Kleiner Katechismus über den Gehorsam in der Kirche

Im Zusammenhang mit dem Motu proprio Taditionis custodes mag sich manchem Katholiken die Frage nach dem Gehorsam in der Kirche stellen. Zur Information füge ich eine kleine Schrift von Pfarrer Hans Milch dazu an, die ich dem zweibändigen Werk von Wolfgang Schüler entnehme: "Pfarrer Hans Milch - Einge große Stimme des katholischen Glaubens" - Mit einer Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzil"

Kleiner Katechismus über den Gehorsam in der katholischen Kirche
Lagebesprechung im Führerhauptquartier Anfang der siebziger Jahre
Satan und sein Stab
Satan: Wir sind im Vormarsch wie noch nie. Unser Haß darf seine höchsten Triumphe feiern. Mit christlichen Worten haben wir das wahre Christentum in den Köpfen vieler katholischer Narren und Pfaffen ausgelöscht: ‘Pilgerndes Gottesvolk auf dem Wege’, ‘Bescheidenheit’, ‘Liebe’, ‘Versöhnung’, ‘Einheit’. Aber die letzte Karte haben wir noch nicht ausgespielt. Sie wird uns den endgültigen Sieg bringen. Was meint ihr?
Unterteufel: (zucken die Achsel)
Satan: Der Gehorsam!
Unterteufel: Aber der Gehorsam war doch immer unser größter Feind.
Satan: Ihr Dummerchen! Der wahre Begriff des Gehorsams, ja! Aber das Wort und der mißverstandene Begriff wird unser stärkster Verbündeter sein! –
Was ist Gehorsam? Es gibt ihn im weiten und im engen Sinne des Wortes. Letzterer muß, wie noch darzulegen ist, wiederum unterschieden werden.
Der Gehorsam im weiten Sinne des Wortes ist die Tugend, welche den Menschen geneigt macht, sein Dasein zu vollenden durch Annahme jeglichen Angebots aus den Bereichen, welche seine Grenzen übersteigen.
Der katholische Christ, das heißt der Jünger des Gottmenschen, dem die Gnade der Fülle in der Wahrheit zuteil wird, weiß, daß es nur ein wahrhaft sinngebendes Angebot gibt für unser Leben: die Menschwerdung des Gott-Sohnes und Sein dem himmlischen Vater dargebrachtes Opfer. ‘Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch vergöttlicht werde’! Die heilbringenden Geheimnisse, welche mit diesem Angebot gegeben sind, stellen sich ungeteilt jeweils dem Einzelnen dar. Gehorsam = Eingestelltsein auf Hören, Empfangen führt zur freien Entscheidung des Menschengeistes, ja zu sagen zur Sehnsucht, die in der Tiefe unseres Wesens nach Unendlichkeit drängt und ihre Erfüllung findet im fleischgewordenen, geopferten Gottmenschen, der uns als ewiger Freund erscheint. Das Ein-gehen auf diese Epiphanie = Erscheinung des gottmenschlichen Freundes, diese freie Tat des Gehorsams, vollzieht sich in dien-bereitem, frei-willigem, wohl-wollendem Hören. Viele ‘hören sich etwas an’ und gehen fehl, weil sie an der Oberfläche bleiben. Oft heißt die irrige und un-willige Antwort: ‘Das hat sich so an-gehört’! Der wahrhaft Gehorsame wird hin-hören, besser gesagt: hinein-hören. Er sieht ab von eigener Begierde und selbstgesetztem Vor-urteil und will vernehmen, was gesagt wird. Ihm geht es nicht um das irreführende, am Rand haftende Wie, sondern um das Was, um den Inhalt. Der echte Gehorsam ist inhaltsbezogen, auf das Wesen hingeordnet.
Der Gehorsam ist der Wesensvollzug der Religion: Eingeständnis, aus eigener Kraft sein Selbst nicht finden und vollenden zu können, und die bejahte Sehnsucht, durch Ihn, mit Ihm und in Ihm unendliches Genügen und Erfüllung zu erlangen. In höchster Vollkommenheit hat Maria durch bräutlich-empfangende Hingabe den Gehorsam geübt: ‘Siehe, ich bin die Magd des Herrn! Mir geschehe nach Deinem Wort’! Quelle und Ziel dieser Hingabe Mariens ist der Gehorsam des Gottmenschen, der gesagt hat: ‘Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat’. Und: ‘Nicht wie ich will, sondern wie Du willst’! Dem Willen des Vaters gemäß ließ er die gesammelte Wut Satans gegen sich entbrennen, alle Not, alles Leid, Tod und ungerechtes Schicksal der Menschen, um durch seine liebende Bejahung dieses Furchtbare zum Werkzeug der heilenden und erlösenden Gottesliebe zu machen.
Der Gehorsame will und weiß: ‘Aus mir selbst bin ich nichts. Daher soll nicht mein fordernd-anmaßender Wille, der aus meinem Nichts aufsteigt, mich leiten, sondern Dein Wille, den ich hörend empfange und in dem ich den Spiegel meines wahren Wesens dankbar erschaue!’ Auf eine kurze Formel gebracht: ‘Nicht ich, sondern Du! Und in Dir erst mein wahres Ich!’

Gehorsam im engeren Sinne des Wortes
ist die Tugend, welche den Menschen geneigt macht, Gottes Gebot zu erfüllen, weil Gott es uns auferlegt. Dieser Gehorsam, den wir Gott schulden, muß auch denen geleistet werden, die Gott uns kraft der mit Seiner Schöpfung und Seinem erlösenden Angebot gegebenen Ordnung als Obrigkeit zuweist. Anders ausgedrückt, mit Blick auf den oben dargelegten Gehorsam im weiteren Sinne des Wortes, das Eingehen auf das Angebot des Gottmenschen, heißt das: Wenn wir uns dem werbenden Freund, dem geopferten Erlöser, schenken, werden wir mit Seiner Person, Seinem Wort, Seiner Weisheit und Seiner Tat auch Seinen Willen annehmen, wie er sich darstellt von Fall zu Fall gegenüber konkreten Tatbeständen und Situationen auf konkrete Weise: ‘Ich bin bereit, jeweils eigenen Wunsch und eigene Vorstellung zurückzustellen und Raum zu schaffen dem auferlegten Befehl. Ich sprenge die engen Bande meines eigenen Willens und öffne mich dem Willen dessen, der mein Dasein ins Unendliche erweitert. Ich verleugne mein oberflächliches, kleines, von unten bewegtes Ich, weil ich – stets neu – Seinen Willen zu meinem eigenen mache, Seinen noch so unbequemen Befehl ausführe und mit wohlwollendem Herzen zu verstehen trachte’. So stellt sich der ‘Gehorsam im engeren Sinne’ dar.

Was heißt das: ‘Der Gehorsam muß denen geleistet werden, die Gott uns kraft der mit Seiner Schöpfung und Seinem erlösenden Angebot gegebenen Ordnung als Obrigkeit zuweist?
Der gottgewollte Gehorsam steht im Zeichen der Beziehung von Ursprung (= Autorität) und Abhängigkeit. Gott ist der Ursprung aller Wesen und aller Dinge. Der Mensch ist durch seine Geist-Natur als Person berufen und fähig, frei und bewußt seine Abhängigkeit von Ihm als dem Ursprung anzuerkennen und Ihm in Gehorsam zu folgen.
Nun gibt es geschaffene Personen, die Gott an Seinem Ursprungsbezug (= Autorität) in je eigener Bedeutung und je eigener Zielsetzung teilnehmen läßt.
Kraft Seines schaffenden und erlösenden Willens sind uns die Eltern so lange und insoweit übergeordnet, als wir von ihnen zum Zwecke unserer Persönlichkeitsentfaltung abhängen. Im Sinne dieser zielbezogenen Abhängigkeit schulden wir den Eltern Gehorsam, ebenso denen, die in bestimmten Bereichen im Auftrag der Eltern deren Aufgabe an uns ergänzend übernehmen (Priester, Lehrer, Ausbilder).
Durch besonderen Auftrag sind uns alle die Menschen übergeordnet, von denen unsere Persönlichkeitsentfaltung oder Daseinserhaltung unter bestimmten Gesichtspunkten abhängt: Träger der staatlichen Gewalten, Vorgesetzte im Beruf, vor allem diejenigen, die als Wegweiser und Wegbereiter für den Sinn unseres Lebens vom erlösenden Gottmenschen unmittelbar in Seinen Ursprungsbezug (= Autorität) hineingenommen sind.

Wer sind diese Wegweiser und Wegbereiter?
Der menschgewordene Gott-Sohn, durch den das All erschaffen ist, der, vom Vater gesandt, auf der Erde Sein Zelt aufgeschlagen hat, um jegliche Bosheit leidend und Kreuz tragend gegen Sich zu lenken und opfernd zu besiegen, wirkt auf sichtbare Weise im Träger des Petrusamtes (Papst) und in den Nachfolgern der Apostel (Bischöfen). Diesen Gottgesandten obliegt die Sorge für die Erhaltung der durch Christus geoffenbarten Wahrheit und der von Ihm uns anvertrauten Geheimnisse, damit die Eltern ihre Kinder recht unterweisen und alle, für das Gottmenschentum entbrannt, durch ihre eigene Begeisterung und heilige Wißbegierde Beispiel und Ansporn geben. Die Bischöfe üben ihr Amt aus durch ihren eigenen Einsatz und den der Priester, die geweiht sind, im Sinne des gottgewollten Bischofsamtes an zugewiesener Stelle Werk und Weisung des Christus auszuführen.
Die getauften, gefirmten und in den Grundwahrheiten der Offenbarung unterwiesenen Gläubigen sind den Bischöfen zugeordnet wie die Braut dem Bräutigam – gleichwertig und ebenbürtig auf den hohen Sphären göttlicher Weisheit und Wirklichkeit: ‘Der Geist und die Braut sprechen: ‘Komm!’ ’.
Es ist die Rede von ‘Obrigkeit’, von ‘Überordnung’ und ‘Unterordnung’. Erniedrigt denn der Gehorsam? Macht er Untergebene, Unselbständige, Entrechtete, Unfreie?
Im Gegenteil! Der wahre Gehorsam kommt nicht zunächst dem zugute, der ihn beansprucht, sondern dem, der ihn leistet. Denn der ihn beansprucht, bedarf seiner nicht. Er erhebt den Empfangenden zur Höhe des Gebenden, den Hörenden zur Höhe des Redenden, die weidenden Schafe zur Höhe des Hirten, die Verwandelten zur Höhe des Verwandelnden. Abhängig-sein-wollen vom Ursprung heißt: sich zur Höhe des Ursprungs erheben lassen. Dem Übergeordneten untergeordnet-sein-wollen heißt: sich zum Übergeordneten und Seinem Willen hin bewegen. Gehorsam erst schafft Ebenbürtige, Erleuchtete, Mündige und Eingeweihte.

Welche Unterscheidung ist beim ‘Gehorsam im engen Sinne des Wortes’ noch anzubringen?
Es gibt solche, die berufen sind, den evangelischen Rat des Gehorsams im Sinn einer beständigen Lebensform anzunehmen.
Was ist darunter zu verstehen?
Diese Berufenen verzichten freiwillig und immer darauf, von dem gottgegebenen Recht Gebrauch zu machen auf einen Raum, in dem sie für den Sinn des Lebens unerhebliche und daher beliebige Entscheidungen treffen können. In allem wollen sie sich der fleischlichen Nähe des menschgewordenen Wortes stellen, auch in den kleinsten Dingen. Sie nehmen die Lebensform eines Ordens an, tragen das Kreuz des beständigen Zusammenlebens in einer Gemeinschaft und unterwerfen sich in allem ihrem Oberen, durch den Christus ihnen auf wahrnehmbare Weise Seinen Willen kundgibt Tag und Nacht, da jede Stunde vernehmlicher und unentrinnbarer Weisung unterliegt. – In abgeschwächter Weise gilt dies auch für den Gehorsam, den der Priester seinem Bischof gelobt hat.

Wenn der Obere dem Ordensangehörigen, der Bischof dem Priester aber Befehle erteilt, die offensichtlich unklug oder ungerecht sind, wäre dann der Gehorsam im Sinne unseres erlösenden Gottes?
Ja! Was einem Kreuz, Zurücksetzung, Verkanntwerden und unverdiente Erniedrigung bringt, vereinigt ihn in besonderer Weise mit dem, der aller Welt Kreuz getragen und jegliche Not vergöttlicht hat. Wer dem Oberen besseren Vorschlag, Einwand oder Kritik vorhalten zu können vermeint, trete mit klarem Blick und offener Rede vor ihn hin. Besteht der Obere auf seinem Befehl, so ist es des ewigen Freundes liebender Wille, daß wir Sein Kreuz mittragen und dadurch mit Ihm ‘Ströme lebendigen Wassers aussenden’.
Darf denn der Obere willkürlich, nach Lust und Laune befehlen – ohne Rechenschaft ablegen zu müssen?
Er darf es keineswegs. Er selbst muß gehorsam sein, um recht zu befehlen – gehorsam dem ewigen, erlösenden Gott, in dessen Namen er waltet – gehorsam dem, dem er befiehlt. Befehlen heißt dienen; befehlen ist eine Form des Gehorchens im oben beschriebenen weiten Sinne des Wortes. So können die Eltern erst guten Gewissens befehlen, wenn sie sich mühen, dem Wesen des Kindes in Ehrfurcht nachzugehen, zu ergründen, was der erlösende Schöpfer mit ihm meint und will. Denn jeder Mensch ist ein Entwurf. Wohin weisen die Linien des angelegten Planes ‘Mensch’? Diese vorgezeichneten Linien
auszuziehen, gibt jeglichem Befehlen erst das Recht im Zeichen des liebenden Dienstes, im Namen des unendlich weisen und guten Liebhabers, der jeden seit Ewigkeiten denkt, der für jeden Sein Blut opfernd vergießt auf den Altären zu Ehren des Vaters. Gehorche, damit Du Dir selbst befehlen kannst! Befiehl erst, wenn und weil Du in Ehrfurcht zu gehorchen verstehst dem innersten Wesen dessen, der Dir anvertraut ist und der ein einmaliger Gedanke Gottes ist!
Gibt es denn für den Gehorsam keine Grenzen?
Es gibt Grenzen! Wenn die Ausführung des Befehls gegen das eigene Gewissen verstößt, ist der Gehorsam verboten. Der Ungehorsam ist nur erlaubt, wenn er geboten ist. Niemals ist der Gehorsam ins Belieben gestellt.

Muß aber die Ausführung des ungerechten Befehls nicht gegen das Gewissen sein?
Wenn mit ‘Ungerechtigkeit’ gemeint ist ein Vergehen gegen des Menschen Wesen und geistige Würde, dann darf sie niemals ausgeführt werden. Ist aber damit gemeint die Bevorzugung anderer ohne einsichtigen Grund, so verstößt ihre Befolgung nicht gegen das Gewissen dessen, der den Befehl empfängt.
Was ist das Gewissen?
Ohne vom Dasein Gottes je belehrt worden zu sein, ohne Seine Gebote je vernommen zu haben, weiß in dunkler Tiefe jeder Mensch in groben Zügen das Gute vom Bösen zu unterscheiden. In dem Maße, wie er belehrt wird über Gottes Willen, der ihn zum Wahren, Guten und Schönen verpflichtet, wächst in ihm das Geist-Organ, welches seine Taten und Entscheidungen bewacht; es verfeinert sich und reagiert mit bohrender Unerbittlichkeit. Es ist unbequem und heilsam. Sehr viele Menschen schreien es tot mit Lärm und Argumenten der Selbsttäuschung und Selbstbeschwichtigung. Umso wütender werden sie, wenn an das gewaltsam unterdrückte Organ gemahnt wird, das die Geistgemäßheit oder Geistwidrigkeit unserer Gedanken, Worte und Werke registriert. Dieses Organ ist das Gewissen. Es selbst befiehlt uns herrisch, daß wir es entwickeln und bilden durch wachsende und immer wachere Aufnahme der ewigen, unveränderlichen Inhalte der Wahrheit und all dessen, was der Wahrheit entspricht (des Guten) und die Wahrheit zum Leuchten bringt (des Schönen).

Wann verstoßen bischöfliche Anordnungen gegen das Gewissen des katholischen Christen?
Man muß unterscheiden zwischen dem Hirtenamt, dem Priesteramt und dem Lehramt des Bischofs. Zwar sind das Priesteramt und das Lehramt Elemente des Hirtenamtes selbst – denn wer das Wort der Wahrheit verkündet und die Geheimnisse vollzieht, ‘weidet die ihm anvertraute Herde Gottes’ –, dennoch hat das Hirtenamt noch eine eigene Bedeutung, die im Lehramt und Priesteramt nicht enthalten ist.
Wenn ein Bischof etwas verkündet, was mit der katholischen Lehre in Widerspruch steht, darf es nicht angenommen werden. Hier gebietet der wahre Gehorsam gegenüber dem Amt des Bischofs, das unlösbar mit den Inhalten der von Christus geoffenbarten Wahrheit verknüpft ist, den akuten Ungehorsam.
Woher soll denn der gläubige Katholik wissen, daß der Bischof irrt? Will er gescheiter sein als sein Bischof?
Wie oben dargelegt, ist durch die Unterweisung in den Grundlehren des Glaubens und durch den Empfang der Sakramente, besonders des Sakramentes der Firmung, der Katholik in die Lage gekommen, mündig zu sein, das heißt: er vermag aus eigenem Interesse zu tun, was sich aus seinem Katholischsein ergibt. Wenn je es aber die Mündigkeit des katholischen Christen gibt, muß sie mindestens darin bestehen, daß er weiß, was er ist; daß er also das Wesen der katholischen Kirche – ihre Lehre und ihre sakramentale Wirklichkeit – erkennen kann und daher auch festzustellen vermag, was nicht katholisch ist. Hätte der katholische Christ nicht die Möglichkeit dieser selbstverständlichen Erkenntnis, dann wäre es höchst absurd, von ‘Mündigkeit’ zu reden.
Gibt es außerdem noch Fälle, wo der akute Ungehorsam geboten ist?
Jawohl. Wenn der Bischof in offenbar ungültiger Weise ein Sakrament spendet oder zu spenden befiehlt, dann ist es geboten, sich dem nachdrücklich und mit bekennerischem Mut zu entziehen.

Was heißt ‘bekennerischer Mut’ in diesem Zusammenhang?
Handelt es sich um einen Einzelfall, so ist es im Interesse der Würde des Bischofsamtes, einen solchen Ausrutscher vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten, soweit es möglich ist. Ist aber die Öffentlichkeit selbst durch eine auf Dauer bestimmte Verordnung einem Irrtum oder einer ungültigen bzw. wesenswidrigen Weise der Sakramentenspendung ausgesetzt und mit ihr vertraut gemacht, dann ist der öffentliche Widerspruch verpflichtend, wenn alle Versuche, den Bischof umzustimmen, entweder nach Lage der Dinge von vornherein zum Scheitern verurteilt waren oder keinen Erfolg hatten.
Welche – oben erwähnte – ‘eigene Bedeutung’ hat denn das Hirtenamt des Bischofs?
Das Hirtenamt des obersten Bischofs und aller Bischöfe besteht darin, das Erscheinungsbild der Kirche reinzuhalten von irreführenden und entstellenden Eigenschaften. Hier dient der Hirte dem wahren, höchsten Glück der Gläubigen im Zeichen der Liebe. Denn das höchste Glück ist es, die katholische Kirche zu erkennen.
Läßt der Hirte dieses Erkennen im Unsicheren oder Unmöglichen, dann begeht er die himmelschreiendste Sünde durch Grausamkeit an den Seelen.
Soll man denn nicht ‘das Unkraut mit dem Weizen wachsen lassen’?
Selbstverständlich – aber das liegt auf einer völlig anderen Ebene. Der Bischof kann nicht das Böse in den Herzen der Menschen ausrotten, die Zweifel nicht tilgen, den geheimen Irrtum nicht ausmerzen. Wollte er eine ‘Kirche der Reinen’ schaffen, so würde er das Gegenteil erreichen und die Zerstörung der Kirche betreiben. Denn mit dem Unkraut würde er den Weizen vernichten. Wo aber im Namen der Kirche – durch Priester, Lehrer, Professoren – gelehrt wird, was mit der katholischen Wahrheit nicht vereinbart werden kann, da muß der Bischof eingreifen.

Wie muß er denn eingreifen?
Zunächst soll er mit den irrenden Teilhabern am Lehramt im Zeichen der Milde sprechen und versuchen, ihr wahres Anliegen zu ergründen. Er soll sie in Liebe mahnen, mißverständliche Formulierungen zu vermeiden bzw. klare Irrtümer abzulegen und zu widerrufen. Wenn diese Mahnung nicht fruchtet – sei es durch offene Weigerung, sei es durch versteckte mit fadenscheinigen ‘Ergänzungs’- oder ‘Erklärungs’versprechen –, hat der Bischof die heilige und dringende Pflicht, in Sorge um das Erlösungsglück der Gläubigen schleunigst dem hartnäckig im Unglauben Verharrenden die Lehrbefugnis zu entziehen und diese Maßnahme zum Trost der gläubigen Katholiken bekanntzumachen. Nur so kann er die eingerissene Unsicherheit der falsch Belehrten wieder beheben. Im höchsten Maße gebietet die Hirtenliebe schnelles und hartes Vorgehen, wenn es sich um die Unterweisung von Priesteramtskandidaten handelt. Hier Duldung zu üben, ist ein Verbrechen, demgegenüber beispielsweise ein Bankraub als ein harmloser Fehltritt erscheint.

Wie soll sich der gläubige Katholik gegenüber der unverantwortlichen Duldung skandalöser Zustände seitens der Bischöfe verhalten?
Es ist seine tiefste Gehorsamspflicht gegenüber dem Wesen des Bischofsamtes, die Bischöfe an ihre Pflicht zu gemahnen.
Soll das vor der Öffentlichkeit geschehen?
Nicht sofort. Gehen die Bischöfe aber auf unmittelbare Vorhaltungen nicht ein, dann ist es Liebespflicht gegenüber den gläubigen Brüdern und Schwestern, deutlich vor allem Volke zu erklären: ‘Dies, was Ihr hört und seht, ist nicht die Kirche. Daß es die Bischöfe dulden, widerspricht ihrem Amt!’ Erst diese Klarstellung läßt wieder Trost in den verstörten Seelen aufkommen.
Wie steht es mit der heiligen Liturgie, vor allem der Liturgie des gottmenschlichen Erlösungsopfers? Ist die Einsetzung einer neuen Meßordnung durch Papst bzw. Bischöfe ein Akt des Lehramtes oder spezifisch des Hirtenamtes?
‘Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens’! Gebetstexte sind Glaubensaussagen. Wie der Heilige Vater oder die mit dem Heiligen Vater vereinte Gesamtheit der Bischöfe, sei es durch die feierliche Verkündigung von Lehrsätzen für die ganze Kirche (außerordentliches Lehramt), sei es durch Übereinstimmung der Lehre in der täglichen Ausübung ihres Amtes (ordentliches Lehramt) nicht irren können, so werden die von Papst und Bischöfen für die ganze Kirche herausgegebenen Meßtexte keinen formalen Irrtum enthalten können. Soweit ist das Lehramt bei der Herausgabe liturgischer Gebetstexte engagiert.
Im Sinne ihres spezifischen Hirtenamtes, wie es oben dargestellt ist, sind aber Papst und Bischöfe zudem verpflichtet, in der Formulierung der Texte jede Mißverständlichkeit zu vermeiden. Sie dürfen niemals zulassen, daß zum Beispiel ein Protestant die Gebete des heiligen Opfers in seinem Sinne auszulegen vermag. Eindeutig und unverwechselbar müssen die Texte so verfaßt sein, daß nur ein Katholik sie für sich in Anspruch nehmen kann. Ferner müssen gerade beim heiligen Opfer zentrale Glaubenswahrheiten zum Ausdruck kommen, zum Beispiel die Gefahr der ewigen Verdammnis, die Gegenwart der Engel und der Heiligen, das Fegfeuer, die Fürbitte für die vom Leib gelösten Seelen, die Wahrheit, daß wir aus uns nichts sind, in Ihm alles – und alle wesentlichen Inhalte der Offenbarung. Im Sinne der Verheißung: ‘Der Heilige Geist wird euch in alle Wahrheit einführen!’ wird jede Veränderung nur zu verantworten sein, wenn sie ein Mehr an Inhalten präsentiert und kein Weniger. Zum Wesen der Liturgie gehören aber nicht nur Worte, sondern auch Gebärden, Bewegungen im Zeichen der Feier und der Ehrfurcht, die Atmosphäre des Himmlischen. Wie das Hirtenamt einzustehen hat für die eindeutige und unverwechselbare Klarheit in der Darstellung der ewigen Inhalte, so hat es mit Hinblick auf die göttliche Liturgie zu sorgen für die Bewahrung und Ausfaltung ihrer himmlischen Strahlkraft

Der gläubige katholische Christ wird an eine veränderte Liturgie folgende Maßstäbe anlegen, um zu erkennen, ob sie vom Heiligen Geist stammt oder nicht:
Wenn eine bestimmte Form heiliger Opferliturgie jahrhundertelang in der heiligen Kirche verbindlich vorgeschrieben und weit verbreitet war, muß sie zum Ausgangspunkt jeder Veränderung gemacht werden. Denn durch Jahrhunderte hin kann nur eine vom Heiligen Geist gewollte Liturgie walten. Ihre Veränderung darf nur aus ihr selbst erfolgen und aus dem, was in der Kirche mittlerweile verheißungsgemäß an Inhaltserkenntnissen über die ein-für-allemal vorgegebene Offenbarungsfülle gewachsen ist. Solche Veränderungen dürfen niemals dem Zeitgeist entnommen werden, sondern werden automatisch, wenn sie dem geistgewirkten innerkirchlichen Entfaltungsprozeß entnommen sind, für den kranken Zeitgeist geeignet sein als Hilfe, Gegengewicht und Arznei: je unzeitgemäßer, desto hilfreicher für den Patienten ‘Zeit’. Die in der bisherigen Liturgie vorgezeichneten Linien müssen ausgezogen, vervollkommnet werden im Sinne des Hörbaren und Sichtbaren:
a) der Wesenscharakter himmlischer Entrücktheit;
b) Erhabenheit und majestätische Feierlichkeit;
c) Vor-gegebenheit – es muß deutlich zum Ausdruck kommen, daß nicht zunächst die Gemeinde das Opfer darbringt durch ihren ‘abgeordneten Vorsteher’, sondern der Priester, der durch seine Weihe als Christus zu wirken vermag. Aus eigenem christusgegebenem Recht bringt der Priester dem Vater für das Volk das Opfer dar. Er ‘steht’ nicht ‘vor’, er opfert.
Sind diese Wesensmerkmale und die heiligen Gebärden himmlischer Feier, der Ehrfurcht und des Staunens geschrumpft, statt gewachsen zu sein, dann kann der Heilige Geist nicht am Werk gewesen sein! Eine solche Neuerungsliturgie wird keinen Priester im Gewissen verpflichten. Sie steht da als Zeichen mißbrauchten Hirtenamtes und verpflichtet alle Erkennenden und Einsichtigen, vor allem Volk zu erklären: dies ist nicht die gottgewollte, die katholische Form des heiligen Opfers!
Diese Erklärung allein wird Trost bringen in die Herzen derer, die sich durch die Oede und Wesensfremdheit einer wahrhaft rückschrittlichen Neuerung ‘weinend an den Flüssen Babylons’ finden und nicht in Sion. Die ohnehin Lauen, die sich nur freuen, wenn etwas ‘schneller geht’, sind unmaßgeblich.

Wird sich eine solche Neuerung lange halten?
Sie wird durch die ewige, unerschöpfliche Lebenskraft und Erneuerungskraft der Kirche im Zeichen vollkommener Wende vom Winde verweht werden.
Dies ist die katholische Lehre vom gottgewollten Gehorsam.“ –
Girolamo Savonarola
Was, Herr Fastenmeier, mit Verlaub finden Sie an den Ausführungen lustig?
Erich Christian Fastenmeier
Ich kenne die beiden Dogmen des Ersten Vatikanums. Das unterscheidet mich hier von vielen.