Santiago_
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„Wir hätten auf Ratzinger hören sollen“

"(Rio de Janeiro) Während in diesen Tagen die Medienente die Runde machte, der Präfekt der Glaubenskongregation, Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller habe sich für eine „Versöhnung“ mit der Befreiungstheologie ausgesprochen, meldete sich der Bruder des bekanntesten Befreiungstheologen der Welt, Leonardo Boff zu Wort. Und das in einem ganz anderen Sinn.

Die Befreiungstheologie war eines der schlimmsten Unglücke für die katholische Kirche. Ihre Erfinder sind die Theologen Gustavo Gutierrez, ein Dominikaner, und Leonardo Boff, ein Franziskaner. Entstanden ist sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und sollte eine Interpretation und Antwort auf die dramatische Situation der Massenarmut in Lateinamerika sein. Soweit die noble Absicht.

In Wirklichkeit vermischte sie die Theologie mit dem damals in Mode stehenden und scheinbar unaufhaltsamen Marxismus. Sie rechtfertigte zunächst den Klassenkampf, dann den bewaffneten Kampf und mündete unweigerlich in Gewalt. Und viele Katholiken, auch Priester, Ordensleute und Seminaristen sind den falschen Sirenengesängen gefolgt. Die Folge war großes Leid und schwere Risse und Spaltungen in der katholischen Kirche durch Priester, die das Kreuz in der Hand mit einem Maschinengewehr eintauschten. Kleriker, die statt dem Vorbild der Heiligen zu folgen, lieber dem Beispiel Che Guevaras nachahmten und sich im Guerillakampf durch die Städte und den Dschungel kämpften und irgendwann von Polizei oder Militär erschossen wurden.

Aus diesem Grund verurteilten die lateinamerikanischen Bischöfe die marxistisch infizierte Theologie 1979. Gleiches tat ausführlich begründet die Glaubenskongregation unter der Führung von Joseph Kardinal Ratzinger auf ausdrückliche Aufforderung von Papst Johannes Paul II., der aus dem sowjetisch kontrollierten Ostblock stammend, besonders sensibel für das Thema war. Die Glaubenskongregation studierte das Phänomen aus Sicht der Orthodoxie und der Soziallehre der Kirche. Die Verurteilung erfolgte mit zwei Dokumenten: Libertatis Nuntius (1984) und Libertatis Conscientia (1986). In beiden wurde festgehalten, daß die Befreiungstheologie in einem Abhängigkeitsverhältnis zur marxistischen Gesellschaftskritik stand und daher mit der Botschaft des Evangeliums unvereinbar ist.

Leonardo Boff, heute unter anderem Mitarbeiter des kirchenfeindlichen Revolverblattes Fatto Quotidiano, hat diesen Eingriff Ratzingers nie verziehen. Er kehrte der Kirche den Rücken und begann gegen sie einen persönlichen Rachefeldzug unter anderem durch seine brasilianischen „Basisgemeinschaften“. So eine Art brasilianischer Don Gallo (siehe eigenen Bericht).

Jüngst meldete sich Boff wieder zu Wort um Papst Franziskus überschwenglich zu loben. Und die Medien schenkten ihm gewohnheitsgemäß großes Aufsehen. Dabei war es Boff gewesen, der noch kurz vor dem Konzil über die Medien gefordert hatte, daß „jemand wie Bergoglio“, nicht einmal zum Konklave zugelassen werden sollte. Der Grund dafür, den Boff natürlich nicht nannte, ist, daß Kardinal Bergoglio in Argentinien die marxistische Befreiungstheologie aus nächster Nähe kennengelernt und ablehnt hatte. Bergoglio verwarf die Thesen der marxistischen Theologie und widersetzte sich seinen Mitbrüdern im Jesuitenorden, die sich Boff und Gutierrez anschlossen. Die Folge war ein bis heute anhaltendes Ressentiment von Teilen des Ordens gegen Bergoglio. Wie Boff Ratzinger die Verurteilung der von ihm geschaffenen Theologie nie verziehen hat, so haben manche Jesuiten das Gleiche Bergoglio nie verziehen.

Hier weiterlesen: www.katholisches.info/…/bruder-von-leon…
Santiago_
Tradition und Kontinuität
Man sollte im Prinzip immer auf Ratzinger hören.
Leider stammt der Artikel vom Juni, und man muss sich angesichts neuerer Entwicklungen fragen, ob es tatsächlich eine "Medienente" war, oder ob die Rehabilitation nicht doch im Gange ist. Trotzdem: die Meinung des Bruders ist sehr erfreulich.
Galahad
Vielen Dank werter Santiago. Sehr interessant zu erfahren. 👍 👏