M.RAPHAEL
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Es ist wie eine Wand

Nachdem mich der Herr in den aktiven Dienst berufen hatte, wurde langsam klar, dass der Zölibat wohl zu meiner Substanz gehört. Meine Mutter sprach darüber mit unserem alten Pfarrer. Seine Antwort war: „Es ist wie eine Wand“. Er war ein sehr frommer Pfarrer und seine Aussage zeigt es. Der Zölibat ist objektive „Beton“ Faktenrealität. Natürlich ist die Wand unsichtbar. Aber sie ist konkreter als die gesamte Materie des Universums zusammen.

Gott beruft zum Zölibat. Es stand niemals in meiner Macht, mich so oder so zu entscheiden, als wenn es jemals akzidentiell für mich gewesen wäre. Der Zölibat gehört zu meiner Substanz. Gott will mich ungeteilt: „Du gehörst mir!“ Und ich bin nicht mal Priester.

Es war niemals meine Privatentscheidung, persönliche Erfahrung oder Wille. Gott herrscht über den Menschen, nicht der Mensch über Gott. Der Zölibat ist eine unvorstellbare Gnade. Er ist objektive Wahrheit. Er ist nicht subjektiv. Gott beruft den Einzelnen aber immer in Bezug auf das Ganze, Allgemeine, Universelle. Es gibt keine Privatwahrheit. Wahrheit haben wir alle immer nur zusammen (später mehr zum Universalienstreit). Zum Berg gehört, dass er höher ist als die Ebene. Zu den Priestern und Mönchen/Nonnen gehört es, dass sie zölibatär leben. Wer den Zölibat erfährt, weiß, um was es geht. Unser alter Pfarrer wusste es.

Die gesamte übernatürliche Wahrheit ist objektiv dicht und fest. Der menschliche Wille oder seine Psyche sind dagegen völlig machtlos, wie ein Hauch im Wind.

Wenn ein Mensch glaubt, dass er den Zölibat ernsthaft dadurch abschaffen kann, dass er ihn der menschlichen Willkür auch nur in seltensten Ausnahmen ausliefert, dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken.