Heilwasser
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Was ist für mich Vernunft?

Was ist für mich Vernunft?

Angesichts unterschiedlicher Auffassungen und Definitions-
versuche zur Vernunft, selbst unter den christlichen Philo-
sophen, möchte ich hier mal ein paar Zeilen über die Vernunft
wagen, von denen ich denke, dass sie so verkehrt nicht sein
können, doch wer in der Literatur der Kirchenväter etwas
Besseres findet, möge das selbstverständlich vorziehen.

Ich möchte mich derweil an den Eckpunkten orientieren,
die uns als sicheres tradiertes Wissen hinterlegt sind.

1.) Die christlichen Philosophen in Anlehnung an die grie-
chischen haben den Logos, das Wort Gottes, als die Vernunft
schlechthin erkannt und angenommen.
2.) Die Abstufung von der göttlichen Vernunft ist die
menschliche, um die es mir nun geht.

Was ist die menschliche Vernunft?

a) Die Lehre der Kirche sagt: Jeder Mensch hat ein natürli-
ches Licht der Vernunft. Das ist ein Eckpunkt, der festgehal-
ten werden muss! Dieses natürliche Licht ist per Naturgesetz
im Menschen eingeschrieben und könnte man sich so vor-
stellen, dass es vom Gewissen nach „oben“ ins Bewusstsein
steigt. Der Mensch wird durch das Gewissen daran erinnert,
was dem natürlichen Sittengesetz als vernünftig gilt. Und
diese vernünftigen Prinzipien sind im Urgewissen von Geburt
an vom Schöpfer angelegt. Die natürliche Vernunft stammt
nämlich vom Schöpfer und ist stets auf Ihn verwiesen, was
Augustinus in seinem berühmten Ausspruch durchblicken
lässt:

Geschaffen hast Du uns auf Dich hin, o Herr, und unruhig
ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir.“
Bekenntnisse 1,1


Diese heilige Unruhe, die eine Sehnsucht und Verwiesenheit
auf den Dreieinigen Gott ausdrückt, gibt zu erkennen, dass
die natürliche Vernunft schon die Glaubensfähigkeit, die
Transzendenzfähigkeit, in sich schließt, der Glaubensakt
muss dann noch mit dem Willen gesetzt werden, freiwillig.

Das kommt besonders dadurch zum Ausdruck, dass die
Gnade das natürliche Licht der Vernunft unterstützt und
erhebt. Das ist der nächste Eckpunkt.

b) Gratia supponit naturam (Thomas v. Aquin)

Das übernatürliche Licht der Vernunft stützt also das
natürliche dadurch, dass die Vernunftprinzipien von
Gott her noch einmal zusätztlich gnadenhaft, wie tröpf-
chenweise, in die Vernunftseele fließen. So wird die
menschliche Vernunft gestärkt und gefestigt von der
göttlichen Vernunft her. Helfend agiert dann noch
der hl. Schutzengel als Lichtbringer, der die ihm an-
vertraute menschliche Vernunftseele zusätzlich er-
leuchtet mit übernatürlichem Licht. Augustinus nennt
das einmal „die Stimme Gottes“ im Menschen (vox
Dei).

c) Augustinus: „Die Autorität verlangt Glauben und be-
reitet den Menschen auf die Vernunft vor. Die Vernunft
führt zur Einsicht und Erkenntnis.“


Wenn man diesen Satz, den Augustinus auf die Kirchen-
autorität bezieht, auf die Autorität Gottes in Eden bezieht,
entdeckt man Folgendes:

Gott verlangte Glauben von Adam und Eva, konkret den
Glaubensgehorsam, womit sie ihr Leben erhalten hätten
mitsamt all ihren präternatürlichen Gaben wie Wissen-
schaft und Integrität, die sie später nach der Verbannung
aus Eden nicht mehr besaßen. Im Unterschied zu den Er-
denmenschen der Kirchenzeit dürften in Adam und Eva
die Vernunftprinzipien in vollkommenem Maße angelegt
gewesen sein, nur eben der Glaubensgehorsam musste
abgeprüft werden, womit sie die Autorität Gottes und so-
mit die göttliche Vernunft hätten über sich anerkennen
sollen. Das wäre sehr verdienstvoll gewesen.

Was ist das Vernünftige schlechthin?

Unserem Herrn und Gott zu glauben und Ihm allein Ehr-
furcht und Gehorsam erweisen, denn Seine Vernunft ist
absolut.

Vernünftig ist es, auf das natürliche Gewissen, das übri-
gens gebildet werden muss in stetiger Ausrichtung auf
Gott hin, zu hören, auf den helfenden Schutzengel zu
hören, die Gnaden Gottes, darunter besonders die 7 Gaben
des Heiligen Geistes, zu erbeten und anzunehmen, um damit
nach allen Geboten und Prinzipien Gottes der Sitte, Ethik
und Moral handeln zu können.

Den Anfang bildet der übernatürliche Glaube, der in der
Taufe geschenkt wird, ohne den nichts Verdienstliches
getan werden kann und welcher mit der natürlich ange-
legten Transzendenzfähigkeit sozusagen kooperiert.

Das Allervernünftigste ist also, dem Logos, JESUS, nach-
zufolgen, d.h. Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus gan-
zer Seele, aus ganzem Gemüte und all unseren Kräften und
den Nächsten wie sich selbst. Darum sind dies die zwei
Hauptgebote Gottes, an denen alles andere, Gesetz und
Propheten, hängt.

Resümee:

Die Vernunft ist etwas natürlich Angelegtes, etwas weiter-
hin zu Vertiefendes – Stichwort Gewissensbildung – und
von Gott her übernatürlich Geschenktes. Der Logos hat
sich selbst geschenkt, damit unsere Vernunftseele von
Seiner Vernunft genährt wird.

Ich würde Glaube und Vernunft nie streng trennen. Viel-
mehr erhält die Vernunft durch den Glauben ihre Festig-
keit. Natur + Übernatur.

Da Vernunft nur in Bezug auf den Schöpfer und von Ihm
her existiert und Sinn macht, kann sie nur innerhalb christ-
lichen Glaubens und christlicher Philosophie wahre Ver-
nunft sein.

So meine Ansicht, die sich an den Eckpunkten der Kirchen-
lehre orientiert.

Bild: Die Wunder Jesu, der Vernunft,
annehmen, das ist vernünftig.

michael7
Natürlich kann man sagen: Gott ist absolut Vernunft (weil Er ja die absolute Wahrheit ist)!
Da "Vernunft" in der Regel aber eher als die Fähigkeit definiert wird, Wahrheit zu "vernehmen", ist sie streng begrifflich eher auf Seiten des endlichen Geistwesens (Engel oder Mensch) als eines Ebenbildes Gottes. Gott selbst aber ist die absolute Wahrheit, auf die unsere Vernunft und wir als Vernunftwesen …Mehr
Natürlich kann man sagen: Gott ist absolut Vernunft (weil Er ja die absolute Wahrheit ist)!
Da "Vernunft" in der Regel aber eher als die Fähigkeit definiert wird, Wahrheit zu "vernehmen", ist sie streng begrifflich eher auf Seiten des endlichen Geistwesens (Engel oder Mensch) als eines Ebenbildes Gottes. Gott selbst aber ist die absolute Wahrheit, auf die unsere Vernunft und wir als Vernunftwesen und Geschöpfe, auch wenn wir das zu leugnen versuchen wollten, doch immer bezogen sind!
😇 🤗
michael7
"Das Allervernünftigste ist also, dem Logos, JESUS, nach-
zufolgen, d.h. Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus gan-
zer Seele, aus ganzem Gemüte und all unseren Kräften und
den Nächsten wie sich selbst
."
Ja, die vollkommene Verwirklichung der Gebote Gottes (der Liebe) ist letztlich auch vollkommene Verwirklichung der Vernunft!
Die Vernunft wurde uns zu diesem Zweck ja gegeben, um Gott und Seine …Mehr
"Das Allervernünftigste ist also, dem Logos, JESUS, nach-
zufolgen, d.h. Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus gan-
zer Seele, aus ganzem Gemüte und all unseren Kräften und

den Nächsten wie sich selbst
."

Ja, die vollkommene Verwirklichung der Gebote Gottes (der Liebe) ist letztlich auch vollkommene Verwirklichung der Vernunft!
Die Vernunft wurde uns zu diesem Zweck ja gegeben, um Gott und Seine Gebote zu erkennen und mit unserer Freiheit vernunftgemäß (in Liebe zur Wahrheit) darauf zu antworten!
👍 😇
Ein weiterer Kommentar von michael7
michael7
Schöne 👏 👍 🤗 Darstellung!
Zweihundert
„Darum setzt allen Eifer daran, mit eurem Glauben die Tugend zu verbinden, mit der Tugend die Erkenntnis, mit der Erkenntnis die Selbstbeherrschung, mit der Selbstbeherrschung die Ausdauer, mit der Ausdauer die Frömmigkeit, mit der Frömmigkeit die Brüderlichkeit und mit der Brüderlichkeit die Liebe. Wenn dies alles bei euch vorhanden ist und wächst, dann nimmt es euch die Trägheit und Unfruchtbarkeit …Mehr
„Darum setzt allen Eifer daran, mit eurem Glauben die Tugend zu verbinden, mit der Tugend die Erkenntnis, mit der Erkenntnis die Selbstbeherrschung, mit der Selbstbeherrschung die Ausdauer, mit der Ausdauer die Frömmigkeit, mit der Frömmigkeit die Brüderlichkeit und mit der Brüderlichkeit die Liebe. Wenn dies alles bei euch vorhanden ist und wächst, dann nimmt es euch die Trägheit und Unfruchtbarkeit, sodass ihr Jesus Christus, unseren Herrn, immer tiefer erkennt.“
2 Petr 1,5–8 www.bibleserver.com/EU/2.Petrus1
Zweihundert
„Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13 www.bibleserver.com/EU/1.Korinther13).
Zweihundert
Ein weiterer Kommentar von Zweihundert
Zweihundert
Auf Papst Gregor den Großen (540–604) geht der traditionelle Kanon der sieben Tugenden zurück, indem er drei göttlichen Tugenden Glaube (fides), Liebe (caritas) und Hoffnung (spes) den antiken platonischen Kardinaltugenden Klugheit (prudentia), Gerechtigkeit (iustitia), Tapferkeit (fortitudo) und Mäßigung (temperantia) zurechnete.
de.wikipedia.org/wiki/Theologische_TugendenMehr
Auf Papst Gregor den Großen (540–604) geht der traditionelle Kanon der sieben Tugenden zurück, indem er drei göttlichen Tugenden Glaube (fides), Liebe (caritas) und Hoffnung (spes) den antiken platonischen Kardinaltugenden Klugheit (prudentia), Gerechtigkeit (iustitia), Tapferkeit (fortitudo) und Mäßigung (temperantia) zurechnete.

de.wikipedia.org/wiki/Theologische_Tugenden
michael7
Bei den vier Kardinaltugenden gibt es auch verschiedene Zugänge dazu, was eigentlich die alles bestimmende Tugend sein sollte.
Manche sagen, der Intellekt (die Klugheit) sollte alle Tugend leiten.
Wenn man "Intellekt" im umfassenden Sinn versteht, dann ist damit nicht nur die theoretische Vernunft (welche von einem "beobachtenden" Standpunkt ausgeht und letzlich nur das theoretische, zuschauende …Mehr
Bei den vier Kardinaltugenden gibt es auch verschiedene Zugänge dazu, was eigentlich die alles bestimmende Tugend sein sollte.
Manche sagen, der Intellekt (die Klugheit) sollte alle Tugend leiten.

Wenn man "Intellekt" im umfassenden Sinn versteht, dann ist damit nicht nur die theoretische Vernunft (welche von einem "beobachtenden" Standpunkt ausgeht und letzlich nur das theoretische, zuschauende "Sein", aber nicht das "Sollen" im Blickfeld hat - ein bei Heiden, z.B. Aristoteles, und Atheisten beliebter Ansatz), sondern auch die "praktische Vernunft" gemeint (die sich auf das Sollen und die Gebote Gottes für unser Handeln bezieht).

In diesem umfassenden Verständnis von "Intellekt" ist die Aussage natürlich richtig, dass alle Tugenden vom "Intellekt geleitet sein müssen!

Intellekt (oder "Klugheit") im engeren Sinn ist aber für sich allein noch keine sittliche Tugend, sondern kann sogar gegen wahre Sittlichkeit eingesetzt werden.
Die eigentlich sittliche Tugend, der die anderen Grund-Tugenden unterworfen werden müssen (Stärke, Maß, Klugheit) und ohne welche sie auch "unsittlich" ausgeübt werden können, ist die Gerechtigkeit (d.h. die "praktische Vernunft")!
"Gerechtigkeit" ist aus sich heraus immer schon sittlich, letztlich die Tugend, durch welche die Klugheit, die Tapferkeit oder Stärke und die Mäßigkeit (also alle anderen Grund-Tugenden) erst wirklich tugendhaft werden!

😇 🤗
Nicht umsonst betont die Heilige Schrift immer vor allem, wenn sie etwas Gutes über einen Menschen aussagen will, dass er "gerecht" war, weil "klug, maßvoll, stark oder tapfer" nicht aus sich allein schon unbedingt im sittlichen Sinn "tugendhaft" sein muß, da auch unsittliche Taten mit Klugheit, Maß oder Tapferkeit begangen werden können!
M.RAPHAEL
Sehr gut und vielen Dank, @Heilwasser und @michael7.
michael7
👏 Gut zusammengefasst!
Die übernatürliche Offenbarung baut auf der natürlichen Erkenntnismöglichkeit und damit auf einer schon natürlich erkennbaren Offenbarung Gottes auf (der ja nach dem 1. Vatikanischen Konzil aus dem, was geschaffen ist, schon mit dem natürlichen Licht der Venunft erkannt werden kann, vgl. Röm. 1, 20: "Denn was von Gott erkennbar ist, das ist ihnen offenbar... Lässt sich …Mehr
👏 Gut zusammengefasst!
Die übernatürliche Offenbarung baut auf der natürlichen Erkenntnismöglichkeit und damit auf einer schon natürlich erkennbaren Offenbarung Gottes auf (der ja nach dem 1. Vatikanischen Konzil aus dem, was geschaffen ist, schon mit dem natürlichen Licht der Venunft erkannt werden kann, vgl. Röm. 1, 20: "Denn was von Gott erkennbar ist, das ist ihnen offenbar... Lässt sich doch Sein unsichtbares Wesen ... durch Seine Werke mit dem Auge des Geistes wahrnehmen", und Röm. 2,14f: " ... die Heiden ... zeigen, dass der Kern des Gesetzes in ihr Herz geschrieben ist. Ihr Gewissen bezeugt es ihnen ...".

D.h. wäre die Natur des Menschen nach der Ursünde total verdorben, wie es die "Reformatoren" behaupteten, dann könnte der Mensch mit dem natürlichen Licht der Vernunft Gott nicht mehr erkennen, er wäre total von Ihm getrennt, total verdorben!
Die katholische Lehre sagt dagegen richtig: Die Menschennatur ist zwar nach der Sünde Adams geschwächt, aber der Mensch bleibt Ebenbild Gottes und damit immer auf Gott und Seine Wahrheit bezogen!
Die Übernatur setzt die Natur voraus: Ohne die grundsätzliche natürliche Erkenntnismöglichkeit wäre eine übernatürliche Offenbarung Gottes an den Menschen gar nicht mehr möglich!
Insofern ist das katholische Bild des Menschen und seiner Vernunft realistisch und positiv, das protestantische (und auch das modernistische!) Bild aber nur Pessimismus. Protestantischer "Glaube" bedeutet letztlich "Finsternis", im katholischen Sinn ist der Glaube Licht, das vom übernatürlichen Licht des Heiligen Geistes ausgeht, der uns zu neuen Menschen und wahren Kindern Gottes macht (was die Protestanten ablehnen, nach ihnen bleiben wir notwendig Sünder und auch nach der Taufe fern von Gott! Unsere Sünden sind nach ihnen nur "zugedeckt", wir können auch nach Jesus Christus nicht mehr wirklich "Kinder Gottes" werden! 😲 ).
🤗 😇
Heilwasser
Augustinus: „Die Autorität verlangt Glauben und be-
reitet den Menschen auf die Vernunft vor. Die Vernunft
führt zur Einsicht und Erkenntnis.“