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Copertino
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Ambrosian chant - Congratulamini mihi omnes qui diligitis Dominum. Wenn wir an Kirchenmusik denken, so denken wir gleich an die Orgel. Doch die "Königin der Instrumente" fand erst nach mehr als einem …Mehr
Ambrosian chant - Congratulamini mihi omnes qui diligitis Dominum.

Wenn wir an Kirchenmusik denken, so denken wir gleich an die Orgel. Doch die "Königin der Instrumente" fand erst nach mehr als einem orgelfreien Jahrtausend Einlass in die Kirchenräume. Ihre Karriere begann die Orgel nämlich als weltliches Instrument in römischen Arenen, d.h. unter Orgelklängen wurden Christen den Löwen zum Frass vorgeworfen. Somit könnte die Orgel als ein aus der heidnisch-römischen Christenfeindschaft konvertiertes Musikinstrument betrachtet werden.

Erst im Spätmittelalter avancierte die Heilige Cäcilia zur Patronin der Kirchenmusik.

Das lag wohl an einem Übersetzungsfehler. Im liturgischen Gesang ihres Gedenktages heisst es: „Cantantibus organis Caecilia virgo in corde suo soli Domino decantabat“ (Unter den Klängen der Orgel sang die Jungfrau Cäcilia
in ihrem Herzen Gott allein). Unter den „organis“ verstand man eine Orgel, und sogleich wurde aus der Märtyrerin die orgelspielende Schutzherrin der Musik, die auch stets mit „ihrem“ Instrument abgebildet wurde. Es war wohl eher so, wenn hier "organum" überhaupt "Orgel" bedeutet, dass ein römischer Unterhaltungsmusiker während ihres Martyriums zur Belustigung eines grölenden Publikums einen Gassenhauer spielte.

Über ein Jahrtausend hatte in der Kirche in Ost bis West der rein vokale Gesang nahezu Alleingeltung. Nur in christlichen Randprovinzen wie in Äthiopien oder Indien wurden im grösseren Umfang auch Instrumente in die Liturgie einbezogen. Erst in der Barockzeit erlebte die Orgel in Johann Sebastian Bach ihren wohl grössten Meister und ist seither das Standardinstrument jeder feierlichen kirchlichen Zeremonie.

Unten ist ein Musikbeispiel verlinkt, welches zeigt, wie die Kirchenmusik in Mailand vor fast tausend Jahren geklungen haben mag. Zwar gibt es davon keine Tonträger sondern nur Notationen. Aber das französische "Ensemble Organum" unter der Leitung des Musikwissenschaftlers Marcel Pérès hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche alten Handschriften aufzuarbeiten und wieder zum Klingen zu bringen.

Ein interessantes Beispiel ist die norditalienische Kirchenmusik des Frühmittelalters. Der Hl. Bischof Ambrosius von Mailand (339-397), auf den viele solche alten Gesänge zurückgehen, hatte eine Zeit in Konstantinopel verbracht und war so beeinflusst durch den byzantinischen Kirchengesang, den er dort zu hören bekam. Zurückgekehrt nach Italien schrieb er eine einzigartige Musik, die ein lebendiges Zeugnis dafür ist, wie eng die kirchenmusikalische Traditionen von Ost und West in ihren Wurzeln verbunden sind.

Wer sich heutige griechisch-orthodoxe Gesänge anhört, erkennt Gemeinsamkeiten im musikalischen Ausdruck. Hier ein besonders klangvolles Beispiel, vorgetragen in der "Mutterkirche der Christenheit", der einstigen Hauptkirche Hagia Sophia in Istanbul, dem früheren Konstantinopel, Hauptstadt des oströmischen Reiches: www.youtube.com/watch

Übrigens ist die in den östlichen Provinzen verbreitete Art des liturgischen Gesangs auch vom Islam bei seiner kriegerischen Eroberung des Mittelmeerraums übernommen worden. Deshalb könnte man etwas zugespitzt behaupten, dass das, was heute als typisch islamische Gesangstechnik interpretiert wird, z.B. die stark verzierte Modulation in der melodischen Linienführung, einst auf christlichem Boden gewachsen war. Hier ein bosnischer islamischer "Nasheed", der die musikalische Verwandtschaft zeigen mag: www.youtube.com/watch

Natürlich hat sich der frühchristliche Psalmengesang, wie er in den Klöstern des Mittelalters weitergeführt wurde, seine musikalischen Wurzeln in den Gebetsgottesdiensten der jüdischen Synagoge. Allerdings gab es im Verlauf von zwei Jahrtausenden viele Wechselwirkungen zwischen den Kulturen, die heute kaum mehr eindeutig auseinanderzuhalten sind.

Auch in europäischen Synagogen fand die Orgel als Begleitinstrument Eingang. Deshalb reibt man sich beim spontanen Hineinhören in diesen Link hier verwundert die Ohren, weil man erst glaubt, man hätte sich in einen christlichen Sonntagsgottesdienst verirrt. Es handelt sich aber eine jüdische Sabbathfeier in der ehemaligen Nürnberger Hauptsynagoge: www.youtube.com/watch

Religionsgrenzen und Kulturräume sind zwei unterschiedliche Grössen, die nicht immer deckungsgleich gehandelt werden können.