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Der Glaube als Faktor im amerikanischen Wahlkampf

(gloria.tv/ KNA) Vor etwa einem halben Jahrhundert stand ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat vor einer Schallmauer. Von Ronald Gerste (KNA)

Noch nie, so wurde dem Senator aus Massachusetts, John Fitzgerald Kennedy, entgegengehalten, sei ein Katholik Präsident geworden - und unterschwellig klang es wie: Nie kann ein Katholik in das höchste Staatsamt gewählt werden, zu tief sitzen die Vorurteile der von protestantischen Einwanderern und deren Nachkommen geprägten Gesellschaft. Doch Kennedy gewann im November 1960, wenn auch mit hauchdünnem Vorsprung.

In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts ist die «political correctness» so sehr im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass die Religion oder Hautfarbe eines Kandidaten zumindest nicht allzu offen in Relation zu seiner politischen Befähigung gestellt werden darf.
Doch dass der Glaube eines Politikers bei der Beurteilung durch die US-Wähler eine wichtige Rolle spielt, wird immer wieder deutlich.

Zur Zeit steht der Glaube des ehemaligen Gouverneurs von Massachusetts, Mitt Romney, im Fokus. Romney ist Mormone; Angehöriger der, wie sich die Gemeinschaft selbst nennt, «Heiligen der Letzten Tage» (LDS). Ein Drittel der republikanischen Wähler - Romney ist einer ihrer Präsidentschaftskandidaten - sieht im Mormonentum «keine christliche» Glaubensrichtung. Besonders ausgeprägt ist diese Haltung unter den Evangelikalen: Für 53 Prozent von ihnen sind Mormonen nicht Teil des Christentums. Darin liegt eine Gefahr für Romney wie auch für den zweiten mormonischen Kandidaten, den in Umfragen weit abgeschlagenen Jon Huntsman. Denn die Evangelikalen sind die größte klar zu definierende Gruppe unter den Wählern der Republikaner.

Die Wurzeln des Mormonentums liegen in den 1820er und 1830er Jahren.
Dem Gründer der Kirche, Joseph Smith, seien Gottvater und Sohn erschienen. Das von ihm verfasste, angeblich göttlicher Offenbarung folgende Buch Mormon ist die Grundlage des Glaubens. Nach Smith'
Ermordung 1844 bei Unruhen in Illinois zogen viele Mormonen nach Utah. Der Staat - in dem stets stramm republikanisch gewählt wird - ist auch heute noch die Basis der Gemeinschaft.

Gegenwärtig soll es laut LDS weltweit 13 Millionen Mormonen geben, gut die Hälfte von ihnen lebt in den USA. Ihre Organisationsstruktur erinnert an ein globales Unternehmen. In der Zentrale am Temple Square von Salt Lake City amtiert ein Kirchenpräsident, dem zwei enge Berater und ein 15-köpfiger Vorstand, das Quorum der Zwölf Apostel, zur Seite gestellt sind. In diesem Gremium sitzen ausschließlich Männer; auch sonst können Frauen keine höheren Ämter einnehmen.

Noch etwas ist auffallend: es handelt sich bei den Quorumsmitglieder sehr häufig um reiche Geschäftsleute. In der Tat gehen bei den Mormonen der Glaube daran, dass ein Mensch selbst gottähnlichen Status erreichen kann, und das Streben nach weltlichem Besitz oft Hand in Hand. Viele Wirtschaftsbosse gehören den LDS an, die wohl bekanntesten mormonischen Geschäftsgründer sind die Marriott-Brüder.
Mormonen in Chefetagen sind kein amerikanisches Phänomen: Auch der ehemalige Chefpilot der Lufthansa, Dieter Uchtdorf, ist Mormone und stieg bis ins Führungsgremium der LDS auf.

Präsidentschaftskandidat Romney hat eine typische Mormonenkarriere hinter sich. Er verdiente Millionen Dollar bei der Consultingfirma Bain Capital. In Boston war er als «Bischof» der Kirche tätig und zeichnete sich als radikaler Abtreibungsgegner aus. Dass er diese Haltung - und zahlreiche andere Standpunkte - später mehrfach revidierte und ihm der Ruf anhängt, dem jeweiligen Publikum und Zeitgeist nach dem Mund zu reden, könnte bei den Wählern in den Vorwahlen ein größeres Problem sein als sein Mormonentum.

Dennoch: Wird Romney Kandidat der Republikaner, kann er sich nach gegenwärtigen Umfragen der Unterstützung auch von 90 Prozent der Evangelikalen sicher sein - deren Abneigung gegen Präsident Obama ist noch größer als gegen die Mormonen. Die besten Umfragewerte hat Romney beim gegenwärtigen Stand des Vorwahlkampfes jedoch bei den Katholiken unter den republikanischen Wählern.