Ist das Abstellen lebensnotwendiger Maschinen immer Sünde oder auch ein erlaubtes dem natürlichen Sterben seinen Lauf Lassen?

Ist das Abstellen lebensnotwendiger Maschinen immer Sünde oder auch ein erlaubtes, dem natürlichen Sterben seinen Lauf Lassen?

I. ALLGEMEIN ETHISCHE DARLEGUNG

Der hl. Johannes-Paul II. Schreibt in seiner Enzyklika „Evangelium vitae“ ("Frohbotschaft vom Leben"):

„Für ein korrektes sittliches Urteil über die Euthanasie gilt es zunächst, diese klar zu definieren. Unter Euthanasie im eigentlichen Sinn versteht man eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden. 'Bei Euthanasie dreht es sich also wesentlich um den Vorsatz des Willens und um die Vorgehensweisen, die angewandt werden'.
Von ihr zu unterscheiden ist die Entscheidung, auf 'therapeutischen Übereifer' zu verzichten, das heißt auf bestimmte ärztliche Eingriffe, die der tatsächlichen Situation des Kranken nicht mehr angemessen sind, weil sie in keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen stehen, oder auch, weil sie für ihn und seine Familie zu beschwerlich sind. In diesen Situationen, wenn sich der Tod drohend und unvermeidlich ankündigt, kann man aus Gewissensgründen 'auf (weitere) Heilversuche verzichten, die nur eine ungewisse und schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne daß man jedoch die normalen Bemühungen unterläßt, die in ähnlichen Fällen dem Kranken geschuldet werden'. Sicherlich besteht die moralische Verpflichtung sich pflegen und behandeln zu lassen, aber diese Verpflichtung muß an den konkreten Situationen gemessen werden; das heißt, es gilt abzuschätzen, ob die zur Verfügung stehenden therapeutischen Maßnahmen objektiv in einem angemessenen Verhältnis zur Aussicht auf Besserung stehen. Der Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Heilmittel ist nicht gleichzusetzen mit Selbstmord oder Euthanasie; er ist vielmehr Ausdruck dafür, daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird.“
Damit ist die obige Frage („Ist das Abstellen lebensnotwendiger Maschinen immer Sünde oder auch ein erlaubtes dem natürlichen Sterben seinen Lauf Lassen?) noch nicht klar beantwortet. Denn gewiss: Das Abstellen der lebensnotwendigen Maschinen ist eine „Handlung.., die...aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt, um...Schmerz zu beenden.“ Und damit gilt das für Johannes-Paul II. als „Euthanasie“, über die er vorher sagt: „Euthanasie, das heißt, sich zum Herrn über den Tod zu machen, indem man ihn vorzeitig herbeiführt und so dem eigenen oder dem Leben anderer 'auf sanfte Weise' ein Ende bereitet. In Wirklichkeit stellt sich, was als logisch und menschlich erscheinen könnte, wenn man es zutiefst betrachtet, als absurd und unmenschlich heraus.“
Aber nun lässt der oben zitierte zweite Abschnitt fragen, ob das Abstellen der Maschinen nicht doch dann von Euthanasie „zu unterscheiden ist“, wenn das Weiterlaufen der Maschine „therapeutischer Übereifer“ und „unangemessen“ wäre. Trifft das bei einem Unheilbaren zu, der im Koma liegt und dessen Tod nur künstlich verzögert wird? Der Papst nennt unerlaubt, was „vorzeitig“ zum Tod führt.
Ist es nie „
vorzeitig“, wenn ein Patient ohne die Maschine nicht leben könnte, sondern ist dann der Tod eigentlich „zeitig“, quasi natürlich? Und gälte dieses „nicht vorzeitig“ auch, wenn der Patient mit Maschine noch Jahre weiterleben würde?
Hier sollte man betrachten, was beim Abstellen der lebenswichtigen Geräte geschehen kann:

ein Todeskampf des Patienten von vielen langen Minuten.
Ein grausames Ersticken.

Vor allem ist das Abschalten der lebensnotwendigen Geräte ein Akt, eine Handlung, die bewusst den Tod herbeiführen soll und herbeiführt. Das ist nicht ein bloßer Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen. Es ist ein Töten zum von Arzt oder Familie gewählten Zeitpunkt.


Folglich ist einzusehen, was der große Papst der katholischen Morallehre in „Evangelium vitae“ schreibt:
„Nach diesen Unterscheidungen bestätige ich in Übereinstimmung mit dem Lehramt meiner Vorgänger und in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die Euthanasie eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.
Eine solche Handlung setzt, je nach den Umständen, die Bosheit voraus, wie sie dem Selbstmord oder dem Mord eigen ist.“
Der Verweis auf die „Bosheit“ einer die Maschinen abstellenden Handlung erscheint ungerecht, weil Arzt und Familie doch das Leiden des Sterbenskranken und die Hoffnungslosigkeit seiner Situation im Blick haben könnten. Aber nicht nur, dass sie im Tiefsten an die eigenen Schwierigkeiten denken mögen, die ihnen ein an Geräten Dahinvegetierender macht, sieht die Kirche im bewussten Töten eines Unschuldigen „Mord“ und „Bosheit“. Die mag durch Emotionen, Selbsttäuschung und unklares Denken überdeckt sein oder ein wirklich zu entschuldigender Irrtum, vom Zeitgeist und falschen Beratern herbeigeführt.
Jedenfalls zerstört der Tod die Gemeinschaft mit der Familie, die auch bei einem Unheilbaren fühlbar ist. Wenn ein Kuss die Stirn des Patienten berührt, kann sich auch der Mund, in den Schläuche gelegt sind, zum Kuss formen wollen. Erschütternd, aber Zeichen für lebende Gemeinschaft.

Ethisch einfacher ist es, den hoffnungslos kranken Patienten erst gar nicht an diese Geräte anzuschließen. Aber das haben vielfach Familie und Arzt dennoch getan, und das aus Liebe und erster Hoffnung auf Heilung. Man sollte ja niemanden verhungern, verdursten oder ersticken lassen und das auch für einen selbst in einer eventuellen Patientenverfügung ausschließen sowie für sich und andere auf Schmerzmitteln bestehen (die laut Pius XII. und Johannes-Paul II. sogar schädlich sein dürfen, wenn sie zur Schmerzlinderung wesentlich sind). Hier nebenbei bemerkt: Die Spendung lebensnotwendiger Organe bedeutet eine grausame Tortur und widerspricht dem Gedanken, dem natürlichen Sterben eines anderen seinen Lauf zu lassen, ist auch für einen selbst unnatürlich, ist Getötetwerden.

II. BESONDERER CHRISTLICHER GEDANKE
Uns Christen, die wir nach „Sünde“ oder „gutem Werk“ fragen, sollte noch etwas Weiteres bedeutsam werden. Ich denke jetzt nicht an den christlichen Wert des Leidens, von dem Johannes-Paul II. spricht. Sondern das Weiterleben infolge eines Gerätes gibt Zeit zum Beten und zu Gesprächen mit Gott. Da mag Schuld eingestanden und von Gott vergeben, der Kranke seinerseits zum Verzeihen geführt werden. Wer wagt auszuschließen, dass ein Koma-Patient Gnaden empfängt, vielleicht die Gnade der Bekehrung, wesentlich für sein ewiges Glück?

III. ZUR FRAGE DER SOGENANNTEN „TRIAGE“:

Wie ist es nun zu beurteilen, wenn die lebenserhaltende Maschine an einem bewusstlosen unheilbaren und demnächst sterbenden Patienten die Heilung eines anderen blockiert, weil kein weiteres Gerät zur Verfügung steht? Muss dann nicht eine Wahl („Triage“) zugunsten des aussichtsreicheren Patienten getroffen werden? Ich unterstelle jetzt nicht polemisch, dass der andere jung ist, ein langes Leben vor sich hat, und der bereits angeschlossene Patient „nur“ alt oder der neue Patient ein für den Weltfrieden bedeutsamer Politiker ist oder jemand, der besonders lange in die Krankenversicherung eingezahlt hat, sondern dass es einfach nur um den aussichtsreicheren Patienten geht. Auch hier gibt der hl. Johannes-Paul indirekt die Antwort, indem er sich gegen die Zweckethik wendet, insofern diese das Leben menschlicher Personen zur Disposition stellt. In seiner Enzyklika „Veritatis splendor“ ("Der Wahrheit Glanz") von 1996 besteht er darauf, dass es
„in sich schlechte Handlungen“ gibt, die nicht in Vorteils- und Nachteilsüberlegungen als erlaubt aufgehen könnten. Das bewusste Töten eines Unschuldigen ist selbstverständlich, wie oben gezeigt, eine in sich schlechte Handlung. Den aussichtsreicheren Patienten nicht anzuschließen, ist darum keine unterlassene Hilfeleistung, weil nämlich das Gerät nicht zur Verfügung steht, nicht ohne sittlich verwerfliche Tötung einer menschlichen Person zur Verfügung gebracht werden könnte.
Darum ist ein kath-net.Artikel erfreulich und regte zu hiesigen Überlegungen an: Der Hollywood-Schauspieler Kevin James (Serie „King of Queens“) tadelt das Abschalten lebenserhaltender Geräte und berichtet das überraschende Aufwachen eines von dessen Familie aufgegebenen Komapatienten - kathpedia.de/index.php?title=Veritatis_splendor_(Wortlaut) - .

Enzyklika „Evangelium vitae“auf Deutsch: Evangelium Vitae (25. März 1995) | Johannes Paul II. (Nr. 65)
Enzyklika „Veritatis splendor“ auf Deutsch: kathpedia.de/index.php?title=Veritatis_splendor_(Wortlaut) (3. Kapitel, Abschnitt IV)
Klaus Elmar Müller teilt das
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