Santiago_
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Benedikts XVI. Rücktritt als providentieller Akt? "Was ist die welt- beziehungsweise heilsgeschichtliche Aufgabe der katholischen Kirche? Wie ist der viel zitierte zweite Brief des Apostels Paulus an …Mehr
Benedikts XVI. Rücktritt als providentieller Akt?
"Was ist die welt- beziehungsweise heilsgeschichtliche Aufgabe der katholischen Kirche?
Wie ist der viel zitierte zweite Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher zu verstehen? (...) Dabei diskutiert Agamben die Gründe beziehungsweise den Grund für den Rücktritt des Papstes Benedikt sowie den aktuellen Zustand der Kirche. In der Nachfolge der Theologen Tyconius und Joseph Ratzinger glaubt der italienische Philosoph, dass sich innerhalb der katholischen Kirche sowohl „das Gute“ als auch „das Böse“ findet. Eine Einschätzung, die sich signifikant von der Auffassung unterscheidet, welche die katholische Kirche als homogene Einheit des Guten versteht, als die Instanz, die dem Antichristen entgegentritt und ihn bekämpft. Nach Agamben hat die Kirche eine Funktion im göttlichen Heilsplan, aber nicht als organische Kraft des Guten, das heißt es wird die geschichtstheologische-zeitdiagnostische These vertreten, dass die Kirche immer schon …Mehr
Carlus
1. Hierzu möchte ich eine Buchvorstellung hier einstellen. Im Vorspann dazu befindet sich eine Textsammlung von mir zu diesem Thema;
2. ich gehe davon aus dass Papst Benedikt nur die Amtsgeschäfte niedergelegt hat aber nicht die Papstwürde und er somit noch immer Papst ist;
3. für Interessenten können die Vermutungen und Beweise zu meiner Werung hier eingesehen werden,
Buchvorstellung über Rücktritt …Mehr
1. Hierzu möchte ich eine Buchvorstellung hier einstellen. Im Vorspann dazu befindet sich eine Textsammlung von mir zu diesem Thema;
2. ich gehe davon aus dass Papst Benedikt nur die Amtsgeschäfte niedergelegt hat aber nicht die Papstwürde und er somit noch immer Papst ist;
3. für Interessenten können die Vermutungen und Beweise zu meiner Werung hier eingesehen werden,
Buchvorstellung über Rücktritt von Papst Benedikt
Santiago_
"Auch wenn offenbleibt, worin genau die exemplarische Bedeutung des kirchlichen Vorgangs für die Sphäre des Politischen bestehen soll, so ist bemerkenswert, dass Agamben für seine Überlegungen auf einen 1956 veröffentlichten Aufsatz des jungen Joseph Ratzinger über den Kirchenbegriff des Tyconius zurückgreift, um den theologischen Hintergrund dieses Schrittes auszuleuchten. Tyconius, ein …Mehr
"Auch wenn offenbleibt, worin genau die exemplarische Bedeutung des kirchlichen Vorgangs für die Sphäre des Politischen bestehen soll, so ist bemerkenswert, dass Agamben für seine Überlegungen auf einen 1956 veröffentlichten Aufsatz des jungen Joseph Ratzinger über den Kirchenbegriff des Tyconius zurückgreift, um den theologischen Hintergrund dieses Schrittes auszuleuchten. Tyconius, ein afrikanischer Theologe des vierten Jahrhunderts, der eine Zeitlang zur häretischen Gruppe der Donatisten gehörte, hat eine Kirchenlehre entwickelt, die Augustinus in seinem Werk «De civitate Dei» – «Vom Gottesstaat» – fortgeschrieben hat. Tyconius ging davon aus, dass der eine Leib der Kirche zwei Seiten habe, eine linke und eine rechte, eine «sündige» und eine «begnadete».

Für Tyconius fallen Jerusalem und Babylon in der einen «civitas» zusammen, während Augustinus von zwei «civitates» spricht, der irdischen und der himmlischen. Allerdings setzt Augustinus nicht, wie eine verbreitete Fehldeutung nahelegt, die beiden Sphären einfach mit Staat und Kirche gleich. Vielmehr versteht er die Kirche als «corpus permixtum», mithin als Gemeinschaft, die Heilige und Sünder gleichermassen umfasst. In diesem Punkt ist der Einfluss des Tyconius greifbar, auch wenn Augustinus dessen Lehre vom zweigeteilten Leib Christi nicht übernimmt. Aus ihr folgt, dass in der einen Kirche das Reich des Antichrist genauso wächst wie das Reich Christi, bis es mit dem Jüngsten Gericht zur Scheidung der beiden Teile kommt.

Es ist diese Verbindung von Ekklesiologie und Eschatologie, auf die es Agamben in seinen Reflexionen ankommt. Schon bei Tyconius werden die beiden Körper der einen Kirche erst am Ende der Zeiten getrennt; zuvor müsse – wie er in Anlehnung an Paulus schreibt – der «Mensch der Gesetzlosigkeit» offenbar werden, der jetzt noch «aufgehalten» werde. Wer aber sind die beiden Gestalten, von denen Paulus an einer dunklen Stelle seines zweiten Briefes an die Thessalonicher spricht (2. Thess. 2, 1–10): der Mensch der Gesetzlosigkeit und derjenige, der das Ende der Welt aufhält – der «katechon»? Nicht wenige Kirchenväter haben die erste Gestalt mit dem Antichrist, die zweite mit dem römischen Imperium oder aber mit der Kirche gleichgesetzt. Im 20. Jahrhundert hat der Verfassungsrechtler Carl Schmitt im autoritären Staat den «Aufhalter» des Untergangs gesehen; die Diktatur müsse an keine Legitimitätskriterien gebunden werden, wenn sie nur legal das Chaos niederhalte. Der Theologe Ivan Illich hingegen sah in der Pervertierung der Kirche zu einer hierarchischen Institution den Grund für den Aufschub des Endes.

Kaum bemerkt worden ist, dass Benedikt selbst mehr als fünfzig Jahre nach der Veröffentlichung seines Aufsatzes in einer Generalaudienz auf Tyconius zurückgekommen ist. Dabei ist er auch auf dessen Lehre von der zweigeteilten Kirche eingegangen und hat daran erinnert, dass der Leib Christi erst am Tag der grossen Scheidung vom Leib des Antichrist getrennt werde. Agamben glaubt in Tyconius' Konzeption der zweigeteilten Kirche den Schlüssel für eine theologische Deutung des päpstlichen Amtsverzichtes gefunden zu haben. Er sieht darin nicht weniger als eine Vorwegnahme der grossen Scheidung zwischen Gut und Böse in der Kirche.

(...) Allerdings hat Benedikt XVI. die dualistische Kirchenlehre des Tyconius ebenso wenig übernommen wie Augustinus, mit dessen Werk sich der junge Joseph Ratzinger befasst hat.

Richtig und falsch zugleich

Die These Agambens, dass Benedikts Amtsverzicht als Vorwegnahme der Scheidung zwischen Babylon und Jerusalem gedeutet werden müsse, ist daher richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass der um Glaubwürdigkeit bemühte Pontifex das bedrängende Problem der kirchlichen Unglaubwürdigkeit dadurch gelöst hat, dass er sich von seinem Amt getrennt hat. Statt sich der Logik des Machterhalts zu verschreiben, hat er durch den Verzicht auf das Amt dessen geistliche Autorität gestärkt. Falsch aber ist die Annahme, dass der Papst dadurch die eschatologische Scheidung – die Scheidung am Ende der Tage – vorweggenommen habe. Weizen und Unkraut werden, solange die Weltzeit andauert, gleichermassen in der Kirche wachsen – und nicht einmal dem Papst kommt es zu, das Gute vom Bösen definitiv zu scheiden. Der eschatologische Vorbehalt kennt keine Ausnahmen. Mehr als die Mahnung zu Umkehr und Geduld ist hier nicht möglich. Dennoch wird man Agambens Devise gerne zustimmen, dass die Erinnerung an die letzten Dinge die Funktion hat, zum rechten Umgang mit den vorletzten anzuleiten." Jan Heiner Tück
Santiago_
Rezension zu Agambens "Geheimnis des Bösen": www.nzz.ch/…/die-letzten-und…
4 weitere Kommentare von Santiago_
Santiago_
Einschlägige Predigt zum Thema: Hl. Erzengel Michael als Auf- und Niederhalter des Antichristen: Kirche und Deutschland in Flammen
Santiago_
Santiago_
Santiago_
"In der Betrachtung der Kirche folgt Agamben dem frühkirchlichen Theologen Tyconius, zu dem auch der junge Joseph Ratzinger zustimmende Texte verfasst hatte und der in der Kirche sowohl das Gute als auch das Böse vereint sieht. Während aber viele Theologen meinen, am Ende der Zeiten werde sich eine große Trennung dieser beiden Teile vollziehen, sieht Agamben die Notwendigkeit einer Entscheidung …Mehr
"In der Betrachtung der Kirche folgt Agamben dem frühkirchlichen Theologen Tyconius, zu dem auch der junge Joseph Ratzinger zustimmende Texte verfasst hatte und der in der Kirche sowohl das Gute als auch das Böse vereint sieht. Während aber viele Theologen meinen, am Ende der Zeiten werde sich eine große Trennung dieser beiden Teile vollziehen, sieht Agamben die Notwendigkeit einer Entscheidung schon heute.

Er betrachtet dabei die Kirche selbst als ein “aufhaltendes” Element des Weltenendes, die sich in dieser Rolle zu sehr der Welt zugewandt habe (wie es Papst Benedikt mit dem Wort der “Verweltlichung” bzw. der notwendigen “Entweltlichung” deutlich gemacht hat) und sich darum nicht mehr mit der Eschatologie beschäftige. Wir sehen also heute eine Kirche, die sich mit dem Diesseits und dem (eher weltlichen) Wohlergehen der Welt befasst, nicht aber mit den letzten Dingen. Das Risiko liegt dabei darin, dass diese letzten Dinge gar nicht mehr vorkommen, die Kirche damit ihren Sinn verliert. Agamben schreibt:

Eschatologie bedeutet nicht […] die Lähmung des historischen Geschehens, weil das Ende der Zeiten jedes Handeln sinnlos werden lässt. Vielmehr besteht die Bedeutung der letzten Dinge gerade darin, den Umgang mit den vorletzten Dingen anzuleiten und auszurichten.

Agamben deutet nun den Amtsverzicht Benedikts als Zeichen seiner Abwendung von der Weltlichkeit, den Erfordernissen von zweitrangigen Dingen wie “Wirtschaft und weltlicher Macht”, und der Zuwendung zum Geistlichen. Diese Unterscheidung der Sphären der Kirche, als deren theologischen Ausgangspunkt Agamben wie Tyconius und Ratzinger den wirklich lesens- und bedenkenswerten zweiten Brief an die des Apostels Paulus an die Thessalonicher (Thessalonicher 2,1-10) mit den Beschreibungen der Zeichen der Endzeit sieht, die demnach bereits angebrochen ist, kann tatsächlich ein Augenöffner sein bei der Bewertung der Themen, die die Kirche und ihre Vertreter aber auch die Welt heute so umtreiben."

www.freiewelt.net/…/warum-benedikt-…