Wie aus einer Vision Wirklichkeit wurde. Von Magdalena Veletta

Mitte der 1990er-Jahren begleitete ich oftmals einen polnischen Priester nach Polen. Wir brachten Schuhe, Kleider und sonstige Gegenstände von der Schweiz aus in sein gebeuteltes Vaterland.

Immer diese Schwierigkeiten!

An der polnischen Grenze wurden uns regelmäßig Hindernisse in den Weg gelegt. Ausführliche Prüfungen der mitgeführten Waren und tausend Fragen verzögerten unsere Weiterreise oft um Stunden.

Einmal verweigerte man uns gar die Einreise und wir mussten umkehren. Der Grund war, dass es "zu viele Waren" seien. Nach einem Telefonanruf kamen uns polnische Freunde, die nahe der Grenze lebten, zu Hilfe. Wir verteilten die Waren auf verschiedene Autos und passierten so die Grenze unbehelligt.

Trotzdem fragte ich die Beamtin, welche uns die Einreise verweigerte, nach ihrem Namen. Da sie meine Frage nicht beantwortete, notierte ich ihre Dienstnummer, welche auf einem Schildchen stand, das auf ihrer Dienstuniform angeheftet war.

Wieder zu Hause, orientierte ich im Anschluss an diesen komplizierten "Hilfstransport" die schweizerische Zollverwaltung über die Vorkommnisse an der polnischen Grenze.

Später erfuhren wir, dass diese "Reklamation" personale Konsequenzen nach sich gezogen habe. Hinter vorgehaltener Hand wurde vermutet, dass unsere Schwierigkeiten am Zoll auf Interessen der Präsidentengattin Danuta Walesa zurückgeführt werden könnten. Sie sei in die polnische Schuhfabrikation involviert gewesen, welche die "Großeinfuhr" von Schuhen aus dem Westen nicht gerne sah.

Eine Idee nimmt Form an.

Die Familie des polnischen Priesters, ich sprach ihn mit "Pater Michael" an, wohnte in Stary Sacz, im Süden Polens.

Jedes der Kinder der Familie hatte ein Stück Land geerbt und man konnte damals für sehr wenig Geld ein Haus darauf bauen. Ein Grundstück, welches im Besitz von Pater Michael war, wurde nicht genutzt, weil es unförmig und für ein Einfamilienhaus nicht geeignet schien.

Eines Nachmittags setzte ich mich auf diesem Grundstück auf einen Stein und blickte auf die nahen Felder. Da kam mir eine Idee.

Ich zeichnete das Grundstück auf ein Blatt Papier und machte Skizzen. Es entstand ein längliches Haus mit zwei kleinen Vorbauten links und rechts. Eine Kapelle mit Atrium? Eine Kapelle mit Wohnmöglichkeiten für einen Priester? Eine Alterswohnung für Pater Michael? Ich nahm die Skizze mit nach Hause.

Auf der Rückfahrt erzählte ich Pater Michael von meinen Ideen. "Wäre das nicht eine gute Idee, dass ein älterer Priester dort wohnen und für die Gläubigen die Heilige Messe zelebrieren und die Beichte abnehmen könnte? Auch könnte die Gruppe, die jeweils draußen zusammen Rosenkranz beteten, dies künftig in ihrer eigenen Kapelle tun.

Dieser Gedanke verfestigte sich und ließ mich nicht mehr los.

Auf Grund meiner Skizzen baute ich zu Hause ein primitives "Architekturmodell" aus Kartonteilen, Streichhölzern und Plastikfolien.

Ich schnitt Fenster ein und überprüfte den Lichteinfall in die Kapelle, nach Sonnenverlauf, mittels einer Taschenlampe. Der ganze Vorgang wurde auch von meinem Sohn begutachtet. Seine skeptischen Gedanken dazu konnten mich nicht verunsichern.

Pater Michael nahm dieses Modell mit nach Polen und nach Besprechungen mit einem Baumeister vor Ort wurde mit dem Bau begonnen.

Man beschloss immer wieder Änderungen und nicht immer gefiel mir, was schlussendlich aus meiner Idee entstand. Der längliche Gebäudeteil (Kapelle) wurde höher, die Vorbauten breiter, das Atrium kleiner.

Einige Zeichen zeigten uns allerdings, dass wir das Richtige taten.

In der Schweiz stand seit geraumer Zeit eine Orgel in der Garage von Pater Michael.

Eine Freundin von uns bekam von einer Pfarrkirche im Tessin einen Kreuzweg, der aus Olivenholz geschnitzt war.

Zwei große und schöne Ölgemälde mit religiösen Motiven und eine Madonna mit Kind, aus Marmor, in einem wunderschön verzierten Holzrahmen, fanden so den Weg in "unsere" Kapelle in Polen.

Ich erinnere mich, dass beim Transport, eines dieser Ölgemälde über meinen Kopf ragte. Während der langen Reise von der Schweiz nach Polen musste ich es mit meinem Kopf stützen. Es zeigte den Heiligen Konrad von Parzham, welcher Brot an die Hungrigen austeilt.

Beim Bauen der Kapelle stellten sich immer wieder Schwierigkeiten ein. Auch von kirchlicher Seite. Weder der Pfarrer noch der Bischof zeigten Verständnis für solch "eigenwillige" Privatinitiativen. Sie hatten keine Tradition in Polen. Deshalb warf man uns vor, aus Eigeninteresse zu handeln und konnte nicht verstehen, dass wir dieses Grundstück samt Kapelle nicht von Anfang an dem Bischof übereignet haben.

Vor allem der Pfarrer von Stary Sacz stellte sich damals gegen das Projekt.

Ich schlug vor, einen Verein zu gründen, um die Interessen der Gläubigen beim Bischof besser vertreten zu können. Ein langer Weg begann, mit unzähligen, bis nach Rom gerichteten Korrespondenzen. Oft schienen die Schwierigkeiten unüberwindlich.

Die Kellerräume der Kapelle dienten vorerst als Umschlagplatz für alle möglichen Waren, welche unter Bedürftige verteilt wurden.

Dann wurde der damalige Bischof Josef Zycinski, der unserem Projekt gegenüber skeptisch eingestellt war, versetzt und das erwünschte Ziel wurde doch noch unter dem neuen Bischof Wiktor Skworc von Tarnow, erreicht.

Per Dekret vom 18. April 2001 anerkannte er diese Privat-Kapelle und bestimmte, dass für die Gläubigen dieser Gegend jeden Donnerstag eine Heilige Messe zelebriert werden soll.

Durch den überraschenden Tod von Pater Michael änderte sich alles noch einmal. Seine Familie übergab die Kapelle an die Steyler Missionare (Werbisci) in Polen und dient nun als eines ihrer Missionshäuser.

Nachtrag

Nach dem Beerdigungsgottesdienst von Pater Michael übernachteten wir Schweizer für eine Nacht in den Wohnräumen der Kapelle.

Am nächsten Morgen teilte mir mein Sohn mit: "Ich habe heute morgen den Sonneneinfall in der Kapelle gesehen und erinnerte mich an deine Taschenlampen-Vorführung am Karton-Modell auf unserem Esstisch. Es ist erstaunlich, aber es funktioniert tatsächlich, auch in Wirklichkeit!"