eiss
2386

Unbehaglich Christlich

In Baden-Württemberg wächst jetzt zusammen, was zusammengehört.

Am Wahlabend gab es hier im Forum eine kleine Diskussion, dass Katholiken doch die Christdemokraten wählen sollten, um zum Beispiel den schlimmen Bildungsplan von Kretschmann zu kippen. Nun sind die Grünen vom Wahlvolk zur stärksten der Parteien erkoren. Allein, zur Regierungsmehrheit bedarf es eines Partners und es gibt ernsthafte Betrachtungen, dass eine Allianz von CDU und Grün für das Ländle eine tragfähige Koalition sein könne.

Für Angela Merkel hat eine Koalition aus CDU und Grün den Charakter eines Piloten, denn die Sozialdemokratie schwächelt. Faktisch hat sie in zwei Bundesländern aufgehört, eine Volkspartei zu sein. Symbolisch ist der Fall Mannheim, wo die AfD das Direktmandat im Arbeiterviertel geholt hat. Symptomatisch waren für mich auch die verbiesterten Kommentare des Linken Wulf Gallert am Wahlabend, wonach die AfD-Wähler vor allem unter Hartz-IV-Empfängern zu suchen seien. Die alte Linke bröckelt und ist auch unfähig die politische Veränderung in Worte zu fassen. Gerade weil die alte Linke schwächelt, ist es klug nach einer neuen strategischen Mitte Ausschau zu halten. So wächst in Baden-Württemberg zusammen, was zusammengehört und uns dann im nächsten Akt des Dramas auch auf Bundesebene drohen könnte.

So sehr das alte Links-Rechts-Schema die politischen Veränderungen nicht gut beschreiben kann, so wenig taugen auch die bisherigen religiösen Deutungsmuster. Auf Kath.net findet sich aktuell der Versuch, katholisches und protestantisches Wählerverhalten zu sortieren. Danach haben die Protestanten überproportional Grün gewählt, die Katholiken aber CDU. Die Sozialdemokratie kann ihre alte Bindung an das protestantische Milieu nicht mehr nutzen. Die AfD wiederum wird überproportional von Konfessionslosen gewählt. Diese Zahlen sollten stimmen, allein die Begriffe, nach denen hier geordnet wird, sind untauglich und greifen nicht.

Im Grunde sollten wir von mehreren Christentümern sprechen und die Grenzen verlaufen dann entlang des ökumenischen Kulturchristentums der Zivilgesellschaft. Katholisch oder evangelisch ist dabei nachrangig, und Kretschmann ist als liberaler Katholik sogar eine ideale politische Kraft, um dieses Christentum zu repräsentieren. Marx und Woelki gehören gewiss auch in diesen kulturchristlichen Raum, der durch die Veralltäglichung der christlichen Botschaft in die Jetztzeit und in das gesellschaftliche Engagement mitten und ununterscheidbar in den Glauben an den und des Staates führt, der sich selbst wiederum als wertegebundene Zivilgesellschaft wahrnimmt. Im Grunde passen in dieser Welt Merkel und Kretschmann gut zueinander, weil beide sich im Aufstand gegen die Last der alten Welt für eine gute Zukunft engagieren. Kretschmann soll von einem Volksislam träumen wie dem Volkschristentum. Religion ist hier nur noch die Maische, aus der heraus der Geist des Guten und Gutmenschlichen gebrannt werden kann. Diese Art von zivilgesellschaftlicher Christlichkeit stößt auf Unglauben im Umfeld der AfD. Offenbar sind konfessionslose Menschen besser geschützt, wenn Christlichkeit für Staatszwecke vereinnahmt wird. Außerdem finden wir im AfD-Umfeld offenbar evangelikale Kräfte und auch verstockte Katholiken, denen die freudige Selbstauflösung des Christentums nicht behagen will. Noch ist das alles nicht ausformuliert, aber die Veränderungen in Deutschland verlaufen entlang dieser Grenzlinien. Und der Druck, unter dem Merkel steht, zieht einen gewaltigen Bedarf an Sinnstiftung nach sich. Seien wir auf der Hut.
eiss
Die Bedingungen für eine Schwarz-Grün-Koalition auf Bundesebene aus Sicht von Cem Özdemir. Quelle: Spiegel.
Erstens: "Deutschland muss aus der Kohleenergie aussteigen." Zweitens: "Eine Bundesregierung, an der sich die Grünen beteiligen, muss sich für einen europäischen Marshallplan für Nordafrika einsetzen." Drittens: "In unserem Bildungssystem darf die Frage der Herkunft und des Geldbeutels …Mehr
Die Bedingungen für eine Schwarz-Grün-Koalition auf Bundesebene aus Sicht von Cem Özdemir. Quelle: Spiegel.

Erstens: "Deutschland muss aus der Kohleenergie aussteigen." Zweitens: "Eine Bundesregierung, an der sich die Grünen beteiligen, muss sich für einen europäischen Marshallplan für Nordafrika einsetzen." Drittens: "In unserem Bildungssystem darf die Frage der Herkunft und des Geldbeutels nicht mehr die entscheidende Rolle spielen."

Kommentar:

Punkt 1 ist von Ideologie getrieben, hat aber den guten Seiteneffekt, dass der politische Erosionsprozess im alten linken Lager, Stichwort „Arbeiterbewegung“, sich beschleunigen wird.

Punkt 2 ist die Süderweiterung der EU oder: Rommel in Afrika oder „wir waren schon mal da, aber diesmal machen wir alles besser“. Energiepolitisch wurden vor nur wenigen Jahren Projekte kolportiert über Solarstrom aus der Sahara. Um diese Projekte ist es still geworden, aber die Süderweiterung der EU bis an die alten Südgrenzen des römischen Reiches ist genau die Voraussetzung für solche globalpolitischen Visionen. Seiteneffekt hier: der Islam wird die stärkste der Religionsgemeinschaften in Europa sein, wenn wir das gutmenschliche Säkularchristentum nicht als Religion, sondern nur noch als Weltanschauung einstufen. Die süderweiterte EU steht zudem unter massivem Sinnstiftungsdruck, oder kürzer: wo kein Gott mehr da ist, muss dann einer erfunden werden.

Punkt 3: Damit die von Özdemir beschriebene Transformation Deutschlands in eine Groß-Europa stattfinden kann, muss die kulturelle Erinnerung der Menschen ausgelöscht werden und dazu muss das Niveau des Bildungssystems weiter abgesenkt werden. Genau an dieser Stelle wird sich ebenfalls Kritik regen. Dazu passt ein Artikel aus der Süddeutschen. Danach hat der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, bei der Analyse der politischen Entwicklung in Sachsen die Ursachen der Fehlentwicklung klar benannt: „Sachsen hat in der Schulbildung zu einseitig auf Sprachen und naturwissenschaftliche Kompetenz gesetzt. Die Auswirkungen zeigen sich jetzt.“ Das ist derselbe Blickwinkel, den auch Özdemir hat. Als vor 200 Jahren Deutschland von den französischen Revolutionstruppen überrannt war, hat Preußen auf Wehrpflicht und Schulbildung gesetzt. Wer umgekehrt Deutschland globalisieren möchte, muss nach der Wehrpflicht auch die Schulbildung absenken. Dazu bedarf es dann einer pseudoreligiösen Vernebelung, auch Sinnstiftung.

Nachdem die Kulturrevolution der 68er das Christentum in die Welt veralltäglicht hat, müssen nun die Kulturrevolutionäre ihre veralltäglichte Welt zur Kirche erheben, Sinnstiftung, qualitätsgesichert, also mit Gesinnungskontrolle. Angela Nova.
eiss
Das Wählerverhalten hat diese "gute Zukunft" in Anführungsstriche gesetzt. Meine Frage ist, ob wir schon wirklich in der Lage sind zu formulieren, was da mit diesem neuen Christentum geschieht, gestaltet wird und warum und wie der Name "christlich" an diese Zukunft gebunden werden konnte?