[LJ 92] Das Leben Jesu nach den vier Evangelisten

9. Die erste Leidensweissagung

(Luk. 9, 21-27; Mark. 8, 30-39; Matth. 16, 20-28; 10, 38. 39)

Dann gebot Jesus seinen Jüngern streng, sie sollten niemand sagen, dass er Christus sei.1) Von da an begann er, ihnen zu zeigen, er müsse nach Jerusalem gehen, vieles leiden und von den Ältesten, Schriftlehrern und Hohenpriestern verworfen und getötet werden, am dritten Tage aber auferstehen. Er redete dieses Wort unverhohlen. Da nahm ihn Petrus beiseite und fing an, es ihm zu verweisen, und sprach: „Das sei fern von dir, Herr! Das soll dir nicht widerfahren!“ Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an, drohte dem Petrus und sprach: „Hinweg aus meinen Augen, Satan!1) Du bist mir zum Ärgernisse; denn du hast nicht Sinn für das, was Gottes ist, sondern für das, was des Menschen ist.“

Darauf rief er die Volksmenge und seine Jünger zusammen und sprach zu allen: „Wenn einer mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz täglich auf sich und folge mir nach. Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinet- und des Evangeliums willen verliert, der wird es erhalten. Denn was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, seine Seele aber einbüßte? Oder was kann der Menschen geben, um seine Seele wieder einzulösen? Denn wer sich meiner und meiner Worte vor diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlechte schämt, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er in seiner und seines Vaters Herrlichkeit mit den heiligen Engeln kommen und einem jeden nach seinen Werken vergelten wird. Wahrlich, ich sage euch, einige von denen, die hier stehen, werden den Tod nicht kosten, bis sie das Reich Gottes in seiner Kraft und den Menschensohn in seinem Reiche kommen sehen.“

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1) Der Grund des Verbotes lag in dem geistigen Zustande des Volkes, in seinen falschen Vorstellungen und Begriffen von dem Messias und seiner Unempfänglichkeit für den Glauben. Die Verkündigung jener Wahrheit hätte die irdischen Messias-Hoffnungen nur gefördert und das Ärgernis des Kreuzes nur noch größer gemacht.
1) Jetzt nimmt Petrus, noch in jüdischen Vorurteilen befangen, Anstoß an dem Leiden und dem Tode seines göttlichen Meisters. Später wird er aus Liebe zu ihm selbst am Kreuze sterben.


[ Lorenzo Lotto (um 1480-1556): Das Tragen des Kreuzes (1526) ]
Guntherus de Thuringia