Guntherus de Thuringia
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[69] Das Leben Jesu nach den vier Evangelisten

20. Die Parabeln vom Unkraut unter dem Weizen, vom Senfkorn und vom Sauerteig

(Mark. 4, 30-34; Matth. 13, 24-43)

Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor, indem er sprach:

[ Gleichnis vom Sämann. Holzschnitt um 1500 ]

„Das Himmelreich ist einem Manne gleich geworden, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während aber die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut darüber mitten unter den Weizen und ging davon. Als nun die Saat aufschoss und Frucht ansetzte, zeigte sich auch das Unkraut. Da kamen die Knechte des Hausvaters und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er also das Unkraut? Er aber sprach zu ihnen: Das hat ein feindseliger Mensch getan. Die Knechte sagten zu ihm: Willst du, sollen wir hingehen und es zusammenlesen? Er antwortete: Nein, damit ihr nicht etwa, indem ihr das Unkraut zusammenlest, zugleich mit demselben auch den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Zur Zeit der Ernte will ich den Schnittern sagen: Lest zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Büschel, um es zu verbrennen, den Weizen aber sammelt in meine Scheune.“

Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach zu ihnen:

[ Gleichnis vom Senfkorn. Bowyer-Bibel ]

„Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, oder unter welchem Gleichnisse es darstellen? Es ist einem Senfkorne gleich, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Es ist zwar kleiner als alle Samenkörner auf der Erde, wenn es aber gesät wird, wächst es auf und wird größer als alle Gartengewächse, und es wird zu einem Baume und treibt große Zweige, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinem Schatten sich niederlassen.“

Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen:

„Das Himmelreich ist einem Sauerteige gleich, den ein Weib nahm und in drei Maß Weizenmehl hineinlegte, bis es ganz durchsäuert war.“

Alles dieses sprach Jesus in Gleichnissen zu den Scharen, so wie sie es zu hören vermochten, und ohne Gleichnis sprach er zu ihnen nicht,1) damit das Wort des Propheten erfüllt würde, der da sagt: „Ich will meinen Mund zu Gleichnisreden auftun, aussprechen, was verborgen war von Grundlegung der Welt an.“ Wenn sie aber allein waren, legte er den Jüngern alles aus.

Darauf entließ er die Volksscharen und kam nach Hause. Da traten seine Jünger zu ihm und sprachen: „Erkläre uns das Gleichnis von dem Unkraute auf dem Acker!“ Er nahm das Wort und sprach: „Der den guten Sämen aussät, ist der Menschensohn. Der Acker ist die Welt. Der gute Same, das sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut aber, das sind die Kinder des Bösen. Der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Gleichwie nun das Unkraut zusammengelesen und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt gehen. Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reiche alle Ärgernisse zusammenlesen und jene, die das Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne im Reiche ihres Vaters. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

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1) Diese Bemerkung des Evangelisten ist nicht allgemein, sondern von der damaligen Zeit der öffentlichen Tätigkeit Jesu zu verstehen, da es sich herausgestellt hatte, daß auch das Volk sich für seine Lehren unempfänglich zeigte.


[ Der Unkraut säende Feind. Mömpelgarder Altar ]
Guntherus de Thuringia