Alfonso M.
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Papisten. 1. Ein „Priorat“ der deutschen Sektion der „Piusbruderschaft“ hat aus aktuellem Anlaß – ein Priester in Deutschland hat die „Piusbruderschaft“ verlassen und ist „zu den Sedisvakantisten …Mehr
Papisten.

1. Ein „Priorat“ der deutschen Sektion der „Piusbruderschaft“ hat aus aktuellem Anlaß – ein Priester in Deutschland hat die „Piusbruderschaft“ verlassen und ist „zu den Sedisvakantisten gegangen“ – ein Broschürchen herausgegeben über „Päpstliche Unfehlbarkeit und den Sedisvakantismus“. Darin setzt sich ein „Pius“-Pater, „der sich lange Jahre dem Studium der Kirchengeschichte gewidmet hat“, „vor dem Hintergrund der Geschichte des päpstlichen Lehramtes kritisch mit dem Unfehlbarkeitsverständnis sedisvakantistischer Priester auseinander“, wie es in der Einführung heißt. „Er wendet sich gegen ein übersteigertes Verständnis der Unfehlbarkeit, das durch die Lehrentscheidungen des I. Vatikanischen Konzils keineswegs gedeckt ist und vor dem Hintergrund der Papstgeschichte als irrtümliche und übersteigerte Auffassung zu Tage tritt.“

Irgendwie klingen uns da die Ohren und schrillen die Alarmglocken auf. Es war immer eine Eigenheit der Häretiker, der Protestanten und Liberalen, den Katholiken „Übertreibung“ vorzuwerfen. Die Katholiken hatten in ihren Augen ein „übersteigertes Verständnis“ von der Gottessohnschaft Christi, von der Mutterschaft Mariens, von der Heilsnotwendigkeit der Kirche oder eben von der Unfehlbarkeit des Papstes. Man schmähte die Katholiken daher gerne mit Namen, die das „Übersteigerte“ zum Ausdruck brachten, wie „Hyper-Katholiken“ oder „Ultra-Montanisten“. Von daher neigen wir bereits dazu, die wahre katholische Auffassung eher bei den „Sedisvakantisten“ zu vermuten. Doch widmen wir uns zunächst dem Text des Broschürchens.

„Übersteigertes Papstverständnis“

2. „Dem Sedisvakantismus liegt ein übersteigertes Papstverständnis zu Grunde, demgemäß der Papst sozusagen ‚in allem‘ und ‚gemäß allem‘ unfehlbar sei, gleichsam ein Orakel Gottes“, beginnt die Einleitung. Wir hatten erst unlängst Gelegenheit, Dr. Ernst Commer mit seinem Nachruf auf den heiligen Papst Pius X. zu zitieren, darin wir lesen: „Darnach ist das Papsttum die irdische lebendige und beständige Stellvertretung des gottmenschlichen Erlösers in der streitenden Kirche. Und der von Christus selbst zuerst in Petrus eingesetzte Stellvertreter Gottes auf Erden ist als Haupt der theomonarchisch konstituierten Kirche ihr oberster König: gleichsam der in der Geschichte immer wiederkehrende ‚alter Christus‘ oder wie man im Mittelalter auch sagte ‚quasi deus in terris‘ [gleichsam Gott auf Erden]“(Hervorhebungen von uns). Offensichtlich hatte man im Mittelalter ein noch übersteigerteres Verständnis vom Papst, da man ihn nicht nur für „gleichsam ein Orakel Gottes“, sondern sogar für „gleichsam Gott auf Erden“ hielt.

Doch der im „Studium der Kirchengeschichte“ so bewanderte „Pius“-Pater weiß, daß die Unfehlbarkeit „nach dem 1. Vatikanischen Konzil (1869/70) beschränkt“wurde „auf die lehrmäßige Definition ‚ex cathedra‘“ – eine Einschränkung, welche die „Sedisvakantisten“ „aus Missachtung und Unkenntnis“ ablehnen. Auf dem „I. Vaticanum“ war nämlich „von gewissen ‚Papisten‘ versucht“ worden, „den Umfang der Unfehlbarkeit des Papstes möglichst weit auszudehnen, auch auf Enzykliken“. „Aber das wurde verhindert (nachzulesen bei Butler-Lang: Das 1. Vat. Konzil)“, freut sich der Pater. Uff! Gottseidank! Oder nicht? Was uns etwas stutzig macht, ist die Rede von den „Papisten“. Wie man weiß, ist das ein alter Spott- und Schimpfname der Protestanten für die Katholiken. „Deine Sprache verrät dich ja.“ Kann es sein, daß hier ein protestantischer Geist waltet, der jene abfällig „Papisten“ nennt, die eine schlicht katholische Auffassung von Art und Umfang der päpstlichen Unfehlbarkeit haben (unnötig zu erwähnen, daß das Wort „Papisten“ im angegebenen Werk von Butler-Lang nicht vorkommt)? Und stimmt es denn wirklich, daß mit und nach dem „I. Vaticanum“ die päpstliche Unfehlbarkeit „beschränkt“ wurde, sodaß man fortan nicht mehr mit mittelalterlicher „Übertreibung“ vom „quasi deus in terris“ sprechen konnte?

3. „Das Ergebnis war und wurde so auch von Pius IX. am 18. Juli 1870 dogmatisiert, dass der Papst nur äußerst selten als unfehlbar gilt. Ausschließlich in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre und auch das nur dann, wenn er dies eigens ausdrücklich feierlich erklärt.“ Da fragen wir uns unwillkürlich erstens, was für einen Sinn so eine „Unfehlbarkeit“ hat, die „nur äußerst selten“ eintritt, im Ganzen also gar nicht ins Gewicht fällt, und zweitens, ob Pius IX. mit seiner Dogmatisierung nicht vielleicht unrecht hatte. Wer sagt uns denn, ob er damals gerade unfehlbar war? Da er uns selber erst das Dogma von der Unfehlbarkeit verkündet hat, können wir gar nicht wissen, ob wir das, was er sagt, überhaupt auf seine eigene Dogmaverkündigung anwenden können. Natürlich hat er „eigens ausdrücklich feierlich erklärt“, daß er ein Dogma verkünden will, aber daß dies wirklich Unfehlbarkeit bedeutet, können wir nur wissen, wenn wir daran glauben, daß er bereits unfehlbar war, als er uns dies lehrte.

„Kein Wunder, dass dieses Dogma seitdem nur ein einziges Mal in feierlicher Form angewandt wurde, nämlich am 1. November 1950 bei der Verkündigung des Dogmas durch Papst Pius XII., dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist“, meint der arme Pater und dauert uns sehr, da er einer so traurigen „Kirche“ angehören muß, welcher ihr „Papst“ nur alle hundert Jahre einmal einen dürren Knochen in Form eines feierlichen Dogmas hinwirft. Ein modernes Unternehmen hätte die Überflüssigkeit eines solchen „Papstes“ längst erkannt und ihn wegrationalisiert, da der Aufwand für ihn in keinem Verhältnis zum Ertrag steht.

4. Hat aber Papst Pius IX. wirklich „dogmatisiert, dass der Papst nur äußerst selten als unfehlbar gilt“? In „Pastor aeternus“ steht nichts davon. Die Konstitution äußert sich überhaupt nicht zu der Frage, wie oft ein Papst unfehlbar ist, ob selten oder häufig. Es ist auch völlig müßig, darüber zu spekulieren. Entscheidend für uns Katholiken ist, daß der Papst in Ausübung seines Lehramtes unfehlbar ist. Und dieses Lehramt übt er normalerweise täglich, nicht nur alle hundert Jahre einmal. Zwar ist es richtig, daß das Vatikanische Konzil die päpstliche Unfehlbarkeit ausschließlich auf Glaubens- und Sittenfragen bezieht, doch ist das im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Die päpstliche Gewalt ist eine geistliche, keine weltliche oder politische. Das galt es damals gegenüber den Angriffen der Feinde zu betonen, die behaupteten, der Papst werde „vermöge seiner Unfehlbarkeit ein vollkommen absoluter Souverän“im weltlichen Sinne. Dazu weiter unten mehr. Daß die Unfehlbarkeit jedoch „nur dann“ eintrete, „wenn er [der Papst] dies eigens ausdrücklich feierlich erklärt“, ist eine Fiktion des „Pius“-Paters und steht nicht in „Pastor aeternus“.

Der Wortlaut des von Pius IX. verkündeten Dogmas ist folgender: „Wenn der römische Papst ‚ex Cathedra‘ spricht, – das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen mit seiner höchsten Apostolischen Autorität erklärt, dass eine Lehre, die den Glauben oder das sittliche Leben betrifft, von der ganzen Kirche gläubig festzuhalten ist, – dann besitzt er kraft des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei Entscheidungen in der Glaubens- und Sittenlehre ausgerüstet wissen wollte. Deshalb lassen solche Lehrentscheidungen des römischen Papstes keine Abänderung mehr zu, und zwar schon von sich aus, nicht erst infolge der Zustimmung der Kirche.“ Wo steht da, daß dies nur „äußerst selten“ vorkommt oder erst dann, wenn der Papst „dies eigens ausdrücklich feierlich erklärt“? Von „ausdrücklich“ und „feierlich“ ist nirgendwo die Rede.

„Ex cathedra“

5. Der Begriff „ex cathedra“, welchem der nächste Abschnitt des Broschürchens gewidmet ist, macht vielen offensichtlich Schwierigkeiten. Dabei ist er nicht so kompliziert zu verstehen, wenn man ihn einfach so nimmt, wie er steht. „Ex cathedra“ spricht der Papst, wenn er von seinem päpstlichen Lehrstuhl, der „cathedra Petri“, aus spricht, d.h. als Nachfolger Petri, in seiner Eigenschaft als Oberhirte der universalen Kirche und Inhaber ihrer höchsten, universalen geistlichen Gewalt, ob er das „feierlich“ und „ausdrücklich“ tut oder nicht. Gemäß dem Konzil gehört dazu nur, daß der Papst sein Amt „als Hirte und Lehrer aller Christen“ ausübt, also als universaler Hirte spricht und nicht nur etwa als Bischof der Diözese Rom, Privatgelehrter oder dergleichen, daß er mit der ihm eigenen höchsten Apostolischen Autorität lehrt und nicht nur beispielsweise eine erbauliche Ansprache oder fromme Predigt halten will, daß die Lehre in den Bereich von Glauben und Sitten gehört, also nicht etwa rein naturwissenschaftliche, politische oder andere Themen behandelt, die außerhalb seiner geistlichen Vollmacht liegen, und daß er die entsprechende Lehre der universalen Kirche verbindlich auferlegt.

„Enzykliken sind nicht unfehlbar“, folgert unser Autor mit hörbarem Aufatmen. Aus dem Wortlaut des Dogmas geht das in keiner Weise hervor, im Gegenteil. Wenn der Papst eine Enzyklika schreibt, so tut er dies in aller Regel als universaler Hirte der Kirche und in Ausübung seiner höchsten Apostolischen Vollmacht. Eine Enzyklika handelt für gewöhnlich ausschließlich von geistlichen Themen oder solchen, die damit eng verbunden sind. Und fraglos kann der Papst in einer Enzyklika eine Lehre als für die ganze Kirche verbindlich vorschreiben. Wenn unser Pater „ex cathedra“ im allerengsten Sinn verstehen will, nämlich für außerordentliche Lehrentscheidungen, die obendrein so „ausdrücklich“ und „feierlich“ sind wie die Dogmatisierung der Aufnahme Mariens in den Himmel von Pius XII. im Jahre 1950, so ist das seine eigene Interpretation, aber nicht die Lehre des Vatikanischen Konzils.

6. Die Enzyklika „Quanta Cura“ von Papst Pius IX. beispielsweise wurde von den damaligen zeitgenössischen Theologen „nahezu einmütig als ein unfehlbares Dokument eingestuft“ (Modernismus in der Tradition). Erst ab 1910 kam die Mode auf, ihre Unfehlbarkeit zu leugnen, und es war der von unserem Pater als Gewährsmann für seine These von der Verhinderung der „Papisten“ angegebene Cuthbert Butler, der in seinem Werk über das Vatikanische Konzil, das 1930 erschien, behauptete, daß die Auffassung von der Unfehlbarkeit dieser Enzyklika „jetzt zumeist aufgegeben“ sei. Man braucht sich nicht „lange Jahre dem Studium der Kirchengeschichte gewidmet“ haben, um bei dieser völligen Neubewertung die Modernisten am Werk zu sehen, denen der arme Pater offensichtlich aufgesessen ist.

„Praktisch wurde die Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er ‚ex cathedra‘ spricht, schon bei der Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Mariens am 8. Dezember 1954 angewandt“, doziert der Pater weiter. „Der Fortschritt besteht im ‚aus sich‘, nicht in Folge der ‚Zustimmung der Kirche‘. Dieses ‚aus sich‘ ist gegen die gallikanische These gesprochen, wonach die Lehrentscheidungen des Papstes erst durch den Konsens der Kirche zu unabänderlichen Lehraussagen werden. Diese These wurde nun als förmlich häretisch verworfen.“ Wir würden sagen, „praktisch angewandt“ wurde die „Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er ‚ex cathedra‘ spricht“, schon seit den Zeiten der Apostel, als der heilige Petrus selber noch diese Cathedra, den Heiligen Stuhl, innehatte. Das „aus sich“ ist kein eigentlicher Fortschritt, es mußte nur eigens betont werden wegen der sich gegen die päpstliche Unfehlbarkeit erhebenden Irrtümer.

7. Amüsant erscheint uns, daß ausgerechnet ein Lefebvrist uns darauf hinweist, daß durch das Vatikanum die „gallikanische These“, „wonach die Lehrentscheidungen des Papstes erst durch den Konsens der Kirche zu unabänderlichen Lehraussagen werden“, „als förmlich häretisch verworfen“ wurde. Die Lefebvristen vertreten selber die neo-gallikanische These des modernen „Traditionalismus“, welche ihr großer Meister so formulierte: „Das Erkennungsmerkmal der Wahrheit und übrigens auch der Unfehlbarkeit des Papstes und der Kirche ist ihre Übereinstimmung mit der Überlieferung und dem anvertrauten Glaubensgut“ (Mgr. Marcel Lefebvre, Ich klage das Konzil an, Editions Saint-Gabriel, Martigny, S. 102; Hervorhebung von uns). Ist diese These durch das „aus sich“ nicht ebenfalls „als förmlich häretisch verworfen“? Denn die „ex cathedra“-Lehrentscheidungen sind eben „von sich aus“ unfehlbar und nicht erst aufgrund ihrer „Übereinstimmung mit der Überlieferung und dem anvertrauten Glaubensgut“. Umgekehrt wird uns diese Übereinstimmung gerade durch die Lehrentscheidung garantiert.

Der Pater sieht jedoch den Fehler bei den „Sedisvakantisten“. Diese wollten „die Beschränkung der Unfehlbarkeit des Papstes auf ‚ex cathedra‘ Entscheidungen … so nicht gelten lassen“. Nein, in der Tat, so eng, wie der „Pius“-Pater aus der Ideologie des Lefebvrismus heraus diese „Beschränkung“ sieht, kann man sie wirklich nicht gelten lassen. Das sagt das Vatikanum selber, nicht die „Sedisvakantisten“. Eine minimalistische Einschränkung der lehramtlichen Unfehlbarkeit war stets das Kennzeichen der Liberalen. Albert Maria Weiß: „Auf dem Gebiete der Glaubenslehre ist darum der Liberalismus, soweit er überhaupt noch katholisch bleiben will, leicht und untrüglich daran zu erkennen, daß er die Verpflichtung zur Unterwerfung auf das beschränkt, was die Kirche ausdrücklich als Glaubenssatz anzunehmen befohlen hat. Er tut das vielleicht nicht immer mit klaren Worten, aber sicherlich stets in der Tat. Und nicht bloß dieses, er setzt auch für die Verpflichtung der kirchlichen Entscheidungen so umständliche Bedingungen, daß diese selbst wieder auf ein höchst geringes Maß beschränkt werden.“

8. Für den Pater aber sind es die „Sedisvakantisten“, die den Papst „stilisieren“ als „Monade, als in sich und aus sich der Garant der Wahrheit, der absolut keinen Irrtum begehen kann“. Wie wir gesehen haben, ist es das Vatikanische Konzil selber, das den Papst „stilisiert“ als jenen, der in seinen „ex cathedra“ gegebenen Lehren „in sich und aus sich der Garant der Wahrheit“ ist, „der absolut keinen Irrtum begehen kann“. „Und wenn Päpste diesen ihnen zugedachten Maßstab nicht erfüllen, wie die Konzilspäpste ab Johannes XXIII., sind diese keine Päpste“, will Hochwürden die „Übertreibung“ der „Sedisvakantisten“ karikieren und trifft dabei unbeabsichtigt ins Schwarze. Richtig: Wenn ein „Papst“ den ihm von Vatikanischen Konzil unfehlbar „zugedachten Maßstab“ nicht erfüllt, dann kann es nicht der Papst sein. Wenn es der Papst wäre, so müßte auf ihn zutreffen, was das Konzil sagt.

Jedes Kind kann das nachvollziehen. Nur die „Traditionalisten“ nicht. Für sie ist es „unverständlich, wie man zu dieser Übersteigerung und Absolutsetzung des Papstes kommen kann, so in dem Sinne: Der Papst ist die Kirche wie Ludwig XIV. von sich sagte: Der Staat bin ich“. Immerhin hat Papst Pius IX., offensichtlich ein beinharter „Sedisvakantist“, in seiner „Übersteigerung und Absolutsetzung des Papstes“ einmal gegenüber einem Kardinal etwas zugespitzt formuliert: „Ich, ich bin die Tradition! Ich, ich bin die Kirche!“ (nachzulesen u.a. bei Butler-Lang, s.o.; vgl. Wahrheit oder Ideologie). Und immerhin hat Unser Herr Jesus Christus selber den heiligen Petrus zum Fels gemacht, auf den Er Seine Kirche baute, und zu Seinem Stellvertreter auf Erden, von dem Commer zurecht sagt: „der von Christus selbst zuerst in Petrus eingesetzte Stellvertreter Gottes auf Erden ist als Haupt der theomonarchisch konstituierten Kirche ihr oberster König“.

9. Zu seiner Rechtfertigung meint der Pater den „vielbelobigten Dogmatiker“ Heinrich heranziehen zu können, der in seiner Dogmatik schreibt: „Allein auch als Oberhaupt der Gesamtkirche ist der Papst nicht in allen seinen Amtshandlungen, sondern nur in seinen Kathedralentscheidungen in Sachen der Glaubens‐ und Sittenlehre unfehlbar. Es ist umso wichtiger, diese Beschränkung der von der Kirche definierten Unfehlbarkeit des Papstes auf die eine Glaubens- oder Sittenlehre definierenden Kathedralentscheidungen festzuhalten, je mehr von jeher alle Gegner der Kirche und der lehramtlichen Unfehlbarkeit ihres Oberhauptes sich bestrebt haben, diese Grenze zu vermischen und der Katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes den absurden und von der Kirche verworfenen Sinn beizulegen, dass der Papst in allen seinen Meinungen und Aussprüchen unfehlbar sei.“

Genau dasselbe tun die Lefebvristen. Ganz wie es „von jeher alle Gegner der Kirche und der lehramtlichen Unfehlbarkeit ihres Oberhauptes“ getan haben, versuchen sie, „diese Grenze zu vermischen und der Katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes“, wie die Katholiken alias „Sedisvakantisten“ sie festhalten, „den absurden und von der Kirche verworfenen Sinn beizulegen, dass der Papst in allen seinen Meinungen und Aussprüchen unfehlbar sei“. Kein „Sedisvakantist“ hat so etwas jemals behauptet. Es wird ihnen aber von den Anti-Sedisvakantisten unterstellt, damit sie mit der angeblichen „Übertreibung“ der „Sedisvakantisten“ die päpstliche Unfehlbarkeit selber pulverisieren können.

„Problempäpste“

10. Der „Pius“-Pater macht sich nun daran, über „Problempäpste“ zu handeln. Das erinnert uns ein wenig an die berühmt gewordene Rede eines früheren bayerischen Ministerpräsidenten vom „Problembär“ Bruno. Als theologischer Ausdruck waren uns „Problempäpste“ bisher unbekannt. „Es gibt die lehramtliche Unfehlbarkeit des Papstes in seinen Kathedralentscheidungen, und es gibt auch die Unfehlbarkeit des ordentlichen und universalen Lehramtes der Kirche, wenn es etwas als verbindlich zum Glauben gehörend vorlegt“, stellt der Pater fest und zitiert das Vatikanische Konzil aus seiner Dogmatischen Konstitution über den Glauben im 3. Kapitel: „Mit göttlichem und katholischem Glauben ist also all das zu glauben, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche in feierlichem Entscheid oder durch gewöhnliche und allgemeine Lehrverkündigung (= sive solemni iudicio sive ordinario et universali magisterio) als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird.“ „Dieses ordentliche und universale Lehramt ist das Lehramt der gesamten Kirche“, fährt er fort, „ihres gesamten Lehrkörpers (Papst und Bischöfe), wenn es einmütig eine Lehre als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt.“

Weiter weiß er, daß diese Lehrverkündigung „nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit universal sein“ muß. „So gehörten viele Glaubenswahrheiten schon lange zum katholischen Glauben, bevor sie auf einem Konzil feierlich definiert worden sind, weil sie von der Kirche aller Zeiten als verbindlich zu glauben gelehrt wurden.“ Die „Unfehlbarkeit des ordentlichen Lehramtes der Kirche“komme jedoch „nicht dem Papst alleine zu, wenn er sein authentisches Lehramt ausübt (z.B. in einer Enzyklika, einem dogmatischen Brief, einer Bulle…). Der Papst alleine ist nur in den Kathedralentscheidungen unfehlbar, wo er den Beistand des hl. Geistes besitzt, der die Irrtumslosigkeit garantiert, in den anderen Entscheidungen seines Lehramtes bleibt er grundsätzlich fehlbar.“

11. Nach unserem armen Pater hat demnach der Papst den Hl. Geist ausschließlich für „Kathedralentscheidungen“ empfangen, die jedoch nur „äußerst selten“ vorkommen, weil er solche nur dann gegeben sieht, wenn der Papst „feierlich“ und „ausdrücklich“ ein Dogma definiert, was vielleicht alle hundert Jahre einmal geschieht. Ansonsten ist der Papst „grundsätzlich fehlbar“, wie jeder andere auch. Neben diesen „äußerst seltenen“ Kathedralentscheidungen, die der hochwürdige Herr offensichtlich mit einigen besonders außerordentlichen Akten des päpstlichen Lehramts gleichsetzt, gibt es noch die „Unfehlbarkeit des ordentlichen Lehramts der Kirche“, die aber nicht dem „Papst alleine“ zukommt, sondern nur ihrem „gesamten Lehrkörper (Papst und Bischöfe)“, wenn dieser „einmütig“, und zwar einmütig „nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit“, „eine Lehre als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt“.

Das ist die lefebvristische Lehre, nicht aber die katholische. Der Pater hätte nur beim „vielbelobigten Dogmatiker“ Heinrich nachlesen müssen, um das festzustellen. In dem auch von unserem Pater herangezogenen Band 2 von dessen Dogmatik lesen wir in § 89, betitelt „Von der Infallibilität im Allgemeinen“, „daß, wie die Lehrautorität, so auch das damit verknüpfte Charisma der Unfehlbarkeit den jeweiligen Trägern des kirchlichen Lehramtes, also in jeder Zeit dem zeitweiligen Papste und Episkopate eigen ist“ (S. 214), und das entgegen den „Kirche und Glauben radikal zerstörenden Irrtümern“ der Gallikaner, welche behaupteten, die Kirche könne zeitweilig irren, aber nicht auf Dauer. „Nur der lebende Papst, der lebende Episkopat ist eine lebendige Autorität“, betont Heinrich, „und darum handelt es sich, darauf kommt alles an. Wenn es dagegen gestattet wäre, jede Lehrentscheidung eines bestimmten gegenwärtigen Papstes oder eines bestimmten gegenwärtigen Konzils, unter dem Vorwande einer Abweichung von der Überlieferung der früheren Päpste und des früheren Episkopates und unter Berufung auf einen zukünftigen Papst oder ein zukünftiges Konzil oder auf die Geschichte, zu verwerfen, so wäre jede lebendige kirchliche Autorität, jede Sicherheit des Glaubens vernichtet und jenes Kirche und Christentum zersetzende System eingeführt, das wir oben … charakterisiert haben“ (ebd.). Jenes „Kirche und Christentum zersetzende System“ ist das der Altkatholiken.

12. Leider wandeln die Lefebvristen auf den Spuren jener „Kirche und Glauben radikal zerstörenden Irrtümer“ der Gallikaner und Altkatholiken, indem sie stets behaupten, nur eine Übereinstimmung „in Raum und Zeit“ garantiere die Unfehlbarkeit. In aller Regel zitieren sie dazu gerne den Kanon des heiligen Vinzenz von Lérins. Daß ihr System, das Lehramt von gestern oder morgen gegen das von heute auszuspielen, nicht funktionieren kann, zeigt Heinrich klar auf. Genaueres ist nachzulesen in der ausgezeichneten Arbeit von Anton Holzer über die katholische Glaubensregel und den Kanon des heiligen Vinzenz von Lérins (Wie weit ist es in der Nacht?).

Heinrich weiter: „Die auf Bewahrung, Verkündigung, Erklärung und Verteidigung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre gerichteten Akte sind aber verschiedener Art“ (S. 215). Sie sind entweder „gewöhnliche und ordentliche Akte des allgemeinen Magisteriums, oder es sind außerordentliche und förmliche Lehrentscheidungen oder Lehrdeklarationen“. „Mag nun das Lehramt in jener oder in dieser Weise eine Wahrheit als von Gott geoffenbarte und im kirchlichen Depositum enthaltene uns zu glauben vorstellen, in beiden Fällen ist es unfehlbar und sind wir zum Glauben verpflichtet“ (ebd.). Zum Subjekt oder Träger dieses Lehramts bemerkt Heinrich: „Es hat aber Christus seine Kirche und ihre Verfassung folgendermaßen gegründet. Aus denen, die auf sein Wort und durch den Zug seiner Gnade alles verließen und ihm nachfolgten, hat er zwölf Apostel ausgewählt; diesen hat er als Gehilfen die zweiundsiebzig Jünger beigesellt; über alle aber hat er den Petrus als obersten Hirten gesetzt und ihn dadurch zum Fundamente der Kirche gemacht. Dem entsprechend hat Christus die Fülle der geistlichen Gewalt sowohl auf Petrus als auf die Apostel übertragen, aber entsprechend ihrer Stellung in verschiedener Weise; nämlich dem Petrus als dem Oberhaupte der Kirche selbständig und in souveräner Weise, den Apostel aber gemeinsam und in Unterordnung unter Petrus. Die ordentliche Amtsgewalt Petri geht bis an das Ende der Zeiten auf seinen rechtmäßigen Nachfolger, den Papst, und die ordentliche Amtsgewalt der Apostel auf den Episkopat durch rechtmäßige Sukzession über“ (S. 246 f).

13. „Demgemäß gibt es in der Kirche nur Ein höchstes Lehr- und Richteramt, das dem Papste als dem einigen und höchsten Haupte der ganzen Kirche, dem Gesamtepiskopate aber nur in Vereinigung mit dem Papste und in Unterordnung unter ihn auf dem ökumenischen Konzil zusteht…“ (S. 247). Wenngleich Heinrich an dieser Stelle offensichtlich von den außerordentlichen Akten des Lehramts spricht, so gilt es doch ebenso für dessen ordentliche Akte, denn es gibt „nur Ein höchstes Lehr- und Richteramt“, nicht eines für außerordentliche Akte, das der Papst alleine übt, und eines für ordentliche Akte, die er nicht alleine üben kann, sondern nur der Gesamtepiskopat zusammen mit ihm. Beide Träger des universalen Lehramts der Kirche, sowohl der Papst allein als universaler Hirte als auch die universale Gesamtheit aller Hirten in Gemeinschaft mit dem Papst, können ihr Lehramt auf ordentliche Weise ausüben, was sie normalerweise täglich tun, oder auf außerordentliche Weise, was – wie der Begriff „außerordentlich“ bereits besagt – seltener vorkommt. In beiden Fällen sind sie unfehlbar, wenn sie uns „eine Wahrheit als von Gott geoffenbarte und im kirchlichen Depositum enthaltene zu glauben vorstellen“.

Nach dem Modell der Lefebvristen wäre das Lehramt vollständig entbehrlich. Den Papst brauchte man ohnehin nur für „äußerst seltene“ Momente, wenn feierliche dogmatische Entscheidungen anstehen, weshalb es eigentlich am sinnvollsten wäre, ihn entweder ganz abzuschaffen oder nur alle hundert Jahre bei Bedarf einen Papst zu wählen. Das Lehramt des Episkopats ist überflüssig, weil wir ohnehin nur das glauben, was „von der Kirche aller Zeiten als verbindlich zu glauben gelehrt wurde“. Das aber entnehmen wir selbständig der „Tradition“ und benötigen keine Bischöfe dafür. Und genauso benehmen sich die „Traditionalisten“ auch. Ihr angeblich von ihnen als solches anerkanntes „Lehramt“ schieben sie völlig beiseite, ignorieren es, kritisieren es, belehren es nach Belieben im Namen der „Tradition“. „Der Kirche die Tradition zurückbringen“, nennen sie das gerne.

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