Medizinethiker Maio übt Kritik an PID-Ethikkommissionen

(gloria.tv/ KNA) Auch ein halbes Jahr nach der begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland fehlen noch die Ausführungsbestimmungen durch eine Rechtsverordnung. Dazu gehört auch die Ausgestaltung von Ethikkommissionen.

Der Freiburger Leiter des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Giovanni Maio, ist selbst Mitglied mehrerer Ethikkommissionen. In diesem Falle hält er ein solches Gremium aber für fragwürdig, weil es über das Lebensrecht von Embryonen entscheiden soll. Persönlich würde er deshalb nicht daran teilnehmen, sagte Maio in einem Interview mit Christoph Scholz am Freitag in Freiburg.

KNA: Professor Maio, welche Aufgabe haben die Ethikkommissionen bei der PID?

Giovanni Maio: Zunächst muss ich muss sagen, dass ich eine Kommission in diesem Falle für fragwürdig halte. Grundsätzlich kann eine Kommission nicht über das Lebensrecht von Embryonen entscheiden. Denn entweder, es ist gegeben oder nicht. Die PID-Ethikkommission ist damit eigentlich schon in einer Schieflage.

KNA: Hat sie damit aber nicht auch einen großen Entscheidungsspielraum, um möglicherweise menschliches Leben zu retten?

Maio: Das wiederum nicht. Sie wird letztlich eine «Absegnungsinstanz». Große Hürden wird sie nicht aufbauen können.
Denn am Ende läuft es darauf hinaus, wie man den Wunsch der Eltern interpretiert.

KNA: Der Gesetzgeber hat eine Indikationenliste mit bestimmen Krankheiten vermieden, bei denen PID erlaubt wäre. Hat er damit nicht zugleich die Befugnisse der Kommission ausgeweitet.

Maio: Den Verzicht auf die Liste halte ich für richtig. Denn sie wäre in jedem einzelnen Fall eine Diskriminierung. Im Grunde hat das Gesetz aber eine Öffnung der PID für alle möglichen genetischen Erkrankungen ermöglicht.

KNA: Dennoch werden die Ethikkommissionen sich bei der Entscheidung auf ganz bestimmte Erbkrankheiten beziehen, daraus ergibt sich dann zwangläufig ein Katalog.

Maio: Sie werden ihre Entscheidung immer abhängig machen von der Belastung für die Paare oder von deren Lebensverhältnissen. Faktisch sehe ich hier eine Rückverlagerung der Entscheidung auf den Einzelnen. Die Kommission wird in den seltensten Fällen gegen die Interpretation der Paare votieren können. Somit wird eine Kommission rein formal oder informell auch keine Liste erstellen.

KNA: Wesentlich wäre dann eine soziale Indikation.

Maio: Ja, man wird es den Paaren überlassen, sofern sie sich bei ihrer Entscheidung im Rahmen der Vorgaben halten. Wenn das Paar sagt, dass ist für uns unerträglich, wird die Kommission dem kaum widersprechen können.

KNA: Was kann die Kommission dann praktisch tun?

Maio: Sie kann verhindern, dass eine PID aus anderen Gründen verlangt wird, etwa zur Geschlechtsbestimmung. Solange es aber um Krankheiten geht, hat die Kommission kein einziges Argument, um zu sagen, das ist nicht schwerwiegend genug.

KNA: Sehen Sie die Gefahr von Wertungsunterschieden, wenn es mehrere Kommissionen gibt?

Maio: Bei mehreren Ethikkommissionen sind unterschiedliche Standards unvermeidlich. Das kann ich aus meiner Erfahrung in Ethikgremien sagen. Und bei einer heterogenen Lage werden alle zu den liberalsten Lösungen gehen.

KNA: Sie würden also formal eine zentrale Kommission bevorzugen?

Maio: Eine zentrale Ethikkommission wie bei jener für die Stammzellen, - an der ich teilgenommen habe - kann eine einheitliche Linie entwickeln und durchhalten. Das schafft größere Verlässlichkeit.

KNA: Müsste die Kommission die Paare zur Entscheidung persönlich einvernehmen?

Maio: Nicht unbedingt. Es gibt unterschiedliche Modelle. Bei der Kommission zur Lebendspende von Organen werden Spender und Empfänger vorgeladen, weil hier die Beziehungen wesentlich sind. Bei der PID halte ich das nicht für zwingend. Hier könnte ein Antrag ausreichen.

KNA: Wie sollte das Gremium zusammengestellt sein?

Maio: Es müsste interdisziplinär sein, also aus Ärzten, Juristen, Ethikern, Theologen oder Vertretern der Behindertenverbände bestehen. Denn es geht nicht um medizinische Sachverhalte, sondern um Lebensrechtsfragen.

KNA: Stünden Sie zur Verfügung?

Maio: Nein. Als entschiedener Kritiker der PID würde ich das kategorisch ablehnen. Ich will nicht an der Selektion menschlichen Lebens mitwirken. Das ist eine Komplizenschaft, die man eigentlich nicht verantworten kann.

KNA: Kann dann unter ethischen Maßstäben ein Gegner der PID, zumal ein Vertreter der katholischen Kirche, überhaupt daran teilnehmen?

Maio: Ich glaube, die Kommissionen werden zwangläufig von eher liberalen Vertretern besetzt. Andere werden daran nicht teilhaben wollen - wie dies in abgeschwächter Form schon für andere Kommission gilt.

KNA: Zum Beispiel?

Maio: Die Stammzellkommission. Hier muss man zumindest der Forschung an embryonalen Stammzellen zustimmen. Bei der PID geht es aber um Selektion menschlichen Lebens. Mit der Lehre der katholischen Kirche ist die PID grundsätzlich unvereinbar. Bei der evangelischen Kirche gibt es hingegen unterschiedliche Ansichten.
alexius
"Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie
zu wiederholen."
PID => Selektion menschlichen Lebens => upload.wikimedia.org/…/Nuremberg_laws.…