Die Kirche und die Abrissbirnen
Ein Debattenbeitrag von Matthias Matussek
Rechtzeitig vor dem Papstbesuch bereiten deutsche Theologen und Politiker den Abriss der katholischen Kirche vor: Mit offenen Briefen und Petitionen rufen sie nach der Abschaffung des Zölibats - und fordern so das Ende des katholischen Abenteuers.
Jetzt staksen sie herum, die deutschen Katholiken-Funktionäre und Gremienrebellen …Mehr
Die Kirche und die Abrissbirnen
Ein Debattenbeitrag von Matthias Matussek
Rechtzeitig vor dem Papstbesuch bereiten deutsche Theologen und Politiker den Abriss der katholischen Kirche vor: Mit offenen Briefen und Petitionen rufen sie nach der Abschaffung des Zölibats - und fordern so das Ende des katholischen Abenteuers.
Jetzt staksen sie herum, die deutschen Katholiken-Funktionäre und Gremienrebellen, mit hochgereckten Hälsen, und krähen "Umsturz" und "Neuanfang" und wollen die ganz neue Hackordnung im Hühnerhof. Und natürlich: "Aus Sorge."
Vor einigen Tagen haben prominente Bundestagsabgeordnete der CDU in einem offenen Brief "aus Sorge" vor dem mangelnden Priesternachwuchs die Zulassung von verheirateten "vir probati" zum Priesteramt gefordert und nebenbei den Vatikan als verknöcherte, handlungsunfähige Bastion Ewiggestriger geschmäht. Fernziel: die Abschaffung des Zölibats.
"Moralischer Rigorismus"
Nur eine Woche später folgte ein Brief von 144 Theologen, die, na klar, die Aufhebung des Zölibats fordern, die Priesterweihe für Frauen, Beteiligung der Basis an der Wahl der Bischöfe und der Pfarrer, den Segen für schwule Lebensgemeinschaften, und vor allem ein Ende des "moralischen Rigorismus".
Um mit den Politikern zu beginnen. Zweifellos ist die Zahl der Priesteranwärter dramatisch zurückgegangen. Noch dramatischer aber ist der Rückgang der Gottesdienstbesucher, womöglich, weil sie in der Kirche immer weniger jenes Geheimnis spüren, jene Gegenwelt aus Liturgie und Demut und Wandlung, die sie früher in Bann geschlagen hat. Ist da vielleicht zu viel Aufklärung, zu viel gewöhnliches Tageslicht im Andachtsraum?
Man sollte nicht vergessen, liebe Reformpolitiker: Am dramatischsten ist der Gläubigenverlust bei den Protestanten, und die haben doch alles, was das profane Herz begehrt, verheiratete Priester und geschiedene Bischöfinnen, schwule Lebensgemeinschaften in Pfarrhäusern und Laienbeteiligung, und gaaaanz viel Verständnis.
Öfter mal hinknien
Nun zu den Theologen: Warum ausgerechnet ein Ende des "moralischen Rigorismus" ein probates Mittel gegen die winzig kleine Minderheit pädophiler Priester sein soll, erschließt sich nicht so recht. Sollte die moralische Sperre nicht eher noch viel rigoroser sein? Würden sich Pädophile mit einer weniger rigiden Moral eher dem Briefmarkensammeln zuwenden als sich an Schutzbefohlenen auszutoben?
Wie wär's, wenn sich Politiker und Theologieprofessoren wieder einmal als einfache Katholiken begreifen würden? Wenn sie sich weniger mit Politik beschäftigten und sich stattdessen öfter mal hinknieten, das Haupt senkten, den Rosenkranz beteten und um göttliche Gnade und Einsicht bäten. Wenn sie weniger von Rechten sprächen, als von Pflichten, zu der auch die Gehorsamspflicht gehört. Und in den Vordergrund brächten, worum es geht, nämlich um die Liturgie, um die Sakramente, um die Beichte, um all das, was den Katholizismus im Kern ausmacht.
Die Großoffensive gegen den Zölibat wird mit einem Memorandum untermauert, das der damals konzilsbewegte Professor Joseph Ratzinger 1970 mit vielen anderen unterzeichnet hat. Darin wird mit der Idee einer Freiwilligkeit des Zölibats für den Fall "allerhöchster Not" gespielt.
Doch einige Jahre später, 1977, war der Erzbischof Joseph Ratzinger zur Einsicht gekommen: "Wenn der Zölibat der Weltpriester nicht eine gemeinschaftliche kirchliche Form ist, sondern eine private Entscheidung, dann verliert er seinen wesentlichen theologischen Gehalt. (...) Dann ist er nicht mehr zeichenhafter Verzicht um des im Glauben übernommenen Dienstes willen, sondern Eigenbrödlerei, die deshalb mit gutem Grund verschwindet."
Das ist klar, das ist deutlich, das macht Sinn.
Verbissener Kampf
Die Verbissenheit jedoch, mit der sich jeder kirchliche Kampf immer wieder auf den Zölibat versteift, macht deutlich, wie wichtig er als Wesensmerkmal der katholischen Kirche offenbar ist. Mit Recht. Der Zölibat ist ein Zeichen. Er unterscheidet den katholischen Priester von seinen protestantischen Kollegen und macht deutlich, dass er sichtbar die monastische Existenz im Alltag gewählt hat und damit eine antibürgerliche Gegenwelt inmitten der unsrigen. Er ist eine Provokation. "Kein Lippen- sondern ein Lebensbekenntnis", wie Manfred Lütz ("Gott. Eine Geschichte des Größten") in der "Tagespost" schrieb.
Der zölibatäre Priester lebt im Angesicht des Heiligen. Er ist nicht der Kumpel, den man in der Kneipe trifft. Er ist die auratische Respektsperson, der man aus einer Andachtsdistanz heraus begegnet. Wollen wir das aufgeben für die ganz gewöhnlichen Klarsichtfolien-Betriebsnudeln, denen man in Bundestagsausschüssen oder auf Kirche-von-unten-Flohmärkten begegnen kann?
Merkwürdigerweise respektieren wir Mahatma Ghandi, der ein dem Zölibat entsprechendes Gelübde abgegeben hat. Ebenso den ehelosen Dalai Lama. Aber dem katholischen Priester wollen wird ständig geregelte Triebabfuhr verordnen, weil alles andere unnatürlich sei.
Dabei hat doch jede Religion ihre spirituellen Höchstleistungssportler, wie Rüdiger Safranski einmal feststellte. Wir sollten, um des Heils unserer Kirche willen, das ja auch in ihrem antimodernen Mysterium besteht, diese Höchstleistungsartisten und Entsagungskünstler stützen, wo es nur geht - statt ihnen ständig die Ohren vollzublöken damit, was sie alles verpassen.
Die geistige Anstrengung und Askese, die uns unsere Priester vorleben, wird nicht mit Goldmedaillen oder Schlagzeilen belohnt, obwohl sie doch wohl um einiges bedeutsamer ist für unser Heil als eine neue Rekordzeit im 800-Meter-Lauf. Wir sollten ihnen wenigstens mit unserem Respekt danken. Weil sie uns allen, mitten im Alltag, eine Ahnung geben, dass es im Leben um mehr gehen kann als darum, sich den Wanst vollzuhauen.