«Der andere Blick»: Die Kirchen verstossen gegen den Geist der Weihnacht (nzz.ch)

Thema des Tages: Mit 2-G-Gottesdiensten verstossen die Kirchen gegen den Geist der Weihnacht

22. Dezember 2021

Der andere Blick
von Alexander Kissler,
Redaktor der «Neuen Zürcher Zeitung»

In manchen Kirchen genügen Test, Abstand und Mundschutz nicht mehr, um an Weihnachten Gottesdienste besuchen zu können. Imago

Die stille Zeit am Jahresende soll unter Corona-Bedingungen ganz besonders still werden. Zwar treten die von den Ländern und der deutschen Bundesregierung beschlossenen neuen Massnahmen mit ihren Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverboten erst nach dem 27. Dezember in Kraft. Bereits zu Weihnachten aber ist jeder Bürger gehalten, auf grössere Feiern zu verzichten. Diese Bitte der Exekutive liessen sich die Kirchen nicht zweimal sagen. An vielen Orten dürfen nur Geimpfte und frisch Genesene an den Weihnachtsgottesdiensten teilnehmen. Damit zieht ein unchristlicher Geist in die Kirchen. Wer Gläubige an der Tür abweist, kann sich nicht auf Jesus berufen.

Das Erzbistum Berlin gibt sich am strengsten
Trotz rapide fortschreitender Säkularisierung zählt der Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes für viele Bürger zum liebgewonnenen Ritual. Weihnachten ist eines der wenigen Pfunde, mit denen kriselnde Kirchen noch wuchern können. Der Andrang ist hoch, der Klingelbeutel gut gefüllt, die Botschaft fällt auf fruchtbaren Boden. Dass keine Gemeinde das Risiko in Kauf nehmen will, die Pandemie zu befeuern, ist verständlich und vernünftig. Zumal an den Gottesdiensten viele ältere und alte Menschen teilnehmen, die typischen vulnerablen Gruppen.

Einlasskontrollen und Betretungsverbote grenzen aber systematisch aus an einem Tag, der eine Einladung für alle sein will. Im Neuen Testament sagt Jesus von Nazareth, dessen Geburt die Kirche bekanntlich an Heiligabend feiert: «Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.» Verschlossene Pforten sind der denkbar grösste Gegensatz zu dieser Botschaft, die zugleich ein Auftrag ist.

Am rigidesten gibt sich das katholische Erzbistum Berlin. Dort müssen in der Advents- und Weihnachtszeit «Gottesdienste in Kirchen und Innenräumen grundsätzlich unter 2-G-Bedingungen» stattfinden. Staatlicherseits gibt es diese Vorgabe nicht. Zusätzlich soll es pro Pfarrei und Sonntag ein 3-G-Angebot geben. Die Norm setzt also die Begrenzung der Gemeinde auf die Geimpften und frisch Genesenen und die Aussperrung der Ungeimpften. Diese Norm ist falsch.

Die Entfremdung wächst
Jede Religion wird von Symbolen zusammengehalten. Da ist es ein verheerendes Signal, wenn die Kirchen ihr geistliches Angebot an das Vorliegen staatlicher Zertifikate knüpfen. Der Berliner Generalvikar sagt im Interview, man wolle ein Zeichen der gesellschaftlichen Solidarität setzen. Ausserdem sei die 2-G-Regelung «wesentlich einfacher zu kontrollieren als die 3-G-Regelung». Man macht sich im Erzbistum Berlin nicht die Mühe, den Ausschluss getaufter Mitglieder vom Sakrament der Eucharistie theologisch zu begründen. Ein säkularer Pragmatismus regiert. Viele protestantische Landeskirchen und katholische Diözesen überlassen die Schutzkonzepte den Gemeinden, so dass es an diesem Weihnachtsfest ein buntes Nebeneinander der Massnahmen geben wird. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern schreibt: «Wird die 3-G-Regel nicht angewendet, muss mit Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen Personen verschiedener Hausstände gefeiert werden. Am Sitzplatz darf die Maske abgenommen werden.»

Am eindeutigsten formuliert das Erzbistum Freiburg: «Die freie Religionsausübung ist ein besonders geschütztes Recht. Daher finden öffentliche Gottesdienste ohne 2-G/3-G-Regelung statt. Der Zugang soll für alle Menschen möglich sein – unabhängig davon, ob die Person immunisiert oder getestet ist.» In der Tat wäre es auch in Berlin und anderen 2-G-Hochburgen möglich, die Zahl der Gottesdienstbesucher zu begrenzen, auf Abstands- und Hygieneregeln zu achten und die Nachverfolgung zu gewährleisten. Wer Menschen lieber aussperrt als einlädt, darf sich nicht wundern, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder weiter schrumpft.

Die Kirchen unterschätzen noch immer das Ausmass der Entfremdung. Neben Missbrauchs- und Finanzskandalen trägt der Vertrauensverlust entscheidend dazu bei, dass immer mehr Menschen sich von den Kirchen abwenden. Bei einer Befragung durch die Universität Erfurt gaben über 80 Prozent der Teilnehmer an, in der Pandemie keine Hilfe von den Kirchen erhalten zu haben. Nur 4 Prozent berichteten von geistlichem Beistand bei Sinnfragen. Als selbstbezügliche Grossinstitution, die weder durch ihr Personal noch durch ihre Praxis überzeugt, hat die Kirche keine Zukunft.
Tina 13
Ohooo
Stelzer
Sinnfragen, die Kirchenvertreter sind selbst sinnlos und haben sich damit erledigt