Labre
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VON "FRAU WELT" VERLACHT UND VERSPOTTET Predigt zu Sexagesima von Kaplan A. Betschart

Am letzten Sonntag haben wir mit einer kleinen Predigttrilogie über die Tugend der Keuschheit, und was ihr entgegen steht, begonnen. Wir zitierten den hl. Thomas von Aquin, der sagt, dass der Sinn und der Zweck der Geschlechtskraft nicht nur ein Gut, sondern ein “überragendes Gut” sei (II, II; q. 153, a. 2).
Gerade deshalb, weil sie ein überragendes Gut darstellt, wird ihr Missbrauch zu einem schweren Schaden für den betreffenden Menschen.

Sünden gegen die Tugend der Keuschheit

Wieviel böse Tragik gibt es wegen Sünden der Unkeuschheit. Statt unserer Berufung gerecht zu werden - nämlich Kind Gottes zu sein -, überlassen sich viele der dämonischen Verlockung “ihr werdet sein wie Gott” (Gen 3,5). Satan ist an Gott gescheitert. Deshalb gilt Ihm sein tödlicher Hass. Er versucht, das Göttliche im Menschen zu vernichten, wo immer er nur kann. Hier besitzt er die einzige Möglichkeit, so meint er, Gott treffen zu können. Und nirgends gelingt es ihm so sehr wie bei der Unkeuschheit. Ihr haftet denn auch etwas eigentümlich Zerstörerisches an. Der hl. Apostel Paulus mahnt eindringlich:

“Unzucht soll bei euch nicht einmal genannt werden” (Eph 5,3).
“Fliehet die Unzucht! Jede andere Sünde, die ein Mensch begeht, bleibt ausserhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, sündigt an seinem eigenen Leibe. Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?” (1 Kor 6,18 ff.).
“Der Leib ... ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn” (1 Kor 6,13).


Der hl. Paulus sagt zunächst, dass die Unzucht am Menschen selbst haften bleibt. Sie trifft den eigenen Leib und durch ihn Seele und Geist. Dann betont er, dass die Unzucht ein besonderes Vergehen am Göttlichen im Menschen ist, weil unser Leib ein Tempel des Heiligen Geistes und durch die Verbindung mit Christus innerhalb der Kirche ein Glied des mystischen, geheimnisvollen Leibes Christi ist.
Die Sünden der Unkeuschheit untergraben und zerstören aber auch die Persönlichkeit des Menschen. Es kann nicht geleugnet werden, dass sie wie keine sonst so folgenschwer ins menschliche Leben eingreifen, ja, dass ihnen eine einzigartige, die Persönlichkeit zerstörende Kraft innewohnt. Der Grund ist der: die Sünden der Unkeuschheit sind dem Göttlichen im Menschen entgegengesetzt und bilden ein leichtes Einfallstor für den Satan. Den anderen Sünden kann man im offenen Kampf begegnen und sich vor ihnen schützen. Die Unkeuschheit hat etwas Hinterlistiges, Schleichendes. Wenn wir “mit Furcht und Zittern unser Heil” (Phil 2,12) wirken müssen, wie der hl. Paulus sagt, dann trifft dies vor allem auf die Sünden der Unkeuschheit zu. Vor ihr ist kein Mensch ganz sicher, und “wer meint zu stehen, sehe zu, dass er nicht falle (1 Kor 10,12).

Leider ist es notwendig, wieder einmal auf Sünden gegen die Tugend der Keuschheit hinzuweisen, weil dies heute kaum mehr geschieht. Aus dem deutschsprachigen Raum ist mir ein einziges bischöfliches Hirtenschreiben zu diesem Themenkreis bekannt - ein hervorragendes -, das über dreissig Jahre alt sein dürfte. Es stammt vom verstorbenen Augsburger Bischof Dr. Joseph Stimpfle. Es ist Pflicht der Bischöfe und Priester, auch auf diesem Gebiet für die Gläubigen den Willen Gottes klar und unverkürzt zu verkünden, “ob gelegen oder ungelegen” (2 Tim 4,2).

Zu den schweren Sünden gegen die Keuschheit ist u. a. die sogenannte Masturbation (Selbstbefriedigung) zu zählen. Dazu lehrt die katholische Kirche u. a.:

“Tatsache ist, dass sowohl das kirchliche Lehramt in seiner langen und stets gleichbleibenden Überlieferung als auch das sittliche Empfinden der Gläubigen niemals gezögert haben, die Masturbation als eine in sich schwere ordnungswidrige Handlung zu brandmarken’, weil ‘der frei gewollte Gebrauch der Geschlechtskraft, aus welchem Motiv er auch immer geschieht, außerhalb der normalen ehelichen Beziehungen seiner Zielsetzung wesentlich widerspricht’. Der um ihrer selbst willen gesuchten geschlechtlichen Lust fehlt ‘die von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die sowohl den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe realisiert’” (Katechismus der katholischen Kirche, St. Benno Verlag, 2005, Nr. 2351).

Sie ist also vom moralischen Standpunkt aus, wenn sie bewusst, mit freiem Willen hervorgerufen wird, ohne dass man gegen die Versuchung kämpft, eine schwere Sünde. Sie ist eine unnatürliche Umkehrung des Geschlechtstriebes auf die eigene Person, während die natürliche Richtung des Triebes nach der liebenden Begegnung mit einem andersgeschlechtlichen Partner hinstrebt. Sie ist Ausdruck eines krassen Egoismus, der bei gewohnheitsmässiger Betätigung bis zur Eheunfähigkeit führen kann.
Die verheerendste Wirkung aber ist die, dass sie das Leben der Gnade zerstört, wenn nicht ernsthaft dagegen angekämpft wird. “Der Ernst des Kampfes gegen ein eingewurzeltes Laster muss sich ausdrücken durch ... Reue und Erneuerung des guten Vorsatzes nach jedem Rückfall, womöglich auch in einem freiwillig übernommenen und treu erfüllten Bussvorsatz (nach jedem Rückfall zum Beispiel ein bestimmter Verzicht, ein besonderer Akt der Nächstenliebe, eine religiöse Übung)” (B. Häring). Der regelmässige Empfang der heiligen Sakramente muss unbedingt in diese Therapie mit einbezogen werden. Das Erlebnis der verzeihenden Liebe Christi im Sakrament der heiligen Beichte und im heiligsten Sakrament des Altares sind eine echte Hilfe, um den Sünder aus seiner Verschlossenheit, Stumpfheit und Mutlosigkeit seiner “einsamen Sünde” herauszuführen.

Eine weitere sehr schwere Sünde gegen die Tugend der Keuschheit ist das Konkubinat, das der Ehe ähnliche Zusammenleben zweier Unverheirateter. Es ist Unzucht im eigentlichen Sinn des Wortes und - Gott sei's geklagt - in unserer Zeit zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit geworden. Wir sind bereits soweit, dass ein keusches Leben vor der Ehe als rückständiges Asketentum verlacht und verspottet wird. Praktisch verteidigt heute allein die christliche Moraltheologie die Verpflichtung zur geschlechtlichen Enthaltsamkeit vor der Ehe, wenn sie den ausserehelichen Geschlechtsverkehr als schwere Sünde anprangert.
Dass dies unter keinen Umständen erlaubt sein kann, auch nicht bei Verlobten, hat folgenden Grund: die geschlechtliche Schöpferkraft ist ein Abglanz des schöpferischen Gottes und der heiligsten Dreifaltigkeit. Ihr Gebrauch soll zur Frucht der Liebe, zum Kinde und damit zur Dreiheit führen. Der Wille Gottes ist, dass dies in der sakramental geschlossenen, unauflöslichen Einehe geschehen soll.
Schliesslich hat Christus selbst die Ehe zur Darstellung seiner mystischen Einheit mit der Kirche genommen. Dadurch wird der eheliche Schöpfungsakt für neues Leben hin geordnet auf die Wiedergeburt zum göttlichen Leben im Sakrament der heiligen Taufe. Aus diesem Grunde steht die Ehe neben dem Priestertum. Diese beiden Stände arbeiten als Organe der Kirche Hand in Hand und schaffen zusammen im Sinne des neuen Testamentes den neuen Menschen,

“der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit” (Eph 4,24).

Schliesslich muss noch ein Wort über den Ehebruch gesagt werden. Das Alte Testament verurteilt alle Sünden gegen die Keuschheit wurzelhaft vom Ehebruch her, weil die Keuschheit und ihre Verletzung von der Ehe her gesehen werden muss. Es werden aber nicht nur die Tatsünden gegen die Ehe verurteilt, sondern auch die Gedankensünden:

“Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau” (Ex 20,14.17),

heisst es im neunten Gebot Gottes. Auch Christus betont in der Bergpredigt die Treue im Herzen, in der Gesinnung und warnt eindringlichst vor dem begehrlichen Blick, der schon ein Treuebruch im Herzen ist:

“Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst nicht ehebrechen! Ich aber sage euch, dass jeder, der eine Frau ansieht und sie begehrt, hat schon Ehebruch mit ihr begangen in seinem Herzen” (Mt 5,27 f.).

Und in Seiner Erklärung über “rein und unrein” gegenüber den Pharisäern:

“Aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken: Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugnisse, Lästerungen” (Mt 15,19).

Der Ehebruch muss zu den schwersten Sünden gezählt werden. In der Urkirche gehörte er zu den drei Kapitalverbrechen (1. Glaubensabfall 2. Ehebruch 3. Mord), von denen eine gewisse Zeit lang überhaupt nicht losgesprochen wurde. Der Ehebruch ist eine sehr schwere Sünde gegen die Tugend der Keuschheit, gegen die Tugend der Treue, gegen die Gerechtigkeit und gegen die Liebe; und er ist ein frevelhafter Angriff gegen das Sakrament der Ehe. Der Ehebruch verletzt daher die Liebe gegen einen Menschen und gegen Gott in schwerster Weise. “Noch schwerer ist der Ehebruch, wenn er Einbruch in zwei Ehen ist oder wenn er zur völligen Zerrüttung und Zerstörung einer Ehe führt und damit auch die Kinder aufs schwerste trifft. Auch der Ledige, der mit dem Verheirateten sündigt, ist ein Ehebrecher” (B. Häring).

Für alle aber, die sich um die Keuschheit des Leibes, der Gedanken, der Wünsche und des Herzens bemühen, gilt das herrliche Wort des Heilandes:

“Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen” (Mt 5,8).
Maranatha!
Die erste Tochter der Unkeuschheit ist die geistige Blindheit.