Abramo
21,2 Tsd.

Sehr lesenswert: Predigt von GV Markus Walser zur Landtagseröffnung in Vaduz

30. März 2017

Durchlaucht, werte Mitglieder des Landtag, werte Mitglieder der Regierung, liebe Brüder und Schwestern im Herrn

Liechtenstein ist – wenn es um die materiellen Dinge geht – ein reiches Land, eines der reichsten der Welt. Wir schaffen es nur nicht in jede Statistik, weil wir für manche Statistik zu klein sind.

Wir können uns eine Universität leisten, von der wir zwar nicht immer wissen, wie viele Studenten aus Liechtenstein dort studieren. Aber wir haben eine Uni.

Wir haben eine der höchsten Ärztedichten weltweit – mit und ohne Tarmed.
Doch als ich letztes Frühjahr in Liechtenstein einen Arzt für eine Vorsorgeuntersuchung suchte, zu der mich meine Schwägerin überredete, nachdem ich mehr als 20 Jahre keinen Hausarzt brauchte, erhielt ich bei den drei angefragten hierzulande tätigen Liechtensteiner Ärzten zur Antwort, dass sie im Moment keine neuen Patienten nehmen. Bei der letzten Arztpraxis, bei der ich telefonisch um einen Termin gebeten habe, habe ich nach der erneuten Absage noch nachgefragt: Dient der Annahmestopp dazu, die Regierung unter Druck zu setzen? Sie kennen vermutlich die Antwort: Es war ein „Ja“ – wenigsten ehrlich. In einem weniger reichen Nachbarland habe ich dann einen Arzt gefunden. Vorwahl 0041.

Wir können uns ein Landesspital leisten. Wir haben eine private chirurgische Klinik in Gamprin. Wir haben bald eine private Burn out Klinik auf Gaflei.
Doch wenn unsere Nachkommen das Licht der Welt erblicken, müssen ihre Mütter – hoffentlich begleitet und unterstützt von den Vätern dieser Kinder – für die Geburt in ein weniger reiches Nachbarland reisen.

Wenn unsere kleinen Nachkommen dann noch schwer erkranken sollten, müssen ihre Eltern sie in ein weniger reiches Nachbarland bringen, weil wir uns hierzulande keine Kinderabteilung eines Spitals leisten können oder wollen.

Wenn hierzulande wohnhafte Liechtensteiner Ehepaare – ich meine solche ganz klassischer Art, also eine Frau und ein Mann – aus medizinischen Gründen keine Kinder empfangen können und deswegen gerne ein Kleinkind adoptieren möchten, müssen sie ihren Wohnsitz in ein weniger reiches Nachbarland verlegen, weil eine Adoption eines Kleinkindes hierzulande wohl gesetzlich möglich, aber faktisch nahezu unmöglich ist.

Offensichtlich hat unser Land – von gewissen Ausnahmen abgesehen – nur wenig finanzielle Mittel und andere Ressourcen für die Schwächsten und somit Ärmsten unserer Gesellschaft: die ungeborenen Kinder und die Kleinkinder.

Liegt es vielleicht daran, dass Politik und Wirtschaft bei unserer eigenen Spezies wenig nachhaltig und sehr kurzfristig denken? Ungeborene Kinder und Kleinkinder haben noch keine eigene Geldbörse. Mit ihnen ist also kein kurzfristiger Profit zu machen. Zu Beginn des Lebens verursacht jeder Mensch Kosten. Wirtschaftlich gesprochen: Erst nach etwa zwanzig Jahren Investition ergibt sich – vielleicht – eine Rendite, wenn die Person ins Arbeitsleben integriert ist und sich als produktiv erweist. Viel zu lange in unserer kurzlebigen Zeit! Doch wer wäscht uns die Füsse, wenn wir im Alter einmal nicht mehr selbst dazu im Stande sind? Oder wer wird uns das Essen eingeben oder den Schnabelbecher reichen, wenn wir es einmal nicht mehr selbst könnten? Wer wird uns besuchen, wenn wir alt und krank sind, wer wird uns beim Sterben die Hand halten? Es wären die Kinder, für die wir uns derzeit keine Gebärabteilung und keine Kinderabteilung im landeseigenen Krankenhaus leisten wollen oder können.

Sie mögen nun einwenden, der Vaduzer Pfarrer solle keine Politik machen, sondern sich auf fromme Reden beschränken. Manchmal sind jedoch auch Weckrufe an die Gesellschaft nötig. Auch heute gibt es goldene Kälber, wie zur Zeit des Mose, von der die heutige Lesung handelt. Würde man ein paar abstrakte Gedanken zum goldenen Kalb formulieren, würde dies erfahrungsgemäss ungehört verhallen. Wenn man konkret wird, muss man damit rechnen, dass man persönlich angegriffen wird – Angriff ist ja die beste Verteidigung. Das ist das Berufsrisiko eines Pfarrers. Doch vielleicht kommt der eine oder andere Politiker ein wenig zum Nachdenken. Es könnte allen Einwohnern Liechtensteins dienen.

Als Seelsorger hören wir von den Gläubigen manches, was sie sich aus Rücksicht auf die eigene Arbeitsstelle oder das eigene Geschäft in der Öffentlichkeit in unseren kleinräumigen Verhältnissen nicht zu sagen trauen. Warum haben viele Politiker im deutschsprachigen Raum Angst vor sogenannten populistischen Parteien? Etwa weil sie mit ihren Ohren die Sorgen der einfachen Leute hören und in ihren Entscheidungen auch berücksichtigen müssten? Armut gibt es nicht nur in Timbuktu. Armut gibt es auch hierzulande, und zwar nicht nur bei den Menschen, die unter dem hiesigen Existenzminimum leben. Freilich, auch solche gibt es. Diejenigen, die knapp über dem Existenzminimum leben, sind die Hauptbetroffenen der in den letzten Jahren erfolgten Umverteilung durch Steuersenkungen und Gebührenerhöhungen. Denn für sie fallen höhere Gebühren viel mehr ins Gewicht als für die finanziell Bessergestellten.

Arm sind aber auch die Eltern, die keine Möglichkeit haben, die Kinder im eigenen Land zur Welt zu bringen. Arm sind auch die Eltern, die täglich nach Chur oder St. Gallen fahren müssen, wenn sie ihre kranken Kinder im Spital besuchen wollen. Sind wir ein reiches Land? Ehrlich gesagt: In manchen Bereichen sind wir ein armes Land mit einigen reichen oder sehr reichen Einwohnern. Wäre nicht für die „gewöhnlichen“ Einwohner Liechtensteins eine Kinderabteilung im Spital ein Reichtum? Oder ein Allgemeinarzt, der bereit ist, einen Termin für eine Vorsorgeuntersuchung zu geben, auch wenn es erst in ein paar Wochen oder Monaten wäre? Wäre das nicht wichtiger, als manches, was sich unser Land leistet, aber nur wenigen dient?

Wenn Sie, werte Landtagsabgeordnete, Ihre verfassungsmässige Aufgabe ernst nehmen, können Sie in der nächsten Legislaturperiode Ihren Beitrag dazu leisten, dass unser Land in dieser Hinsicht nicht noch ärmer wird, indem Sie sich immer wieder den verfassungsmässigen Grundsatz für Ihre Aufgabe vor Augen halten:
Art. 14: „Die oberste Aufgabe des Staates ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und für den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes.“

Als Landtagsabgeordnete werden Sie einen Eid auf die geltende Landesverfassung ablegen. Sie verpflichten sich damit, durch ihre parlamentarische Tätigkeit die gesamte Volkswohlfahrt zu fördern – nicht nur die wirtschaftlichen Interessen einzelner, sondern die des gesamten Volkes. Die religiösen und sittlichen Interessen, welche die Verfassung auch erwähnt, wage ich kaum anzusprechen. Dennoch gilt, was der bekannte spanische Psychiater Enrique Rojos kürzlich schrieb: „Wenn man Gott aus dem Horizont des Menschlichen ausschliesst, fühlt sich das Leben bedrohter an, weil die tragfähigen Argumente und Bezugspunkte fehlen und das Gesichtsfeld eingeschränkt, der Blick kurzsichtig wird.“ An Kurzsichtigkeit krankt manches bei politischen Entscheidungen, deren Perspektive selten mehr als eine Wahlperiode umfasst.

Oder wenn Sie es lieber aus dem Mund von Papst Johannes Paul I., der wegen seiner Güte der „lächelnde Papst“ genannt wird, hören: „Verscheucht Gott aus den Herzen der Menschen; sagt den Kindern, die Sünde sei nur ein Märchen, das ihre Grosseltern sich ausgedacht hätten, um sie lammfromm zu machen; gebt Schulbücher heraus, in denen Gott nicht vorkommt und die Autorität verhöhnt wird – und dann wundert euch über das, was dabei herauskommt.“

Vielleicht stellen Sie sich bei den konkreten politischen Entscheidungen auch ganz praktische Fragen: Was bedeutet das für die Kinder, die in zehn Jahren geboren werden? Oder werden sie vielleicht gar nicht mehr geboren, weil sie keinen kurzfristigen Gewinn abwerfen? Oder: Wie viele Franken kostet das pro Einwohner Liechtensteins?

Wenn ich am Landtagsgebäude vorbeigehe, ist dessen Dach für mich irgendwie ein Bild für die erwähnte Kurzsichtigkeit und auch allgemein für den Zustand dessen, was darunter in den letzten Jahren bisweilen abgelaufen ist. Es bröckelt und blendet. Ich war schon versucht, Teile davon, die am Boden herumlagen, bevor die Bauabschrankung aufgestellt wurde, als „Reliquie“ aufzubewahren oder im Fundbüro abzugeben. Der jetzige Zustand des Daches war mit gesundem Hausverstand vorhersehbar.

Als ich kurz nach Fertigstellung des Landtagsgebäudes die Messe zur Goldenen Hochzeit des Seniorchefs einer der grössten Schweizer Dachdeckerfirmen feiern konnte, ist die Familie nach dem Mittagessen noch nach Vaduz gefahren und hat einen Rundgang durchs Städtle unternommen. Der Dachdeckermeister schaute sich das Dach des Landtaggebäudes von unten an und sagte spontan: Das kann nicht funktionieren – Worte eines damals etwa 75-jährigen Mannes mit gut 50 Jahren Berufserfahrung.

Wenn wir jetzt das Hohe Haus anschauen, sieht jeder: Es hat nicht funktioniert. Wer über den Peter Kaiser Platz geht, spürt es unter seinen Schuhen oder merkt es in seinen Augen, die geblendet werden: Es hat nicht funktioniert. Wer am Werkhof des Landes vorbeifährt, sieht dort die zahlreichen Paletten mit sogenannten Landtagsziegeln und kann sich dann Gedanken dazu machen, was man mit denen noch alles vorhat... Was kostet das pro Einwohner? Mit politisch korrekten Worten spricht man von einem unterhaltsintensiven Gebäude. Wenn man es allgemein verständlich ausdrücken möchte, ist es das doch nichts anderes als eine vorhersehbare Verschwendung von Steuergeldern – ähnlich wie beim Pensionskassendebakel.

Werte Landtagsabgeordnete: Zu Beginn der Legislaturperiode steht traditionellerweise das Heilig-Geist-Amt verbunden mit der Bitte an Gottes Heiligen Geist, er möge Ihnen bei Ihren oft weitreichenden Entscheidungen Weisheit geben. Es ist nicht verboten, zuvor auch auf den gesunden Hausverstand zurückzugreifen. Denn auch dieser ist eine Gabe Gottes. Es gibt eine großartige Stelle im Roman „Die Verlobten“ des italienischen Dichters Alessandro Manzoni, wo es heisst: „Il buon senso c'era; ma se ne stava nascosto per paura del senso comune.“ – „Den gesunden Menschenverstand gab es, aber er hielt sich verborgen aus Angst vor der allgemeinen Meinung“.

Ich wünsche Ihnen den Mut, den gesunden Menschenverstand ohne Angst vor der öffentlichen oder veröffentlichten Meinung anzuwenden.
Vor allem vergessen Sie nicht, was Sie als Volksvertreter zu Beginn Ihrer Landtagstätigkeit mit dem Eid auf die Verfassung versprechen: Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. An diesen Grundsatz wollte ich mit den konkreten Beispielen, über die man sicher diskutieren kann und sogar soll, erinnern. Amen.
studiosus
Prälat Walser ist schon ein Guter... er würde sich auch als Bischof in der CH gut machen. Aber da ist er wohl chancenlos weil eben zu gut...
Abramo
@CollarUri: Bei der Geburts- und Kinderabteilung beginnt ALLES. Früher hatten Frauen und Kinder absolute Priorität. Heute ist das anders. Daran geht nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Kirche kaputt.