Wiederholungsgefahr (www.die-neue-ordnung.de)

Nr. 4 / 2021 August 75. Jahrgang

Editorial

Wiederholungsgefahr

Lateinisch geschulte Pädagogen zitieren gerne den klassischen Satz von der „repetitio“, welche die „mater studiorum“ sei. Dieser Satz, oft wiederholt als Wiederholung der Wiederholung, mag zwar noch für das Auswendiglernen klassischer Gedichte und Erkenntnisse zutreffen. In Zeiten permanenten Wandels von Naturwissenschaft und Technik, von Religion und Moral scheint er aber seine frühere Bedeutung eingebüßt zu haben. Es ist vor allem die Sprache, in der sich dieser Wandel rapide vollzieht. Und zwar besonders in der Welt von Religion, Moral und Recht, wo sich jetzt die neue Gender-Sprache autoritär und „flächendeckend“ durchsetzen will. Hier geht es zunächst um die Alltagssprache, die wie die „Alltagsmaske“ unser Tun und Lassen formt, egal, welcher Konfession wir angehören. Die Sprache ist es, die - laut liturgischem Confiteor - „in Gedanken, Worten und Werken“ auf unser Verhalten einwirkt. Der Zusammenhang von „Gedanken, Worten und Werken“ ist gerade bei einigen theologischen Sinn- und Sprachproduzenten durcheinander geraten. Nicht selten übernehmen sie jene zeitgeistigen Phrasen, die durch ständige massenmediale Wiederholungen zu einer neuen Wirklichkeit heranwachsen. Demnach werden schon zeitkritische Gedanken, die sich in verständliche Worte kleiden, zu verdächtig kriminellen Handlungen umgedeutet. Als seien schon „Gesinnungen“ und „Haltungen“ kriminalisierbar.

Die Alten sind - nach Wilhelm Busch - „recht tugendlich und haben alles hinter sich“. Von wegen. Denn auch ihnen entgeht oft der unterschwellige Wandel der Sprache und damit einer wirksamen Wirklichkeit, die sich in wenigen Jahren revolutionär verändern kann. Revolutionen vollziehen sich heute nicht mehr von heute auf morgen, mit schrillen Parolen, mit Massenzusammenrottungen und Attentaten, sondern auf die sanft-autoritäre Tour der Sprachverwandlung und der Sprachvergewaltigung. Sie tragen pathetisch tönende Namen wie „Great Reset“ oder „Große Transformation“, denen schon vom Klang her eines gemeinsam fehlt: das Vaterland und die Muttersprache. Denn Väter und Mütter werden in dieser neuen Zukunft kaum mehr gebraucht. Damit geht auch die Kontinuität der Geschichte, ihre Überlieferungen und Erfahrungen verloren. Und die angestammte christliche Religion gerät in Vergessenheit. Aus der Offenbarung göttlicher Erlösung mutierten nicht zufällig politischökonomisch organisierbare Befreiungsprogramme. Diese Wandlungen vollziehen sich als „Säkularisierung“ schon seit langem, ohne daß sich die ersehnten innerweltlichen Verheißungen erfüllen. Stattdessen wachsen apokalyptische Bedrohungsszenarien, für die aber die fortschrittliche „Moderne“ keinerlei Verantwortung übernehmen will, es sei denn, sie dekonstruiert sich selber. Christliche Vorbehalte und Hoffnungszeichen sind zwar hier und da vernehmbar. Aber sie werden durch den Dauerregen ökonomischer Werbung und durch den Starkregen politischer Propaganda (besonders in Wahlkampfzeiten) oft verdunkelt oder verdrängt. Hier kommt es verstärkt zu jenen Gefährdungen, welche abzuwenden zu den klassischen christlichen Tugenden und Prinzipien gehört. Dazu gehören namentlich das Lebensrecht der Ungeborenen und das der Alten und Kranken, die vor Euthanasie zu schützen sind. In diesen bedrohten Zonen wirken sich sprachliche Manipulationen besonders gefährlich aus: Aus Abtreibung wird „reproduktive Gesundheit“, aus Euthanasie „assistierter Suizid“. Unter der Hand wird aus christlicher Bewahrung und Bewährung eine „starre konservative Haltung“ konstruiert und diese mit „rechtsradikal“ oder gar „faschistisch“ oder wenigstens „faschistoid“ assoziiert. Diese und andere Sprachverdrehungen nicht mitzumachen, ist natürliche und naturrechtliche Christenpflicht, die auf Vernunft und Glaubensoffenbarung aufbaut. Gerade den säkularen Anhängern einer freiheitlichen gesellschaftlichen Ordnung, die nicht in Chaos und Erfahrungsvergessenheit versinken will, muß es daran gelegen sein, wenigstens einige ihrer Grundbedingungen zu bewahren. Dazu gehört der Einspruch gegenüber Theologen, die aus der christlichgöttlichen Erlösung (aus Schuld und Sünde, aus Tod und Teufel, aus Einsamkeit und blindem Schicksal) eine politisch organisierbare Befreiungspraxis herbeizaubern wollen. Solche politisch-theologischen Wandlungen wiederholen sich als „Säkularisierungsschübe“ schon seit vielen Jahrzehnten, ohne daß sich der ersehnte Fortschritt „nachhaltig“ ereignet. Irdische Paradiese sind weder aus der christlichen Offenbarung noch aus der christlichen Praxis überliefert. Es wundert nicht, daß das Versagen ideologisch-utopischer Verheißungen auch zu kirchlichen Rückschritten führt, bis hin zu massenhaften Austritten. Das mag wohl auch für das Ausbleiben apokalyptischer Katastrophen gelten, die mit der Corona-Krise und der ihr folgenden Klima-Panik wiederholt angekündigt werden. Weder für die eine noch für die andere Krise gibt es absolut verläßliche Prognosen und Heilmittel, auf welche Theologen wie auf Dogmen aufbauen könnten. Und sie sollten nicht so tun, „als ob“ sie naturwissenschaftlich und praktisch jene hypothetischen Aussagen verifizieren könnten. Denn in solchen Fragen sind kirchliche Amtsträger keineswegs unfehlbar. Sie täten gut daran, ihre Autorität nicht zusätzlich aufs Spiel zu setzen, indem sie auf einen Glaubensgehorsam pochen, der uns schon lange ausgetrieben wurde. Wenn sie politisch nützlich erscheinen, werden uns kirchliche Mitteilungen durch säkulare Massenmedien förmlich aufgedrängt. Inzwischen sind Werbewirtschaft und politische wie kirchliche Werbung bestens vernetzt und voneinander abhängig. Deren ständigen Wiederholungen klingen wie abgesprochen und riechen nach Manipulation. Dabei klammern sie die zentralen christlichen Botschaften zu Glaubens- und Sittenfragen meist aus – oder verzerren sie bis zur Unkenntlichkeit. Dagegen muß überzeugend begründet und kann nicht oft genug wiederholt werden: Das Recht auf Leben gegen jede Euthanasie und das Lebensrecht der Ungeborenen gehören zum Kern der christlichen Botschaft, die mittlerweile zu einer „gefährlichen Erinnerung“ geworden ist.

Wolfgang Ockenfels
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