Jiménez de Cisneros
707

Der Kampf um die aktive Teilnahme an der Liturgie nach dem Konzil von Trient

Der Kampf um die aktive Teilnahme an der Liturgie nach dem Konzil von Trient

Wie haben wir uns die Jahrhunderte nach dem Trienter Konzil bis zum heute offiziell angenommenen Beginn der liturgischen Bewegung im Jahre 1841 mit Dom Guéranger vorzustellen?
Meine Antwort wird vielleicht manchen überraschen: Wir stellen fest, daß schon früh der Wunsch zu einer bewußten Teilnahme an der Liturgie bei den Menschen vorhanden war. Und daß sich bedeutende Priesterpersönlichkeiten fanden, die den Gläubigen das Tor zum Geiste, die Liturgie, öffneten: Trotz großer politischer Wirren erschien bereits 1660 die komplette Übersetzung des tridentinischen Meßbuchs mit Erläuterungen! Weitere – noch umfassendere - Veröffentlichungen sollten folgen.

Der vorliegende Artikel möchte einige dieser Priester aus dem 17. und 18. Jahrhundert vorstellen.

Nicolas Le Tourneux

Wir werden beginnen mit dem zweisprachigen Meßbuch des Joseph de Voysin, dann kommen wir zum Meßbuch von Nicolas Le Tourneux , schließlich das zweisprachige Meßbuch von Pater Griffet.

Grafik Meßbuch von Griffet (Bildquelle siehe unten)

Das tridentinische Meßbuch des Priesters Joseph de Voisin.

Im Jahre 1660 gibt Josephus de Voysin ein bedeutendes Werk heraus.
Dessen Titel lautet:

„Das römische Meßbuch nach den Vorgaben des Konzils von Trient, auf französisch übersetzt, mit der Erklärung aller Messen und der Zeremonien für alle Tage des Jahrs.“ „Messel romain, selon le règlement du Concile de Trente, traduit en françois avec l'explication de toutes les messes et de leurs cérémonies pour tous les jours de l'année..."

– Ein fünfbändiges Werk. Josephus de Voysin ist Geistlicher von Armand de Bourbon, prince de Conti (aumonier). Er wird oft als Dr. Voisin von der Sorbonne dargestellt, was ja auch stimmt, was aber verdeckt, daß es sich um einen hochgestellten Priester handelt. Unten ein Link zu den Werken dieses bedeutenden Geistlichen.[i]

Grafik Meßbuch von Griffet: Proprium sanctorum

Im Jahre 1660 liegt mit diesem Werk eine vollständige Übersetzung des römischen Meßbuchs in die Landessprache vor! 1660, also 240 Jahre vor Papst Pius‘ X. Motu proprio über die Participatio activa in der Liturgie ist dieses Projekt bereits durchgeführt. Das fünfbändige Werk wurde sachkundig erstellt und veröffentlicht. Und gekauft. Denn es gab schon damals viele Interessenten dafür.
Was bedeutet das? Etwas wirklich Beeindruckendes, nämlich:
Das 16-bändige Année liturgique des Dom Guéranger, die – im Gegensatz zum Année liturgique –vollständige Übersetzung der tridentinischen Meßbuchs mit Meßordinarium inclusive Canon mit Erläuterungen, liegt 200 Jahre vor Dom Guéranger schon vor. Und vollständig übersetzt. Bischof Bernard de Chartres‘ Satz von den „Zwergen auf den Schultern von Riesen sitzend“ trifft hier zu:[ii] „Bernhard von Chartres sagte, wir seien wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können – freilich nicht wegen unserer eigenen scharfen Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen uns erhebt.“ In Josephus de Voysin haben wir einen solchen Riesen, auf dessen Schulter Dom Guéranger 200 Jahre später sitzen wird. Siehe dazu: Prosper Guérangers „Liturgisches Jahr“ - Dreihundert Jahre vor Vatikan II ! Ein drittel Jahrtausend!

Allerdings ist die Lage der französischen Kirche im Jahre 1660 nicht so, daß sie diese Großleistung ihres Priesters würdigen könnte: der Zeitpunkt für eine solche Veröffentlichung ist ein denkbar schlechter.
Die französischen Diözesen haben nämlich 1660 das tridentinische Meßbuch, das Voysin präsentiert, noch gar nicht eingeführt. Sie werden das auch in den folgenden 180 Jahren nicht tun.
Fast alle Diözesen verwenden weiterhin ihre alten gallikanischen Meßbücher mit starken Eigenteilen der Bistümer. Die gängige Vorstellung, daß nach dem Tridentinum die ganze katholische Kirche weltweit freudig ihre alten Meßbücher weggeworfen hätte und das neue Meßbuch übernommen hätte, entspricht nicht der Realität.
Die Veröffentlichung des römischen tridentinischen Meßbuchs mit der Landessprache durch Dr. Voisin brachte die französische katholische Kirche in Verlegenheit: sie machte es den Leuten möglich, zu verstehen: In den Bistümern wird keine römische, dh. tridentinische Messe gelesen!
Ein großes Problem.
Was sollen die Bischöfe denn den Leuten sagen, wenn Meßbesucher sie fragen, warum keine römische tridentinische Messe gelesen wird? Es war eine regelrechte Zeitbombe, die hochzugehen drohte. Und der Wille, die römische Messe nun rasch zu übernehmen, bestand auch nicht. Im Gegenteil.
Es gab nur eine Lösung: Das Meßbuch des Dr. Voisin mußte verschwinden. Dann können die Leute die Unterschiede nicht mehr feststellen.
Als offiziellen Grund können die französischen Bischöfe aber diesen Sachverhalt nicht nennen – denn damit würden sie sich selbst anklagen. Sie können nicht sagen: Da kommt raus, daß wir nicht die römische tridentinische Messe lesen, sondern unsere eigene französische, die gallikanische.
Also mußte eine andere Begründung her und die wurde auch gefunden: Es wurde gemunkelt (ohne Belege zu nennen), daß Dr. Voisins Meßbuch-Übersetzung häretische Gedanken der gefährlichen Sekte der Jansenisten verbreite. (Das allerdings könnte ja nur in Voysins Erläuterungen vorkommen und man hätte dann diese Punkte nennen können. Was nicht geschah und wodurch dieser Vorwurf unglaubwürdig wird.)
Daß die gesamte französische Kirche in Lebensgefahr geriete, wenn diese jansenistische Irrlehre sich über das Meßbuch des Dr. Voisin verbreite. Und dazu wurde als weiteres Argument genannt, daß die Mysterien und die Spiritualität des Meßbuchs zerstört würden, indem man es durch die Verwendung der Landessprache „vulgarisiert“ (in vulgärer = LandesSprache wiedergibt).
Papst Alexander wurde dramatisch alarmiert: Die französische Kirche ist wegen der Meßbuch-Übersetzung Voysins in Lebensgefahr. Bitte um eine rasche deutliche Verdammung dieses Meßbuchs.
Papst Alexander VII. prüft das Werk und er und seine Mitarbeiter können wohl keinen Jansenismus darin finden. Verurteilt aber muß werden, denn die Kirche ist offenbar in Gefahr.
Papst Alexander VII. schreibt denn in einem Breve die gewünschte scharfe Verurteilung, die sich nur auf ein Verbot der Landessprache in der Messe stützt:

„Es ist uns zu Ohren gekommen und wir haben mit großem Schmerz erfahren müssen, daß im Königreich Frankreich einige Söhne der Verderbnis, die an Neuerungen zur Verderbnis der Seelen interessiert sind, unter Mißachtung der Regeln und der Praxis der Kirche, in ihrer Tollkühnheit so weit gegangen sind, das Römische Meßbuch, das bis jetzt dem seit Jahrhunderten bewährten Gebrauch folgend in lateinischer Sprache geschrieben war, in die französische Sprache zu übersetzen. Nachdem sie es übersetzt hatten, haben sie es gewagt, es durch die Druckerpresse zu veröffentlichen und sie verschafften damit Personen jeden Ranges und Geschlechts Zugang zu dem Meßbuch. Dadurch haben sie den frechen Versuch unternommen, die heiligsten Riten zu erniedrigen, indem sie die Majestät, die ihnen die lateinische Sprache gibt, entwürdigen und indem sie die Würde der göttlichen Mysterien den Augen des Vulgären darbieten.
Wir (…) hassen und verabscheuen diese Neuheit, die die ewige Schönheit der Kirche entstellen würde und die leicht Ungehorsam, Frechheit, Kühnheit, Aufstand, Schisma und mehrere andere Unglücke hervorbringen könnte.
Aus unserer eigenen Überzeugung, aus unserer sicheren Wissenschaft und reiflicher Überlegung heraus verurteilen wir und mißbilligen wir das obengenannte ins Französische übersetzte Meßbuch und verbieten allen Christgläubigen es zu drucken, zu lesen oder aufzubewahren unter der Strafe der Exkommunikation.
Ich befehle allen Gläubigen den Ordinarien oder Inquisitoren, die Exemplare, die sie haben oder noch erhalten werden, auszuhändigen, damit diese sie unverzüglich ins Feuer werfen lassen.“


Meine Bewertung des Breves von Papst Alexander:

1. Papst Alexanders Darstellung der Sakralität der lateinischen Kirchensprache als Wesenselement der Liturgie teile ich auch voller Respekt. In beeindruckenden Worten dargestellt. Die Sprache der heiligen Liturgie ist Lateinisch und sie ist eine Priesterliturgie - kein Gemeinde-Event.

2. Papst Alexanders Annahme, daß die Liturgie mit der Übersetzung in die Landessprache „entwürdigt“ wäre, „indem sie die Würde der göttlichen Mysterien den Augen des Vulgären darbieten“ teile ich nicht. Er sagt damit, daß, wenn ein „Vulgärer“ zum Beispiel den Segensspruch „Dominus vobiscum“ oder Meßgebete oder das Evangelium auch nur versteht, daß damit die göttlichen Mysterien entwürdigt seien. Dieser Standpunkt hat einerseits seine tiefe Berechtigung im Sinne dessen, daß man "Die Perlen nicht vor die Säue werfen" darf und war wohl zu dieser Zeit in dieser komplexen und speziellen Situation der richtige. Das Thema ist damit aber noch nicht erschöpft- und das haben ja dann Geistliche und Päpste der letzten Jahrhunderte weitergeführt. Hier ist nicht der Ort um das Thema zu vertiefen - es sei nur darauf hingewiesen, daß kurz vor Josephus de Voysins Verurteilung die kirchliche Verurteilung einer Ausgabe der Bibel in Landessprache stattfand - wegen Entwürdigung der heiligen Texte, wenn Vulgäre diese zur Kenntnis nehmen können. Und wegen Jansenismus.

3. Papst Alexander erläutert, wen er mit den „Vulgären“ (zu deutsch: die Gewöhnlichen) meint: Landessprachliche Übersetzungen der Messe dürfen nicht erstellt werden, denn „… sie verschafften damit Personen jeden Ranges und Geschlechts Zugang zu dem Meßbuch“. Rang bedeutet: auch Bauern und Arbeiter; Geschlecht bedeutet: auch Frauen. Die Heiligkeit des Meßbuchs wird laut Papst Alexander entwürdigt, wenn Frauen, Handwerker oder gar Bauern das Dominus vobiscum zum Beispiel verstehen.

4. Er unterstellt, daß allein durch die gedankliche verstehende Teilnahme der Bauern oder Frauen an einem Meßgebet das Sakrale entwürdigt wird.

5. Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, daß das Verstehen der liturgischen Texte, nur eine Hilfe sein kann, um die sakralen lateinischen mitzubeten.

6. Das Verbot des Werks erfolgt also allein wegen der Verwendung der Landessprache, der französischen Sprache.

Mein Urteil: Das Breve von Papst Alexander ist eine Rettungsaktion für die französischen Bischöfe, die dringend um eine Verurteilung des Werks von Josephus de Voysin bitten. Die Macht, die französische Kirche zum römischen Meßbuch zu bringen hat Papst Alexander nicht. Jansenistische Häresien können offenbar nicht gefunden werden, also bleibt nur das sprachliche Argument übrig. Das Breve Papst Alexanders war insofern eine politische Rettungsaktion, bewertet man es außerhalb der spezifischen Notlage, für die es gegeben wurde, kann es keinen absoluten Güktigkeitsanspruch erheben. Und das haben spätere Päpste ja auch präzisisiert.

Nach dem Breve wurde Dr. Voisins fünfbändige französische Übersetzung des Meßbuchs aus dem Verkehr gezogen.
Es durften keine weiteren Auflagen gedruckt werden, und die schon verkauften durften nicht in der Messe benutzt werden. Man sollte sie sogar abliefern.
Das erste Ziel der französischen Bischöfe war damit jedenfalls erreicht: Keiner konnte die Messen vergleichen. Übrigens erst mit Dom Guéranger sollte nach 1841 das tridentinische Meßbuch durchgehend eingeführt werden: Er entdeckte gegen 1839 zu seinem großen Erstaunen, daß in Frankreich ja gar keine tridentinischen, also römischen Messen gelesen werden und kämpfte für deren Einführung in Frankreich. Ich wiederhole: 1839!

War damit die Übersetzung des Meßbuchs verboten? Meßbücher für Konvertiten.

Wir erfahren von dem in Frankreich sehr einflußreichen Bischof Bossuet, daß das Breve des Papstes bei Bedarf problemlos beiseite gelegt wurde. Sehr seriös und mit gewichtigen Argumenten wurde es als ungültig erklärt. Siehe unten. [iii]

Landessprachlich übersetzte Meßbücher für protestantische Konvertiten

Übersetzungen des Meßbuchs waren durchaus gerne gesehen, wenn es ins politische Bild passte: Bischof Bossuet berichtet, daß, als Ludwig XIV. das Edikt von Nantes im Edikt von Fontainebleau widerrufen hatte, die Rückkehr vieler Tausender Protestanten in die katholische Kirche organisiert werden mußte. Die französischen Bischöfe beschlossen deshalb, den eintretenden protestantischen Neu-Katholiken ein auf französisch übersetztes römisches Meßbuch zu überreichen, um ihnen die Orientierung in der katholischen Kirche zu erleichtern und bei den Konvertiten mit der Messe nicht den Eindruck des Obskurantismus zu erwecken, der in protestantischen Kreisen bezüglich katholischer Liturgie verbreitet war.
Dazu wurden große Mengen des auf französisch übersetzten Meßbuchs für die Konvertiten gedruckt. Und Josephus von Voisins Projekt war in gekürzter Form wieder am Leben.

Das geschah 1685, also 24 Jahre nach dem Breve Papst Alexanders VII.. Unter Ludwig XIV. Und das war völlig in Ordnung so. 1685 findet also die zweite große Welle von Ausgaben des ins französische übersetzten tridentinischen Meßbuchs statt. Diesmal durch die französischen Bischöfe. Die die Übersetzung in die Landessprache völlig in Ordnung finden – für Konvertiten.

Nicolas Le Tourneux

Ebenfalls ab 1685 veröffentlichte der Priester Nicolas Letourneux seine zweisprachige (lateinisch-französische) Ausgabe der Liturgie: Von seinem Hauptwerk sind 11 Bände erschienen[iv]:
« Das christliche Jahr, enthaltend die Messen der Sonntage, Wochentage und Feiertage des ganzen Jahres. Auf Lateinisch und Französisch. Mit der Erklärung der Episteln und der Evangelien und einem kurzen Abriß des Lebens der Heiligen, deren Offizien man feiert.“ Paris, Chez Helie Josset, 1685-1694

Nicolas Le Tourneux

Ein bedeutendes Werk !
Nicolas Letourneux liefert hiermit ab 1685 zweisprachig die Messen des liturgischen Jahres! Vollständig und komplett übersetzt! Alles übersetzt. Mit Erklärungen.
Das ist das zweisprachige römische Meßbuch mit ausführlichen Erklärungen!
Der informierte Leser erkennt: Auch hier schöpfte Dom Guéranger seine Idee zu seinem Année liturgique – das ca. 200 Jahre später (sic!) von 1841 bis 1900 in 16 Bänden entstand. Und nicht alles übersetzen durfte. Letourneux – wieder ein solcher Riese, auf dem 160 Jahre später der Zwerg Dom Guéranger sitzen wird. Und viele nach ihm, die sich zum Teil gar nicht bewußt sein werden, daß sie auf der Schulter eines Riesen sitzen.
Eine Besonderheit bei diesem Werk ist, daß Letourneux die komplette lateinisch-französische Übersetzung des Meß-Ordinariums – also der gleichbleibenden Grundtexte der Messe (Opfer, Wandlung etc) - an den Anfang eines jeden Bandes stellte. Was bedeutet, daß man zu jeder Zeit des Kirchenjahres in der Messe mitbeten konnte, indem man zu dem Meßordinarium die jahreszeitlich veränderlichen Gebete auf der entsprechenden Seite des aktuellen Bandes hinzufügte.
Die Erläuterung der Episteln und des Evangeliums des jeweiligen Tags:
Es besteht ein tiefer spiritueller Zusammenhang zwischen der Epistel eines Tages und dem folgenden Evangelium: Die Epistel führt in ein vertieftes Verstehen des folgenden Evangeliums ein. Zum Beispiel spricht in der Epistel einer Marienmesse die heilige Sapientia davon, wie sie bereits vor Beginn der Schöpfung zugegen war bei Gott. Es ist die Rede von der Mutter Gottes. Wenn danach das Evangelium zur Empfängnis Mariens gelesen wird, dann geben die Worte der Epistel ein wahres Verständnis der Mutter Gottes. Die jeweilige Epistel erschließt den vertieften Zugang zur folgenden Evangelienstelle.
Le Tourneux hat mit diesem Ansatz der täglichen Meßerklärungen eine wichtige Wirkstelle der Messen ins verstehende Mitbeten der Menschen gebracht.

„Das christliche Jahr“ – die Messen in 11 Bänden
Letourneux hat uns mit seinen 11 Bänden der Messen des Jahres ein großes geistiges Geschenk überreicht. Ein bedeutendes Werk.
Und: Erste große Überraschung:
Das Werk wird vom Heiligen Stuhl 1688 auf den Index gesetzt.
Zweite große Überraschung: dabei: es liegt uns keine Begründung des Heiligen Stuhles vor! Basierte das Verbot auf dem Breve Papst Alexanders? Oder auf behaupteten jansenistischen Tendenzen? Soweit mir dies die Datenlage erlaubt, hat Letourneux aber dahingehende Vorwürfe überzeugend widerlegt.
Der wahre Grund des Verbots: Die französischen Diözesen hatten immer noch keine Anstalten gemacht, das römische tridentinische Meßbuch einzuführen. 1688. Wir haben die gleiche Situation wie schon bei Josephus de Voysin – nur 27 Jahre später: Mit dem tridentinischen zweisprachigen Meßuch Letourneux‘ in der Hand hätten die Kirchenbesucher erkannt, daß hier keine römische Messe gefeiert wird. Also mußte das Werk aus dem Verkehr gezogen werden.

Letourneux lieferte des weiteren eine zweisprachige Fassung der Heiligen Woche (1673)[v] – ebenfalls etwas sehr Wichtiges für das Miterleben des Osterfestes.
Wunder über Wunder: Diese Veröffentlichung erhielt keine kirchliche Verurteilung. Somit konnten die Gläubigen mit dem Buch in die OsterOffizien, in die Messen gehen und alles mitbeten. Inclusive Canon, Konsekrationsworte etc. Bis heute ein wichtiges Werk, das die Teilnahme zum Beispiel der drei Tenebrae-Offizien der heiligen Woche erlaubt. Der Gründonnerstagsmesse etc.

Die zweisprachige Ausgabe des Breviers, 1687

Dann gab Letourneux eine zweisprachige Ausgabe des Breviers heraus: "Bréviaire Romain en latin et français" (4 volumes, Paris, 1687). Diese vierbändige Ausgabe entspricht der römischen: Die römischen und monastischen Brevierausgaben waren und sind immer vierbändig – ein Band für jede Jahreszeit.
Von Rom kam keine Kritik. Wir dürfen es also weltweit benutzen … Allerdings nicht in Frankreich:
Letourneux‘ Brevier wurde in Frankreich durch bischöfliche Autorität verurteilt – wegen jansenistischer Tendenzen in den Erklärungen. Nicht wegen der Übersetzung. Die geht in Ordnung. Das vulgäre Landessprachliche ist inzwischen kein Grund für ein Verbot.
Die Vorwürfe sind nicht glaubwürdig. Wie gesagt: Kein Einspruch aus Rom gegen das Brevier. Und dort hätte man Jansenismus-Tendenzen erkannt.
Ich habe den Verdacht, daß wir hier dasselbe Problem haben, wie bei dem tridentinischen Meßbuch Letourneux‘: Die französischen Diözesen benutzen gallikanische Eigenbreviere und sind auch hier nicht bereit, das Tridentinum zu akzeptieren. Und Letourneux‘ Brevier ist das „römische“ (=tridentinische) Brevier. Das in Frankreich nicht erlaubt ist.

Im Kampf für eine bewußte Teilnahme der Gläubigen in der Liturgie, einer Participatio activa, ist Letourneux wohl der bedeutendste Priester der Kirchengeschichte. Ein wahrer Geistesriese.
Alle seine wahren Nachfolger, die Zwerge, die auf seinen Schultern sitzen werden, waren bestrebt, wie er drei Teile der Liturgie zu veröffentlichen, nämlich:

1.eine vollständige zweisprachige Ausgabe des Meßbuchs im Jahreslauf,
2.die zweisprachige Liturgie der Osterwoche und
3.die zweisprachige Ausgabe des Breviers zu liefern.

Diese drei Elemente finden sich bei allen seinen Nachfolgern – auf die verschiedenste Art dargeboten. Bei Dom Guéranger, bei Moufang, bei Heinrich, bei Pachtler, bei Schott.

Alle Nachfolger, die nicht diese drei Elemente verbreiten, gehen hinter Le Tourneux‘ liturgische Errungenschaft zurück und reduzieren das bereits Erreichte wieder. Es handelt sich bei manchen um „Scheinkämpfer“ des Lichts, die in Wirklichkeit die Mission haben, den Auftrag der „Participatio activa“ zu unterminieren. Die Verhältnisse sind komplex und man darf nicht in den Irrtum verfallen, daß geheimdienstliche Täuschungsmethoden hier im Innerkirchlichen nicht zur Anwendung kämen. Ganz im Gegenteil.

Ein dritter bedeutender priesterlicher Kämpfer für die bewußte Teilnahme an der Liturgie ist der Jesuit Pater Griffet.
Pater Griffet veröffentlichte 1847 sein Werk „Das christliche Jahr, beinhaltend die Instruktionen über die Mysterien und die Feste. Mit dem Abriss des Lebens eines Heiligen für jeden Tag des Jahres.“[vi]

Das Werk (Quellen siehe unten)[vii]

Dieses Werk des Jesuiten Griffet wurde zu einer allgemein anerkannten Basis des liturgischen Lebens der Gläubigen.

Titelblatt (Quellen siehe unten)[viii]

Pater Griffet umging das Problem der Übersetzung des Meßordinariums, und setzte anstelle fromme Übungen an den Anfang seines Werks.

Ecercice de piété

Ein Beispiel: Wenn im Canon die Wandlung des Brotes und des Weines stattfindet, beschäftige sich der Gläubige mit dem hier wiedergegebenen Gebet.

Ecercice de piété, Wandlung

Der dichte Kern des vielbändigen Werks sind die Heiligenfeste des Proprium Sanctorum: Ein Band für jeden Monat.

Année du chrétien: ab 1.12.

Pater Griffet gibt jeweils eine einführende Erklärung. Darauf folgen die latein-landessprachlichen veränderlichen Gebete und Lesungen des jeweiligen Tages.
Sehr genau und sehr vollständig gibt er jedes Gebet zweisprachig wieder.
Was die Lesung der Epistel und des Evangeliums anbelangt, so folgt er hier der gleichen Methode wie Letourneux:
Auch Griffet beschreibt den tiefen spirituellen Zusammenhang zwischen der Epistel eines Tages und dem folgenden Evangelium: Die Epistel führt in ein vertieftes Verstehen des folgenden Evangeliums ein. Zum Beispiel spricht in der Epistel einer Marienmesse die heilige Sapientia davon, wie sie bereits vor Beginn der Schöpfung zugegen war bei Gott. Es ist die Rede von der Mutter Gottes. Wenn danach das Evangelium zur Empfängnis Mariens gelesen wird, dann geben die Worte der Epistel ein wahres Verständnis der Mutter Gottes. Die jeweilige Epistel erschließt den vertieften Zugang zur folgenden Evangelienstelle.

Epistel und Evangelium

Année du chrétien: ab 1.12.

Griffet gibt mit diesen Bänden den Gläubigen die Möglichkeit in die Hand, alle Heiligenfeste des Jahres verstehend mitzubeten.
Hier als Beispiel die Unbefleckte Empfängnis am 8. Dezember:

Introitus 126 bis 146

Graduale

Offertorium, Sekret

Communion, Postcommunion

Griffet schuf mit diesem Werk ein Handbuch, das von unzähligen Gläubigen bis heute noch verwendet wird. Seine zweisprachige Darstellung der veränderlichen Gebete fand allgemeine Zustimmung.

Das hörbare Sprechen des Canons im Meßbuch von Meaux 1708

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts kommt diese Frage wieder auf: Wie ist der Canon zu sprechen?
Hinter dieser Frage steht die Participatio activa: Dürfen die Gläubigen verstehen und gar mitbeten, was der Priester im Canon spricht?
Noch 1608 hatte der Bischof von Séez jedem Priester, der den Canon laut spricht, die Suspendierung angedroht.
Anders sah das François Ledieu im Jahre 1708. Er war Kanoniker der Kathedrale von Meaux und mit der Erstellung des neuen Meßbuchs von Meaux beauftragt. Er erlaubte sich in Eigeninitiative ein „Amen“ nach den Formeln der Konsekration und der Kommunion zu setzen. Davor setzte er in Rot das R-Antwortzeichen als Rubrik. Dasselbe „R“ setzte er vor alle „Amen“, die im Canon vorkommen. Das Volk oder zumindest die Kleriker mußten nun laut mit „Amen“ antworten – das aber bedeutete, daß der Priester laut sprechen mußte, damit das Volk/die Kleriker ihre Einsatzstelle hören konnten.
In der Diözese Meaux wurde so der Canon mit Einführung des neuen Meßbuchs von den Priestern laut gesprochen. Ein geschickter Kunstgriff hat dafür gesorgt.
Die Änderung erregte Kritik und die Reform mußte zurückgenommen werden: Bischof de Bissy verbot 1710 die weitere Verwendung des neuen „Missel de Meaux“ (Missale von Meaux). 1710 ist mindestens ein Jahr nach 1708 - solange wurde der Canon on der Diözese mindestens laut gelesen.

Das Missale von Troyes. 1737

Das Missale von Bossuet von 1737 findet eine anderen Trick, um den Canon hörbar zu sprechen: Es erklärt in seinen Rubriken, daß man den Canon nicht „secreto, submissa voce“ (gedämpfte Stimme, leise) sprechen muß, sondern „submissiori voce“ – dh nur etwas leiser als die anderen Teile der Messe. Bewußt hatte Bischof Bossuet einen Begriff gewählt, den sich jeder zurechtinterpretieren konnte. Die Diözese Troyes ging damit konkrete Schritte zu einer verstehenden Teilnahme der Gläubigen. Der „Trick“ mit dem Rubrikenbegriff „submissiori voce“ war gut gewählt. Er wurde von keiner Seite beanstandet und durfte weiterhin so im Missale von Troyes bleiben.

Damit wurde in Troyes im Jahre 1737 bereits erfolgreich eine tiefgreifende Reform durchgeführt.

----------------------------------

Wird fortgesetzt

----------------------------------

Zum Thema der aktiven Teilnahme an der Liturgie sei auf weitere Artikel von mir hingewiesen:

Das „Officium Divinum“ von Christoph Moufang Das „Officium Divinum“ von Christoph Moufang.

Die deutsche Edition von Prosper Guérangers „Das Kirchenjahr“: Eine Sternstunde in der Kirchengeschichte, ein epochales Ereignis Die deutsche Edition von Prosper Guérangers „Das K…

Prosper Guérangers „Liturgisches Jahr“ – das „Année liturgique“ Teil 2 Prosper Guérangers…

Prosper Guérangers „Liturgisches Jahr“ – das „Année liturgique“ Teil 1 Prosper Guérangers „Liturgisches Jahr“

Dom Guéranger: Was ist Liturgie? Was ist Liturgie?

--------------

Gerne beantworte ich Fragen, die an mich direkt gerichtet werden

.............................................................

[i] Joseph de Voisin (1610?-1685) - Auteur - Ressources de la Bibliothèque nationale de France
Messel romain, selon le règlement du Concile de Trente, traduit en françois avec l'explication de toutes les messes et de leurs cérémonies pour tous les jours de l'année..." (1668) de Église catholique avec Joseph de Voisin (1610?-1685) comme Traducteur

[ii] “Dicebat Bernardus Carnotensis nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non utique proprii visus acumine, aut eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur et extollimur magnitudine gigantea”

[iii] Seine Eminenz Erzbischof Bossuet argumentiert rechtlich: das Breve von Papst Alexander VII. gegen das 5-bändige Werk von Jospephus de Voysin war nie vor das Parlament gebracht worden und die Patent-Briefe wurden nie „angesehen“ (rechtlicher Vorgang). Es habe deshalb keine Rechtskraft.

[iv] L’ANNÉE CHRÉTIENNE, contenant les messes des dimanches, fériés et fêtes de toute l'année. En Latin et en Français. Avec l'Explication des épîtres et des évangiles, et un Abrégé de la vie des Saints dont on fait l'Office.

[v] une traduction de l'Office de la semaine sainte
[vi] GRIFFET Père Henri]. L'Année du chrétien contenant des instructions sur les mystères & les fêtes; l'explication des Épitres & des Évangiles. Avec l'abrégé de la Vie d'un Saint, pour chaque jour de l'année. Aoust. Paris: Jean-Baptiste Coignard (1747)..

[vii] Fotos stammen aus dem angeführten Werk, siehe Titelblatt
[viii] Fotos stammen aus dem angeführten Werk, siehe Titelblatt