Ursula Wegmann
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Syrien - ein glaubwürdiger Reisebericht Teil II

Teil II
Der Besuch beim Nuntius war ebenfalls sehr erfreulich. Er spricht fließend Deutsch, hatte früher in der Nuntiatur in Bonn gearbeitet, der einzige Kardinal in Syrien.
Auch in sein Haus war 2015 eine Granate eingeschlagen, hatte aber keinen Personenschaden angerichtet. Er bedauerte ebenfalls, dass der Westen ein falsches Bild von Syrien hat; er selbst und auch andere Bischöfe schreiben regelmäßig Lageberichte – wenn man will, kann man sich über die Realität in-formieren. Leider haben vor Jahren alle westlichen Botschaften (außer Tschechien und Vatikan) geschlossen – von wo will man Informationen bekommen?!
Der Nuntius meinte, ein friedliches Zusammenleben von Christen und Moslems sei möglich, Syrien sei ein gutes Beispiel. Die Christen in Syrien haben eine überdurchschnittlich große Präsenz von Schulen, Krankenhäusern, Altersheimen, Kinderheimen … hier zeigt man, dass die christliche Nächstenliebe allen gilt, und das ist hoch geschätzt bei der muslimischen Bevölkerung.
Die drei katholischen Krankenhäuser in Damaskus standen vor dem ‚Aus‘, so der Nuntius (zwei Drittel aller Ärzte sind im Ausland, Geldprobleme, medizinisches Personal), aber morgen wird er auf der Versammlung mitteilen können, dass er im Vatikan erreicht hat, dass alle drei Krankenhäuser bleiben können und unterstützt werden.
Der Nuntius sagte, dass schon vor einigen Jahren die Bischöfe nach Westen geschrieben hätten, dass man die Leute nicht abwerben soll. Er sagt immer: man muss die Freiheit akzeptieren, aber wenn du gute Arbeit hast und nicht von Bomben bedroht bist, dann hast du auch von Gott her eine Verantwortung für das Land. Er sagte, zuerst ist die Oberschicht weg, dann die Mittelschicht, die Armen bleiben. Jetzt ist noch die Angst der Jungen, ins Militär eingezogen zu werden. Aber der Weggang ist auch der Tod der Kirche. Wen sollen die Mädchen heiraten?
Zu den Flüchtlingslagern in Deutschland meinte er, man könne nicht Christen und Muslime gemeinsam unterbringen. Auch in Deutschland würde es noch viele Probleme geben.
Als Nuntius fühlt er sich sehr anerkannt von allen.
Mit den Muslimen gibt es gute Beziehungen, ebenso mit der Regierung. Schon der Vater von Assad gab den Minderheiten Privilegien. Die Kirche bekommt auch finanzielle Hilfen, es herrscht Religionsfreiheit. An christlichen Feiertagen Weihnachten und Ostern hat das ganze Land arbeitsfrei! Die Regierung an-erkennt eine eigene kirchliche Gesetzlichkeit, d. h. z. B. dass christliche Eheschließungen auch staatlich anerkannt sind.
Nach ein paar Tagen sind wir nach Aleppo aufgebrochen. Die Autobahn bis Homs ist frei; dann gibt es eine große Umleitung, weil die Straße nicht sicher ist (insgesamt 5 Stunden). Wir fahren die Verteidigungslinie entlang. Mal rechts, mal links sind die befestigten Anlagen mit Panzern, schweren Geschützen und Soldaten in regelmäßigen Abständen zu sehen. Rechts und links liegen ausgebrannte PKW‘s, Busse, Tankautos, LKW‘s. Wir fahren durch zerstörte Dörfer. Öfter gibt es Kontrollen. Auf dem Weg nach Aleppo erfahren wir, dass in der Nacht durch die Mörsergranaten der „Rebellen“ in Damaskus neun Menschen gestorben sind und es viele Verletzte gegeben hat.
In Deutschland hat man eine falsche Vorstellung, wenn man meint, überall im Land tobe ein „Bürgerkrieg“. Dem ist nicht so; nur in einzelnen kleinen Gebieten herrschen die „Rebellen“; abgeriegelt durch das Militär. Sonst trifft man überall im Land ein normales Leben an. Zur Sicherheit haben einzelne Ort-schaften eine Art ‚Bürgerwehr‘ gegründet – so kann die syrische Armee andere Aufgaben wahrnehmen. Große Strecken des Weges nach Aleppo werden von der Hisbollah kontrolliert; auch von denen werden wir als Priester aus Deutschland freundlich begrüßt.
Wenn man nach Aleppo hineinfährt, dann kommt man zuerst durch ein völlig zerbombtes Stadtviertel, etwa 20 % der Innenstadt, wo sich die „Rebellen“ verschanzt hatten, wurde bei der Rückeroberung zerstört. Russische Soldaten und Flugzeuge haben mitgewirkt mit der syrischen Armee. Öfter sieht man russische Schriftzeichen; die russischen Soldaten mussten unter Lebensgefahr alle Häuser durchsuchen, weil die „Rebellen“ beim Rückzug überall Minen und Fallen gelegt hatten. Wenn ein Haus durchsucht war, schrieben die Russen auf die Wand ‚min njet‘, und die Leute konnten zurück in ihre Häuser.
Wir besuchten den ausgebombten melkitischen Bischof in seiner provisorischen Residenz in einer Stadtwohnung. Er beklagte, dass jetzt nur noch etwa 200 Familien seiner Pfarrei geblieben sind (er hat 15 Priester), die anderen 50 % sind tot oder geflohen. Sechs Bomben haben seine Kathedrale getroffen, Wohnungen, Verwaltung, Schule … Wie alle Bischöfe sieht er die Rolle Rußlands sehr positiv: hätten sie und der Iran nicht interveniert, wir wären schon längst Kalifat, Gottesstaat mit Scharia. Im Alter von 74 Jahren hat der Bischof aber nicht den Mut verloren, überall hat er Projekte: Schulen, Berufsausbildung, eine großangelegte Rückrufaktion aus dem Ausland – wer zurückkommt, erhält Wohnung (er hat zwei große Wohnblocks gekauft), Startkapital, Rückreisegeld, Ausbildung usw. etwa 25 Familien seien bisher gekommen (auch andere Bischöfe und der orthodoxe Patriarch haben solche Aktionen). Man muss den jungen Leuten Hoffnung geben, so sagt der Bischof immer, und sich nicht vom ‚mainstream‘ beeinflussen lassen. So hat er auch eine Schule mit 525 Schülern gegründet, eingebaut unter eine große Kirche, geleitet von seinem Sekretär, der uns alles zeigte, auch die zerstörte Kathedrale und Residenz. Er erzählte uns, dass plötzlich nachts die Terroristen kamen, auch durch die Gullis, überall Granaten warfen, er aufwachte, schnell zum Bischof wollte, aber nicht mehr bemerkte, dass die Treppe schon weggebombt war – so fiel er in die Tiefe, verlor ein Auge, wurde mit Bischof und anderen aus den Trümmern von der syrischen Armee in Sicherheit gebracht und wachte nach einer Operation wieder auf. Er ist ein ganz lebenslustiger Priester, und wenn er sich an den Kopf fasst, sagt er immer scherzend: alles Plaste!
Ganz in der Nähe, am Rand der Zerstörung, neben der Kathedrale, besuchten wir eine andere Schule, 330 Schüler, von zwei Ordensschwestern geleitet. Oft wurden sie von den anderen Schwestern bedrängt: warum bleibt ihr bei den Bomben? Sie antworten dann immer: ich kann doch nicht meine Kinder allein lassen!
Hoch in Ehren stehen die Salesianer Don Boscos wegen ihrer vielen Berufsausbildungsstätten, und die Franziskaner: in der Innenstadt haben sie eine große schöne Kirche – eine lebendige Gemeinde. Hier habe ich immer um 18 Uhr die hl. Messe mitgefeiert, alles in Arabisch bis auf meinen kleinen Anteil deutsch im Meßkanon. Vor der hl. Messe wird der Rosenkranz gebetet, ungefähr 60 Leute kommen zur Abendmesse (früh ist noch eine hl. Messe um 7.30 Uhr, ebenfalls gut besucht). Einige eifrige jugendliche Ministranten kommen wochentags morgens und abends zur hl. Messe. Am 2. Februar (Mariä Lichtmess) waren wohl an die 250 Gläubige zur hl. Messe mit Kerzenweihe gekommen. Einer der vier dortigen Franziskaner lobte seine Leute: niemand hat den christlichen Glauben verraten, eher ist man bereit zu sterben. Seit Weihnachten 2016 ist die Stadt befreit, die ISIS-Terroristen aus den äußeren Stadtvierteln vertrieben, aber mehrere Priester und auch zwei Bischöfe sind entführt, von denen man keine Information hat.