Iakob
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Die Neokatechumenale Bewegung (NK-Bewegung)

Einleitung

Im Anschluss an das 2. Vatikanische Konzil, das von Papst Johannes XXXIII. 1962 ins Leben gerufen worden war, bildeten sich innerhalb der offiziellen Kirche verschiedene Gruppierungen von und für Laien. Auch der "Neokatechumenale Weg" entsteht als Folge des Konzils. Die Bewegung der Neokatechumenaten hat sich seit ihrer Gründung in der ganzen Welt verbreitet und zählt heute etwa 13000 Gemeinden.
In den armen Vorstädten von Madrid entstand 1964 die Bewegung der Neokatechumenaten. Kiko Arguello, der Gründer des "Weges", lebte mit den BewohnerInnen der Barackensiedlung zusammen. Bis zum Umzug nach Rom im Jahr 1968 nannten sich die entstandenen Gemeinschaften "Kiko-Familien". Erst später fand die Bewegung den Namen, den sie bis heute hat. Von Anfang an war an der Seite von Kiko Arguello die ehemalige Ordensfrau Carmen Hernandez. Trotzdem gilt Kiko als alleiniger Gründer.
Ab 1968 hat sich die NK-Bewegung von Rom aus in ganz Europa verbreitet. Für die Neokatechumenaten ist die ganze Welt Missionsgebiet. Besonders intensiv missionieren sogenannte Itineranten mit ihren Familien in den neuen Ostländern, aber auch in Südamerika und Asien, insbesondere in Japan. In Rom fand die Bewegung einflussreiche Förderer in der offiziellen katholischen Kirche. Noch fehlte ihr aber die angestrebte offizielle Anerkennung durch den Papst. Diese erhielt die NK-Bewegung im September 1990 von Papst Johannes Paul II.
Es gibt Richtlinien, die von Kiko verfasst worden sind, die aber nur wenige lesen dürfen und die den meisten NK-Mitgliedern unbekannt sind. Es gibt Aufzeichnungen seiner Predigten und Reden. Die Bewegung selbst verneint das Vorhandensein von schriftlichem Material, obwohl solches nachweisbar existiert. Kiko versteht sich als Apostel. Sein Charisma entspricht einer göttlichen Gnade, die ihm widerfahren ist zum Wohle aller. So ist auch sein Wort und seine Lehre unantastbar und rein. Für viele in der Bewegung ist Kikos Wort unfehlbar.

Der Name

Das Katechumenat geht zurück auf das Urchristentum und steht für die Vorbereitung auf die Taufe. Der Katechumene ist der Taufbewerber, der sich durch seinen Glauben zur Taufe führen lassen möchte.
In der offiziellen Kirche gibt es das Katechumenat auch heute noch als Vorbereitungszeit auf die Eingliederung Erwachsener, die nicht getauft sind und sich der katholischen Kirche anschliessen möchten. Es ist in drei Stufen gegliedert und dauert etwa zwei bis drei Jahre. Auch der Neokatechumenale Weg ist in Stufen gegliedert. Diese Stufen werden aber nicht veröffentlicht und sind auch den NK-Mitgliedern bis zum Moment des Durchlaufens der Stufen unbekannt. Auf jeder Stufe gibt es Kontrollen und Prüfungen, in denen nachgeprüft wird, ob das Ziel der Stufe erreicht wurde. Wer eine Prüfung nicht besteht, muss die Stufe nochmals wiederholen. Der NK-Weg dauert zwischen siebzehn und zwanzig Jahren. Anders als das offizielle Katechumenat spricht die NK- Bewegung Erwachsene an, die zwar als Kind getauft wurden, aber ihr Leben nicht genug dem Glauben unterstellt haben oder der Kirche und ihren Anliegen gänzlich fernstehen. Die Unterschiede zwischen dem offiziellen Katechumenat der katholischen Kirche und dem Neokatechumenat der Bewegung sind gross, dennoch hat der Name zu Verwirrung geführt, und es scheint, dass die NK-Bewegung dieser Vermischung der Namen und der daraus resultierenden Verwirrung Vorschub leistet.

Das Ziel

Das grosse Ziel der Bewegung ist die Mission, die Verwirklichung einer neuen Evangelisation in einer säkularisierten Welt, in der die christlichen Werte, der Glaube und das Gebet fast verloren gegangen sind. Die gegenwärtige Zeit ist eine Zeit des Umbruchs und der Orientierungslosigkeit. Die Bewegung versteht sich als Retterin 'wahrer' christlicher Werte in einer vom moralischen und ethischen Untergang bedrohten Welt. Das Ziel einer Evangelisierung erreicht die Bewegung durch die Erneuerung der Taufe. Jene, die getauft sind, sollen sich ihr Christsein vergegenwärtigen und ihr Leben danach ausrichten. Die NK-Bewegung entwirft eine Utopie der evangelisierten Welt, die nur durch Gott gerettet wird. Die Utopie aber ist durch die Schaffung von NK-Gemeinschaften auf Gemeindeebene im Kleinen realisiert. Durch den Ausbau solcher utopischer Gemeinschaften wird mit Gottes Hilfe die Welt gerettet. Das Utopia der Neokatechumenaten ist eine ganz und gar religiöse Welt, in der einzig die Evangelisierung zählt und jeder andere Einsatz für mehr Gerechtigkeit oder Frieden als Anmassung gegen Gott und als Schwachheit des Menschen gilt.

Bezug zum Urchristentum

Nicht nur der Name der Bewegung zeigt den Bezug zum Urchristentum, auch der Aufbau und die Organisation der Bewegung berufen sich auf Textstellen in der Bibel, die das frühe Christentum und die Gemeinden der Urkirche beschreiben.
• Kiko versteht sich selbst als Nachfolge-Apostel von Petrus und nennt auch die Katechisten, die Lehrer der Bewegung, Apostel. Sie sind mit der Fähigkeit versehen, bei den Mitgliedern Anzeichen des Glaubens zu erkennen oder deren Nichtvorhandensein zu bestätigen.
• Wie in der Apostelgeschichte geschrieben steht, dass alle alles gemeinsam hatten, so werden auch NK-Mitglieder angehalten, Hab und Gut zu verkaufen, damit jeder davon nehmen könne, so viel, wie er brauche. Mitglieder der Bewegung bringen den Erlös, den sie durch das Verkaufen ihrer Güter erhalten haben, zu den Aposteln, den Katechisten, die die gemeinsame Kasse beaufsichtigen und verwalten.
• In der Apostelgeschichte wird beschrieben, wie die ersten Christen jeden Tag im Tempel waren und Gott lobten. Auch das Leben eines NK-Mitgliedes ist geprägt vom Gebet und von den Gesprächen über Bibeltexte, von den gemeinsamen Eucharistiefeiern, die vorbereitet werden müssen und weiteren religiösen Aufgaben, die von der Bewegung vorgeschrieben werden.

Struktur der Bewegung

Innerhalb der NK-Bewegung gibt es eine straffe hierarchische Organisation. Die Bewegung selbst versteht den Aufbau nicht als Hierarchie, sondern als Verteilung von Charismen und Ämtern im urchristlichen Sinn. Innerhalb der Bewegung herrscht absoluter Gehorsam, der jeweils der Stufentiefere dem Stufenhöheren entgegenbringen muss, und der besonders gegenüber den Katechisten seine Anwendung findet. Der Katechist weiss zu jeder Zeit, was für 'seine' Katechumenaten gut ist, und er ist es auch, der die Prüfungen abnimmt und darüber entscheidet, ob jemand auf dem Stufen-Weg weiter kommt oder nochmals zurück muss. Wer sich nicht genügend anpasst und gehorcht, muss allenfalls immer wieder dieselben Katechesen durchlaufen bis der Katechist eine Besserung feststellt und einen weiterlässt. Ratschläge, die der Katechist einem Katechumenaten gibt, und die der Katechumenat befolgt, auch wenn er den Sinn des Ratschlages nicht einsieht, werden als heilende Strafen angesehen.
Ein- oder zweimal im Jahr werden Gemeinschaften gegründet. Sie entstehen in Pfarreien. Kiko schreibt, dass dies der richtige Ort ist, um die lokale Kirche als Sakrament der Rettung erscheinen zu lassen. Aus der Gemeinschaft wird ein Verantwortlicher gewählt, der wie alle in der Gemeinschaft einem Katechisten untersteht. Der Katechist ist Mitglied einer Gemeinschaft einer höheren Stufe und wird von dieser zum Katechisten einer unteren Stufe gewählt. Er hat die Würde und das Charisma eines Apostels. Daneben gibt es die Itineranten, die zur Mission ausgesandt werden und vom Papst ein "Missionarskreuz" ausgehändigt bekommen. Zu solchen Missionseinsätzen werden oft ganze Familien losgeschickt. Der ganze Weg und alle Gemeinschaften sind letztlich auf Kiko, den Gründer ausgerichtet. Er ist in seiner Vorrangstellung unantastbar.

Der Weg

In den Pfarreien wird zu Vorträgen eingeladen. Mit der unverfänglichen Frage: Was bedeutet Gott für Dich? wird auf Plakaten für die Abende geworben. Der Name der Bewegung bleibt dabei unbenannt. Diese Zeit der Verkündigung des Kerygmas dauert zwei Monate. Die vierzehn Einführungsvorträge finden zweimal pro Woche statt. Als Abschluss dieser Einstiegsphase folgt ein gemeinsames Wochenende, Convivencia genannt. Dieses Wochenende dient dazu, die Teilnehmenden ein erstes Mal auf den Weg und seine Forderungen einzuspuren. Das ganze Wochenende ist verplant und Minute für Minute auf maximale psychologische Wirksamkeit hin inszeniert. Die Vorschriften dazu hat Kiko in den "Richtlinien", seinen Schriften, genau festgelegt. Einem solchen Wochenende liegen obligatorische Vortragstexte zugrunde, die in den "Richtlinien" festgehalten sind. Nach diesem ersten Wochenende werden die Mitglieder zu verbindlicher Mitarbeit verpflichtet. Kiko selbst schreibt in seinen Richtlinien, welches Mass an Einsatz gefordert ist: "Vollkommener Gehorsam. Denn wo es keinen Gehorsam gegenüber dem Katechisten gibt, gibt es keinen katechumenalen Weg."
Besonders problematisch ist sicher, dass die NK-Mitglieder nicht wissen, was auf sie zukommt, was von ihnen gefordert wird. Die Schweigepflicht, die von den Mitgliedern der Bewegung gefordert wird, macht es für Aussenstehende schwierig, Informationen über Prüfungsverfahren und Inhalte zu erhalten. Nur die obersten Ebenen der Bewegung haben Zugang zu den Schriften Kikos. Bekannt ist, dass die Mitglieder dazu angehalten werden, ihr Eigentum zu verkaufen und das Geld den Katechisten zu übergeben. Ebenso wird von einer gewissen Stufe an gefordert, zehn Prozent des Monatslohnes in eine gemeinsame Kasse abzugeben.
Umstritten sind die Beichtmethoden der Bewegung. Die NK-Bewegung kennt die öffentliche Beichte in Gruppensitzungen. Darin werden die Neokatechumenaten aufgefordert, sich an das Schlimmste in ihrem Leben zu erinnern und es öffentlich zu schildern. Zu öffentlichen Bekenntnissen kommt es auch während der Sondierungen. Der Sinn solcher Sondierungen besteht darin, herauszufinden, wie stark sich das Leben der Neokatechumenaten seit ihrem Eintritt in die NK-Bewegung verändert hat. Dabei ist es wichtig, dass Veränderungen wie sie die Bewegung wünscht, berichtet werden können.
Der ganze Weg besteht aus zwei Elementen: Aus der Katechese Kikos und aus Riten, die den Mitgliedern zwar als Riten der katholischen Kirche vorgestellt werden, die aber tatsächlich nur der Bewegung eigen sind. Der erste Übergang zum Beispiel besteht aus drei Schritten: Eine Prüfung des Glaubens durch die Entscheidung, die Habe zu verkaufen; die Loslösung von den Ehepartnern und Kindern und das Eintragen in das Buch des Lebens. Als Vorbereitung auf die erste Prüfung werden die Neokatechumenaten stundenlang befragt. Die Befragungen gleichen öffentlichen Kreuzverhören.

Die Sünde

Die Sünde nimmt in der Katechese eine zentrale Stellung ein. Der Mensch ist schlecht, ist sündhaft und schuldig. Sünde und Tod sind ständige Begleiter der Menschen. Kiko fordert die Mitglieder zum Gebet auf: "Kannst du nicht sehen, dass ich gestrauchelt bin, dass ich betrunken war, dass ich meine Frau geschlagen habe, dass ich masturbiert habe? Siehst du nicht, was für ein Scheusal ich bin?" In der Bewegung geht es immer und immer wieder darum, die Fehlerhaftigkeit zu erkennen. Der Mensch ist schlecht und kann nicht gut sein und nichts Gutes tun. Kiko erklärt, dass der Mensch von der Schlange beherrscht werde, vom Teufel, vom Tod und der Sünde. Der Teufel spielt eine wichtige Rolle. Er ist aktiv tätig, und der Mensch kann sich nicht wehren. Damit erwirkt Kiko bei seinen Neokatechumenaten das starke Gefühl des Ausgeliefertseins. Selbstverantwortung ist nicht möglich. Die Fremdbestimmung durch das Schlechte, den Teufel, wird ersetzt durch das Gute, die Fremdbestimmung der NK-Bewegung. Erst die Erfahrung der eigenen Fehlerhaftigkeit macht das Vorwärtskommen auf dem Weg möglich. Nur durch das tiefe Empfinden der eigenen Sünde ist ein Begreifen des NK-Weges möglich. Es ist gerade die Sünde und deren Akzeptanz, die den Menschen erlösbar macht. Nachdem in der Katechese jedem Mitglied seine Sündhaftigkeit 'offenbart' wurde, besteht der nächste Schritt darin, zu zeigen, dass nur die Bewegung Erlösung bringen kann. An der ersten Convivencia wird zuerst die Sündhaftigkeit des Menschen eingeprägt. Nun weist die Convivencia, d. h. die Bewegung, den Weg der Erlösung aus dieser Situation. Trotz oder gerade wegen der Sünde, die auf den Menschen lastet, liebt uns Gott. Kiko schreibt: "Gott liebt dich, obwohl du bist, was du bist, ein Sünder, ein sexueller Hedonist, ein Spiessbürger, ein Stubenhocker, selbstsüchtig, immer auf die eigenen Interessen bedacht."
Das erste Ziel der Bewegung ist die Erniedrigung der Mitglieder. Sie sollen erkennen, wie sündhaft sie sind, besonders dann, wenn ihnen das bislang verborgen war. Ebenso geht es darum aufzuzeigen, dass sie keinen Glauben hatten, bevor sie zur NK-Bewegung stiessen. Kiko begrüsst die Teilnehmer und Teilnehmerinnen: "Ich hoffe, dass Gott dir während dieser Zeit des Praekatechumenats viele Schwierigkeiten macht, viele Katastrophen schickt, denn genau das muss passieren, damit du erkennst, dass du keinen Glauben hast." Die Selbsterkenntnis ist schwierig und qualvoll, aber dieses Leiden ist es, so Kiko, das den Weg erst möglich macht.

Das glorreiche Kreuz

Die eigene Sündhaftigkeit erkennen und darin die nötige Vorbereitung auf eine Erlösung sehen, dafür steht in der Bewegung der Begriff des glorreichen Kreuzes. Jedes NK-Mitglied hat sein persönliches Kreuz zu erkennen und zu ertragen. Bei einer Befragung werden die Neokatechumenaten aufgefordert, das eigene Kreuz zu offenbaren. Ein typisches Kreuz ist zum Beispiel die Homosexualität. Dabei hat die Bewegung nicht die Vorstellung, dass solche 'Leiden' geheilt oder verändert werden können oder sollen. Vielmehr geht es darum, dieses Kreuz, das jedem auferlegt ist, zu ertragen und auszuhalten. Absolute Passivität und Schicksalsergebenheit ist die Forderung, die die Bewegung an ihre Mitglieder stellt. Kiko nennt das glorreiche Kreuz auch eine Geheimwaffe der Kirche, die durch den Weg den Mitgliedern überreicht werde. Wer sein Kreuz erkennt und akzeptiert, sich nicht mehr wehrt, erhält bei der Prüfung mit süssem Parfum ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet. Diese Einstellung des glorreichen Kreuzes beschränkt sich aber nicht auf die NK-Mitglieder und ihre Einstellung zum eigenen Kreuz. Die Bewegung fordert diese Einstellung gegenüber allen Belangen. Dabei eingeschlossen ist soziales und politisches Engagement. Solches wird von der Bewegung verworfen und als unchristlich abgestempelt. Die Bewegung geht soweit, dass Auflehnung gegen Ungerechtigkeit und der Wille und Einsatz für eine Veränderung der politischen oder sozialen oder kulturellen Gegebenheiten einer Anmassung gegenüber Gott gleichkommt. Nur Gott kann etwas verändern. Dem Menschen bleibt, sich auf das Kommen und Eingreifen des Herrn vorzubereiten. Kiko unterscheidet drei Einstellungen zur Welt. Nur eine ist die richtige.
• Die erste Einstellung findet sich dort, wo Menschen nicht akzeptieren wollen, dass Gott die Welt mit dem Sündenfall verdammt hat. Leute, die nicht annehmen wollen, dass das Leben voller Probleme ist und die Welt feindlich und sich deshalb vor der Realität flüchten, fallen in diese Kategorie.
• Die zweite falsche Einstellung findet sich bei Menschen, die mit der Welt wie sie ist nicht zufrieden sind. Sie akzeptieren nicht, dass sie voller Übel, Kriege und Laster ist und wollen etwas verändern. Alle politischen Bewegungen fallen unter diesen Typus und überhaupt alle, die sich für Veränderungen einsetzen. Diese Gruppe von Menschen vergleicht Kiko mit Hitler, der auch etwas verändern wollte und glaubte, dabei die Welt zu verbessern.
• Die dritte und einzig richtige Einstellung ist die der absoluten Passivität. Der Mensch muss ausharren und lernen, darauf zu warten, dass Gott eingreift.
Nur durch ein religiöses Leben und der Verbreitung eines solchen, d. h. durch Mission, bereitet man sich auf die einzige Verbesserung der Welt vor, nämlich auf die Erlösung durch Gott, denn alles ist von Gott vorprogrammiert.
Die Bergpredigt, der zentrale Bibeltext der NK-Bewegung, wird dahingehend interpretiert, dass nur die sich freuen dürfen, die in Passivität und Hingebung leben. Dass sich auch die freuen dürfen, die sich für Frieden in der Welt einsetzen, sich dafür aktiv engagieren, findet in der Bewegung keine Beachtung. So ist die Bewegung eine heftige Gegnerin der Befreiungstheologie. Die Vorstellung des glorreichen Kreuzes, das die Menschheit als Ganze und jeder für sich selbst erkennen und ertragen muss, durchzieht die gesamte Katechese der NK-Bewegung.

Die Liste der bösen Mächte

Bevor der Mensch sich auf den Weg macht, hängt er dem falschen Glauben an. Er verschreibt sein Leben bösen Mächten und verliert damit die Verbindung zu Gott. Zu oberst auf der Liste der bösen Mächte stehen Geld und berufliche Karriere sowie die Familie und Sexualität. Das sind Idole, die Gott den Rang ablaufen. Nur wer sich ihrer entäussert, schafft Platz für die Beziehung zu Gott.
Die Einstellung zum Geld ist gespalten. Einerseits handelt es sich dabei um ein Idol, um eine böse Macht. Andererseits spricht Kiko von gottgegebenem Reichtum. Geld kann also durchaus ein erlaubtes Gottesgeschenk sein, aber auch teuflischen Charakter haben. Kikos Zitate hierzu sind verwirrend und weitgehend unklar. Er prangert die Orden an, in denen Armut einen positiven Wert erfährt und die Leute freiwillig in Armut leben. Dies sei Ausdruck einer Naturreligion. Kiko predigt: "Eine Manie der Armut hat Eingang in in die Kirche gefunden und konzentriert sich ausschliesslich auf das Geld mit dem Ergebnis, dass sie durch die Suche nach dieser Armut dem Geld eine ungeheure Bedeutung gegeben haben und damit in die entgegengesetzte Falle geraten sind. Denn wer immer dem Geld grosse Bedeutung beimisst, der tut das nur, weil er es so sehr liebt." Wenn man bedenkt, wie oft Kiko das Thema Geld aufgreift und behandelt, ist man versucht, ihm dieselbe Besessenheit vorzuwerfen. Ein anderer Kommentar zeigt die Widersprüchlichkeit Kikos: "Geld ist Götzenanbetung und du hast die Macht, diese Dämone auszutreiben... und bis du den Teufel nicht vertrieben und ihnen nicht gesagt hast, dass es da eine tiefe Götzenanbetung gibt, werden sie dir nicht zuhören." Der Umgang mit Geld spielt in der Bewegung eine wichtige Rolle. Die Mitglieder werden immer wieder gedrängt, bei internen Sammlungen zu spenden, ihr Eigentum zu verkaufen, Geld in eine gemeinsame Kasse zu geben und es den Katechisten anzuvertrauen.
Die Einstellung zur Arbeit ist im Gegensatz zu der zum Geld relativ eindeutig. Arbeit und die daran gekoppelte mögliche Karriere sind falsche Idole. Zwar gibt es viele, die ihren Beruf beibehalten. Das Wichtige dabei ist allerdings, dass sie auch am Arbeitsplatz für die Bewegung missionieren. Die einzig gültige Arbeit ist die im Dienste der Bewegung stehende. Von den Mitgliedern wird ein enorm hoher Einsatz gefordert. Einige geben deshalb ihren eigentlichen Beruf ganz auf, um sich ganz der NK-Bewegung zu widmen. Sie arbeiten in den Pfarreien oder übernehmen andere Missionsdienste.
Erschreckend sind die Ansichten, die Kiko über die Familie verbreitet. Die Familie verliert in der Bewegung ihre Wichtigkeit zugunsten der Bewegung selbst. Familie und Ehe werden umgewertet. Die Liebe erfährt eine neue Deutung. Kiko sagt: "Der erste Mythos, den das Christentum zerstört, ist der von der Familie, denn das ist ein ungeheurer Mythos, wenn die Familie zur Religion wird." Und ein anderes NK-Mitglied erklärt: " Die Ehe ist für uns die Lebensgemeinschaft zweier Feinde." Gottesliebe muss auf Kosten der Nächstenliebe gelebt werden. Kiko lehrt: "Wenn du in deinen Mann verliebt bist, wird er dir zum Idol! Eine verliebte Frau ist keine wahre Christin, in diesem Fall muss sie lernen, ihren Mann zu hassen." Es ist stets die Bewegung, die Vorrang hat vor Partnern und Kindern.
Die Liebe zu Kindern ist nach Kiko falsch und verdeckt eigentlich die Aggressionen, die die Eltern den Kindern gegenüber hegen. Er redet den Eltern ein, dass wahre Liebe zu Kindern darin bestehe, sie zu vernachlässigen und weniger zu beachten. Die grösste Liebe bringen Eltern ihren Kindern entgegen, wenn sie diese in die Bewegung integrieren. Kiko spricht davon, dass die Liebe zwischen Menschen tödlich sei und dass Kinder durch die Liebe der Eltern geschädigt würden. Keine Zuwendung ist die wahre Zuwendung, so die NK-Theorie.
Ein weiteres Idol ist die Sexualität. Jede Form der Sexualität ist Sünde des Fleisches. Empfindungen von Lust und Befriedigung sind sündhaft. Die Bewegung macht keinen Unterschied zwischen Empfängnisverhütung, Sterilisation, Autoerotik, vorehelicher Sexualverkehr, Homosexualität und künstlicher Befruchtung und verdammt alles gleichermassen. Die NK-Bewegung verbietet sogar die natürliche Empfängnisverhütung. Die Ausnutzung 'sicherer' Tage ist sündhaft. Wer seine Sexualität so auslebt, darf, so die Bewegung, nicht beten 'Vater unser'. Nur wer bereit ist, Sexualität als Mittel zu einer möglichen Schwangerschaft zu betrachten und zu leben, sei offen für das Leben. NK-Frauen müssen auch dann noch bereit sein, Kinder zu bekommen, wenn dadurch ihr eigenes Leben in Gefahr ist.

Exklusivitätsanspruch

Die NK-Bewegung besteht mehrheitlich aus Christen, die als Kind getauft wurden. Trotz der Taufe und der konfessionellen Angehörigkeit leben diese Menschen nicht nach dem Glauben bzw. haben keinen Glauben. Erst durch die Bewegung werden aus den Pseudo-Christen solche, die sich wie wirkliche Christen verhalten. Auch Menschen, die der Kirche angehören, in ihr mitmachen und am Leben einer Pfarrei teilnehmen, spricht die Bewegung den wahren Glauben ab. Kiko selbst nennt die NK-Gemeinschaften und ihre Mitglieder das Salz der Welt. Die Bewegung und ihre Mitglieder sind auserwählt und zur Rettung der Welt bestimmt. Kiko unterscheidet in den Pfarreien drei konzentrische Kreise: Dem inneren Kreis gehören nur NK-Mitglieder an, die berufen sind, neue Gemeinschaften zu bilden und die Kirche der Sakramente zu sein, nicht weil sie dies wollen, sondern, weil sie Gott dazu berufen hat, diesen Dienst zu leisten. Den nächsten Kreis bilden die Leute, die "juristisch nicht in die Kirche eintreten werden". Dabei handelt es sich um alle, die glauben, Katholiken zu sein, den Gemeinschaften aber nicht angehören. Im dritten Kreis befinden sich diejenigen, die "in Unwahrheit leben und sich schon immer in die Tasche gelogen haben. In diesen wirkt Satan mit wirklicher Kraft. Von Gott vorbestimmt gibt es Erwählte und Ausgeschlossene. Beide Gruppen sind nötig, damit das Ostermysterium neu erlebt werden kann. Immer wieder wird den Neokatechumenaten suggeriert, sie seien die Auserwählten, die Erleuchteten und Berufenen.
Eigentlich ist es Gott, der erwählt, aber die Bewegung bietet das Mittel zur Erleuchtung und zur Vollbringung des Erwähltseins. Die Bewegung weiht einen in das Geheimnis ein, macht es verständlich. Sie verteilt ihren Mitgliedern wann und wie sie will Erleuchtungen. Jede Erleuchtung hat ihren Preis, muss verdient werden. Es gibt interne Stufen von Erleuchtungen. Kiko spricht davon, dass viele gerufen werden, aber nur wenige erwählt. Nur ganz wenige erreichen das Endziel.

Geheime Riten

Über viele Riten gibt es nur Vermutungen, da sie streng geheim gehalten werden. Es gibt Hinweise darauf, dass die NK-Bewegung mit exorzistischen Mitteln arbeitet. Auf welcher Stufe sie angewendet werden und aufgrund welchen Anlasses ist nicht bekannt. Noch fehlen Untersuchungen der Methoden und Techniken der NK-Bewegung. Bekannt sind Riten wie die Einschreibung ins Buch des Lebens. Diese Eintragung macht das Band zwischen der Gemeinschaft und dem einzelnen Mitglied unauftrennbar. Die Entscheidung, sich ins Buch des Lebens einzutragen sei freiwillig und jedem Mitglied selber überlassen, erklärt die Bewegung. Aber wer sich weigert, verzichtet auf die Erlösung. Die Eintragung ist endgültig und kann nicht rückgängig gemacht werden. Mit dem Einschreiben der eigenen Person ins Buch des Lebens hat man sich der Bewegung verschrieben. Wer zu einem späteren Zeitpunkt zweifelt oder wankt, wird daran erinnert, dass er oder sie nicht mehr umkehren kann, da der Name im Buch steht. Kiko ermahnt seine Anhänger: "Wenn ihr jetzt euren Namen schreibt, sagt ihr damit ja zu eurer Wahl, die Gott für alle Ewigkeit getroffen hat. Frohlocket nur wegen des einen: Eure Namen stehen im Himmel geschrieben."

Weltverneinung

Die Bewegung konstruiert sich selbst als Gegenwelt zur existierenden, vom Untergang bedrohten und schlechten Welt. Daraus resultiert ein Dualismus, der sich in Aussen und Innen, sowie in Vorher und Nachher aufspalten lässt. In der Perspektive der NK-Bewegung gibt es nur die Realität innerhalb der Gemeinschaften. Kiko wehrt sich gegen die Welt, in der Individualismus, Pluralismus, Egoismus und Hedonismus uneingeschränkt ihre Blüten treiben. Dagegen setzt er die NK-Bewegung als Gegenwelt. In der Welt der Gemeinschaften sieht er die Utopie der absoluten Liebe realisiert. Durch das Gründen neuer Gemeinschaften und das Grösserwerden der Bewegung wird die äussere Welt mehr und mehr verdrängt. Die Welt wird evangelisiert und auf die Rettung durch Gott vorbereitet.
Die Bewegung konstruiert eine neue Welt mit eigenen Regeln und Gesetzen. Wer nicht dazugehört, ist folglich ein Mitglied der anderen schlechten, vom Teufel besetzten Welt. Die Argumentation der Bewegung geht dahin, dass die Vorgänge der Bewegung nur aus der Innenperspektive verständlich sind. Wer der äusseren Welt angehört, kann die Abläufe nicht nachvollziehen. Kritik von Aussen wird so verunmöglicht. Die Diskrepanz zwischen den zwei Welten ist kaum überbrückbar, umso mehr, als die Abgrenzung gegen die weltliche Welt von der Bewegung gewünscht ist. Wer in die Bewegung eintritt, muss sich verändern. Je stärker die Veränderung der Persönlichkeit sichtbar wird, umso grösser der Beweis, welch positive Wirkung die Bewegung hat. Es geht nicht darum, eine neue Persönlichkeit heranzubilden, sondern darum, die alte zu zerstören.

Die NK-Bewegung innerhalb der römisch-katholischen Kirche

Die Differenzen zwischen der offiziellen, römisch-katholischen Kirche und der NK-Bewegung sind unübersehbar. Die NK-Katechese steht in grossem Widerspruch zu der Lehre der katholischen Kirche. Das Christus-Verständnis Kikos unterscheidet sich klar von dem der Kirche, ebenso sind die Auffassungen über Sünde und Sühne different zur katholischen Theologie und auch die Äusserungen Kikos zur Bibel, zu ihrer Auslegung und ihrem Verständnis, stimmen nicht mit der offiziellen Lehrmeinung der katholischen Kirche überein. Die NK-Bewegung erstrebt keine politischen Veränderungen, da sie die Welt verneint und ein solches Erstreben als Zeitverschwendung betrachtet. Die Macht in der Kirche weiter auszubauen aber ist ein Hauptziel der Bewegung. Daraus ergeben sich Probleme, die nicht zu leugnen sind.

Gegenseitige Unterstützung

Die Bewegungen sind nicht nur anerkannt, sondern sie geniessen das Vertrauen vieler Bischöfe und Kardinäle und die hohe Wertschätzung ihrer Tätigkeit. Sie sind es, die der Kirche zu neuem Glanz und Einfluss verhelfen und den Glauben wieder unter die Menschen tragen. Gelingt es den Bewegungen, eine neue Evangelisierung der Welt einzuleiten, kann das der offiziellen Kirche nur recht sein. Schliesslich sind es die Bewegungen, die den Papst in seiner restriktiven Sexualmoral unterstützen. Und sie sind es auch, die mehr und mehr Priesteranwärter aus ihren Reihen rekrutieren und so die Zukunft der Kirche 'sichern' und massgebend mitbestimmen. So gesehen, lassen sich die Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche als die neuen Stosstruppen der römischen Kurie, des Papstes und deren Anliegen betrachten.
Auf die Herausforderungen, die sich der Kirche von heute stellen, nämlich Säkularisierung, Priestermangel und Eröffnung neuer Territorien im Osten, haben die Bewegungen Antworten bereit, die die Massen zu mobilisieren vermögen.
Zudem eröffnen die Bewegungen der offiziellen Kirche zusätzliche Finanzquellen. Die NK-Bewegung unterstützt mit ihren Einnahmen durch Sammlungen und Abgaben der Mitglieder Bischöfe, die der Bewegung wohlgesinnt sind.
Umgekehrt profitiert die NK-Bewegung von der Rückendeckung, die ihr durch die offizielle katholische Kirche gewährt wird. Die Bewegung missioniert ihre Anhänger in den Pfarreien, lädt zu Diskussionen über Gott ein, ohne den Namen der Bewegung zu verwenden und benutzt für die Einführungsvorträge die pfarreilichen Einrichtungen.
Durch das Vertrauen und die Unterstützung des Vatikans kann die Bewegung ungehindert ihren Einfluss mehr und mehr ausbauen. Dadurch wächst gleichzeitig der Druck durch die Bewegung auf den Vatikan und seine Führung.

Literatur

Franzen, August: Kleine Kirchengeschichte, Freiburg, Basel, Wien 1988.
Hemminger, Hansjörg: Was ist eine Sekte?, Stuttgart 1995.
Hrsg. von den Liturgischen Instituten Salzburg, Trier, Zürich: Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche, Studienausgabe, Freiburg, Wien 1979.
Hrsg. vom Neokatechumenalen Zentrum Rom: Il Cammino Neocatecumenale nei discorsi di Paolo VI e Giovanni Paolo II, Rom 1984.
Interview mit Peter Henrici, Weihbischof der Diözese Chur, Zürich 1996.
Katechismus der katholischen Kirche, München 1993.
Urquhart, Gordon: Im Namen des Papstes, München 1995.
Zoffoli, Enrico: Eresie del Movimento Neocatecumenale, Udine 1995.

Quelle : www.relinfo.ch/nk/info.html