Massoulié
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Großes Interview - Kardinal Sarah: "Wenn sich die Führer des Abendlandes mit der Lauheit abfinden und ihre christlichen Wurzeln vergessen, werden sie es direkt ins Verderben führen"

Kardinal Sarah: "Wenn sich die Führer des Abendlandes mit der Lauheit abfinden und ihre christlichen Wurzeln vergessen, werden sie es direkt ins Verderben führen"

Nicht jeder hat dieses Interview, das Kardinal Sarah am 8. April Atlantico gegeben hat, gelesen oder wird es lesen. Es muß jedoch gelesen werden - weshalb wir uns entschieden haben, es hier zu übernehmen -, da uns die Aussagen dieses hohen Prälaten der katholischen Kirche für Frankreich und das Abendland hochwichtig erscheinen. So sehr setzt sich seine Analyse vom geläufigen, leider todbringenden Diskurs der Kirche von heute ab, einschließlich desjenigen von Papst Franziskus. „Lassen wir Franziskus aus dem Spiel!“ , antwortet Kardinal Sarah auf eine Frage von Jean-Sébastien Ferjou — und man versteht ihn ! Letzterer scheint uns übrigens einer der glänzendsten Journalisten seiner Generation und einer der hellsichtigsten Debattierer auf den Bühnen des Fernsehens zu sein. Hier mit Kardinal Sarah befindet er sich auf einer anderen Höhe. lafautearousseau

Großes Interview - Anläßlich der Veröffentlichung des von Fayard herausgegebenen Buches "Le soir approche et déjà le jour baisse" (Es will Abend werden, und der Tag hat sich schon geneigt) äußert sich Kardinal Robert Sarah auf Atlantico (8. April 2019). Erster Teil eines zweiteiligen Interviews.

Jean-Sébastien Ferjou: Eminenz, Sie sprechen von der Krise der Kirche, Sie analysieren die verschiedenen Symptome, dann sprechen Sie von der Krise des Abendlandes. Sie benutzen zwei Bilder, das des reichen Mannes, der Jesus folgt, bis Jesus ihn bittet, sein Vermögen wegzugeben, was dieser Mann ablehnt, weil er zu viel Besitz hat. Und noch eines: "Die moderne Welt hat Gott verleugnet, weil sie nicht wollte, daß sich ihr Bild in den Augen Jesu widerspiegelt. Aber wenn sie sich weigert, sich ansehen zu lassen, wird sie wie Jesus in Verzweiflung enden. Das ist das Zeichen der gegenwärtigen Glaubenskrise". Der Westen wollte diese Verzichte auf materiellen oder moralischen Komfort nicht mehr und hat nicht mehr akzeptiert, sich in dieser Haltung betrachten zu lassen. Würden Sie sagen, dass sich die Kirche in einer Krise befindet, weil sie zu westlich ist? Oder daß das Abendland in einer Krise steckt, weil das Christentum es auch ist?

Kardinal Robert Sarah: Ich mag mich irren, aber ich unterscheide nicht zwischen dem Abendland und der Kirche. Das Abendland ist christlich, es ist vom Christentum geprägt worden. Seine Kultur, seine Kunst, sein Menschenbild sind christlich. Die Krise der Kirche ist gleichzeitig die Krise des Abendlandes. Die Krise des Abendlandes ist gleichzeitig die der Kirche. Wir können die beiden logischerweise nicht trennen. Für mich als Afrikaner wurde das Abendland durch das Christentum erschaffen, auch wenn man heute die christlichen Wurzeln des Abendlandes ablehnt. Aber man kann diese Kultur nicht leugnen, die ihr seid. Eure Kunst, eure Musik, alles ist christlich. Die beiden beeinflussen sich gegenseitig. Das Abendland ist nicht etwas, das in der Luft hängt.

Viele Priester sind heute nicht mehr abendländisch...

Gewiß. Aber das Abendland ist das Christentum, ob protestantisch oder katholisch. Kultur, Kunst, Denken sind christlich. Die beiden Krisen sind zeitgleich und korrelieren miteinander. Denn die Kirche seid ihr, sowohl die Priester als auch die Laien.

Es gibt auch viele chinesische, südamerikanische oder afrikanische Gläubige...

Ja, aber wenn wir anderswo in der Welt als in Europa Christen sind, dann deshalb, weil das Abendland uns das Christentum gebracht hat. Für mich ist die Mission des Abendlandes kein Ergebnis des Zufalls. Gott hat sie so gewollt. Ihr waret diejenigen, die Missionare überallhin ausgesandt haben. Man kann euch also nicht von der Kirche trennen. Die Krise des Abendlandes ist daher zeitgleich mit der Krise der Kirche. Weil die Kirche eingebrochen ist, ist das Abendland abgesunken Und umgekehrt. Wer legt Zeugnis ab vom Evangelium in der Politik? Es ist nicht der Priester, sondern die Laien. Wer legt Zeugnis ab vom Evangelium in der Wirtschaft? Es ist nicht der Priester, sondern auch die Laien.

Glauben Sie, daß die französischen Katholiken - vielleicht wegen eines falschen Verständnisses der Laizität - auf den Teil des Zeugnisses verzichtet haben, dessen Träger sie sein müßten, indem sie ihre katholische Identität verschleiert haben, um die anderen nicht vor den Kopf zu stoßen?

Die französische „laïcité“ ist ein völliger Widersinn: Ihr seid wesentlich von der Kirche geprägt. Man kann nicht sagen: Ich bin ein Laie in der Gesellschaft, und ich bin ein Christ in der Kirche; das ist lächerlich. Ein Mensch kann nicht geteilt werden: Er ist eines in jeder Hinsicht, unter allen Umständen. Ein Franzose in der Kirche ist auch ein Franzose in der Politik. Es ist eine Inkohärenz, sich das Gegenteil vorzustellen. Der Glaube ist eine innerliche Wirklichkeit, aber er muss auch in der Familie und in der Gesellschaft im weitesten Sinne gelebt werden.

Denken Sie, dass sich die französischen Bischöfe zu sehr aus der öffentlichen Debatte zurückgezogen haben?

Sie sollen nicht an der Politik als solcher teilnehmen. Aber sie müssen die christlichen Werte, die Werte des Lebens, die Werte der Moral verteidigen, es ist ihre Pflicht. Sie müssen das verteidigen, was Gott ihnen zu verteidigen aufträgt. Sie müssen sagen, was Gott von uns verlangt. Alles, was in den Geboten steht - du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht ehebrechen -, das müssen sie den Menschen immer wieder einprägen. Sie müssen sagen, daß die Ehe eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ist. Sie müssen sagen, daß es keine Scheidung geben kann, weil niemand heiraten darf, um seine Familie zu zerstören. Das gilt für die Christen, aber auch für die gesamte Gesellschaft.

Sie haben das angesprochen, was in Frankreich "Ehe für alle" genannt wird, oder die daraus resultierenden Probleme der Abstammung - künstliche Befruchtung , Leihmutterschaft Hat die Kirche sich gegenüber den verschiedenen Menschen liebevoll genug gezeigt? Hat die Kirche nicht auch eine Mitverantwortung am Aufkommen der gesellschaftlichen Forderungen, weil sie nicht in der Lage war, auf Christen oder Nichtchristen mit weniger klaren Lebensverläufen zu hören und auf sie zuzugehen? Natürlich ohne ihre Lehre preiszugeben, aber ohne auszuschließen.

Ich denke, daß man zwischen der Kirche und denjenigen, die sie verkörpern, unterscheiden muß. Ich kann ein schlechter Priester sein. Aber schauen Sie, wer mir mein Priestertum gegeben hat: Es ist Jesus. Er verlangte das Gleiche von allen auf die gleiche Weise. Selbst wenn es ein Versagen auf seiten der Priester oder der Bischöfe gibt, ändert sich die Grundbotschaft selbst nicht. Und das ist es, was ich den Leuten sage: Wenn ich versage, schauet auf Christus!

Aber in Bezug auf die Ehe für alle bin ich nach wie vor davon überzeugt, daß es für die Kirche wesentlich war, die natürliche Ordnung der Dinge zu verteidigen. Denn sie ist von Gott gewollt.

Sie erklären, dass die Abendländer ihre Freiheit dieser natürlichen Ordnung, wovon Sie sprechen, entgegenstellen, daß sie die Freiheit in Konkurrenz zum Naturrecht bringen, was letztlich heißt, die wahre Natur der Freiheit nicht zu verstehen...

Man hat den Sinn für die Freiheit verloren. Bei der Freiheit geht es nicht darum, den eigenen Neigungen, den eigenen Instinkten ohne Rücksicht zu folgen. Freiheit bedeutet, die Wahrheit zu suchen und das nicht nur persönliche Wohlergehen, sondern das aller. Freiheit läuft nicht darauf hinaus, die Freiheit des anderen zu verletzen. Im Gegenteil zwingt mich meine Freiheit , Beziehungen aufzubauen, in denen ich den anderen achte. Wenn Sie auf der Straße fahren, wird Ihre Freiheit durch die rote Ampel eingeschränkt. Wenn Sie geradeaus fahren, überfahren Sie Leute. Keine Freiheit ist total. Alle Freiheit ist beschränkt. Und unter diesem Gesichtspunkt ist das Naturrecht kein Hemmnis, es ist die Grammatik unserer Natur.

Der Ökumenismus und der interreligiöse Dialog sind sehr westliche Werte. Sie sagen, daß man sie stark in Irenismus verwandelt hat, gewissermaßen in Albernheiten. Wurden Sie von der Erklärung von Papst Franziskus überrascht, der mit dem König von Marokko einen Appell für die Religionsfreiheit in Jerusalem lanciert hat und vielleicht darauf vergaß, hinzuweisen darauf , daß die freie Religionsausübung auch in den arabischen Ländern - insbesondere am Golf - geachtet werden sollte? Der Papst akzeptiert, daß die Christen keinen Proselytismus betreiben, um Garantien seines Friedenswillens zu geben, fordert aber nicht das gleiche von den Muselmanen , mit denen er redet.

Lassen wir Franziskus aus dem Spiel! Was ist Ökumenismus? Christus wollte, daß wir eins seien. Das bedeutet nicht, daß ich, um mit meinem Gegenüber in einen Dialog zu treten, das aufgeben muß, was ich bin. Freiheit ist nicht, meinen katholischen Glauben, meine eigenen Lehren, die ich seit meiner Taufe erhalten habe, zu verbergen, nur um mit Anglikanern und Protestanten übereinzustimmen. Darum geht es nicht. Ökumene heißt, gemeinsam über die Frage nachzudenken: Was verlangt Gott von uns Gläubigen?

Der interreligiöse Dialog ist etwas anderes, er bedeutet, eine gemeinsame Verständigungsbasis zu finden, um nicht zu streiten, damit jeder den Glauben des anderen achte. Aber wenn ich glaube, daß mein Glaube besser ist, warum soll ich ihn dann nicht jemandem anbieten, der einen anderen Glauben hat als ich? Ich dränge ihm nichts auf, ich sage ihm nur, was mein Glaube mir sagt, wer Jesus für mich ist. Aber wenn ich meine Identität und meinen Glauben verberge, ist es kein Dialog mehr, und man betrügt einander.

Sie sagen übrigens, daß wir den Migranten unseren christlichen Glauben darlegen müssen, ihn zwar nicht aufzwingen dürfen, da die Liebe uneigennützig sein muß, aber daß wir unsere Identität aufzeigen müssen....

Wenn ich jemanden empfange, gebe ich ihm das Beste von mir selbst, das Schönste, was ich habe. Wenn ich Migranten jedoch nur ein Dach über dem Kopf, Arbeit, Medikamente.... gebe und vor ihnen verberge, was einen Menschen wirklich ausmacht, seine Offenheit für das Transzendente, beraube ich sie. Warum dem Migranten nicht meinen christlichen Glauben darlegen? Ich dränge ihm absolut nichts auf, ich sage ihm nur: Es ist eine sehr gute Möglichkeit für dein Heil. Einmal abgesehen davon, was wir den Migranten anbieten, bin ich besorgt über den Verzicht des Abendlandes auf seine Identität. Wir wissen nicht nur nicht mehr, wie wir anderen erklären sollen, wer wir sind, sondern wir wissen es oft selbst nicht mehr.

Ich glaube, daß das Abendland verschwinden kann, wenn es seine christlichen Wurzeln vergißt. Die Barbaren sind bereits dt, in seiner Mitte. Und sie werden ihm ihre Kultur aufzwingen, sie werden ihre Religion, ihr Menschenbild, ihre moralischen Ansichten aufzwingen, wenn das Abendland ihnen nur noch eine offene und flüchtige Flanke entgegenzusetzen hat.

Würde ein solcher Tod des Abendlandes einen Tod der Kirche bedeuten?

Dieser Tod des Abendlandes könnte zum Tod der Menschheit führen. Das Abendland hat die göttliche Offenbarung durch die Apostel Petrus und Paulus empfangen. Sie haben die Menschheit und den Menschen verändert. Hier in Rom töteten sich die Menschen in der Antike gegenseitig und zwangen Menschen, sich von den Löwen fressen zu lassen. Es gab keinen Sinn für den Menschen. Die Kirche hat den Römern diesen Sinn für Menschlichkeit beigebracht. Und das Abendland hat sich verändert. Es gab Sklaverei. Viele gläubige Männer haben gesagt: Das ist nicht richtig, und das Abendland hat als erstes in der Welt darauf verzichtet. Wenn das Abendland verschwände, weil seine Wurzeln verschwinden, würde sich die Welt schrecklich verändern.

Sie schreiben, daß der Herr unbarmherzig gegenüber den Lauen ist; Sie kommen mehrmals auf diese Idee zurück und wir spüren, daß es etwas ist, das Ihnen lieb ist. Sie zitieren auch Charles Péguy: „Es gibt etwas Schlimmeres, als einen schlechten Gedanken zu haben, nämlich ein vorgefertigtes Denken zu haben. Es gibt etwas Schlimmeres, als eine perverse Seele zu haben, nämlich eine abgestumpfte Seele zu haben. Glauben Sie, daß diejenigen, die sich als fortschrittlich definieren, als Verteidiger der Demokratie und des Guten - sei es Emmanuel Macron in Frankreich, seien es die Gegner der Populisten in Italien -, ein mutiges Denken besitzen oder daß sie sich in einer Art von lauem, abgestumpftem Denken bewegen?

Ich glaube, daß, wenn diejenigen, die das Abendland regieren, diejenigen, die es leiten wollen, dies ohne oder sogar gegen das Christentum tun, sie dann lau werden und es in den Untergang führen. Ohne diese Radikalität des Evangeliums, die das Herz des Menschen und damit Politik, Wirtschaft und Anthropologie verändert, arbeiten sie an seinem Verschwinden, auch wenn dies nicht ihre Absicht ist.

Schauen Sie sich heute an, was passiert: Es gab sechs Gründungsmitglieder bei der Schaffung der Europäischen Union.Von diesen sechsen gibt es mindestens fünf, wo die Regierungschefs nicht wissen, was eine Familie oder was ein Kind ist. Vor der derzeitigen Regierung in Italien hatte der ehemalige Ministerpräsident Paolo Gentiloni keine Kinder. Macron, Merkel, haben keine Kinder. Theresa May hat keine Kinder. In Luxemburg teilt der Staatsminister sein Leben mit einem Mann. Was auch immer ihre Absichten seien, diese Menschen führen das Abendland in den Abgrund. Sie wissen nicht, was ein Menschenleben ist, ein Kind, das man liebhat, weil es das Leben ist.

Sie könnten Ihnen antworten, dass die Männer der Kirche auch keine Familie haben.....

Es ist nicht das Gleiche. Wir sind ohne Familie, weil es eine religiöse Entscheidung ist. Jene sind verheiratet oder leben als Paar. Man darf die Dinge nicht durcheinander bringen. Ich habe eine Wahl getroffen, jemanden nachzuahmen, der mich berufen und keine Familie gegründet hat. Aber Jesus gibt mir dafür das Hundertfache: Alle Menschen sind meine Verwandten, meine Brüder, meine Schwestern. Durch den Verzicht auf eine Gattin erhält der Priester das Hundertfache.

Unter den gemäßigten, lauen Überzeugungen, um Ihren Ausdruck zu verwenden, von Emmanuel Macron oder denGegnern der gegenwärtigen Regierung in Italien, und gar nicht lauen Persönlichkeiten wie Matteo Salvini, Donald Trump oder Viktor Orbán, die manchmal zu einer christlichen, bzw. katholischen Identität stehen, auch wenn der Papst der Ansicht war, Donald Trump wäre kein Christ, würden Sie welche bevorzugen?

In der Offenbarung haßt Gott die Lauen. Im 3. Kapitel der Apokalypse sagt er: Da du weder warm noch kalt bist, speie ich dich aus. Gott haßt die Lauheit.

Das Abendland ist das Christentum, aber es ist auch Wissenschaft, Technologie, Silicon Valley und seine Forschungen über Transhumanismus oder Unsterblichkeit.

Aber was wollen diese Leute? Bis zu 150 Jahren leben, bis zu 300 Jahren? Was können sie davon erwarten? Menschlich gesprochen: was macht ein Mensch in diesem Alter? Schlimmer noch, wozu so lange leben wollen, wenn es bloß darum ist, sich mit dem Genusse materieller Besitztümer zu begnügen?

Ohne bis zu diesem Gespinst der Unsterblichkeit zu gehen, könnte die Tatsache, daß Menschen auf demselben Planeten auf ganz unterschiedliche Weise leben könnten, Arme ohne Zugang zur Medizin und andere mit reparierten Organen, eine bessere Sicht...., zwei Menschheiten schaffen. Fürchten Sie die wissenschaftlichen Entdeckungen des 21. Jahrhunderts?

Ich denke, daß es sich nicht verwirklichen läßt ist, zwei Arten von Menschen auf dieser Erde zu haben. Und selbst wenn es geschähe, sehe ich nicht, welche Freude ein „unbesiegbarer“ Menschen hätte, wenn er andere Menschen neben sich langsam sterben sähe. Gott hat uns nicht unsterblich erschaffen, außer an unserer Seele. Physisch ist alles, was erschaffen ist, begrenzt. All das ist der Wille, wie Gott zu sein. Und es ist eine Illusion. Und selbst wenn solche Menschen - unbesiegbare, unsterbliche - auf dieser Erde hergestellt würden, was sollten sie mit dieser Unsterblichkeit anfangen? Unser Glück ist Gott, nicht die Nachahmung Gottes.

Sie sprechen von dieser Erde. Angesichts der Sorgen um Umwelt und Klima ist die „Rettung des Planeten“ zu einem wichtigen politischen Slogan geworden. Aber nur wenige Menschen sprechen davon, den Menschen und die Menschheit zu retten...

Den Planeten retten, während man weiterhin Kinder tötet oder Alte umbringt, wenn ihre Schwäche dem Blicke mißfällt? Was rettet man denn dann? Wenn man Gott verliert, verliert man den Menschen. Weil Gott nicht mehr existiert, rettet man die Natur. Aber was ist die Natur ohne Menschen?
Ich traf bei der letzten Synode einen Bischof aus dem Kongo, der sagte: In unserer Region war man glücklich, es gab Flüsse, Bäume.... und sie sind gekommen, nach irgendeinem Erz zu suchen, und haben gegraben, dann haben sie alle Flüsse verschmutzt. Um in seiner Diözese Wasser zu trinken, müssen die Leute es nun importieren.Sie haben kein Trinkwasser mehr. Man muß selbstverständlich die Flüsse retten, aber nicht unabhängig von den Menschen, die daraus trinken.

Bedeutet das, daß einige Ökologen eine negative Theologie haben oder daß der Planet ihr Gott geworden ist?

Man hat den Planeten tatsächlich zu einem Gott gemacht, aber es ist Götzendienst. Jedoch ist es ein Gott, den man nicht einmal achtet, weil man ihn verschmutzt, ihn in ungeordneter Weise zum Nachteil der Bewohner ausbeutet. Man braucht sich nur anzuschauen, was in Lateinamerika oder Afrika geschieht. Menschen zählen nicht mehr. Was zählt, ist der Gewinn. Und das unter dem Vorwand, daß man die Natur retten will.

Es ist Theater. Solange der Mensch seine Grenzen nicht kennt, solange er nicht erkennt, daß er nicht Gott ist, dass er von jemandem erschaffen wurde, daß er in einer so gut organisierten Natur lebt, werden wir weder die Menschen noch die Natur retten. Warum will der Mensch nicht anerkennen, daß er erschaffen wurde, daß er Grenzen hat? Wenn man die Tiefe des Universums, die Bewegung der Sterne betrachtet, sieht man jedoch sehr wohl, daß es nicht die Frucht der menschlichen Intelligenz ist. Und daß es auch kein Zufall ist.

Sie sagen im Buch: Die Leute ziehen es vor, keine Erbschaft zu erhalten, weil sie niemandem etwas schulden wollen …

Genau. Sie wollen alles, was sie selbst geschaffen haben. Es gibt nur mehr das, was zählt. Warum will die moderne Welt die Natur unbedingt retten, nicht aber die des Menschen? Die Würde des Menschen besteht jedoch darin, grundsätzlich Schuldner und Erbe zu sein. ■

Quelle: lafautearousseau.hautetfort.com/…/cardinal-sarah-…