Tina 13
1433

„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3)

Sel. Columba Marmion (1858-1923)

Abt
Die Armut (in: Christus unser Ideal, Paderborn 1929, S. 241–243)

„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3)

Wer sind jene, die unser Heiland „arm im Geiste“ nennt? Diejenigen, welche nicht Besitzer sind weder im Geiste noch im Herzen noch im Willen, die nichts wollen außer von Gott. Jeden Tag legen sie zu Christi Füßen ihr Urteil, ihre Anschauungsweise, ihren Willen, kurz alles nieder; sie sagen ihm: Ich will von mir aus nichts haben, ich will nur besitzen, was von dir kommt, nur das tun, was von Ewigkeit her du, das Wort Gottes, für mich beschlossen hast, nämlich das göttliche Ideal für mich zu verwirklichen, das ich in dir finde. […] [Wir] sollten versuchen, durch das Gebet und einen immer auf unser Vorbild gerichteten Blick all unsere Tätigkeit vom Übernatürlichen leiten zu lassen, auf dass der Name des Vaters geheiligt werde, sein Reich komme, sein Wille geschehe. Und so wird unser ganzes Leben vergöttlicht sein. So wird unser ganzes Leben in der Rückkehr zu Gott ein fortdauernder Lobgesang und unserm himmlischen Vater höchst wohlgefällig sein. Erleuchtet, beraten, geeint durch sein Wort und seinen Geist, kurz „vom Geiste Gottes geleitet“ (Röm 8,14) können wir in Wahrheit sagen: „Gott leitet mich“ und mit dem Psalmisten hinzufügen: „Nichts wird mir mangeln“ (Ps 22,1). Wenn der Vater alsdann in uns nur erblickt, was von ihm, von der Gnade seines Sohnes und von der Eingebung des Heiligen Geistes kommt, wenn er uns seinem Wunsche gemäß in allem mit seinem Sohne vereint sieht, so umfängt er uns mit demselben Wohlgefallen, das er seinem eigenen Sohne entgegenbringt, und überhäuft uns mit den unerschöpflichen Gnadenschätzen seines Reiches. Unsere Aufgabe war es, uns von uns selbst loszulösen, um uns durch Christus zu Gott führen zu lassen. […] Alle Segnungen, mit welchen der Sohn überreich bedacht ist, werden auch unser Anteil und unser Erbe […]. Gott überlässt dem Nichts ihres angeblichen Reichtums diejenigen, welche wähnen zu besitzen und satt in sich selbst ruhen; die Armut aber, die nur auf ihn hofft, überhäuft seine unendliche Barmherzigkeit mit Gütern von oben.
Tina 13