Susanne Schröter: Über den Begriff der „kulturellen Aneignung“ (renovatio.org)

Susanne Schröter: Über den Begriff der „kulturellen Aneignung“
14. Juni 2021

Der ägyptische Obelisk auf dem Petersplatz (Urheber: David Iliff, Lizenz: CC BY-SA 3.0, creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Die Ethnologin Susanne Schröter lehrt an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. In einem heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Aufsatz setzt sie sich kritisch mit dem linksidentitären Konzept der „kulturellen Aneignung“ auseinander. Dieses verurteilt die Aufnahme von Elementen nichteuropäischer Kulturen durch Europäer als einen angeblichen Akt der Unterdrückung.1
Es sei nachvollziehbar, dass „negative Darstellungen des kulturell Anderen von deren Vertretern als Kränkungen erlebt werden können“. Unklar bleibe jedoch, warum linksidentitäre Ideologie auch „positive Aneignungsversuche“ fremder kultureller Inhalte zu skandalisieren versuche:
Die angeprangerte Praxis, Ausdrucksformen fremder Kulturen etwa in der Mode zu übernehmen, sei „viele Jahre lang als Ausdruck der Offenheit für Ungewohntes und letztendlich auch als Überwindung kultureller Engstirnigkeit gefeiert“ worden.

Der als „kulturelle Aneignung“ verurteilte Vorgang sei Ausdruck „von Faszination von Menschen für das jeweils kulturell Andere“.
Dieser Vorgang wirke zudem völkerverbindend, denn wer „sich für fremde Philosophien oder Religionen erwärmen kann, der sucht auch den Kontakt zu Menschen, die Experten für diese Weltanschauungen sind.
Linksidentitäre Aktivisten würden dieses Streben jedoch zum „Zeichen einer feindlichen Übernahme“ erklären. Ihre „Einteilung der Welt in geistige Verbotszonen“ sei dabei nicht weltoffen, sondern „provinziell“.
Die „aktuellen identitätspolitischen Verengungen von Kultur“ forcierten außerdem „die Spaltung der Gesellschaft in neotribalistische Kleinstgruppen“:
Linksidentitäre Aktivisten agierten „als Speerspitze einer kruden Identitätspolitik“, die im Kern um einen neoessentialistischen Kulturbegriff“ kreise und „beruhe somit auf ähnlichen Annahmen über die Bedeutung der Rasse für die Identität des Menschen, wie sie im rechtsextremen bzw. im völkischen Spektrum zu beobachten seien.
Die dahinterstehende Ideologie beruhe auf der Annahme, dass Menschen durch ihre Abstammung zwangsläufig an bestimmte Kulturmerkmale gebunden seien. Sie verabsolutiere den Faktor der Abstammung auf unverantwortliche Weise, weil sie ihn über alle anderen Eigenschaften des Menschen stelle.
Während rechtsextreme Rassenideologie das Fremde biologistisch abwerte, werte ihr linksidentitäres Gegenstück „unter anderem ältere Männer, Menschen mit weißer Hautfarbe oder einfach die einheimische Bevölkerung, die von jakobinischen Eiferern jüngst als ‚Menschen mit Nazihintergrund‘ verunglimpft wurden“, pauschal wegen ihrer Abstammung ab.
Die Aktivisten würden umgekehrt Menschen nicht-europäischer Abstammung angreifen, die sich mit Elementen europäischer Kultur identifizierten, weil sie sich dem „hegemonialen Ingroup-Diskurs“ verweigerten.
Man solle daher „nicht weniger, sondern mehr kulturelle Aneignung […] wagen.[/note]

Hintergrund und Bewertung
Mit der Herausforderung durch identitätspolitischen Aktivismus haben wir uns hier auseinandergesetzt. Auf die rassenideologischen Aspekte der dahinterstehenden Ideologie sind wir hier näher eingegangen.
Die Fähigkeit zur Aneignung, d.h. zur geordneten Aufnahme von Elementen fremder Kulturen ist ein integraler Bestandteil dessen, was Oswald Spengler als die „faustische“, nach immer neuer Erkenntnis und Erfahrung strebenden Seele Europas bezeichnet hatte.2 Die abendländische Kultur entstand, als Kelten und Germanen die von ihnen als wertvoll erkannten Bestandteile griechisch-römischer Kultur in ihre eigenen Kulturen integrierten. In der abendländischen Kultur finden sich zudem Elemente jüdischer, altägyptischer und einiger anderer nichteuropäischer antiker Kulturen. Der Historiker Julien d’Huy hatte kürzlich dargelegt, dass etwa die Mythologien Europas sehr wahrscheinlich auf mehreren zehntausenden Jahren der kulturübergreifenden Tradierung beruhen.
Die prinzipielle Bejahung der geordneten Integration von Elementen aus fremden Kulturen durch das abendländische Denken hat vor allem eine religiöse Grundlage. Das Wahre, Gute und Schöne wird hier unabhängig von seiner Herkunft nicht als fremd wahrgenommen, weil seine Quelle in Gott verortet wird und somit kompatibel zur eigenen Kultur ist, deren Wurzeln nicht biologischer sondern transzendenter Natur sind. Plotin schrieb dazu, dass das Gute keinem Menschen gehöre, weil es das Werk des Schöpfers sei.3

Die katholische Schriftstellerin Gertrud von le Fort brachte dieses Denken in ihren „Hymnen an die Kirche“ zum Ausdruck:

„Ich habe noch Blumen aus der Wildnis im Arme, ich habe noch Tau in meinen Haaren aus Tälern der Menschenfrühe,
Ich habe noch Gebete, denen die Flur lauscht, ich weiß noch, wie man die Gewitter fromm macht und das Wasser segnet.
Ich trage noch im Schöße die Geheimnisse der Wüste, ich trage noch auf meinem Haupt das edle Gespinst grauer Denker,
Denn ich bin Mutter aller Kinder dieser Erde: was schmähest du mich. Welt, daß ich groß sein darf wie mein himmlischer Vater?
Siehe, in mir knien Völker, die lange dahin sind, und aus meiner Seele leuchten nach dem Ew’gen viele Heiden!
Ich war heimlich in den Tempeln ihrer Götter, ich war dunkel in den Sprüchen aller ihrer Weisen.
Ich war auf den Türmen ihrer Sternsucher, ich war bei den einsamen Frauen, auf die der Geist fiel.
Ich war die Sehnsucht aller Zeiten, ich war das Licht aller Zeiten, ich bin die Fülle der Zeiten.
Ich bin ihr großes Zusammen, ich bin ihr ewiges Einig.
Ich bin die Straße aller ihrer Straßen: auf mir ziehen die Jahrtausende zu Gott.
4

Dieser Ansatz unterscheidet sich fundamental und radikal von einer naiven Idealisierung des Fremden, von biologistischen Rassenideologien, von multikulturalistischem Nihilismus, der alle kulturellen Äußerungen für unterschiedslos gleichwertig hält, und von jener von Schröter kritisierten neomarxistisch-postmodernen Ideologie, welche „kulturelle Aneignung“ als ein angebliches Mittel zur Aufrechterhaltung „weißer Überlegenheit“ verurteilt.

Quellen
Susanne Schröter: „Mehr kulturelle Aneignung wagen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.06.2021, S. 7.
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, München 1963, S. 234.
Plotin: Die Enneaden, Band 1, Berlin 1878, S. 270 (Buch III.8.11)
Gertud von le Fort: Hymnen an die Kirche, München 1948, S. 24 ff.

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Thomas Moore
Kulturelle Aneignung sind Rasta - Locken für Weiße, die so tun als wären sie Afrikaner.
Peinlich und sieht nicht aus.
Der Obelisk auf dem Petersplatz ist keine kulturelle Aneignung.
In Ägypten wäre er vielleicht schon gesprengt worden.
Klaus Elmar Müller
Das Papsttum übernahm aus dem ägyptischen Pharaonenkult die großen Straußenwedel. Das ist durchaus anerkennende Aneignung. Der Obelisk wäre in Ägypten keineswegs gesprengt worden; die muslimischen Ägypter tun nämlich so, als stünden die Pyramiden in ihrer Traditionen, während nur die koptischen Christen Nachfahren des altägyptischen Pharaonenvolkes sind.
nujaas Nachschlag
Außerdem wurde der Obelisk bereits unter der Regierung Kaiser Caligulas nach Rom gebracht. Papst Sixtus ließ in dann Jahrhunderte später an den heutigen Platz versetzen, der damals ganz anders aussah.
michael7
Ja, das war wegen des Neubaus der Peterskirche und der Neugestaltung des Petersplatzes notwendig, ihn ein wenig zu versetzen. Ursprünglich markierte der Obelisk den Wendepunkt in der Wagenrennbahn, an deren Umgrenzung Petrus beigesetzt wurde, weil er dort wahrscheinlich auch hingerichtet worden war.
Klaus Elmar Müller
Johannes-Paul II.: Inkulturation (die Neuverwurzelung des Evangeliums in einer fremden Kultur) bedeute zugleich, dass die evangelisierten Elemente der fremden Kultur nun für die ganze Kirche gälten. Ich verstehe das so: Inkulturation ist kein missionarischer Trick für wenig geschätzte "Wilde", sondern ein ernsthafter Vorgang der Bereicherung und Befreundung.
nujaas Nachschlag
Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Skeptisch bin ich, wenn evangelisierte Kulturelemente gleich für die ganze Kirche gelten sollen, da gibt es doch sehr viele Kulturen, die man sich weder als Einzelner noch als Kirche überall ernsthaft aneignen kann.
Klaus Elmar Müller
@nujaas Nachschlag : Wenn das so ist, dann hätte in solchen Fällen eine Verbindung von überlieferter Kultur und Evangelium nicht stattfinden dürfen. Woran denken Sie konkret? Heidnisches Sonnenwendfeuer (20./21. Juni) wurde zum Johannisfeuer (23./24. Juni). Afrikanische Rhythmen wurden zu (jetzt weltweit verbreiteten) Gospel-Songs. In welchen anderen Fällen möchten Sie widersprechen? Das interessiert …Mehr
@nujaas Nachschlag : Wenn das so ist, dann hätte in solchen Fällen eine Verbindung von überlieferter Kultur und Evangelium nicht stattfinden dürfen. Woran denken Sie konkret? Heidnisches Sonnenwendfeuer (20./21. Juni) wurde zum Johannisfeuer (23./24. Juni). Afrikanische Rhythmen wurden zu (jetzt weltweit verbreiteten) Gospel-Songs. In welchen anderen Fällen möchten Sie widersprechen? Das interessiert mich aufrichtig.
nujaas Nachschlag
Ich möchte Ihnen gar nicht widersprechen, ich habe auch nichts gegen asiatische Gabenbereitung. Bloß ich bin nicht so multikulturell gebildet, daß ich alle mögliche Kulturen würdigen kann und ihre Verbindung zum Evangelium verstehe, vermutlich andere auch nicht. Andererseits wird man nicht überall auf der Welt Verständnis für Martinszüge finden,. Meine Skepsis besteht darin, daß eine gelungene …Mehr
Ich möchte Ihnen gar nicht widersprechen, ich habe auch nichts gegen asiatische Gabenbereitung. Bloß ich bin nicht so multikulturell gebildet, daß ich alle mögliche Kulturen würdigen kann und ihre Verbindung zum Evangelium verstehe, vermutlich andere auch nicht. Andererseits wird man nicht überall auf der Welt Verständnis für Martinszüge finden,. Meine Skepsis besteht darin, daß eine gelungene Inkulturation wie Sie in Ihrem ersten Beitrag sagten, dann für die ganze Kirche gelten soll.