Putin u. der Zusammenhang zwischen Abtreibung und Demographie
Wladimir und die Kinder Von Stefan Meetschen
Die einstige Weltmacht Russland befindet sich am Rand des demographischen Kollaps‘ – ausgerechnet Russlands Präsident Wladimir Putin scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Wohl nicht aus Nächstenliebe und wohl auch nicht aus Gottesfurcht, sondern vermutlich eher, weil er rechnen kann, hat der starke Mann Russlands dafür gesorgt, dass in Russland die Werbung für vorgeburtliche Kindstötungen gesetzlich verboten wurde.
So ändern sich die Zeiten. Galt früher das schlichte Schema »Gutes Amerika – böse Sowjetunion«, so verlangt die heutige Weltlage mit Blick auf die westlichen und östlichen Supermächte eine weit differenziertere Interpretation. Mag an der Spitze Russlands mit dem früheren KGB-Agenten Wladimir Putin auch nicht unbedingt ein »lupenreiner Demokrat« stehen, wie SPD-Kanzler Gerhard Schröder seinerzeit wohl etwas zu optimistisch bekundete; spätestens seit der im Sommer hochgekochten NSA-Affäre haben sich jedoch selbst bei Freunden der Vereinigten Staaten begründete Zweifel an der menschenrechtlichen Verfasstheit der einstigen westlichen Muster-Demokratie eingeschlichen. Einmal mehr, seit unter der US-Präsidentschaft von Barack Obama der Schutz des Lebens sowie das klassische Profil der Ehe und der Familie jenseits des Atlantiks immer mehr bedroht zu sein scheinen. Wichtige Themenfelder, bei denen nun ausgerechnet der russische Präsident Wladimir Putin, völlig konträr zu dem eiskalten Image, mit dem ihn die westlichen Medien so gerne zeigen, überraschend zu punkten weiß. Nicht nur, indem der Mann mit der Neigung zum nackten Oberkörper und beherzten Judo-Wurf bislang mit großer Standfestigkeit sein Land gegen die global schier unaufhaltsame Gender-Ideologie zu beschützen weiß und Demonstrationen Homosexueller, welche eine Manipulation der Menschenrechte in ihrem Sinne zu erreichen versuchen, unterbindet – auch auf dem Gebiet des Lebensschutzes nimmt Putin eine Haltung ein, die man sich von vielen westlichen Politikern wünschen würde.
So hat, wie das russische Nachrichtenportal RIA Novosti berichtet, der 61-jährige Sankt Petersburger im November dieses Jahres die Novellen zu einem Werbe-Gesetz unterschrieben, welches die Werbung für Abtreibungen verbieten soll. Und zwar losgelöst von der Frage, ob es sich dabei um sogenannte medizinische Dienstleistungen handelt oder um traditionelle Verfahren, wie sie bereits in der Sowjetunion zuhauf praktiziert wurden: Aborte ohne Betäubung, durchgeführt von darin mehr oder weniger routinierten Babuschkas in der Hinterstube privater Häuser und Wohnungen.
Doch damit nicht genug: Bereits seit mehreren Jahren zahlt auf Drängen Putins der russische Staat Eltern, die ein zweites oder drittes Kind bekommen, eine Prämie von 250.000 Rubeln (ungefähr 7.300 Euro), was bei einem Durchschnittslohn von 10.300 Rubeln (ungefähr 300 Euro) schon eine bedenkenswerte Summe ist. Auch wenn der russische Staat den an Geld und Nachwuchs prinzipiell interessierten Paaren genau vorschreibt, wann das Geld kommt und wofür es ausgegeben werden soll. Erst wenn das zweite (oder dritte) Kind drei Jahre alt ist, wird die Prämie ausgezahlt. Sie muss für die Ausbildung des Kindes, die Wohnsituation der Eltern oder die Alterssicherung der Mutter verwandt werden.
Ein Anreiz, der offenbar erfolgreich ist, denn mit Blick auf das Jahr 2012 jubeln nicht nur die russischen Medien, die Putins Partei »Einiges Russland« nahestehen, über den »Aufschwung der Geburtenzahlen«. Zwischen dem Januar und September 2012 seien nahezu anderthalb Millionen Kinder geboren worden, so die Zeitung »Moskowski Komsomolez«. »80.000 mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres.« Für Putin und den von ihm protegierten Premier Dmitri Medwedew ein Beweis, dass man sich mit der Prämien-Politik »in die richtige Richtung« bewege.
Doch nicht nur beim Thema Geburten tut sich aufgrund von Putins energischem Eingreifen etwas – auch bei der Zahl der Abtreibungen vermeldet Russland erste Fortschritte. So gab die Leiterin des Ressorts Pädiatrie und Geburtenhilfe des russischen Gesundheitsministeriums, Jelena Baibarina, im Sommer dieses Jahres zu Protokoll, dass die Zahl der Abtreibungen gegenüber dem Jahr 2008 um ein Viertel gesunken sei. Von 1,236 Millionen auf 935.000. Eine Zahl, die – wie Baibarina unterstreicht – natürlich »immer noch viel zu hoch« sei. Um hinzuzufügen, dass der russische Staat keine »Strafmaßnahmen« gegen ungewollt schwangere Frauen durchführe, es gehe stattdessen vor allem um »Hilfe für die Frau, die in eine Krisensituation geraten« sei. Dabei entscheidend, so Baibarina, sei ein »Netz von Zentren der psychologischen und sozialen Hilfe. Ein beachtlicher Teil der Frauen, die sich an diese Zentren gewandt haben, entschließen sich danach, ihr Kind zu behalten.« Ein Angebot also, das offensichtlich auf ethisch deutlich klareren Lebensschutz-Fundamenten errichtet ist als die zahlreichen ideologisch-befrachteten Angebote amerikanischer und europäischer Einrichtungen für die sogenannten »sexuellen und reproduktiven Rechte« von Frauen, bei denen es am Ende trotz verschleiernder Worte nur auf die Tötung der ungeborenen Kinder hinausläuft.
Eine Anleitung zum Unrecht, mit dessen negativ-praktischen Folgen Russland aufgrund seiner kommunistischen Vergangenheit bestens vertraut ist – was Putins überraschend wirkendes Coming-Out als Lebensschützer etwas verständlicher macht. Schließlich war es die Sowjetunion, die im Jahr 1920 die Tötung ungeborener Kinder (bis zur zwölften Woche) als erstes Land der Welt legalisierte. Unter der euphorischen Begleitmusik von edelkommunistischen Buchautorinnen wie etwa Alexandra Kollontai (»Die neue Moral und die Arbeiterklasse«), die damals zum Thema Abtreibung nüchtern bemerkte: »Nur dass man des Abortes wegen die Arbeit auf zwei, drei Wochen unterbrechen muss, das ist gewiss unangenehm.« Eine grausam-materialistische Verzerrung der Wirklichkeit, war es doch auch schon damals nichts Ungewöhnliches, dass nicht nur das Kind den Eingriff nicht überlebte, sondern auch die potentielle Mutter aufgrund unzureichender medizinischer Versorgung und mangelnder Hygiene verstarb. Von den Schuldgefühlen und Depressionen derjenigen, die überlebten, gar nicht zu reden.
[...]
Allein in den Jahren 1991 und 1992 soll es in Russland zu dreieinhalb Millionen Abtreibungen gekommen sein. Wofür aus Sicht westlicher Experten gewöhnlich fehlende Antibabypillen, Kondome und andere empfängnisverhütende Mittel als Ursache und Erklärung herangezogen wurden – tatsächlich waren es jedoch die ideologischen Langzeitwirkungen des Historischen Materialismus in den Köpfen der schwangeren Frauen im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen, welche diese Zahlen des Grauens bewirkten und aufrechterhielten. Bis zum Auftritt Wladimir Putins als Präsident Russlands im Jahr 2000.
Schnell erkannte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler (wenn man es böse sagen will, ebenso klar wie Stalin, aber Diktatoren und »lupenreine Demokraten« besitzen bedauernswerterweise wohl ein verantwortungsvolleres Geburten-Bewusstsein als radikalliberale und sich sozial nennende Demokraten), wie bedrohlich diese verbreitete Praxis des Nachwuchstötens für die Nation auf Dauer sein würde. Nicht nur im Bezug auf die Mentalität und Psyche der Frauen – bis zu 25 Abtreibungen je Frau waren in der Sowjetunion und den ersten postsowjetischen Jahren nichts Ungewöhnliches –, sondern auch mit Blick auf die demographische Entwicklung des Landes.
Dass ein Land, das seine Kinder abtreibt, auf Dauer nicht überlebensfähig ist, das machte Putin, der selbst Vater zweier Töchter ist, schon früh in seinen Ansprachen und Reden gegenüber den eigenen Landsleuten deutlich. Die niedrige Geburtenrate habe entscheidend dazu geführt, dass die russische Bevölkerung schrumpfe, warnte Putin bereits in den 2000er Jahren. Pro Jahr um 700.000 bis 800.000 Menschen. Das sei die größte Bedrohung für Russland, weshalb jede russische Frau statt im Schnitt 1,3 künftig 2,14 Kinder gebären müsse. Es war die Zeit, als Putins Duz-Freund Gerhard Schröder mit Witzen über derart vermeintliche Zahlenspielereien in Deutschland Wahlen gewann.
Putin jedoch (»Die Frauen, die Kinder und die Liebe – das ist das Wichtigste in unserem Leben«) machte die Demographie und damit verknüpft das Thema Geburtensteigerung und Abtreibungsverbot zur nationalen Agenda. Denn natürlich agiert er bei diesem Thema nicht nur aus reiner Menschenliebe, sondern auch, weil er als Wirtschaftswissenschaftler leicht errechnen kann, dass die sinkende Bevölkerung auch den russischen Arbeitsmarkt treffen und im Bezug auf Russlands Produktivität zu einem ernsthaften Problem werden kann. Verstärkt durch die relativ kurze Lebenserwartung (russische Männer sterben durchschnittlich mit 59 Jahren, Frauen mit 72 Jahren), könnte es bereits im Jahr 2030 zu erheblichen personellen Defiziten kommen, wie russische Wirtschaftsinsider prognostizieren.
Ein Grund mehr für Putin, der im Übrigen aus seinem orthodoxen Glauben keinen Hehl macht, wie man einmal mehr bei seinem Papst-Besuch samt Ikonen-Austausch im November 2013 beobachten konnte, beim Kampf gegen die Abtreibung und für die Geburten auf die Tube zu drücken. 2012 gründete Putin, was in den westlichen Medien entweder gern übergangen oder als seltsamer nationaler Klamauk präsentiert wird, den Rat für nationale Projekte und demographische Politik. Dieser Rat, dem auch Premier Dmitri Medwedew und der Kinderrechtsbeauftragte Pawel Astachow angehören, dient der Bündelung wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Strategien, die helfen sollen, die zu niedrige Zahl der Geburten in den Griff zu kriegen. Was angesichts der zurückliegenden
Jahrzehnte und der darin praktizierten demographischen Sünden und Versäumnisse natürlich ein Wettlauf mit der Zeit ist. Ein entscheidender Geburtenrückgang habe bereits in den 1960er Jahren als Spätfolge des Zweiten Weltkriegs eingesetzt, betonen manche russischen Soziologen, wie der Direktor des Instituts für Demographie bei der Wirtschaftshochschule in Moskau, Anatoli Wischnewski. Ab dem Jahr 1988 sei dieses »demographische Loch« der 1960er dann wieder deutlich in Erscheinung getreten, weshalb das jetzige Geburten-Hoch keinesfalls als Erfolg der russischen Demographie-Politik unter Putin zu werten sei, sondern ein logischer, aber nur noch kurz anhaltender Trend sei. Andere Experten haben Zweifel an der Gebärbereitschaft der russischen Frauen und betonen das gestiegene Alter, in dem diese Frauen ihre Kinder bekämen. Langfristig könne man wohl nur durch Migration die demographische Krise aufhalten oder wenigstens eindämmen. WEITERLESEN (pdf)
Quelle: Lebensforum Nr. 108 | 4. Quartal 2013, Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA), Seite 16.
Die einstige Weltmacht Russland befindet sich am Rand des demographischen Kollaps‘ – ausgerechnet Russlands Präsident Wladimir Putin scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Wohl nicht aus Nächstenliebe und wohl auch nicht aus Gottesfurcht, sondern vermutlich eher, weil er rechnen kann, hat der starke Mann Russlands dafür gesorgt, dass in Russland die Werbung für vorgeburtliche Kindstötungen gesetzlich verboten wurde.
So ändern sich die Zeiten. Galt früher das schlichte Schema »Gutes Amerika – böse Sowjetunion«, so verlangt die heutige Weltlage mit Blick auf die westlichen und östlichen Supermächte eine weit differenziertere Interpretation. Mag an der Spitze Russlands mit dem früheren KGB-Agenten Wladimir Putin auch nicht unbedingt ein »lupenreiner Demokrat« stehen, wie SPD-Kanzler Gerhard Schröder seinerzeit wohl etwas zu optimistisch bekundete; spätestens seit der im Sommer hochgekochten NSA-Affäre haben sich jedoch selbst bei Freunden der Vereinigten Staaten begründete Zweifel an der menschenrechtlichen Verfasstheit der einstigen westlichen Muster-Demokratie eingeschlichen. Einmal mehr, seit unter der US-Präsidentschaft von Barack Obama der Schutz des Lebens sowie das klassische Profil der Ehe und der Familie jenseits des Atlantiks immer mehr bedroht zu sein scheinen. Wichtige Themenfelder, bei denen nun ausgerechnet der russische Präsident Wladimir Putin, völlig konträr zu dem eiskalten Image, mit dem ihn die westlichen Medien so gerne zeigen, überraschend zu punkten weiß. Nicht nur, indem der Mann mit der Neigung zum nackten Oberkörper und beherzten Judo-Wurf bislang mit großer Standfestigkeit sein Land gegen die global schier unaufhaltsame Gender-Ideologie zu beschützen weiß und Demonstrationen Homosexueller, welche eine Manipulation der Menschenrechte in ihrem Sinne zu erreichen versuchen, unterbindet – auch auf dem Gebiet des Lebensschutzes nimmt Putin eine Haltung ein, die man sich von vielen westlichen Politikern wünschen würde.
So hat, wie das russische Nachrichtenportal RIA Novosti berichtet, der 61-jährige Sankt Petersburger im November dieses Jahres die Novellen zu einem Werbe-Gesetz unterschrieben, welches die Werbung für Abtreibungen verbieten soll. Und zwar losgelöst von der Frage, ob es sich dabei um sogenannte medizinische Dienstleistungen handelt oder um traditionelle Verfahren, wie sie bereits in der Sowjetunion zuhauf praktiziert wurden: Aborte ohne Betäubung, durchgeführt von darin mehr oder weniger routinierten Babuschkas in der Hinterstube privater Häuser und Wohnungen.
Doch damit nicht genug: Bereits seit mehreren Jahren zahlt auf Drängen Putins der russische Staat Eltern, die ein zweites oder drittes Kind bekommen, eine Prämie von 250.000 Rubeln (ungefähr 7.300 Euro), was bei einem Durchschnittslohn von 10.300 Rubeln (ungefähr 300 Euro) schon eine bedenkenswerte Summe ist. Auch wenn der russische Staat den an Geld und Nachwuchs prinzipiell interessierten Paaren genau vorschreibt, wann das Geld kommt und wofür es ausgegeben werden soll. Erst wenn das zweite (oder dritte) Kind drei Jahre alt ist, wird die Prämie ausgezahlt. Sie muss für die Ausbildung des Kindes, die Wohnsituation der Eltern oder die Alterssicherung der Mutter verwandt werden.
Ein Anreiz, der offenbar erfolgreich ist, denn mit Blick auf das Jahr 2012 jubeln nicht nur die russischen Medien, die Putins Partei »Einiges Russland« nahestehen, über den »Aufschwung der Geburtenzahlen«. Zwischen dem Januar und September 2012 seien nahezu anderthalb Millionen Kinder geboren worden, so die Zeitung »Moskowski Komsomolez«. »80.000 mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres.« Für Putin und den von ihm protegierten Premier Dmitri Medwedew ein Beweis, dass man sich mit der Prämien-Politik »in die richtige Richtung« bewege.
Doch nicht nur beim Thema Geburten tut sich aufgrund von Putins energischem Eingreifen etwas – auch bei der Zahl der Abtreibungen vermeldet Russland erste Fortschritte. So gab die Leiterin des Ressorts Pädiatrie und Geburtenhilfe des russischen Gesundheitsministeriums, Jelena Baibarina, im Sommer dieses Jahres zu Protokoll, dass die Zahl der Abtreibungen gegenüber dem Jahr 2008 um ein Viertel gesunken sei. Von 1,236 Millionen auf 935.000. Eine Zahl, die – wie Baibarina unterstreicht – natürlich »immer noch viel zu hoch« sei. Um hinzuzufügen, dass der russische Staat keine »Strafmaßnahmen« gegen ungewollt schwangere Frauen durchführe, es gehe stattdessen vor allem um »Hilfe für die Frau, die in eine Krisensituation geraten« sei. Dabei entscheidend, so Baibarina, sei ein »Netz von Zentren der psychologischen und sozialen Hilfe. Ein beachtlicher Teil der Frauen, die sich an diese Zentren gewandt haben, entschließen sich danach, ihr Kind zu behalten.« Ein Angebot also, das offensichtlich auf ethisch deutlich klareren Lebensschutz-Fundamenten errichtet ist als die zahlreichen ideologisch-befrachteten Angebote amerikanischer und europäischer Einrichtungen für die sogenannten »sexuellen und reproduktiven Rechte« von Frauen, bei denen es am Ende trotz verschleiernder Worte nur auf die Tötung der ungeborenen Kinder hinausläuft.
Eine Anleitung zum Unrecht, mit dessen negativ-praktischen Folgen Russland aufgrund seiner kommunistischen Vergangenheit bestens vertraut ist – was Putins überraschend wirkendes Coming-Out als Lebensschützer etwas verständlicher macht. Schließlich war es die Sowjetunion, die im Jahr 1920 die Tötung ungeborener Kinder (bis zur zwölften Woche) als erstes Land der Welt legalisierte. Unter der euphorischen Begleitmusik von edelkommunistischen Buchautorinnen wie etwa Alexandra Kollontai (»Die neue Moral und die Arbeiterklasse«), die damals zum Thema Abtreibung nüchtern bemerkte: »Nur dass man des Abortes wegen die Arbeit auf zwei, drei Wochen unterbrechen muss, das ist gewiss unangenehm.« Eine grausam-materialistische Verzerrung der Wirklichkeit, war es doch auch schon damals nichts Ungewöhnliches, dass nicht nur das Kind den Eingriff nicht überlebte, sondern auch die potentielle Mutter aufgrund unzureichender medizinischer Versorgung und mangelnder Hygiene verstarb. Von den Schuldgefühlen und Depressionen derjenigen, die überlebten, gar nicht zu reden.
[...]
Allein in den Jahren 1991 und 1992 soll es in Russland zu dreieinhalb Millionen Abtreibungen gekommen sein. Wofür aus Sicht westlicher Experten gewöhnlich fehlende Antibabypillen, Kondome und andere empfängnisverhütende Mittel als Ursache und Erklärung herangezogen wurden – tatsächlich waren es jedoch die ideologischen Langzeitwirkungen des Historischen Materialismus in den Köpfen der schwangeren Frauen im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen, welche diese Zahlen des Grauens bewirkten und aufrechterhielten. Bis zum Auftritt Wladimir Putins als Präsident Russlands im Jahr 2000.
Schnell erkannte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler (wenn man es böse sagen will, ebenso klar wie Stalin, aber Diktatoren und »lupenreine Demokraten« besitzen bedauernswerterweise wohl ein verantwortungsvolleres Geburten-Bewusstsein als radikalliberale und sich sozial nennende Demokraten), wie bedrohlich diese verbreitete Praxis des Nachwuchstötens für die Nation auf Dauer sein würde. Nicht nur im Bezug auf die Mentalität und Psyche der Frauen – bis zu 25 Abtreibungen je Frau waren in der Sowjetunion und den ersten postsowjetischen Jahren nichts Ungewöhnliches –, sondern auch mit Blick auf die demographische Entwicklung des Landes.
Dass ein Land, das seine Kinder abtreibt, auf Dauer nicht überlebensfähig ist, das machte Putin, der selbst Vater zweier Töchter ist, schon früh in seinen Ansprachen und Reden gegenüber den eigenen Landsleuten deutlich. Die niedrige Geburtenrate habe entscheidend dazu geführt, dass die russische Bevölkerung schrumpfe, warnte Putin bereits in den 2000er Jahren. Pro Jahr um 700.000 bis 800.000 Menschen. Das sei die größte Bedrohung für Russland, weshalb jede russische Frau statt im Schnitt 1,3 künftig 2,14 Kinder gebären müsse. Es war die Zeit, als Putins Duz-Freund Gerhard Schröder mit Witzen über derart vermeintliche Zahlenspielereien in Deutschland Wahlen gewann.
Putin jedoch (»Die Frauen, die Kinder und die Liebe – das ist das Wichtigste in unserem Leben«) machte die Demographie und damit verknüpft das Thema Geburtensteigerung und Abtreibungsverbot zur nationalen Agenda. Denn natürlich agiert er bei diesem Thema nicht nur aus reiner Menschenliebe, sondern auch, weil er als Wirtschaftswissenschaftler leicht errechnen kann, dass die sinkende Bevölkerung auch den russischen Arbeitsmarkt treffen und im Bezug auf Russlands Produktivität zu einem ernsthaften Problem werden kann. Verstärkt durch die relativ kurze Lebenserwartung (russische Männer sterben durchschnittlich mit 59 Jahren, Frauen mit 72 Jahren), könnte es bereits im Jahr 2030 zu erheblichen personellen Defiziten kommen, wie russische Wirtschaftsinsider prognostizieren.
Ein Grund mehr für Putin, der im Übrigen aus seinem orthodoxen Glauben keinen Hehl macht, wie man einmal mehr bei seinem Papst-Besuch samt Ikonen-Austausch im November 2013 beobachten konnte, beim Kampf gegen die Abtreibung und für die Geburten auf die Tube zu drücken. 2012 gründete Putin, was in den westlichen Medien entweder gern übergangen oder als seltsamer nationaler Klamauk präsentiert wird, den Rat für nationale Projekte und demographische Politik. Dieser Rat, dem auch Premier Dmitri Medwedew und der Kinderrechtsbeauftragte Pawel Astachow angehören, dient der Bündelung wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Strategien, die helfen sollen, die zu niedrige Zahl der Geburten in den Griff zu kriegen. Was angesichts der zurückliegenden
Jahrzehnte und der darin praktizierten demographischen Sünden und Versäumnisse natürlich ein Wettlauf mit der Zeit ist. Ein entscheidender Geburtenrückgang habe bereits in den 1960er Jahren als Spätfolge des Zweiten Weltkriegs eingesetzt, betonen manche russischen Soziologen, wie der Direktor des Instituts für Demographie bei der Wirtschaftshochschule in Moskau, Anatoli Wischnewski. Ab dem Jahr 1988 sei dieses »demographische Loch« der 1960er dann wieder deutlich in Erscheinung getreten, weshalb das jetzige Geburten-Hoch keinesfalls als Erfolg der russischen Demographie-Politik unter Putin zu werten sei, sondern ein logischer, aber nur noch kurz anhaltender Trend sei. Andere Experten haben Zweifel an der Gebärbereitschaft der russischen Frauen und betonen das gestiegene Alter, in dem diese Frauen ihre Kinder bekämen. Langfristig könne man wohl nur durch Migration die demographische Krise aufhalten oder wenigstens eindämmen. WEITERLESEN (pdf)
Quelle: Lebensforum Nr. 108 | 4. Quartal 2013, Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA), Seite 16.