Guntherus de Thuringia
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Gedankenbrocken zum biblischen Alter der Menschheit

Anlass:
Der Artikel Die Ideologie der Evolution: Es ist Zeit, mit dieser Lüge aufzuräumen

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G.d.Th.
Nach biblischer Zeitrechnung wurden Adam und Eva vor rund 6000 Jahren erschaffen. Das ist ein Problem.

Oe.
Warum?

G.d.Th.
Das Problem ergibt sich aus diesen Fragen:
1.) nach der Geschichtlichkeit der ersten Kapitel der Genesis
2.) nach der Möglichkeit und Tatsächlichkeit von naturwissenschaftlicher Erkenntnis über das Alter der Menschheit
3.) nach Übereinstimmung oder Widersprüchen zwischen den Antworten auf 1.) und 2.)
Wahrscheinlich handelt es sich für Bibelgläubige nicht um ein (lösbares) Problem, sondern um ein (echtes) Dilemma.
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Oe.
...
Ob es ein "Dilemma" ist oder nicht, hängt von allen möglichen Voraussetzungen ab, die nicht bei jedem "Bibelgläubige" in gleicher Weise und in in gleichem Maße vorhanden sind.
Das erste Problem mit der Genesis fängt schon beim ersten Wort an, da es 1. nicht eindeutig beantwortbar ist, wie "bereshit" mit dem Folgenden grammatikalisch zusammenhängt und es 2. mehrere Möglichkeiten gibt, das Wort zu übersetzen. Das deutsche "im Anfang" ist sicher eine der schlechtesten Möglichkeiten.
Und so gehen dann die grammatikalischen, inhaltlichen, historischen und wissenschaftlichen Probleme munter weiter. Aber mich stört das nicht, im Gegenteil, je mehr Probleme desto interessanter ist eine Sache.

G.d.Th.
...
Nun, mein Ausgangspunkt war die biblische Chronologie, und die lässt sich recht genau anhand der Genealogien und der Regierungszeiten der Könige Judas und Israels berechnen. (Letztere werden von außerbiblischen Geschichtsdokumenten bestätigt.)

Die Kluft zwischen dem so erschlossenen Schöpfungsdatum zu Aussagen der profanen Geschichts- und Vorgeschichtsschreibung und Paläoanthropologie ist eklatant.

Die Antwort auf Frage 1.): Geschichtlichkeit der ersten Genesiskapitel, war bis zum 2. Vatikanischen Konzil bejahend (siehe die Entscheidung der Bibelkommission v. 30. Juni 1909; vgl. Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche, 12. Aufl., Regensburg 1971, S. 90 - im Bild).

Die ganze christliche Ära hindurch, beginnend mit Jesus und den Aposteln, galten die biblischen Geschichten als reale Geschichtsberichte, zugleich mit ihren weiteren Bedeutungs- und Deutungsebenen - worauf Sie vielleicht mit Ihrer Bemerkung zu "bereshit" anspielen.

Gibt man "Alter der Menschheit" in unsere verbreitetste Internet-Suchmaschine ein, so erscheint als Antwort sogleich:


"Die ältesten Vertreter der Gattung Homo waren Homo rudolfensis (vor 2,5 bis 1,9 Mio Jahren) und Homo habilis (vor 2,1 bis 1,5 Mio Jahren). Homo erectus lebte vor rund 2 Millionen Jahren. Nach Homo erectus entstand der Homo heidelbergensis (vor 700.000 bis 300.000 Jahren)."

Das ist die Antwort nach dem Stand der heutigen offiziellen Wissenschaft...


Mit dieser Antwort des staatlichen und akademischen Wissenschaftsbetriebs konkurrieren Antworten von alternativen Wissenschaftlern. Aufgrund zahlreicher und vielfältiger Funde auf allen Kontinenten sehen sie sich genötigt, ein noch höheres Alter der Menschheit anzunehmen - so Michael A. Cremo und Richard L. Thompson in ihrem Werk "The Hidden History of the Human Race" (PDF).


Ihre Ergebnisse berühren sich mit alten vedischen Überlieferungen von Zyklen der Erd- und Menschheitsgeschichte, die von Kataklysmen unterbrochen sind.

Die altindischen Puranas erzählen von vergangenen Zeitenzyklen in gewaltigen Zahlen.

Prinz Siddhartha Gautama wiederum, der historische Buddha, soll sich in der Nacht seiner Erleuchtung an hunderttausend seiner Wiedergeburten, an die Entstehung, Evolution und Auflösung früherer Welten, in denen er gelebt hatte, erinnert haben. Im Jatakam, das zum buddhistischen Pali-Kanon gehört, werden 547 moralisch erbauliche Geschichten aus seinen Wiedergeburten erzählt (hier).

Theosophische und anthroposophische Autoren, die sich auf uraltes geheimes Quellenmaterial (Madame Blavatsky) bzw. auf okkulte geistige Schau (Rudolf Steiner) berufen, gehen von sich entwickelnden Menschenrassen auf den Planeten des Sonnensystems und der Erde aus.


(Die Rassenmisch-Agenda der okkult geschulten Global-Elite könnte, so vermute ich, damit zusammenhängen.)


Eine eigene Variante der verborgenen Menschheitsgeschichte rekonstruiert der jüdische Autor Zecharia Sitchin in seinen Büchern über die Anunnaki, Götter des mesopotamischen Pantheons.


In diese Kerbe hatte schon Erich von Däniken mit seinen präastronautischen Thesen in seinen Bestsellern geschlagen.

Armin Risi beurteilt die präastronautischen Thesen von Dänikens als "problematisch", und Sitchin wirft er die "Verfälschung der sumerischen Quellen vor" (in seinem Buch "Ihr seid Lichtwesen - Ursprung und Geschichte der Menschen, 7. Aufl., Govinda-Verlag Jestetten und Rheinau 2020, S. 294-307).


In dieser kurzen Überschau steht die biblische Auffassung eines sechstausend Jahre alten Universums, von der das westliche Denken viele Jahrhunderte geprägt war, ganz isoliert da.

Doch lassen wir die mythischen Überlieferungen über den Ursprung des Kosmos und der Menschheit, die sich auch bei anderen Völkern, wie den amerikanischen Ureinwohnern (Mayas, Hopi-Indianer u.a.), finden, sowie die naturwissenschaftlich unüberprüfbaren esoterischen Spekulationen einmal beiseite, so bleiben immer noch der Kenntnisstand der Schulwissenschaft (der auf realen Fakten basiert - jedoch möglicherweise falsch interpretiert -, und aus dem unbequeme Fakten ausgeblendet sind) und besonders die Forschungsergebnisse ernstzunehmender alternativer Archäologen, wie die erwähnten Cremo und Thompson.

Alle stehen sie im Widerspruch zu den "Tatsachen ..., die in diesen Kapiteln [der Genesis] erzählt werden und die Grundlagen der christlichen Religion berühren" (Neuner-Roos, ebd.).

Logisch gesehen bedingt ein junges Alter der Menschheit nicht ein junges Alter der Erde. Dem Sechs- bzw. Sieben-Tage-Schema der Genesis folgend wurde im Judentum und Christentum jedoch stets eine "junge Schöpfung" der Erde und nicht nur des ersten Menschenpaars angenommen.

Nach der von James Ussher, Erzbischof von Armagh und Primas von Ganz-Irland, 1650 veröffentlichten biblischen Chronologie wurde die Welt im Jahre 4004 vor Christus erschaffen:

"Ussher schlussfolgerte, dass der erste Tag der Schöpfung der 22. Oktober 4004 v. Chr. nach dem proleptischen Julianischen Kalender war, nahe der Herbsttagundnachtgleiche. Lightfoot folgerte in ähnlicher Weise, dass die Schöpfung bei Einbruch der Dunkelheit in der Nähe der Herbsttagundnachtgleiche begann, allerdings im Jahr 3929 v. Chr.
Usshers vorgeschlagenes Datum von 4004 v. Chr. unterschied sich kaum von anderen biblisch begründeten Schätzungen, wie denen von Jose ben Halafta (3761 v. Chr.), Bede (3952 v. Chr.), Usshers Fast-Zeitgenossen Scaliger (3949 v. Chr.), Johannes Kepler (3992 v. Chr.) oder Sir Isaac Newton (ca. 4000 v. Chr.) ... Ussher wurde von demselben Bericht beeinflusst wie das apokryphe Buch Jasher, ... das die weltweite Flut auf 2349 v. Chr. und die Geburt Teras auf 2127 v. Chr. datiert. Die Datierung der Erschaffung Adams auf 4000 v. Chr. wurde zumindest teilweise von dem weit verbreiteten Glauben beeinflusst, dass die Erde etwa 5600 Jahre alt sei (2000 Jahre von Adam bis Abraham, 2000 Jahre von Abraham bis zur Geburt Christi und 1600 Jahre von Christus bis Ussher), was den sechs Schöpfungstagen entspricht, und zwar mit der Begründung, dass 'ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind' (2 Petrus 3,8). Man glaubte, dass diese Tradition darauf hinweist, dass Jesus im Jahr 2000 n. Chr. wiederkommen würde, also mehr als sechstausend Jahre nach 4004 v. Chr. Moderne Befürworter dieser Auslegung sind der Ansicht, dass das Schöpfungsdatum 4004 v. Chr. ungenau sein könnte." (Ussher chronology - Wikipedia)

Dabei bietet die Bibel selbst die Möglichkeit eines Auswegs aus der Schwierigkeit. Bei den amerikanischen Evangelikalen ist er bekannt als die Gap Theory:

"Die Lückentheorie (engl. gap theory, gap creationism) ist eine Hypothese des Kreationismus, die besagt, dass in der Schöpfungsgeschichte zwischen 1. Mose 1:1 und 1:2 eine zeitliche Lücke gesehen werden muss, da Gott gemäß Jesaja 45,18 die Erde 'nicht als Einöde' geschaffen hat" (hier).

Der (überarbeitete) Kommentar der Scofield-Bibel merkt zu Genesis 1,1 und 1,2 an:

"[1,1] Nur von drei Schöpfungsakten wird in diesem Kapitel berichtet: (1) Himmel und Erde, Vers 1; (2) tierisches Leben, Verse 20.21; (3) menschliches Leben, Verse 26.27. Der erste Schöpfungsakt bezieht sich auf die zeitlich nicht erfasste Vergangenheit.
[1,2] Es sind besonders zwei Deutungen, die Beachtung fanden, um den Ausdruck 'wüst und leer' (hebr. tohu und bohu) zu erklären. Die erste, die man die Deutung vom ursprünglichen Chaos nennen könnte, sieht in diesen Worten eine Beschreibung für eine ursprünglich formlose Masse im ersten Stadium der Erschaffung des Universums. Die zweite, die man die Deutung vom göttlichen Gericht nennen könnte, sieht in diesen Worten eine Beschreibung allein der Erde, und zwar in einem Zustand, der erst nach ihrer Erschaffung eintrat und in dem sie sich also nicht ursprünglich befand (siehe Jes 45,18 ... ; Jes 14,12; Hes 28,12)." (Scofield-Bibel, 1. Aufl. 2015, 8. Gesamtausg., Witten, Dillenburg, Dübendorf 2015, S. 2)

Manche Bibelfundamentalisten unterscheiden auch zwischen der adamitischen Menschheit, von welcher der biblische Schöpfungsbericht handelt, und einer präadamitischen Menschheit, die hier und da in der Bibel erwähnt werde.

Auch das Buch Henoch haben Ausleger in diesem Zusammenhang als Quelle benutzt.

Bringt das nicht die traditionelle Glaubenslehre in Schwierigkeit? Die ganze überlieferte christliche Erlösungslehre hängt an Adam und Eva als historischen Persönlichkeiten wie an einem Scharnier:

"Gegenüber der P r ä a d a m i t e n t h e o r i e (zuerst vertreten von dem Kalvinisten Issak de La Peyrère 1655) und der Auffassung moderner Naturforscher, wonach die verschiedenen Rassen sich von mehreren getrennten Stämmen herleiten (P o l y g e n i s m u s), lehrt die Kirche, daß die ersten Menschen, Adam und Eva, die Stammeltern des ganzen Menschengeschlechtes sind (M o n o g e n i s m u s). Die Lehre von der Einheit des Menschengeschlechtes ist zwar nicht Dogma, aber die notwendige Voraussetzung für die Dogmen von der Erbsünde und der Erlösung. Nach einer Entscheidung der BIbelkommission ist die Einheit des Menschengeschlechtes zu den Tatsachen zu rechnen, die die Grundlagen der christlichen Religion berühren und deswegen im buchstäblichen, geschichtlichen Sinn aufzufassen sind (D 2123)" (siehe L. Ott, Grundriss der kath. Dogmatik, 10. Aufl., Freiburg etc. 1981, S. 115 f.)

Der Glaubenssatz lautet: "Das ganze Menschengeschlecht stammt von einem einzigen Menschenpaar ab. Sent. certa." (ebd.)

Noch Pius XII. verwarf in "Humani generis" (1950) den Polygenismus wegen seiner Unvereinbarkeit mit der Offenbarungslehre von der Erbsünde (vgl. a.a.O., S. 116).

Oe., Sie schreiben: "Und so gehen dann die grammatikalischen, inhaltlichen, historischen und wissenschaftlichen Probleme munter weiter. Aber mich stört das nicht, im Gegenteil, je mehr Probleme desto interessanter ist eine Sache."

In Anbetracht von kapitellangen Namenslisten aus Familien der verschiedenen Stämme Israels im Alten Testament, die wahrscheinlich sogar für die meisten heutigen Juden wenig spannend sind, kann man es bedauern, dass der göttliche Urheber der biblischen Offenbarung uns über Fragen des Ursprungs der Menschheit, die uns so brennend interessieren, doch recht im Dunkeln gelassen hat. Offenbar legte es der Herrgott, vielleicht aus pädagogischen Gründen, darauf an, dass wir möglichst viele "Probleme" haben und uns auf dem Pfad der Erkenntnis durch ein unausrottbares Dickicht widersprechender Meinungen hindurchkämpfen sollen.
Guntherus de Thuringia
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