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Welche Vorstellung haben wir von Nazareth zur Zeit Jesu?

Welche Vorstellung haben wir von Nazareth zur Zeit Jesu?

Pilger, die heute nach Nazareth kommen und eine, sich im permanenten Aufbau befindliche, sehr lebendige Stadt von 60 000 Einwohnern entdecken, stellen sich die Frage, wie sie wohl zur Zeit Jesu ausgesehen haben mag.

Wie sollen wir uns Nazareth und das Heilige Land zur Zeit Jesu Christi vorstellen, ausgehend davon wie sie sich heute präsentieren? Unternommene Studien und Nachforschungen, lassen davon ausgehen, dass sich vieles geändert hat. Im Evangelium nennt man Nazareth eine Stadt, griechisch "Polis" und nicht ein Dorf, griechisch "Come", was auf eine bestimmte Grösse von einigen hundert Häusern schliessen lässt. Dieser Gedanke wird durch die Archäologie bestätigt, die Reste aus dem ersten Jahrhundert in der Umgebung des Marienbrunnens im Norden, bis zu den Orten rund um die Grotte der Verkündigung, mehr als 500 Meter von hier, in Richtung Süden zeigt, wo sehr interessante Ausgrabungen gemacht wurden.

Die Wohnungen waren oft an Höhlen oder zum Teil an Felsen angelehnt, was eine natürliche Temperaturregulierung erlaubte. Man findet Reste davon unter der Verkündigungsbasilika, in der benachbarten St. Josefs Kirche, in der Nähe der Synagoge Jesu und gleich daneben beim Grab des Gerechten, das im XIX. Jahrhundert bei den Schwestern von Nazareth entdeckt wurde, wo sich anscheinend das Ende der Stadt befand, weil die Gräber immer ausserhalb des bewohnten Gebietes lagen.

Laut Vermessungstechnik haben sich die Anhöhen zweifellos nicht viel in ihrer allgemeinen Form verändert, man weiss aber, dass die Strasse entlang der Verkündigungsbasilika bis zum XVIII. Jahrhundert eine Schlucht war, die ein kleiner Bach durchlief.

Etwas, was uns ebenfalls überraschen kann, betrifft die Qualität der Wohnstätten und der aufgefundenen Gegenstände, die Zeichen einer vollendeten, edlen Zivilisation sind, weit entfernt von manchen Karikaturen, die die Menschen aus der Zeit Jesu und Mariens mit Primitiven vergleichen, die in schmutzigen und schlecht gebauten Quartieren hausten. Im Gegenteil, die in Nazareth vorgefundenen Häuser, Werkzeuge, aus Marmor und Stein gemeisselten Skulpturen und Gegenstände, wie das, Josef, dem Gerechten, zugeschriebene Grab, zeigen uns eine, für die Qualität ihrer Umwelt, sehr empfindsame Zivilisation, wie es uns auch die Schönheit und Grösse der Steinplattenverlegung von Jerusalem, die Pracht, der aus den verschiedensten Materialien verfertigten Geräte und Gegenstände für den Tempel von Jerusalem oder auch die Qualität der Tuniken, die in dieser Epoche gewebt wurden, beweisen .

Die dritte grosse Korrektur, die im Bezug auf die, von der heutigen Wirklichkeit ausgehenden Vorstellung gemacht werden muss, betrifft die üppig Vegetation, die zu dieser Zeit existiert haben muss. Die Bibel spricht von Galiläa wie von einer grünenden Landschaft inmitten eines Landes, in dem Milch und Honig fliessen. Der jüdische Historiker Flavius Josephus bezeugt in seiner Geschichte des Jüdischen Krieges: "Galiläa ist in seiner ganzen Ausdehnung üppig, reich an Weiden und verschiedenartigen Bäumen, seine Fruchtbarkeit ermutigt sogar die Faulsten für die Landwirtschaft. Der Boden bedeutet den Bewohnern aber auch viel: keine Parzelle bleibt Brachland. Es gibt viele Städte und sogar die kleinen Marktflecken sind dank der Fruchtbarkeit des Bodens reich bevölkert, sodass sogar die kleinsten unter ihnen noch fünfzehntausend Einwohner zählen." (Geschichte des Jüdischen Krieges 3,42-43)

Diese Zahl und diese Beschreibung, die bis vor kurzem noch für sehr übertrieben gehalten wurden, sind durch die aussergewöhnliche Entdeckung weitflächiger, römischer Thermen, 4 1/2 Meter unter der Erdoberfläche, die während der Renovierung einer Apotheke im Jahr 2003 in Nazareth, in der Nähe des Marienbrunnens gemacht wurden, rehabilitiert worden.

Die Thermen, die sicherlich aus der Römerzeit stammen und sogar Elemente aus der griechischen Periode enthalten, könnten vielleicht zur Zeit Jesus existiert haben, wenn auch die wahrscheinlichste Hypothese sie nach 70 datiert oder als Bauwerke von Kaiserin Helena betrachtet. Aber was auch kommen mag, es wird auf jeden Fall angenommen, dass es um diese Zeit in der Nähe von Nazareth, grosse Wälder gegeben haben muss, um die regelmässige Erwärmung einer so grossen Wassermenge zu erlauben und dass die Vegetation sehr üppig und sehr verschieden war zum heutigen Aussehen.

Was könnte der Grund des Verschwindens so bedeutender Wälder gewesen sein, die notwendig waren um die römischen Thermen von Nazareth zu speisen? Touristen und Pilger, die in die Stadt Tiberias kommen, können audiovisuell über die Geschichte Galiläas erfahren, dass dies zum Teil auf dem Entschluss eines Sultans aus dem XVIII. Jahrhundert beruht, der eine Baumsteuer einführte. Um dieser Steuer zu entgehen, rodeten die Waldbesitzer innerhalb von wenigen Jahren den grössten Teil ihres Baumbestandes. Das hatte dramatische Auswirkungen auf das Mikroklima und die Umwelt, die sich binnen kurzer Zeit in eine steinige Öde verwandelte.

Endlich darf uns auch die Etymologie des Namens der Stadt der Heiligen Familie überraschen. Der hebräische Stamm NZR bedeutet Krone oder Tonsur: Königtum oder Weihe. Nazareth erscheint unter dieser Perspektive wie die fürstliche Stadt des Hauses Davids in Galiläa, in Konkurrenz mit den anderen Nachkommen Davids von Betlehem, und bei der Entgegnung Natanaëls: "Aus Nazareth? Kann von dort etwas Gutes kommen?" könnte es sich eher um verworrene Familienstreitigkeiten innerhalb der Dynastie handeln, als um die Bedeutungslosigkeit des Ortes.

All das kann einige Aspekte der Vorstellung, die wir uns von Nazareth während der Zeit Jesus gemacht haben, in Frage stellen, was sich aber niemals ändern wird, ist, dass dieser Ort in Galiläa, in alle Ewigkeit die auserwählte Stadt des grossen Mysterium der Menschwerdung des Sohnes Gottes bleibt: der Ort, in dem der Ewige, im Schoss der Heiligen Jungfrau Maria, in unsere Zeit eingetreten ist. Der auserwählte Ort zu dem alles konvergiert, und der gesegnete Ort, von dem alles ausgeht, zum Heil der Welt.

(Bild Nazareth (1842, David Roberts)