Massoulié
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Passionssonntag

Passionssonntag 7. April 2019

Amen, amen, dico vobis: si quis sermonem meum servaverit, mortem non videbit in æternum. (Jo 8, 51)
»Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch, wenn jemand Meine Worte hält, wird er in Ewigkeit den Tod [der Seele] nicht sehen.«

Gegen Ende der 4. Fastenwoche führt uns die Liturgie im Geiste in die Gegend der früheren Merulanischen Nekropole. Am Esquilin-Hügel gelegen, war diese Begräbnisstätte aus der republikanischen Epoche einer der verrufensten Orte Roms. Dort ließ man in heidnischer Zeit die Kadaver der Sklaven und der Verbrecher verwesen. Um auch jene christlichen Märtyrer zu ehren, deren Leichname von den Henkern nicht zurückerstattet, sondern auf die Nekropole verbracht worden waren, errichtete der Presbyter Equitius im 3. Jahrhundert in der Nähe eine Kapelle, später unter Kaiser Konstantin zum Oratorium ausgebaut. Um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert ließ Papst Symmachus beim titulus Equitii eine Basilika zu Ehren des hl. Martin von Tours, des Totenerweckers, erbauen. San Martino ai Monti ist die Stationskirche des Donnerstages, welcher auf Lätare folgt. Am Freitag geht es dann auf die gegenüberliegende Seite der Nekropole, an die heute gerade noch der Straßenname der Via Merulana zwischen der Lateranbasilika und Santa Maria Maggiore erinnert, nämlich zur Kirche Sant’ Eusebio, einem ebenso alten titulus.

Titulus Equitii

An beiden Tagen berichten Lesung und Evangelium Totenerweckungen. Christus zeigt sich in der Erweckung des Jünglings von Naim (Lc 7, 11 – 16) und wohl noch beeindruckender in der spektakulären Auferweckung des Lazarus (Jo 11, 1 – 45) als Herr über den Tod. Lazarus war sehr krank. Seine Schwestern Maria und Martha sahen ihn vom Tode gezeichnet. Je mehr die Hoffnung auf Heilung und der Lebensmut aus ihm wichen, je mehr wären auch sie davon verlassen worden, hätte es nicht den Wundertäter aus Nazareth gegeben. Sie schickten also zu Jesus, um Ihn von der schlimmen Erkrankung ihres Bruders wissen zu lassen. Der Geruch des Todes breitete sich schon aus, doch der Herr zeigte Sich unbesorgt, diese Krankheit sei „nicht zum Tode, sondern für die Ehre Gottes, damit durch sie der Sohn Gottes verherrlicht werde“ (Jo 11, 4). Aber Lazarus stirbt.
Hatte der Heiland Sich geirrt, als Er voraussagte, jene Krankheit werde nicht tödlich verlaufen? Doch so waren diese Worte nicht gemeint; vielmehr kannte Christus dank Seines prophetischen Wissens das Schicksal, welches Lazarus bevorstand, wußte aber auch um Seine göttliche Macht. Durch deren Erweis diente die Krankheit der Verherrlichung des Sohnes Gottes, weil durch das Wunder der Totenerweckung viele Juden zum Glauben an Ihn kamen und das Aufsehen, das es erregte, die Hohenpriester und Schriftgelehrten schließlich veranlaßten, die Tötung Christi zu planen. So trug die Krankheit des Lazarus zuletzt zur Verherrlichung des göttlichen Erlösers in Kreuz und Auferstehung bei.
Giuseppe Vasi: Sant'Eusebio, Rom (1753)

Es kann kaum Zufall sein, daß die römische Gemeinde so kurz vor dem Beginn der Passionszeit zu den beiden Titelkirchen des Equitius und des Eusebius an der Merulanischen Nekropole pilgerte, um dort die Evangelien von den Totenerweckungen Jesu zu hören. Der Heiland tritt Seinen Leidensweg nicht ohnmächtig an oder gar gezwungenermaßen, sondern als Herr über Leben und Tod, Der Sich freiwillig opfert, um den Gläubigen Leben und Heil zu erwerben. Das verdeutlicht in anschaulicher Weise dieses alte römische Brauchtum. „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ (Jo 11, 25) So tröstet Er die Schwestern des Toten. Ego sum resurrectio et vita. Wir vernehmen diese Worte bei der Beerdigung unserer Lieben, wenn der Sarg ins Grab gesenkt wird: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an Mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der lebt und an Mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ (Jo 11, 25 s.) Benedictus Dominus Deus Israel – „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, denn Er hat heimgesucht Sein Volk und ihm Erlösung bereitet“ (Lc 1, 68). An Martha, die treusorgende, stets eifrig um das leibliche Wohl der Ihrigen bemühte Hausfrau, richtete Christus sodann die Frage: „Glaubst du das?“ Credis hoc? Darauf sie: „Ja, Herr, ich glaube, daß Du der Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes, Der in diese Welt gekommen ist.“ (11, 27)
An Martha, die treusorgende, stets eifrig um das leibliche Wohl der Ihrigen bemühte Hausfrau, richtete Christus sodann die Frage: „Glaubst du das?“ Credis hoc? Darauf sie: „Ja, Herr, ich glaube, daß Du der Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes, Der in diese Welt gekommen ist.“ (11, 27)
In diesem Glauben wollen auch wir in diese Passionszeit gehen. Mit dem heutigen Sonntag ändert sich nämlich der Charakter der Fastenliturgie plötzlich. Während die Aufrufe zur Buße und die Erinnerung an die Taufe etwas zurücktreten, rückt das Leiden des Heilandes in den Vordergrund. In erschütternder Weise ruft Er oft mit den Worten des Psalters zum Vater, so heute im Introitus: Judica me, Deus – „Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk; vom frevelhaften und tückischen Menschen befreie mich, denn Du bist ja mein Gott und meine Stärke.“ Immer düsterer ballen sich die Wolken über Seinem Haupte zusammen bis zur furchtbaren Entladung am Karfreitag. Hören wir aus diesem Ruf nicht geradezu schon den Schrei der Verlassenheit heraus, den der Herr über Leben und Tod am Kreuz ausstoßen wird: Eli, Eli lamma sabacthani – „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?“ (Mt 27, 46)
Von Christus, dem Hohenpriester der künftigen Güter heißt es im Hebräerbrief auch: „Er hat in den Tagen Seines Fleisches Bitten und Flehrufe mit lautem Geschrei und unter Tränen an Den gerichtet, Der Ihn vom Tode erretten konnte, und ist wegen Seiner Gottesfurcht erhört worden.“ (5, 7) Als Jesus um den toten Lazarus trauerte und weinte, sagten einige von den Juden: „Konnte Er, Der dem Blindgeborenen die Augen geöffnet hat, nicht bewirken, daß dieser nicht starb?“ (Jo 11, 37) Eine berechtigte Frage! Mußte Lazarus sterben, mußte Jesus leiden und sterben? Die Antwort lautet in beiden Fällen ziemlich gleich: Dies Sterben war nicht zum Tode, sondern für die Ehre Gottes, damit dadurch der Sohn Gottes verherrlicht würde. In Seiner Allmacht hätte der Gottmensch Lazarus am Leben erhalten, Sein eigen Kreuz und Leiden leicht verhindern können, aber Er hat es nicht getan, nicht etwa aus Unvermögen, sondern aus freiem Entschluß in Sohnesgehorsam gegen den Willen des Vaters. Denn Können und Wollen sind zweierlei und durchaus nicht dasselbe. Ohne Zwang ist Christus in die Tage Seiner Passion hineingegangen. Oblatus est, quia ipse voluit (Is 53, 7); et peccata nostra ipse portavit (1) – „Er ward geopfert, weil Er Selbst es wollte, und Er trug unsere Sünden.“ Der hl. Thomas sagt:
„Gott Vater hat Christus dem Leiden ausgeliefert, …sofern Er Ihm den Willen gab, für uns zu leiden, indem Er Ihm die Liebe eingoß, deshalb heißt es (bei Isaias): ‚Er wurde geopfert, weil Er wollte.‘…
Christus als Gott hat Sich mit demselben Willen und derselben Tat ausgeliefert, wie auch der Vater Ihn ausgeliefert hat. Als Mensch aber hat Er Sich durch den vom Vater geschenkten Willen hingegeben. Deshalb besteht kein Widerspruch darin, daß der Vater Christus auslieferte und daß Dieser Sich Selbst auslieferte.“(2)
Im Hebräerbrief lesen wir des weiteren: „Obwohl Er Sohn war, hat Er an dem, was Er litt, den Gehorsam gelernt und ist, nachdem Er zur Vollendung gelangt war, all denen, die Ihm gehorchen, Urheber ewigen Heiles geworden, von Gott anerkannt als Hoherpriester nach der Ordnung des Melchisedek.“ (5, 8 ss.) Et ideo Novi Testamenti Mediator est, so hören wir heute. „Darum ist Er Mittler des Neuen Bundes, damit durch Seinen Tod, den Er zur Erlösung von den unter dem ersten Bunde begangenen Sünden erlitt, die Berufenen das verheißene, ewige Erbe erhielten…“ (Epistel). Schuld wird durch Strafe wieder in Ordnung gebracht. Die verletzte Ordnung der Welt und das gestörte Verhältnis des Geschöpfes zu Gott erfordern eine Wiedergutmachung. Christus hat diese Sühneleistung erbracht, indem Er in Seinem Leiden und Sterben die Strafe für die Sünden der Menschen auf Sich genommen hat. Durch Ihn sind wir von der ewigen Strafe errettet. Frucht Seines Sohnesgehorsames ist also für die Menschen die Erlösung: Der Himmel, welcher seit dem Falle der Stammeltern verschlossen war, ist wieder offen. Durch unseren Mittler Jesus Christus können wir nun wieder Zutritt erhalten. Frucht Seines heiligen Leidens ist für Ihn Selbst die Verherrlichung in Auferstehung und Himmelfahrt und im Sitzen zur Rechten des Vaters. Die Stunde Seiner Erhöhung schlägt im Grunde aber schon bei der Kreuzigung. In ihr ist wie im Keime alles angelegt: die Auferstehung und die himmlische Glorie. Aus ihr entsprießt das neue Leben für Ihn und die Berufenen. Das Todesinstrument wird zum Lebensbaume. Auf die Erhöhung am Kreuze folgen wie die Früchte auf die Blüten die Erhöhung über Engel und Menschen und das Heil der Erlösten.
Credis hoc? Diese Frage, die der Herr einst Martha stellte, richtet Er heute an jeden von uns. „Glaubst du das?“ Er weiß, daß viele sich damit schwertun; darum stellt Er sie ausdrücklich. Denn die Frage ist ganz wichtig. Das Ja oder Nein darauf entscheidet darüber, ob die harte Nuß von Sünde und Schuld, Todverfallenheit und ewigen Höllenstrafen geknackt wird. Jesus hat nicht nur das Leben, wie es jeder Sterbliche besitzt, solange er es nicht verliert. Als Sohn des lebendigen Gottes ist Er in unverlierbarer Weise der Lebendige. Ego sum… vita (Jo 11, 25; 14, 6– „Ich bin … das Leben“, so spricht Er, und weil Er das Leben ist, kann Er es auch weitergeben und wiedergeben, und nicht nur dieses zeitliche Leben des Leibes, sondern auch das übernatürliche Gnadenleben, welches der Keim des ewigen Lebens im Himmel ist. Wir wissen zwar nicht, wann und wo Er die Toten auferwecken wird und wie das neue Leben im einzelnen beschaffen sein wird; aber die Zeichen, die Er setzte, die Wunder, die Er wirkte, allen voran Seine glorreiche Auferstehung, erweisen, daß Er die Macht dazu besitzt.
Das also können und müssen wir glauben! Utique, Domine, nos credidimus – „Ja, Herr, das glauben wir!“, möge unsere Antwort sein. Und handeln wir auch danach? Der Gottmensch hat an dem, was Er litt, Gehorsam gelernt und ist so zur Vollendung gelangt. Auch wir müssen Gehorsam gegen Gott lernen; der Glaube allein ohne die Werke wäre zu wenig. Nur so können auch wir zur Vollendung gelangen: durch treue Befolgung der göttlichen Gebote und durch Annahme des Leidens, wenn Gott es schickt. Gehorsam ist immer auch Kreuzesgehorsam. Der hl. Vinzenz von Paul sagte:
„Unser Herr kreuzigt an Sein Kreuz, um zu Seinem Ruhme zu verherrlichen. Er gibt den Tod, um in Ewigkeit leben zu lassen. Wären wir ohne Betrübnisse, wir müßten fürchten, wir seien Gott nicht angenehm und nicht wert, für Seine Liebe etwas zu leiden.“
O crux ave, spes unica
hoc passionis tempore!
O Kreuz, du einz’ger Trost im Leid,
Gruß dir in dieser Leidenszeit!
Aber der Heilige hatte auch erfahren:
„Gott legt in die Dinge, die an sich schwer und unangenehm sind, eine gewisse unerklärliche Freude, wenn man sie aus Liebe zu Ihm annimmt.“ Amen.

1 Feria V in Cena Domini ad Laudes Ant. 5
2 Summa theologiæ III, q. 47, a. 3, arg. 2, corp., ad 2um: ...non videtur quod aliquis a seipso et ab alio morti tradatur. Sed Christus tradidit semetipsum pro nobis, secundum quod dicitur Isaiæ LIII [12]: tradidit in mortem animam suam. Non ergo videtur quod Deus Pater eum tradiderit...
Respondeo dicendum quod, sicut dictum est, Christus passus est voluntarie ex obedientia Patris. Unde secundum tria Deus Pater tradidit Christum passioni... Secundo, inquantum inspiravit ei voluntatem patiendi pro nobis, infundendo ei caritatem. Unde ibidem [Is LIII, 7] sequitur, oblatus est quia voluit...
Ad secundum dicendum quod Christus, secundum quod Deus, tradidit semetipsum in mortem eadem voluntate et actione qua et Pater tradidit eum. Sed inquantum homo, tradidit semetipsum voluntate a Patre inspirata. Unde non est contrarietas in hoc quod Pater tradidit Christum et ipse tradidit semetipsum.

Bildquellen: Wikimedia Commons (Harro52 - Ausschnitt); mariawalder-messbuch; Giovanni Rinaldi; Wikimedia Commons (Giuseppe Vasi)

www.messopfer.de/…/018.Passionsson…