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marthe2010
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Heinrich Heine: Die Wallfahrt nach Kevlaar (Gedicht) Anmerkung zu: „Wallfahrt nach Kevlaar“ Heine schrieb zu diesem Gedicht am 16. Mai 1822 anläßlich des Erstabdrucks: „Der Stoff dieses Gedichtes ist …Mehr
Heinrich Heine: Die Wallfahrt nach Kevlaar (Gedicht)

Anmerkung zu: „Wallfahrt nach Kevlaar“
Heine schrieb zu diesem Gedicht am 16. Mai 1822 anläßlich des Erstabdrucks:
„Der Stoff dieses Gedichtes ist nicht ganz mein Eigentum. Es entstand durch Erinnerung an die rheinische Heimat. - Als ich ein kleiner Knabe war, und im Franziskanerkloster in Düsseldorf die erste Dressur erhielt und dort zuerst Buchstabieren und Stillsitzen lernte, saß ich oft neben einem anderen Knaben, der mir immer erzählte: wie seine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der ersten Silbe, und der Ort selbst liegt im Geldernschen) einstmals mitgenommen, wie sie dort einen wächsernen Fuß für ihn geopfert, und wie sein eigner schlimmer Fuß dadurch geheilt sei. Mit diesem Knaben traf ich wieder zusammen in der obersten Klasse des Gymnasiums, und als wir im Philosophen-Kollegium bei Rektor Schallmeyer nebeneinander zu sitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakelerzählung, setzte aber doch etwas ernsthaft hinzu: jetzt würde er der Mutter Gottes ein wächsernes Herz opfern. Ich hörte später, er habe damals an einer unglücklichen Liebschaft laboriert, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedächtnis. Im Jahre 1819, als ich in Bonn studierte und einmal in der Gegend von Godesberg am Rhein spazierenging, hörte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaarlieder, wovon das vorzüglichste den gedehnten Refrain hat: ,Gelobt seist du, Maria!‘ und als die Prozession näher kam, bemerkte ich unter den Wallfahrern meinen Schulkameraden mit seiner alten Mutter. Diese führte ihn. Er aber sah sehr blaß und krank aus.“Heinrich Heine: Die Wallfahrt nach Kevlaar [Kevelaer]

1

Am Fenster stand die Mutter,

Im Bette lag der Sohn.

„Willst du nicht aufstehn, Wilhelm,

Zu schaun die Prozession?“

„Ich bin so krank, o Mutter,

Daß ich nicht hör und seh;

Ich denk an das tote Gretchen,

Da tut das Herz mir weh.“ —

„Steh auf, wir wollen nach Kevlaar,

Nimm Buch und Rosenkranz;

Die Mutter Gottes heilt dir

Dein krankes Herze ganz.“

Es flattern die Kirchenfahnen,

Es singt im Kirchenton;

Das ist zu Köln am Rheine,

Da geht die Prozession.

Die Mutter folgt der Menge,

Den Sohn, den führet sie,

Sie singen beide im Chore:

„Gelobt seist du, Marie!“

2

Die Mutter Gottes zu Kevlaar

Trägt heut ihr bestes Kleid;

Heut hat sie viel zu schaffen,

Es kommen viel kranke Leut.

Die kranken Leute bringen

Ihr dar, als Opferspend,

Aus Wachs gebildete Glieder,

Viel wächserne Füß und Händ.

Und wer eine Wachshand opfert,

Dem heilt an der Hand die Wund;

Und wer einen Wachsfuß opfert,

Dem wird der Fuß gesund.

Nach Kevlaar ging mancher auf Krücken,

Der jetzo tanzt auf dem Seil,

Gar mancher spielt jetzt die Bratsche,

Dem dort kein Finger war heil.

Die Mutter nahm ein Wachslicht,

Und bildete draus ein Herz.

„Bring das der Mutter Gottes,

Dann heilt sie deinen Schmerz.“

Der Sohn nahm seufzend das Wachsherz,

Ging seufzend zum Heiligenbild;

Die Träne quillt aus dem Auge,

Das Wort aus dem Herzen quillt:

„Du Hochgebenedeite,

Du reine Gottesmagd,

Du Königin des Himmels,

Dir sei mein Leid geklagt!

Ich wohnte mit meiner Mutter

Zu Köllen in der Stadt,

Der Stadt, die viele hundert

Kapellen und Kirchen hat.

Und neben uns wohnte Gretchen,

Doch die ist tot jetzund -

Marie, dir bring ich ein Wachsherz,

Heil du meine Herzenswund.

Heil du mein krankes Herze -

Ich will auch spät und früh

Inbrünstiglich beten und singen:

Gelobt seist du, Marie!“

3

Der kranke Sohn und die Mutter,

Die schliefen im Kämmerlein;

Da kam die Mutter Gottes

Ganz leise geschritten herein.

Sie beugte sich über den Kranken

Und legte ihre Hand

Ganz leise auf sein Herze,

Und lächelte mild und schwand.

Die Mutter schaut alles im Traume

Und hat noch mehr geschaut;

Sie erwachte aus dem Schlummer,

Die Hunde bellten so laut.

Da lag dahingestrecket

Ihr Sohn, und der war tot;

Es spielt auf den bleichen Wangen

Das lichte Morgenrot.

Die Mutter faltet die Hände,

Ihr war, sie wußte nicht wie;

Andächtig sang sie leise:

„Gelobt seist du, Marie!
Ratzi
Vor dem süßen Gift des Heinrich Heine sei gewarnt: Schokolade mit Arsen! In seinen Werken ist ein freimaurerischer Geist nicht zu verkennen. Da er Jude war, kann das wohl nicht verwundern. Das obige Gedicht hat einen perfiden antichristlichen Unterton. Von Heine kommt mir kein Buch ins Haus!
Klaus Elmar Müller
Tut mir leid: Das Gedicht gefällt mir nicht. Fast alle tot! Erinnert mich an den Schluss von "Hamlet". Maria als Mörderin oder Todesengel. Und das soll fromm sein? Die still einwilligende Mutter am Schluss hat wenig natürliche Mütterlichkeit.
marthe2010
Oh, so habe ich es noch nie gelesen. Für mich ist er an gebrochenem Herzen gestorben ...
Klaus Elmar Müller
Heinrich Heine war durch seine Gymnasialzeit auch katholisch geprägt und später überzeugter Christ. Aber im Gedicht spüre ich (Sie, sehr verehrte @marthe2010 ,empfinden das ja anders) eine untergründige Frage, wie der Himmel den Tod junger unschuldiger Kinder zulassen kann. Das Gedicht deckt diese Frage mit dem Erscheinen der Muttergottes notdürftig zu. Auf mich wirkte das spontan sogar wie eine …Mehr
Heinrich Heine war durch seine Gymnasialzeit auch katholisch geprägt und später überzeugter Christ. Aber im Gedicht spüre ich (Sie, sehr verehrte @marthe2010 ,empfinden das ja anders) eine untergründige Frage, wie der Himmel den Tod junger unschuldiger Kinder zulassen kann. Das Gedicht deckt diese Frage mit dem Erscheinen der Muttergottes notdürftig zu. Auf mich wirkte das spontan sogar wie eine verdeckte Anklage. Vielleicht bin ich selber ja nicht mit dem Tod der erzählten Kinder einverstanden und erwarte mir von der Muttergottes unbedingt immer Heilung. Mein schnelles Verurteilen des Gedichtes wird dem Text womöglich nicht gerecht. Näheres zum Christentum Heinrich Heine's hier: www.pro-medienmagazin.de/…/heinrich-heine-… (Auch an @Susi 47, die Ihnen zugestimmt hat.)
marthe2010
Vielen Dank für den Link. Mit dem Hintergrundwissen, dass Heine ein zwiespältiges Verhältnis zur Religion hatte, kann das Gedicht in der Tat so lesen. Ich hatte das Gedicht ohne viel über Heine zu wissen gelesen (dass er konvertiert war, wusste ich, aber nicht die näheren Umstände - wegen des Berufs etc.). Für mich spricht aus dem Gedicht eine große Einfühlung in die katholische Welt, gerade auch …Mehr
Vielen Dank für den Link. Mit dem Hintergrundwissen, dass Heine ein zwiespältiges Verhältnis zur Religion hatte, kann das Gedicht in der Tat so lesen. Ich hatte das Gedicht ohne viel über Heine zu wissen gelesen (dass er konvertiert war, wusste ich, aber nicht die näheren Umstände - wegen des Berufs etc.). Für mich spricht aus dem Gedicht eine große Einfühlung in die katholische Welt, gerade auch in der letzten Strophe, dem Sich-Dreinschicken der Mutter. Diese Empathie hat mich beeindruckt.
marthe2010
Vielen Dank, Schäfchen, für das Zitat.
marthe2010
Vertonung von August Söderman: www.youtube.com/watch
Ein weiterer Kommentar von marthe2010
marthe2010
Anmerkung zu: „Wallfahrt nach Kevlaar“ [Kevelaer]
Heine schrieb zu diesem Gedicht am 16. Mai 1822 anläßlich des Erstabdrucks:

„Der Stoff dieses Gedichtes ist nicht ganz mein Eigentum. Es entstand durch Erinnerung an die rheinische Heimat. - Als ich ein kleiner Knabe war, und im Franziskanerkloster in Düsseldorf die erste Dressur erhielt und dort zuerst Buchstabieren und Stillsitzen lernte, saß …Mehr
Anmerkung zu: „Wallfahrt nach Kevlaar“ [Kevelaer]

Heine schrieb zu diesem Gedicht am 16. Mai 1822 anläßlich des Erstabdrucks:


„Der Stoff dieses Gedichtes ist nicht ganz mein Eigentum. Es entstand durch Erinnerung an die rheinische Heimat. - Als ich ein kleiner Knabe war, und im Franziskanerkloster in Düsseldorf die erste Dressur erhielt und dort zuerst Buchstabieren und Stillsitzen lernte, saß ich oft neben einem anderen Knaben, der mir immer erzählte: wie seine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der ersten Silbe, und der Ort selbst liegt im Geldernschen) einstmals mitgenommen, wie sie dort einen wächsernen Fuß für ihn geopfert, und wie sein eigner schlimmer Fuß dadurch geheilt sei. Mit diesem Knaben traf ich wieder zusammen in der obersten Klasse des Gymnasiums, und als wir im Philosophen-Kollegium bei Rektor Schallmeyer nebeneinander zu sitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakelerzählung, setzte aber doch etwas ernsthaft hinzu: jetzt würde er der Mutter Gottes ein wächsernes Herz opfern. Ich hörte später, er habe damals an einer unglücklichen Liebschaft laboriert, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedächtnis. Im Jahre 1819, als ich in Bonn studierte und einmal in der Gegend von Godesberg am Rhein spazierenging, hörte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaarlieder, wovon das vorzüglichste den gedehnten Refrain hat: ,Gelobt seist du, Maria!‘ und als die Prozession näher kam, bemerkte ich unter den Wallfahrern meinen Schulkameraden mit seiner alten Mutter. Diese führte ihn. Er aber sah sehr blaß und krank aus.“