Wenigstens diese Eiszeit bleibt. Von Hw. Herbert Stichaller
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Ehrenkaplan: Herr Dompropst, Sie haben vor kurzem den Gletscher am Großglockner beerdigt. Wie geht’s Ihnen heute?
Dompropst: Der Schmerz ist noch da. Das Leben muss weitergehen
Ehrenkaplan: Sind weitere Todesfälle zu befürchten? Auch der Mölltaler Gletscher soll in den letzten Zügen sein.
Dompropst: Als Theologe weiß ich: Sterben gehört zum Leben. Als Mensch frage ich: Warum lässt Gott es zu?
Ehrenkaplan: Es gibt Hoffnung. Das Eis in der Arktis wächst. In Grönland gab es noch kein einziges Gletscherbegräbnis.
Dompropst: In uns Gläubigen wohnen zwei Seelen. Einerseits freuen wir uns über das Eis, andererseits brauchen wir die Schmelze, um vom Klimawandel reden zu können.
Ehrenkaplan: Es gab auch Kritiker der Gletscherliturgie. So empfanden es manche als pietätlos, jemanden zu beerdigen, der noch lebt. Als Seelsorger kommt man mit der Ölung, nicht gleich mit dem Sarg.
Dompropst: Mit Öl hätten wir es im Naturschutzgebiet nur noch schlimmer gemacht. Wollen Sie behaupten, dass der Gletscher nur scheintot ist?
Ehrenkaplan: Möglich wär’s. Es geschieht oft, dass sich Totkranke wieder erholen.
Dompropst: Ich finde Ihre Fragen sehr unpassend mitten in der Trauerphase.
Ehrenkaplan: Leiden lassen sich schwer vergleichen. Doch was bedeutet für Sie das größere Leid: das Sterben eines Gletschers oder dass Sie nicht Bischof geworden sind?
Dompropst: (geht schweigend)
Ehrenkaplan: (leise) Er kann sich freuen: Wenigstens bleibt das Eis zwischen uns.
Der Text ist dem Satiremagazin "Ehrenkaplan" entnommen.