gottes Gnaden zu haben. Die neuen Eliten leiten ihren Auftrag vom demokratischen Volkswillen ab, was in Zeiten der Medienherrschaft einer Selbstermächtigung gleichkommt. Für Luther ist in „von weltlicher Obrigkeit“ das Paulus-Wort (Römer 13) ausschlaggebend, dass das Schwert der Obrigkeit von Gott stammt. Dem hat sich der Christenmensch unterzuordnen und bestenfalls seine innere Emigration und Anständigkeit kann er wahren. Dieselbe Stelle führt bei Thomas Müntzer zu der Argumentation, dass, wenn das Schwert der Obrigkeit von Gott kommt, dann diese Obrigkeit eine Verpflichtung hat, ihrem Auftrag gemäß zu handeln. Kommt die Obrigkeit ihrer Verpflichtung nicht nach, dann geht der (Herrschafts-)Auftrag an das Volk zurück. So gibt es bei Müntzer ein Recht auf Widerstand, in Luthers Vorstellung von weltlicher Obrigkeit aber nicht.

Woelkis Weg der Verschmelzung mit der nachchristlich säkularen Gesellschaft ist pragmatisch, herrschaftsorientiert und folgerichtig. Wenn Gott tatsächlich, wie von der deutschen Philosophie und (wohl) den meisten unserer Bischöfe vermutet, nur ein inneres Empfinden ist, dann ist der Kölner Weg zwingend und ohne Alternative. Dieser Gott wird unseren Weg schon mitgehen, denn wenn er nur unsere Hände, unsere Füße und unsern Mund hat, wohin sollte er dann schon gehen können? Und weil, realistisch betrachtet, dieser Gott so keine Chance hat, möchte ich an den Orpheus in Woelkis Antrittsmesse erinnern. Diesmal mit einem Bild von Franz Kafka, Auf der Galerie:

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, rief das – Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Salto mortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.


Noch sitzen wir in der Galerie und blinzeln nach links oder rechts, ob nicht ein anderer aufsteht, die Ränge hinunterzusteigen, um laut und deutlich Halt zu rufen.