Labre
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"LASS DEN AST LOS!" Neujahspredigt von Kaplan A. Betschart

Ein neues Jahr hat begonnen. Von dem, was es uns bringen wird, wissen wir sehr wenig. Deshalb wünschen wir uns ja gegenseitig alles Gute, dass es kein schlechtes Jahr werden möge.
Ist Ihnen aber auch schon aufgefallen, dass bei den offiziellen Neujahrswünschen im Radio und im Fernsehen, auch von sogenannten katholischen Politikern, ja selbst von katholischen Bundespräsidenten, der Spender alles Guten - GOTT - praktisch nicht mehr erwähnt wird? Auch auf den üblichen Neujahrskärtchen, die in Papeterien zum Kaufe angeboten werden, steht nie der Wunsch um Gottes Segen für das neue Jahr. Und was sich in der deutschsprachigen Schweiz immer mehr als Neujahrswunsch breit macht - “ein guter Rutsch” - ist einsame Spitze von Banalität und Geistlosigkeit.
Über unserer Zeit liegt eine düstere Melancholie der Gottentfremdung, die sich wie eine dunkle Wolke mitleidslos vor die letzten Sonnenstrahlen unserer Tage legt. Sehr viele Menschen haben nicht mehr den starken Glauben und das frohe Wissen ihrer Vorfahren, die ihr letztes grosses Reiseziel noch kannten, die um eine ewige Heimat im Himmel wussten.
Seltsam fremd klingt es für unsere Ohren, ja wie aus einer anderen Welt, wenn Kulturstudien erzählen, dass unsere Vorfahren jeden Brief mit einem “Laus Deo - Gott sei Lob” begannen und jeden Vertrag im Namen der heiligsten und unteilbaren Dreifaltigkeit abschlossen. Oder dass ein Kaufmann seinen Frachtbrief mit den Worten begann: Unter dem Geleit Gottes und des Fuhrmanns N. N. übersende ich hiermit drei Tonnen Weizen. Oder wenn wir lesen, dass der mittelalterliche Dichter am Schlusse seines Werkes bittet, dass jeder, der das Buch liest, seiner Seele Gnade wünsche, damit er für die Müh’ und Zeit, so er auf die Arbeit gewandt, den frohen Lohn einst schaue.
Das war noch Gottverbundenheit und Gottvertrauen, die das Alltägliche mit dem hellen Glanze des Ewigen ver -
goldete, das sichere Wissen darum:

“An Gottes Segen ist alles gelegen.”

Dem modernen Menschen unserer technischen Zivilisation ist dies - zum grossen Schaden seiner Seele - verlorengegangen. Gott ist nicht mehr der Inbegriff seines Tuns, der Rhythmus seines Lebens. Gott ist nicht mehr der Geber des täglichen Brotes, Er ist auch nicht mehr in seiner täglichen Arbeit, in seinen Alltagssorgen. Gott ist nicht mehr in seinen Gedanken, geschweige denn in seinen Worten.
Aber kann man denn leben ohne Gott? Der berühmte russische Dichter Tolstoi gesteht: “Ich erinnere mich, dass ich nur dann lebte, wenn ich an Gott glaubte. Gott erkennen und leben ist ein und dasselbe; denn Gott ist das Leben.” Ein Mensch ohne Gott ist ein Mensch ohne Leben, der sicheren Katastrophe verfallen. Niemand und nichts kann ihm helfen: kein Arzt, kein Professor, kein Techniker, kein Staatsmann, auch nicht die feierlichste Erklärung der Menschenrechte.
Manche unterhalten noch so eine Art diplomatischer Beziehungen zum lieben Gott. Aus Gründen der Vorsicht will man nicht alle Fäden abreissen lassen. Zu diesen Vorsichtsmassnahmen gehört, dass man noch seine Kirchensteuer zahlt, vielleicht die Kinder taufen lässt. Man besucht ab und zu bei hochfeierlichen Gelegenheiten seine Kirche; mehr nicht. Genügt dies aber für ein Leben? Mit Sicherheit nicht. Wie wollen wir bestehen können in einem Leben voller Sorgen und Probleme ohne Gottverbundenheit, ohne Gottvertrauen?

“Lass den Ast los!”

Vom Jesuitenpater Anthony de Mello stammt folgende kleine Geschichte: “Ein Mensch wie du und ich fiel von einer Felsenklippe. Zum Glück konnte er beim Hinunterstürzen den Ast eines kleinen Baumes packen. Dort hing er nun zwischen dem Himmel und dem dreihundert Meter tiefer liegenden Abgrund, wohl wissend, dass er sich nicht lange festhalten könne. Plötzlich kam ihm eine Idee. ‘Gott’, rief er, so laut er konnte.
Schweigen, niemand antwortete. ‘Gott’, schrie er noch einmal. ‘Wenn es Dich gibt, rette mich, und ich verspreche, dass ich an Dich glauben und andere glauben lehren werde.’ - Wieder Schweigen. -
Beinahe hätte er den Ast vor Schrecken losgelassen, als plötzlich eine machtvolle Stimme über dem Abgrund dröhnte: ‘Das sagen sie alle, wenn Not am Manne ist.’ ‘Nein, Gott, nein’, rief er laut, nun etwas hoffnungsvoller geworden. ‘Ich bin nicht wie die anderen. Ich habe ja schon begonnen zu glauben, merkst Du das nicht? Ich habe ja schon Deine Stimme vernommen. Nun musst Du mich bloss retten, und ich werde deinen Namen überall verkünden.’ - ‘Gut’, sagte die Stimme, ‘ich werde Dich retten. Lass den Ast los!’” - Soweit diese Geschichte.

Sind wir bereit, den Ast loszulassen und uns vollkommen auf Gott zu verlassen? “Lass den Ast los!” - Dies ist die Aufforderung, sich in Gottes unsichtbare Hände fallen zu lassen, sich restlos auf Gottes Wege einzulassen, Ihm wirklich zu glauben und zu vertrauen. Solcher Glaube muss im ersten Augenblick “verrückt” wirken. Menschliche Sicherungen werden aufgegeben, und alles wird auf eine Karte gesetzt. Beim Glauben oder Unglauben an Gott geht es um Leben oder Tod - um alles oder nichts. “Ich werde dich retten. Lass den Ast los!” Das ist Gottes tröstliche Verheissung, auf die ein wirklich glaubender Mensch bauen kann. Gott wird ihn nie im Stiche lassen. Er selbst hat es verheissen. In der Bergpredigt sagt uns der Heiland:

“Machet euch nicht Sorge und saget nicht: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns bekleiden? Denn nach all dem trachten die Heiden. Es weiss ja euer Vater im Himmel, dass ihr all dessen bedürft. Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch dazugegeben werden. Machet euch daher nicht Sorge für den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Jedem Tag genügt seine Plage” (Mt 6,31-34).

Der Zweifler wird hier nun den Einwand erheben, dass dieses Wort des Heilandes doch in einem etwas eigenartigen Widerspruch stehe zu unseren Erfahrungen, die wir alle im Leben machen. Man könne zwar das Reich Gottes suchen, aber die irdischen Probleme würden sich dennoch nicht in eitel Freude auflösen, wie das Wort des Heilandes zu verheissen scheine. Menschliche Weisheit möchte meinen, dass ein himmlischer Vater über dieser Welt Seinen Kindern das Leben doch etwas leichter und angenehmer machen sollte. Jenes Warum, das man angesichts der entsetzlichen Greuel und der vielen furchtbaren Katastrophen in der Welt oder wegen schwerer Schicksalsschläge im eigenen Leben Gott entgegenhalten möchte, die Frage, wie Gott denn so etwas zulassen könne, ist jene uralte Menschheitsfrage, über die bereits Job im Alten Testament sich zermartert und die Frage zum Himmel geschrieen hat:

“O dass doch einer mich hören möchte! Ja, dies ist mein Begehren, dass mir der Allmächtige Antwort gäbe!” (Job 31,35)

Und selbst der Heiland - trotz Seines verheissungsvollen Wortes, sich keine Sorgen zu machen und dem Gottsucher würde alles andere dazu gegeben werden - Er selbst hat den Gläubigen Greuel und Elend vorausgesagt, ja dass es immer Kriege geben werde, dass sie immer Arme und Hungernde in ihrer Mitte haben würden. Ein Schlaraffenland hat Er nicht versprochen. Mit Seinem eigenen Leidensweg und Seinem Sterben am Kreuz hat Er uns die Richtung in diesem Leben aufgezeigt, - ja selbst mit Seiner Frage: “Mein Gott, mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?”.
Aber trotz all dem, trotz Hunger und Elend, trotz Kreuz und Leid, trotz Tod und Satan hat uns Christus zu beten gelehrt:

“Vater unser, der Du bist im Himmel” (Mt 6,9).

Auch ein hl. Apostel Paulus musste Gefängnis und Martyrium erleiden. Trotzdem schreibt er so wunderbar:

“Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und der Gott alles Trostes” (2 Kor 1,3).

Und schliesslich schreibt er - es ist fast nicht zu fassen:

“Ich bin des Trostes voll, überreich an Freude bei all unserer Drangsal” (2 Kor 7,4).

Wie ist so etwas möglich, dass ein Mensch in Hunger, Leiden und selbst in Todesgefahr voll des Trostes und überreich an Freude sein kann? Auch von den Aposteln wird Ähnliches gesagt, die vom Hohen Rat in Jerusalem bis aufs Blut ausgepeitscht wurden:

“Diese aber gingen vom Hohen Rat weg, voller Freude, weil sie gewürdigt worden waren um des Namens Jesu willen Schmach zu erleiden” (Apg 5,41).

Hier stellt sich die Frage nach dem Warum bereits nicht mehr. Hier stellt sich die Frage, was das für ein Glaube ist, der Menschen so verwandeln, so stärken und verklären kann, dass ihnen alle Bitterkeit zur Süssigkeit wird. Eine Antwort darauf erhalten wir wiederum vom hl. Paulus:

“Ich bin überzeugt, dass die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der Herrlichkeit, die einst an uns offenbar werden soll” (Römerbrief 8,18).

Dieses Wort hat mehr Gewicht als jene grauen Theorien, mit denen man den Lieben Gott zu rechtfertigen sucht angesichts menschlichen Kreuzes und Leides.

Gottvertrauen

Und so heisst auf Gott vertrauen eigentlich nichts anderes, als die ersten zwei Worte des Gebetes des Herrn restlos ernst nehmen:

“VATER UNSER.”

Das gibt uns jenes Wissen, dass über dieser Welt und über meinem Leben der liebende Wille meines Gottes und Vaters für mich sorgt. Wenn für mich diese wunderbare Anrede Gottes kein blosser Titel, sondern lauterste Wirklichkeit ist, kann meine Haltung Gott gegenüber nur kindliche Liebe sein. Auf Gott vertrauen bedeutet also dies, dass ich in Ihm meinen Vater sehe und mich vor Ihm als Sein Kind weiss.
Das ist kein vages Gefühl, sondern letztlich ein Akt meines Willens. Mit einer solchen Einstellung darf ich dann zu Gott beten: Lieber Vater im Himmel, ich weiss zwar nicht, welchen Sinn die Katastrophen in der Welt haben oder dieses Kreuz, dieses Leid in meinem Leben. Aber Du weisst es, und ich vertraue Dir, dass Du alles zu meinem Besten lenkst, ich weiss, dass Du nie einen Fehler machst.
Ein mittelalterlicher Lehrer des geistlichen Lebens, Meister Eckehart, hat treffend gesagt:

“Wahre Gottesliebe lässt sich daran prüfen, ob man unbegrenzte Hoffnung und Zuversicht auf Gott hat..”

Uns allen wünsche ich für das neue Jahr 2018 die Gottverbundenheit und jenes Gottvertrauen, das den Mut aufbringt, immer mehr den Ast loszulassen und sich in die unendlich gütigen Hände Gottes fallen zu lassen. Dann werden wir im tiefsten Inneren unseres Herzens die Verheissung Gottes vernehmen können:

“Gleich wie einen seine Mutter tröstet, so will Ich euch trösten” (Is 66,13).

Amen.

Quellenhinweis:

▸ Braun S., Kommt Gott an? - Radiopredigten VIII. Bd., Innsbruck-Wien-München 1961.
▸ Zeitschrift “MARIA” Nov./Dez. 1997, Nr. 2, 47. Jahrgang.
▸ Bild: kab
Irenäus
@Labre Aber im Gefängnis hatte es der hl. Apostel Paulus nicht so schlecht, denn weil er ein Römer war wurde er auch nicht gegeisselt und wurde bevorzugt und gut behandelt! Wäre Paulus kein Römer gewesen, wäre er im Gefängnis grausam gegeisselt und vielleicht sogar gekreuzigt worden, aber er konnte nachweisen, dass er seit Geburt das römische Bürgerrecht hatte. Welch ein Glück für uns Christen! …Mehr
@Labre Aber im Gefängnis hatte es der hl. Apostel Paulus nicht so schlecht, denn weil er ein Römer war wurde er auch nicht gegeisselt und wurde bevorzugt und gut behandelt! Wäre Paulus kein Römer gewesen, wäre er im Gefängnis grausam gegeisselt und vielleicht sogar gekreuzigt worden, aber er konnte nachweisen, dass er seit Geburt das römische Bürgerrecht hatte. Welch ein Glück für uns Christen! Wie wäre es herausgekommen mit dem Christentum, wenn Paulus im Gefängnis gegeisselt worden wäre und dies nicht überlebt hätte?
Carlus
danke, sehr schön der Beitrag