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MODÉRN - MÓDERN Predigt zum Fest des hl. Johannes d. Täufers v. Kaplan A. Betschart

Für viele Menschen, selbst für viele Katholiken, scheint das Credo unserer Zeit zu lauten: um jeden Preis modern zu sein. Es sieht so aus, als ob es für viele unserer Zeitgenossen nichts Schlimmeres gibt, als für unmodern gehalten zu werden. Was aber in unserer schnelllebigen Zeit heute modern ist, ist oft schon morgen schimmelig und beginnt zu modern. (Módern und modérn ist ein und dasselbe Wort. Es kommt auf die Betonung an!) Deshalb ist es ungemein erfrischend, Persönlichkeiten zu begegnen, die den Mut haben, unmodern, sich selbst und den wahren Werten treu zu sein.

Johannes der Täufer

Einer solchen Persönlichkeit begegnen wir am heutigen Sonntag, auf den das Fest des heiligen Johannes des Täufers fällt, der der letzte große Prophet vor der Ankunft Christi ist. Er ist von der Glut der Wüste gebrannt. Ein Fell aus Kamelhaaren diente ihm als Kleid, Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Trotzdem war er kein Verrückter, den man nicht ernst nahm, sondern ein Prophet, vom Geiste Gottes gepackt, ein hartes Leben führend, weit weg von allem, was das Dasein eines Normalbürgers ausmacht. Dafür ist Johannes stark im Geist, machtvoll im Wort, unbestechlich und unerbittlich in den Forderungen. Konsequenz ist ein Grundzug im Charakter dieses Propheten. Wie der Prophet Elias, so scheut auch Johannes sich nicht, in seiner Predigt die Zuhörer direkt anzugreifen.
Was man heute nicht für möglich halten möchte: Die Menschen kommen trotzdem in Scharen zu Johannes hinaus in die Wüste, obwohl sie keine Litanei von Komplimenten und Nettigkeiten zu hören bekommen; obwohl hier einer spricht, der das Arrangement mit dem Zeitgeist nicht preist, um bei den Leuten anzukommen, sondern wegen der Ankunft des Messias die Busse und die Umkehr fordert, und zwar radikal und kompromisslos.

Prophetische Echtheit

Wer aber den Menschen so entgegentritt, muss selber absolut glaubwürdig sein. Die zu ihm kommen, sehen: was er von anderen fordert, hat er zuerst an sich selbst verwirklicht. Er ist nicht einer, der den andern nur einen auf Plakate und Spruchbänder gemalten Protest vor Augen hält. Die Menschen ahnen: in diesem Mann ist Hoffnung, weil er über das Zeitbedingte des Augenblicks hinaussieht. Sie spüren diese Hoffnung, obwohl er ihnen das Gericht androht.
Wir müssen es uns wieder einmal bewusst machen, dass alle echten Propheten Unheilspropheten sind. Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift wird die Unglücksweissagung geradezu zum Erkennungszeichen des wahren Propheten gemacht, ob er von Gott gesandt ist oder nicht. Wenn er den Leuten gute Tage verheisst, um ihnen zu Gefallen zu reden, ist er ein falscher Prophet. Die echten müssen immer wieder weissagen: wenn ihr euch nicht bekehrt, wird das drohende Unheil über euch hereinbrechen. Ihre Aufgabe bestand darin, Gottes Willen mit gewaltiger Einsicht geltend zu machen und das Göttliche gegen das Gottwidrige im Menschen zu vertreten. Und das löste sich bei ihnen wie der Schrei eines von Gott verwundeten Herzens, das vom Ewigen aufgewühlt wurde.
Ein zweites gehört zum echten Propheten: das ist die Unablösbarkeit des Leidens von seinem Amt. Das Vorausverkünden der Zukunft, das Androhen von Unheil und Strafe muss der Prophet selbst mit unendlichen Schmerzen bezahlen.
Johannes hat das Volk hart angefahren. Scheinbar gegen das Volk, kämpft er jedoch einen leidenschaftlichen Kampf für die Seele dieses Volkes. Es war ihm nicht einfach gleichgültig, dass diese Menschen aus falscher Sicherheit, aus Bequemlichkeit, Faulheit und Vergnügungssucht die entscheidenden Stunden ihres Lebens vertaten. Deshalb die so unerbittliche Forderung nach Busse und Umkehr. Darin lag ihre letzte Chance vor Gott, – und das ist auch die unsrige.
Johannes hat immer, trotz Drohung und Gewalt gegen ihn, die göttliche Wahrheit unverkürzt bezeugt. Niemals hat er kokettiert mit dem Zeitgeist, das heisst mit der Lüge, sondern sich mit der ganzen Überzeugung seines Wissens und Gewissens dagegen gestemmt. Deshalb ist Johannes zeitlos. Er ist für die Kirche und für uns ein Zeichen: nämlich dem Zeitgeist, der die Lüge ist, zu widerstehen, und zwar in allen Formen von Heuchelei, Falschheit, Täuschung und Verdrehung als Missbrauch der Wahrheit, angefangen im eigenen, persönlichen Leben. Denn wer sich der Lüge unterordnet, wird zum berüchtigten Massenmensch, der tut, was alle tun, ohne zu fragen, ob es vor Gott zu verantworten ist. Damit wird man aber unfähig für das Hören und Tun der Wahrheit.
Zu diesem Typ “Massenmensch” gehört, wer sich beispielsweise kritiklos von der gängigen Meinung – z. B. von der Fernsehmeinung – bestimmen lässt, oder sich von augenblicklichen geistigen und theologischen Modeströmungen am Gängelband führen lässt. Oder: wer sich höchstens für Mode, Sport, Technik und Kultur interessiert, dafür aber allen religiösen Fragen, die seine unsterbliche Seele betreffen, gleichgültig gegenübersteht: das alles sind Merkmale des Massenmenschen.
Aber auch der sogenannte Normalbürger, zu dem auch wir uns zählen müssen, ist dieser Gefahr der Vermassung ausgesetzt. Für ihn ist die religiöse Wahrheit oft bloss ein Gegenstand der Neugierde, über die sich bei einem Glase Whisky oder bei Kuchen und Kaffee interessant diskutieren lässt. Doch von der Wahrheit wird er nicht im mindesten berührt, geschweige denn getroffen, so dass er sein Leben ändern würde. Diese kultivierte Form des Massenmenschen ist die gefährlichste, weil sie so zahlreich vorkommt und deshalb kaum auffällt.

Bereitschaft zum Glaubenszeugnis

Der verstorbene P. Gerhard Hermes zitierte in der Zeitschrift “Der Fels” den Russen Wladimir Maximow, der sagt, dass eine große Schar von Geistlichen die Gläubigen an den Zeitgeist verkaufe, um selber ungeschoren wegzukommen. Das entspricht heute mehr denn je der Wahrheit. Dann schrieb P. Hermes wörtlich: “Wir müssen uns auf eine Zeit einstellen und einüben, da der höhere und niedere Klerus sich in grosser Zahl für die Ziele der gottfeindlichen und seelenmordenden Macht einspannen lässt” – es sei erinnert an die Bischofssynode vom Oktober 2015 mit dem daraus folgenden nachsynodalen nicht irrtumsfreien Schreiben Amoris laetitia vom 19. März 2016 –, “wo also der Gläubige, ganz auf sich selbst, auf sein Gewissen, auf sein in Treue und Liebe zu Gott brennendes Herz angewiesen ist. ‘Seit den Tagen des Johannes des Täufers leidet das Himmelreich Gewalt, und nur, die Gewalt brauchen, reissen es an sich’ (Mt 11,12). Dieses Wort des Herrn wird in den Tagen des weltweiten Abfalles, der allgemeinen Sklaverei – und sind diese Tage nicht schon angebrochen? – unsere rückhaltlose Entscheidung und unsere letzte Hingabe fordern...”
Deshalb ist jeder Kompromiss, der den Geist Gottes dem Zeitgeist anpassen will, Verrat. Auch der in unserer Zeit geforderte Pluralismus ist falsch. Nicht der offene Atheismus ist die gefährlichste Bedrohung für die Christenheit, sondern die hinkenden Christen selbst, das heisst jene, die gleichzeitig Christen sein und dem Zeitgeist sich anpassen wollen, so dass alles in einer gottwidrigen Zweideutigkeit untergeht. Daran krankt unsere Zeit, welche die Gegensätze zu einer angeblichen Harmonisierung bringen will. Es ist Verrat am wahren katholischen Glauben und es wird nichts anderes erreicht, als eine große Verwirrung, ja sogar Abfall vom Glauben.
Die Wahrheit ist immer eindeutig, klar und unteilbar. So ist man auch entweder Christ oder man ist es nicht. Man kann es nicht bis zu einem gewissen Grade sein. Halbheit ist etwas Verwerfliches. Es ist Lauheit, von der es in der Hl. Schrift heisst:

“Ich kenne deine Werke, dass du nicht kalt noch warm bist. Wärest du doch kalt oder warm! Weil du nun lau bist, und weder warm noch kalt, will ich dich ausspeien aus meinem Munde” (Offb 3,15 f.).

Was den Menschen seit eh und je geholfen hat, ist Klarheit und Entschiedenheit. Man kann sich nur auf eine Seite stellen und darf nicht das Kunststück versuchen wollen, zwei Herren zu dienen, was nach dem Urteil Christi niemand vermag.
Es dürfte wohl klar sein, dass das Leben eines echten Christen in dieser Welt keinen Ferienaufenthalt bedeutet, sondern oft das Stehen in sehr rauher Luft, weil er ja eine dauernde Herausforderung für die Lauen und Abgestandenen ist. Wenn wir Christen nicht mehr jenes lautere Zeichen sind, das den Zeitgeist zum Widerspruch reizen muss, dann wäre dringend eine Gewissenserforschung angesagt, wie echt unser Christsein ist oder nicht ist. Christsein heisst, Zeugnis ablegen für die göttliche Wahrheit in einer morbiden und faulenden Welt, auch wenn man gegen den Strom schwimmen muss. Die Märtyrer um des Glaubens willen in Syrien, im Irak und anderswo machen es uns vor.

Das Zeugnis des Johannes

Johannes wurde von diesem Feuer bis an den Thron des Herodes getrieben. Dort starb er für die Wahrheit als Märtyrer, das heisst wörtlich auf deutsch übersetzt: als Zeuge. Auch wir werden mit dieser Feuerprobe des Geistes und vielleicht auch des Leibes irgendwann zu rechnen haben. Das gehört zum Wagnis des Glaubens, weil in dieser Erprobung das Heil liegt, für uns und für die Welt. Für solche Menschen hat Christus das herrliche Wort gesprochen:

“Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch alles Böse lügnerisch nachsagen um Meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist gross im Himmel. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt” (Mt 5,11 f.).

Quellenhinweis:

▸ Hermes G,, Der Fels, 6/1976, S. 163
▸ Nigg W., Prophetische Denker, Zürich 1968 2. Auflage
▸ Raffalt R., Wohin steuert der Vatikan?, Heyne-Buch Nr. 7007, München 1975.