Predigt von Alfred Kardinal Bengsch anläßlich einer sog. "Frauenmesse" in der Berliner Johannesbasilika am 26.5.79 Liebe Frauen und Mütter, liebe Schwestern! Als ich mich für diese hl. Messe vorbereitete …Mehr
Predigt von Alfred Kardinal Bengsch anläßlich einer sog. "Frauenmesse" in der Berliner Johannesbasilika am 26.5.79

Liebe Frauen und Mütter, liebe Schwestern!

Als ich mich für diese hl. Messe vorbereitete, fiel mir ein, daß eigentlich ganz selten in den letzten Jahren eine Frauenmesse gehalten wurde; nicht deshalb, weil es keine Frauenarbeit in der Kirche gibt. Aber vielleicht deshalb, weil in der Kirche von heute stärker der Gedanke der Gemeinschaft des Volkes Gottes vorherrscht und also die alte Standesseelsorge nicht mehr so ganz zeitgemäß erscheint. Dann habe ich aber daran gedacht, daß wir doch gleichzeitig sehen müssen und im Monat Mai daran denken, wie die Marienverehrung zurückgegangen ist. Hängt das vielleicht zusammen? Wie steht es um die Rolle der Frau in der Kirche?

In der vergangenen Woche las ich zwei Zeitungsnotizen, die man heutzutage beliebig oft lesen kann. Da hat einer, ein Statistiker oder ein Professor, in Mainz glaube ich, ausgerechnet, daß heute viele Frauen der Kirche den Rücken kehren, weil sie mit ihrer Rolle in der Kirche nicht zufrieden sind. In der anderen Zeitung, in einer katholischen Zeitschrift, war lang und breit und mit dem Gefühl des Erfolges dargestellt, in wieviel Berufe jetzt auch Frauen hineingekonmen sind, Berufe, die früher den Männern vorbehalten waren. Nicht nur die neue Ministerpräsidentin, nein auch Kapitän und Ingenieur, Dachdecker usw. Zwei Notizen, die man beliebig oft finden kann, gar nicht zu reden von den klugen Kommentaren im Fernsehen und auch schon von dem, was unsere Kinder in der Schule in dieser Richtung hören.

Gleichberechtigung ist unbestreitbar etwas Positives. Und darüber sollte überhaupt nicht diskutiert werden, daß die Frau natürlich gleichberechtigt und gleichwertig ist. Aber diese beiden Zeitungsnotizen zeigen ja etwas anderes: Die Frau fühlt sich erst dann weithin gleichberechtigt, wenn sie die Funktionen übernimmt, die der Mann hat. Und hier liegt, wie mir scheint, ein verhängnisvoller Irrtum. Gleiches Recht und gleicher Wert werden nicht dadurch erreicht, daß man dieselbe Funktion hat.

Is ist viel darüber gesagt und geklagt worden, und sicher auch mit Recht, wie sehr die Frau in früheren Zeiten eingeengt war. Wie man ihr die drei "K", wie es dann so schön heißt: Küche, Kinder, Kirche zugewiesen hat. Die Welt des Berufs, der Politik gehörte dem Mann. Aber wenn jetzt die Gleichberechtigung gesucht wird in der Erreichung der Funktionen des Mannes, des bisher Männlichen, dann beginnt ein neuer Holzweg, eine neue Unterwerfung. Denn in der modernen Industriegesellsehaft hat sich die Frau, ohne es zu wissen und mit dem Gefühl der Selbständigkeit, dem im negativen Sinne typisch Männlichen unterworfen, nämlich dem Zweckdenken, der Planung, dem Nutzen, der Leistung, der Konkurrenz. So sehr, daß in allen Industriestaaten der Welt auch die Mutterschaft zurücktritt und die Tötung des ungeborenen Lehens erlaubt erscheint, wenn die Rolle es fordert. Die Rolle, die der Mann erfunden hat. Und hier beginnt für die Menschheit und für die Völker und für die Kirche der große Verlust. Das geht langsam, ist aber tödlich.

Denken wir an das Lebenselement des Wassers in unserer Welt. Besungen früher von Dichtern, immer zu Recht vom Menschen benutzt, ist unter dem brutalen Entschluß zur Ausnutzung aller Kräfte und zur Steigerung der Produktion in die Rolle gekommen, Abwasser zu werden. Bis die Flüsse sterben. Bis die Meere verseuchen. Bis der Mensch merkt, ich habe hier etwas Kostbares, was Lebenswichtiges vertan.

Weil in unserer Zeit dieser Trend mächtig ist, nicht zur Gleichberechtigung, gegen den ist nichts.zu sagen, sondern zur Gleichmacherei, deswegen beginnt ein wesentliches Element im Leben der Menschen und auch der Kirche zu fehlen. Denn dieser Trend hat ja auch in die Kirche hinein gewirkt. Und damit hängt es zusammen, daß das Verständnis für die eigene Stellung der Frau im Heilsplan Gottes, das Verständnis für die Berufung Mariens, so sehr zurückgegangen ist. Wenn aber Maria, wie es das Konzil gesagt hat, zugleich das Urbild der Kirche ist, dann heißt das: es ist auch das Verständnis für eine wesentliche Dimension der Kirche schwächer geworden. Gerade nicht die amtliche Kirche, sondern die Kirche als Glaubensgemeinschaft, die Kirche in ihrer mystischen Dimension, die Kirche als die Braut Christi, die Kirche als die Mutter der Gläubigen. Und wahrscheinlich liegt es daran, daß weithin doch die mütterliche Glaubensschule in der Familie ausfallt.

Mir hat vor kurzem ein Bischof erzählt, er habe einen Theologieprofessor gefragt: „Sagen Sie mal, wie soll ich das heute machen m den hunderten von theologischen Büchern, die erscheinen? Ich kann die doch nicht alle lesen; und wenn ich sie lese, wie soll ich dann entscheiden?” Da hat ihm der Theologieprofessor gesagt, einer von denen, die es, Gott sei Dank, auch gibt, der die Gabe der Weisheit hat: "Herr Bischof, Sie können nur einiges lesen. Wenn Sie entscheiden müssen, entscheiden Sie so, wie Ihre Mutter entschieden hätte. Und es wird stimmen!" Von wieviel Müttern kann dies heute gesagt werden, was die Weitergabe des Glaubens an die Kinder betrifft?

Deshalb ist die nachkonziliare Kirche weithin eine ungut "vermännlichte" Kirche, - unter Mithilfe der Frau natürlich, auch der Ordensfrau! Da sind dann die Synoden und Kongresse und die Gremien und die Akademien und die Umstrukturierungen und die soziologischen Experimente und die Parteien. Eine Verödung, die Gefahr, daß das Herz fehlt.

Und wenn wir von daher Jetzt an die Rolle der Frau denken, dann möchte ich mich absichern, wenigstens für die Gutwilligen unter den Hörern, daß ich nicht für Lesebuchidylle schwärme aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, auch nicht den Dorfhaushalt früherer Jahrhunderte preisen möchte. Dann möchte ich mich auch absichern, daß ich nicht irgendeine kulturelle Ausprägung eines Volkes oder einer Epoche als Muster hinstelle. Für uns als Christen kann es immer nur darum gehen zu fragen: Hat uns Gott in seiner Offenbarung bei allem Wechsel der Zeiten etwas über die Urgestalt gesagt? Und wir sollten uns nicht schämen, wieder den alten Schöpfungsbericht, genauer gesagt, die bildhafte Darstellung von der Erschaffung des Menschen anzuschauen in der Bibel. Denn dieses uralte und ehrwürdige Bild, das der heutige Mensch mit seiner naturwissenschaftlichen Brille nicht mehr versteht, daß Eva aus der Seite Adams genommen ist, heißt doch: Einheit und, vor allem, gleiche Würde.

Es beißt aber auch: Hier ist dem Mann das Gegenüber gegeben, die Antwortgebende, ohne die er sich nicht entfalten kann, ohne die das Ganze des Menschseins nicht dargestellt werden kann. Und er hat sie dann genannt 'Mutter der Lebendigen', weil sie nicht nur biologisch Mutter wird, sondern weil ihr aufgetragen ist, das Leben zu empfangen, zu nähren, zu behüten, und zwar das ganz-menschliche Leben. Weil es ihre Aufgabe ist, daß die Welt nicht einseitig wird, daß sie nicht die Wüste des Planes und der Macht und der Verzweckung und des Nutzens wird, daß Sinn bleibt, persönliche Beziehung, Licht, Wärme und Freude bleibt. Darum ist sie die "Krönung" des Mannes. Die "Herrlichkeit" sagt der Apostel, und ein Verweis auf das Urgeheimnis des dreifältigen Gottes, in dem es keinen Geschlechtsunterschied gibt, wohl aber die Personen, die aufeinander bezogen sind und gerade dadurch Einheit sind, daß Vater und Sohn jeder in seiner Weise die eine Gottheit besitzt.

Hier liegt eine Urberufung, unabhängig davon, wie jetzt der Beruf aussieht, unabhängig davon, in welcher Kulturepoche einer lebt und wie es verwirklicht wird; unabhängig von den sehr verschiedenen Formen und Ausprägungen und Eintrübungen natürlich: Das Wesen, das Antwort gibt, Mutter der Lebendigen. Und weil dies nach dem Plan Gottes angelegt ist, konnte es in der Erlösung so angesprochen werden, Maria ist die Frau, die die Antwort des Glaubens gibt. Sie ist die Gehilfin des Erlösers. Sie ist die Mutter des Herrn. In ihr spricht die ganze Menschheit die Antwort zur Liebe Gottes. Sie wird nicht Apostel. Sie wird nicht Funktionärin. Aber sie ist das Vorbild der Kirche, nicht Petrus, nicht Paulus. Die haben ihren Dienst, ihren Auftrag vom Herrn. Aber dazu, daß die Kirche der Raum werde, in dem das Wort Fleisch wird, Christus ankommt, der Glaube Gestalt annimmt, der Glaube, der ganz-menschlich ist, nicht bloß eine blasse Idee, nicht bloß ein System, nicht der Streit der Theologen, sondern der reine Glaube, wie er inkarniert ist in Maria und ausgesprochen in ihrem Ja.

Wenn wir an den Anfang auf die Zeitungsnotiz zurückblenden, daß angeblich viele Frauen aus der Kirche auswandern, weil sie mit ihrer Rolle nicht zufrieden sind, müssen wir nicht sagen: sie suchen eine falsche Rolle? Die Kirche ist ihre Rolle. Die Ganzheit des Glaubens. Denn so, wie die Frau das Leben behüten soll, damit es ganz bleibt und heil bleibt, so soll sie das Leben des Glaubens behüten. Und was immer sie an Aktivitäten und Aufgaben hat, hier liegt die Urberufung. Sie braucht keine Rolle zu suchen, weil sie eine Berufung hat. Sie kann höchstens den Weg suchen, auf dem sie es verwirklicht. Denn sonst wird in der Kirche alles Programm und Hektik. Dann weiß man nicht mehr, daß der Glaube auch Sache des Herzens ist, des Geistes und des Herzens; daß der Glaube auch etwas ist, was verleiblicht werden muß im Brauch des Alltags; daß die Kräfte des Gemüts dazugehören, die wir solange veralbert haben, bis uns die Nostalgiewellen aus der Welt bezeugen, was für ein Verlustgeschäft geschehen ist; daß zu Christus gehören Freude ist, etwas von der Freude der Braut und Mutter.

Wenn wir Maria anrufen in jener Litanei, die nun wahrlich nicht mehr häufig gebetet wird, in der Lauretanischen, dann weiß die betende Kirche, daß von Maria in einzigartiger Weise etwas dort gesagt ist an Preisungen über die Jungfrau und Mutter und Königin. Aber die Kirche weiß zugleich: sie spricht von ihrem eigenen Urbild. Und deshalb ist dort auch etwas gesagt über die Rolle der Frau. Und diese alten mächtigen Bilder: 'du Sitz der Weisheit’, jene Weisheit, die das Empfinden ist für die großen Werke Gottes, das klare Urteil; 'du Kelch des Geistes'; 'du Kelch der Eingabe'; 'du Ursache unserer Freude'; 'du Heil der Kranken'; 'du Zuflucht der Sünder'; 'du Hilfe der Christen'; 'du Mutter der schönen Liebe’ - das sind nicht Regieanweisungen für eine Rolle, sondern hier ist das Bild gezeichnet der Berufung der Kirche und der Berufung der Frau, das Bild, das Gottes Schöpfer- und Erlöserliebe ersann und das, so wollen wir heute abend beten, in der Kirche nicht verlöschen soll. Amen.
Klaus Elmar Müller
Kleine Kritik an der exzellenten und vorausschauenden Predigt: Wieso erwähnt der konservative Kardinal "Küche, Kinder, Kirche" als negative Trias? Die beinhaltet doch, was er im Weiteren ausführt. Sogar die Küche, finde ich, ist ein Ort der Kreativität, des Umhegens, ein Glücksort für Kinder.
Winrich von Kniprode
In der Tat gibt es in zahlreichen Filmen die typischen familiären Problemgespräche nachts zwischen Mutter und (erwachsenem) Kind ausgerechnet in der Küche! Ja, irgendwie ist die Küche ein spezieller Ort für das Familienleben. Beispiel: vorweihnachtliches Plätzchenbacken.
Ist doch klar, das das heute schlecht geredet wird. Warum der Kardinal das nicht auch noch anprangert? Keine Ahnung. Leider …Mehr
In der Tat gibt es in zahlreichen Filmen die typischen familiären Problemgespräche nachts zwischen Mutter und (erwachsenem) Kind ausgerechnet in der Küche! Ja, irgendwie ist die Küche ein spezieller Ort für das Familienleben. Beispiel: vorweihnachtliches Plätzchenbacken.

Ist doch klar, das das heute schlecht geredet wird. Warum der Kardinal das nicht auch noch anprangert? Keine Ahnung. Leider können wir ihn nicht mehr fragen.