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1994

Pontifikalamt mit Woelki

Pontifikalamt mit Woelki

Auf der Flucht vor der Weihnachtsbotschaft

Prolog

„Am Anfang. Gott schuf die Welt. Sie war wüst und leer, nur der Geist des Stadtanzeigers schwebte über den Urwirbeln und brauste: „Die Welt, wie sie ist und wie sie reformiert sein sollte.“ Da sprach Gott sein Wort: „Es werde Licht – nicht.“ Die Engel des Herrn waren verwirrt, ob dieser Schöpfungsvariante. Nur Luzifer, die Lichtgestalt der Zeitung, jubelte und rief sogleich: „Ja, Nicht-Licht soll es sein! Das ist die neue Bescheidenheit Gottes. Weg von der Anmaßung, hin zur Wüste und Leere. Weg von Raum und Zeit, hin zum wahren Selbst im gelebten Nicht.“

Erste Szene.

5775 Jahre später, nach jüdischer Zeitrechnung, ereignet sich in Köln am Rhein ein Pontifikalamt. Erster Weihnachtstag, 25. Dezember des Jahres 2014 nach christlicher Zeitrechnung gemäß gregorianischer Reform, Beginn 10:00 Uhr. Die Weihnachtsmesse ist als ein „nach langer Zeit nicht-lateinischer Gottesdienst“ angekündigt und so wird es. Nur das Glaubensbekenntnis bleibt lateinisch, vielleicht weil es der Chor sonst nicht singen kann. Auch der pontifikale Schlusssegen will sich noch nicht übersetzen in die Sprache des Volkes. Der Dom ist voll, der Chor singt gut, eine würdige Weihnachtsmesse. Nicht-Latein, das erste Nicht.

Zweite Szene.

Gleich zu Beginn in der Ansprache des Erzbischofs erinnert Woelki die Gemeinde daran, dass Kardinal Meisner heute sein 81. Lebensjahr vollendet. Beifall. Nicht brausend, aber deutlich. Es folgt der Hinweis auf und Beifall für Prälat Ludwig Schöller, der mit seinen 86 Jahren auch am Altare steht (und deutlich stabiler erscheint als Meisner). Der alte Kardinal wirkt geknickt, wenn nicht angeschlagen. Aber wenigstens springt an diesem Geburtstag aus der Überraschungstorte seiner Freunde oder Feinde keine FEMEN-Frau heraus. Auch ein Geschenk, dieses Nicht, das zweite Nicht.

Dritte Szene.

Erzbischof Rainer Kardinal Woelki hat die alte Dom-Krippe vorne am Gitter vor dem Gereonskreuz wieder zur Geltung gebracht. Die Krippe ist vor Beginn der Messe leer, das Christuskind fehlt, denn es befindet sich vorne am Dreikönigsschrein in der Hirtenmesse, um dann in einer kleinen Prozession wieder an seinen Ort und in seine Familie zurückgebracht zu werden. Das ist ein wirklich zeitkritisches Thema: eine Patchwork-Familie, wie sie leibt und lebt. Das Kind in der Krippe ist nicht von Josef, aber Josef hält treu zu seiner Frau, die wiederum steif und fest behauptet, das Kind sei von Gott selbst. Josef ist der Held dieser Stunde, er hält die Familie zusammen und rettet sie vor der Zerstörung durch den auch vor Mord nicht zurückschreckenden Staat (des Herodes). Die Krippe schreit förmlich nach mutigen Worten gegen Kindermord, Genderwahn, Homosexualisierung der Gesellschaft und Enteignung der Erziehungsverantwortung der Familie durch den modernen herodianischen Staat. Aber die Predigt an diesem 3. Tewet des Jahres 5775 nach der Schöpfung bleibt still, still wie die heilige Nacht. Kein Lobpreis auf die Familie, kein mahnender Aufschrei gegen die Zerstörung der Familie. Nur ein Nicht, das dritte Nicht.

Vierte Szene.

Die Geburt des Jesus ist ein Tag „tiefer Freude“. Von der Stimmfarbe fast wie „Trauer“ klingend, sagen die Worte anderes: Er, der Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, nimmt unsere menschliche Natur an. Das ist die große Liebeserklärung, er wird einer von uns, dieser Gott wird ein Du und tritt so in unsere Geschichte ein. Auch dieser Stoff würde reichen für eine heftige zeitkritische Ansprache, denn Jesus von Nazareth wird in eine Zeit hineingeboren, in der der römische Kaiser Oktavian Augustus bereits als „Sohn Gottes“ gilt. Der römische Kaiser hat nach langen Jahren des Bürgerkrieges den Frieden im römischen Reich wiederhergestellt und für Wohlstand gesorgt, kurz die Globalisierung erfolgreich abgeschlossen. Sein Adoptivvater Gaius Julius Cäsar ist nach seinem Tod zum Gott erhoben worden, also ist Augustus Sohn Gottes und erfährt mit seinem Tod im Jahre 14 n. Chr. die Ehre der Himmelfahrt oder Apotheose. Ein Priesterkollegium soll diesem neuen Kult des höchsten Wesens die nötige Achtung verschaffen. Die Gottwerdung des Menschen ist das Thema dieser Jahre der Geburt des Jesus. Gegen die Gottwerdung des Menschen formulieren die sich Christen nennenden Juden nach dem Kreuzestod Jesu die Botschaft von der Menschwerdung Gottes. Das ist fundamentale und direkte Konfrontation mit dem blasphemischen Zeitgeist der damaligen hegemonialen Kultur, das ist Kulturkampf, kein Leisetreten, kein Liebedienen, sondern frisch und wacker aufs Ziel und das ausgehend von einigen wenigen Menschen vom See Genezareth und aus dem Lande Juda. Selbst der aktuelle Aspekt für diese Predigt steht ja sozusagen noch auf dem Hochaltar, denn die FEMEN-Frau hatte es genau ein Jahr zuvor richtig auf ihre nackte Brust geschrieben: Ich bin Gott. Hatte diese FEMEN-Frau vielleicht einfach nur die Weihnachtsbotschaft richtig verstanden und haben die römischen Cäsaren am Ende die jüdische Botschaft doch noch überwunden? Nichts dazu. Nichts zu Nicäa. Nur „tiefe“ Freude, die wie Trauer klingt. Das fünfte Nicht.

Sechste Szene.

Jesus sei ein Flüchtling gewesen. So steht es auf der schön gedruckten Grußkarte des Erzbischofs, die im Eingang liegt und von den Dom-Schweizern freundlichst empfohlen wird. Wir sollen unser Herz öffnen für die Flüchtlinge unserer Tage, weil auch Jesus ein Flüchtling gewesen sei. Das ist nicht ganz falsch. Aber dass Jesus von Nazareth in Hebron geboren wird, ist nicht die Folge einer Flucht, sondern das damalige „statistische Bundesamt“ des kaiserlichen Roms hat eine Volkszählung angeordnet, bei der sich ein jeder in seiner Geburtsstadt eintragen lassen muss. Deshalb muss Josef mit den Seinen nach Bethlehem. Wieder stehen die Cäsaren des modernen Staates auf den einen Seite, und Jesus auf der anderen Seite. Die Flucht beginnt erst danach, als „Muslime“ – gläubige Menschen aus dem Morgenlande – nach dem neu geborenen König von Juda suchen und Herodes daraus ein Tötungsprogramm für Knaben unter zwei Jahren ableitet. Fluchtziel ist übrigens Ägypten, dort geht es Jesus gut. Zurückgekehrt von dort aber wird es ihm schlecht ergehen. Wenn Jesus eine Flüchtlingsgeschichte ist, dann aus der Perspektive Ägyptens, aber diese Perspektive wollen wir ja nicht. Nur Stephanus hat die Frechheit, in seiner großen Rede vor den Modernisten der Synagoge auf diese Perspektive („Und Mose wurde in aller Weisheit der Ägypter ausgebildet“) zu verweisen. Betrachten wir Jesus aus der Perspektive Roms, dann war er lediglich ein Gezählter im Rahmen einer statistischen Erhebung. Kardinal Woelki zitiert später dann diese statistischen Erhebungen des heutigen Bundesamtes, um über Armut und Reichtum, Flüchtlinge und andere Prozentzahlen zu sprechen. Kein Biss, keine Kritik. Nur Friede an diesem hochheiligen Feste. Ein Nicht. Das sechste Nicht.

Siebte Szene.

Jede Predigt geht zu Ende und das ist gut so, wie Wowereit zu sagen pflegt. Aus der Mitte des Langhauses einiger Beifall. Nicht brausend, aber vernehmbar. Der Beifall aber will nicht zünden, auch das ist spürbar. Ein Jahr nach der FEMEN-Attacke und ein halbes Jahr nach der Amtseinführung des neuen Orpheus von Köln ist der Jubel verflogen. Nicht-Beifall. Und damit sind wir schon beim siebten Nicht. Vielleicht ist dieses Nicht das wichtigste Nicht des Tages. Denn die, die laut über die neue barmherzige Weltlichkeit der Kirche jubeln, gehen ja gar nicht in den Gottesdienst, sofern kein Event angekündigt ist. Die Stimmung im Hohen Dom zu Köln ist bestenfalls halbe halbe. Und das ist die wahrhaft hoffnungsvolle Botschaft dieses Tages im Jahre 5775 nach der Schöpfung. Dank sei Gott, dass der Geist des Stadtanzeigers damals doch nicht brauste.

Epiloge

Nr. 1: Im Hochgebet trägt auch Joachim Kardinal Meisner einen Absatz vor. Ein leichtes Stocken, dann baut er, als habe er sich verlesen, den heiligen Josef in das Gebet mit ein. Und das ist gut so.

Nr. 2: Beim Rausgehen und auch abends nach der Vesper liegen im Eingang immer noch genügend Grußkarten des Erzbischofs. „Öffnet eure Herzen“ für die Flüchtlinge, rollt die Luftmatratzen aus und nehmt sie auf in eure Wohnungen. Der große Aufruf des gutmenschlichen Kölns ist ausgeblieben. Irgendwas hat geklemmt.

Anhang:

Es gilt das gesprochene Wort der Weihnachtsbotschaft – Gott als Geschenk oder die neue Natur des Menschen.

Christmette

Da kommt, liebe Schwestern und Brüder, Gott auf uns zu. Als Kind kommt er auf uns zu.

Nicht als irgendein Kind, sondern als das Kind, in dem die Herrlichkeit Gottes offenbar wird.

In diesem Kind kommt Gott nicht einfach nur mal so zu Besuch, um dann auch bald wieder aufzubrechen und wieder wegzugehen.

Er kommt, in dem er einer von uns wird. Und das heißt, er bleibt, er bleibt das, was er geworden ist. Für immer, in Ewigkeit. Er bleibt ein Mensch wie wir. Er gehört seitdem zu uns. Und wir, wir gehören zu ihm, untrennbar, für immer auf ewig.

Dieses Kind, dem wir in dieser Nacht begegnen dürfen,

ist das größte Geschenk Gottes an einen jeden von uns.

Jeder von uns, liebe Schwestern und Brüder,

erst recht jede Mutter und jeder Vater unter uns, weiß,

was das für ein Geschenk ist, ein Kind.

Was muss das für ein liebenswürdiger,

was muss das für ein menschenfreundlicher Gott sein,

dass der für uns ein Kind wird.

Dieses Kind, das er geworden ist, ist sein Geschenk an uns alle.

In diesem Kind schenkt er uns nicht etwas,

sondern er schenkt sich selbst, er schenkt uns seine Liebe.

Mit diesem Kind sagt uns Gott nicht nur mit Worten,

sondern mit Händen greifbar,

dass er uns liebt.

Was also sind wir?

Wir sind, liebe Schwestern und Brüder, als Menschen von Gott Geliebte.

Dafür steht diese Nacht.

Erster Weihnachtstag (Pontifikalamt)

Dieses Wort Gottes ist, so wie Johannes der Evangelist es uns heute morgen verkündet, Fleisch geworden. Das heißt,

Es ist Mensch geworden. Ganz und gar Mensch ist Gott geworden. Das ist uns in dieser Nacht verkündet worden ist von himmlischen Boten,

weil es so unerhört und unbegreiflich ist. Das haben wir in der vergangenen Nacht mit Freude, mit Gesang, mit Jubel feiern müssen.

Dass Gott selbst in diesem Kind geboren wurde.

Dieses Kind, liebe Schwestern und Brüder, das kommt nicht nur einfach von Gott.

Es ist Gott selbst. Es ist Gottes ewiger Sohn, dem Vater gleich.

Und nun aber auch uns gleich geworden.

In dem Gottes Sohn unser Menschsein angenommen hat,

hat er uns alle angenommen.

Und er meint das ernst. Wirklich ernst.

Sein Ja zu uns ist endgültig.

Sein Ja zu uns ist unwiderruflich.
Carlus
1. Woelki und sein Hang zu den machtvollen Kunstwerken der neuen Liturgie und Theologie;
2. Verstehen muß dies kein Mensch;
3. aber vor dem Künstler soll jeder in die Knie fallen.