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Mossul: Christen im Brennpunkt des Terrors

Bild: Erzbischof Nona, (c) Kirche in Not

(gloria.tv/ Kirche in Not) Die Millionenstadt Mossul im Norden des Irak ist seit dem Einmarsch der USTruppen im Jahr 2003 ein Brennpunkt des Terrors. Sunnitische und schiitische Milizen kämpfen um die Vorherrschaft in der strategisch wichtigen Stadt am Tigris direkt an der Grenze zum autonomen Kurdengebiet. Für Christen ist es in Mossul auch heute noch lebensgefährlich, auf die Straße zu gehen. Viele verbarrikadieren sich seit Jahren in ihren Wohnungen und verlassen sie nur zum Kirchgang. „Kirche in Not“-Mitarbeiter André Stiefenhofer hat die Region vor kurzem besucht und mit dem Erzbischof von Mossul, Amil Shamaaoun Nona, über die aktuelle Lage in seiner Diözese gesprochen.

Erzbischof Nona, wie gefährlich ist Mossul heutzutage für Christen?

In den vergangenen Jahren war Mossul eine sehr gefährliche Stadt – ganz besonders für uns Christen. Mein Vorgänger, Erzbischof Faraj Raho, wurde entführt und ermordet. Ebenso wurden viele unserer Gläubigen getötet, darunter auch ein Priester. Darum haben die meisten Christen Mossul inzwischen verlassen. Im Zentrum der Stadt hatten wir früher acht Pfarreien, jetzt sind es nur noch drei. Die meisten Pfarreien sind heutzutage außerhalb Mossuls angesiedelt, in den Dörfern Karamess, Karakosh und Telkef. In den letzten Monaten hat sich die allgemeine Situation in Mossul aber leicht verbessert und wir hoffen, dass es so weiter geht.

Ich habe in Deutschland mit irakischen Flüchtlingen aus Mossul gesprochen, die erzählten, dass sie vor ihrer Flucht im Jahr 2008 nur noch in ihren Häusern bleiben konnten und die Einkäufe von muslimischen Nachbarn erledigen lassen mussten …

Das hat sich ein bisschen verbessert, aber nicht sehr. 2008, 2009 und auch noch im vergangenen Jahr wurden viele Christen getötet. Ihre Häuser wurden von Terroristen gestürmt, ganze Familien wurden ermordet oder gezwungen, die Stadt zu verlassen. Das war noch bis vor einem halben Jahr so. Jetzt ist es ruhiger, aber es ist schwer zu sagen, ob es so bleibt. Denn in der Vergangenheit hat es immer wieder Zeiten gegeben, in denen die Lage sich beruhigte. Doch dann haben die Angriffe wieder begonnen. Es stimmt, was Ihnen die Christen in Deutschland gesagt haben: Sie wurden auf den Straßen bedrängt und getötet, oft sogar in den eigenen Häusern.

Wir hören immer wieder, dass nur diejenigen in Mossul bleiben, die sich keine Flucht leisten können. Ist das so - sind es nur arme Leute, die in Mossul leben?

Ja, der Großteil der verbliebenen Familien in Mossul ist eher arm, vor allem im älteren Teil der Stadt jenseits des Tigris. Diesen Stadtteil können wir derzeit nicht betreten. Dort sind nur arme Familien zurückgeblieben, die keine Möglichkeiten zur Flucht haben.

Große Probleme in und um Mossul bereiten die Arbeitslosigkeit und eine schlecht funktionierende Stadtverwaltung. Glauben Sie, dass sich das in den nächsten Jahren bessert?

Das hängt von der Entwicklung der politischen Lage im Irak ab. Denn alle unsere Probleme sind politischer Natur. Wenn die politische Lage so bleibt, werden Mossul und die ganze Region nie zur Ruhe kommen. Wenn allerdings die politischen Gruppen untereinander Frieden finden, sieht die Sache anders aus. Ich bete darum, dass das geschieht, denn dann würde sich Vieles zum Guten wenden.

Sie wurden ernannt, nachdem ihr Vorgänger, Erzbischof Faraj Raho, von Terroristen entführt und getötet wurde. Hatten Sie keine Angst, Erzbischof von Mossul zu werden?

Ich war in der Tat ein wenig besorgt, aber Angst hatte ich keine. Denn irgendjemand musste schließlich kommen und den Menschen hier dienen. Ich habe viele Gläubige in meiner Diözese. Und selbst wenn nur noch wenige in der Stadt Mossul übrig geblieben sind, brauchen sie dennoch einen Hirten, der ihnen dient. Dieser Ruf, diese Pflicht, die mir Gott auferlegt hat, wischte meine Besorgnis weg.

Besuchen sie Ihre Gläubigen in Mossul oft?

Nein. Mein Bewegungsradius ist sehr begrenzt, vor allem innerhalb Mossuls. Es ist dort immer noch lebensgefährlich für uns Christen und auch ich muss sehr vorsichtig sein, wenn ich mich auf den Straßen bewege. Wenn es also nichts Unaufschiebbares gibt, bleibe ich außerhalb der Stadt.

Ergreifen Sie bessere Sicherheitsmaßnahmen als ihr Vorgänger? Mehr Leibwächter zum Beispiel?

Nein, ich habe keinen einzigen Leibwächter. Es ist besser für die Sicherheit, sich ohne Leibwächter zu bewegen. Wenn mich immer jemand begleiten würde, zöge das nur Aufmerksamkeit auf sich. Ohne Leibwächter kann ich mich unauffälliger bewegen. Ich wechsle oft meine Autos und nehme immer unterschiedliche Wege. Im Grunde bewege ich mich wie ein Geheimagent.

Sie feiern mit den Christen in Mossul regelmäßig Gottesdienste. Was sagt ein Priester seinen Gläubigen in so einer Situation?

Wir reden über den Glauben. Wir wollen gläubig bleiben gemäß unserer christlichen Prinzipien und Wurzeln. Es ist sehr schwierig über die Zukunft zu reden, weil niemand weiß, was passieren wird. Wir reden über die Gegenwart. Wir fragen uns, wie wir heute als Christen in Mossul leben können, wie wir in einer derartigen Situation zu unserem Recht kommen. Darüber reden wir mehr als über alles andere.

Und welche Antwort geben Sie den Menschen? Wie können die Christen in Mossul leben?

Das Wichtigste ist, das Leben selbst zu kennen. Als ich nach Mossul kam, war für mich nicht die Frage wichtig, wie ich mich verteidigen oder mein Leben retten kann. Ich wollte vielmehr herausfinden, wie ich unter diesen Umständen überhaupt leben kann. Die ständige Angst vor dem Tod und der Verfolgung führt dazu, dass der Mensch seine Menschlichkeit verliert. Es ist darum besser, an das Leben heute in diesem Moment zu denken. Ich führe die Menschen zu einem innerlichen, christlichen Leben, damit sie die christlichen Prinzipien und Werte in sich bewahren. Das ist das einzige Heilmittel für unsere Angst vor der Zukunft und dem Tod.

Haben Sie den Eindruck, dass die Gläubigen ihre Botschaft verstehen?

Natürlich! Und auch ich habe viel von unseren Gläubigen gelernt. Vor allem, dass der Glaube umso stärker wird, je schwieriger die Situation ist. Die Gläubigen tauschen sich über ihre schlimmen Erlebnisse und über ihre Lebensumstände aus. Ich denke sogar, ich habe mehr von Ihnen gelernt, als sie von mir. Denn sie sind es, die wahrhaft ihren christlichen Glauben leben! Stellen Sie sich zum Beispiel nur einmal vor: Am Ende der vergangenen Fastenzeit gab es eine Ausgangssperre, doch meine Gläubigen sind dennoch an Gründonnerstag und Karsamstag mehr als eine Stunde zu Fuß zur Kirche gegangen. Kein Mensch war sonst auf der Straße, und der Weg zur Kirche war lebensgefährlich. Doch nichts konnte sie aufhalten. Das nenne ich lebendigen Glauben! Ich glaube, dass der Herr die schwierige Situation in Mossul dazu benutzt hat, das Leben jener Christen, die dort noch ausharren, tiefer in den Glauben und in die Menschlichkeit hinein zu führen.