Forscher stellen synthetische menschliche Embryonen her
STAMMZELLEN:
Forscher stellen synthetische menschliche Embryonen her
VON PIA HEINEMANN
-AKTUALISIERT AM 15.06.2023-10:53
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Synthetische Embryonen sollen helfen, frühe Entwicklungsschäden bei Babys zu erforschen. Forscher fordern dringend neue Regeln für die Versuche.
In Großbritannien haben Wissenschaftler nach eigenen Aussagen menschliche Embryonen im Labor hergestellt. Sie sind nicht, wie etwa bei einer künstlichen Befruchtung, aus der Fusion einer natürlichen Eizelle mit einem natürlichen Spermium entstanden, sondern wurden aus embryonalen Stammzellen hergestellt. Nie zuvor ist ein menschlicher Embryo ohne Keimzellen erzeugt worden. In den vergangenen Jahren war dies den Wissenschaftlern bereits bei Mäusen geglückt, zuvor hatten auch israelische Forscher von synthetischen Mausembryonen berichtet.
Die Erzeugung von menschlichen Embryonen im Labor soll der Erforschung früher zellulärer Entwicklungsprozesse dienen und im besten Fall dazu beitragen, Fehlentwicklungen in der Embryogenese zu verhindern. In vielen Ländern ist die Erzeugung und die Implantation menschlicher Embryonen aus Stammzellen verboten, sie wirft viele ethische Fragen auf. In Großbritannien ist diese Forschung erlaubt, allerdings müssen aus Stammzellen erzeugte menschliche Embryonen spätestens nach 14 Tagen vernichtet werden. Zu diesem Zeitpunkt nisten sich Embryonen natürlicherweise in der Gebärmutterschleimhaut ein, Experten sprechen von Nidation.
Von den nun angeblich erzeugten menschlichen Embryonen hatte die britische Zeitung „The Guardian“ am Mittwochabend als Erste berichtet. Auf einer wissenschaftlichen Konferenz hatte demnach Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge und dem California Institut of Technology bei einem Treffen der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung von ihren Experimenten berichtet.
Stammzellexpertin berichtet auf Konferenz
Die britisch-polnische Entwicklungsbiologin ist führend auf dem Gebiet der synthetischen Biologie. „Wir haben ein menschliches embryonenartiges Modell durch die Reprogrammierung von (embryonalen) Stammzellen erzeugt“, soll sie laut „The Guardian“ auf der Konferenz gesagt haben.
Die Embryonen seien aus menschlichen Stammzellen bis zum Beginn des Gastrula-Stadiums gezüchtet worden. Dies ist die dritte Phase der Embryonalentwicklung: Zunächst entsteht ein undifferenzierter Zellhaufen (Morula), aus dem eine Art Hohlkugel entsteht (Blastula). Diese stülpt sich an einer Stelle ein, es entsteht der Becherkeim (Gastrula). Durch die Einstülpung der Hohlkugel bilden sich bei der Gastrula drei verschiedene Schichten, sogenannte Keimblätter aus. Sie differenzieren sich im weiteren Verlauf zu den unterschiedlichen Zell- und Gewebearten des Körpers aus. Im Stadium der Gastrula haben Embryonen weder Herz noch Gehirn, keine Organe oder Extremitäten.
In der Embryonalforschung wird viel mit Stammzellen gearbeitet. :Bild: AP
Es sei, laut „The Guardian“, nicht klar, ob die erzeugten Zellhaufen sich überhaupt zu einem lebensfähigen Embryo hätten entwickeln können. Einen solchen zu erzeugen war auch nicht das Ziel der Forscher. „Unser menschliches Modell ist erstmals ein menschlicher Embryo mit drei Keimblättern, inklusive Amnion und Keimzellen, den Vorläuferzellen von Eizellen und Spermien“, wird Zernicka-Goetz von „The Guardian“ zitiert. „Es ist wunderschön und vollständig aus embryonalen Stammzellen hergestellt worden.“
Dass überhaupt aus Stammzellen menschliche Embryonen erzeugt werden, dient der Erforschung der sehr frühen Embryonalentwicklung. In Großbritannien etwas dürfen solche Zellhaufen nur vierzehn Tage lang gezüchtet werden, danach werden sie zerstört. Die weitere Entwicklung lasse sich, so die Aussage von Stammzellforschern, auch gut mithilfe von gespendeten Embryonen erforschen, die im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation aus Ei- und Samenzellen entstanden sind oder in späteren Phasen auch mithilfe von Ultraschalluntersuchungen.
Erste Reaktionen aus der Wissenschaftsgemeinde reichen von Skepsis bis Euphorie. So sagte James Briscoe, Stammzellforscher am Francis-Crick-Institut, dem britischen Science Media Center: „Ohne einen detaillierten Vorabdruck oder eine von Fachleuten geprüfte Arbeit, die diese Pressemeldung begleitet, ist es nicht möglich, die wissenschaftliche Bedeutung dieser Geschichte im Detail zu kommentieren.“
Generell hätten synthetische Modelle menschlicher Embryonen, die aus Stammzellen erzeugt wurden, aber ein großes Potential. Briscoe selbst arbeitet ebenfalls an der Etablierung solcher Modelle aus Stammzellen, in seinem Labor wurde beispielsweise ein synthetischer Hühnerembryo erzeugt. Die humanen Embryomodelle könnten „grundlegende Erkenntnisse über kritische Phasen der menschlichen Entwicklung“ liefern. „Diese Stadien waren bisher nur sehr schwer zu erforschen, und es ist eine Zeit, in der viele Schwangerschaften scheitern“, so Briscoe.
Ethische und rechtliche Fragen
Der Wissenschaftler betont auch, dass diese synthetischen Modelle tiefgreifende ethische und rechtliche Fragen aufwerfen. „Anders als bei menschlichen Embryonen, die durch In-vitro-Fertilisation (IVF) entstanden sind und für die es einen festen Rechtsrahmen gibt, gibt es derzeit keine klaren Vorschriften für aus Stammzellen gewonnene Modelle menschlicher Embryonen“, sagt Briscoe. Solche aufzustellen sei dringend nötig.
Auch Evie Kendal, Bioethikerin von der Swinburne University of Technology in Melbourne, betont die ethischen Fragen, die derartige Versuche aufwerfen. Die Forschung mache deutlich, dass ethische Leitlinien erforderlich seien, wenn es um Entitäten ginge, „die bisher noch nicht existierten und nicht von den bestehenden ethischen und rechtlichen Systemen erfasst werden“.
Kendal, die sich mit neuen Technologien in der Wissenschaft beschäftigt, betont aber auch mögliche Vorzüge dieser Forschung: Sollten synthetische Embryonen solchen, die aus Ei- und Samenzellen entstanden sind, nicht gleichgestellt sein, könnte man mit ihnen Fragen erforschen, die für normale Embryonen zu riskant wären.
Transparenter Umgang und offener Diskurs
Rachel Ankeny von der School of Humanities der University of Adelaide betont, dass ein Konsens über den Umgang mit synthetischen menschlichen Embryonen gefunden werden muss. Sie geht davon aus, dass diese Forschung zu einer Debatte über die bestehende 14-Tage-Regel führen wird. „Wir müssen die verschiedenen Öffentlichkeiten über ihr Verständnis und ihre Erwartungen an diese Art von Forschung und ganz allgemein über ihre Ansichten zur frühen menschlichen Entwicklung befragen, da diese biologischen Prozesse eng mit unseren Werten und dem, was wir als menschliches Leben ansehen, verbunden sind.“ Die Forscher müssten zudem herausfinden, ob diese Art von Modellen sich tatsächlich „grundlegend“ von menschlichen Embryonen unterscheidet: „Obwohl sie aus anderen Quellen und Prozessen stammen, haben sie ähnliche Eigenschaften wie menschliche Embryonen, was die Frage, wie wir sie betrachten und behandeln, sehr viel komplexer macht“, so Ankeny.
Am wichtigsten sei es, dass die Forscher diese Art von Forschung transparent machen und aufzeigen, was bekannt und was unbekannt ist. Es müsse sichergestellt werden, „dass unsere Regulierungsverfahren die notwendigen Fragen behandeln und dass die Öffentlichkeit die Gewissheit hat, dass es angemessene Kontrollmechanismen und Schutzmaßnahmen gibt“.
In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe Fortschritte in der synthetischen Biologie. So wurden aus Hautzellen von männlichen Mäuseembryonen Eizellen hergestellt, die sich mit Samenzellen der männlichen Maus befruchten ließen. Auf dem Forschungsfeld liegen nicht nur große Hoffnungen aus der Medizin. Artenschützer bemühen sich beispielsweise, mithilfe von embryonalen Stammzellen und reprogrammierten Zellen Tiere vor dem Aussterben zu bewahren.
Synthetische menschliche Embryonen von Forschern hergestellt
Forscher stellen synthetische menschliche Embryonen her
VON PIA HEINEMANN
-AKTUALISIERT AM 15.06.2023-10:53
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Synthetische Embryonen sollen helfen, frühe Entwicklungsschäden bei Babys zu erforschen. Forscher fordern dringend neue Regeln für die Versuche.
In Großbritannien haben Wissenschaftler nach eigenen Aussagen menschliche Embryonen im Labor hergestellt. Sie sind nicht, wie etwa bei einer künstlichen Befruchtung, aus der Fusion einer natürlichen Eizelle mit einem natürlichen Spermium entstanden, sondern wurden aus embryonalen Stammzellen hergestellt. Nie zuvor ist ein menschlicher Embryo ohne Keimzellen erzeugt worden. In den vergangenen Jahren war dies den Wissenschaftlern bereits bei Mäusen geglückt, zuvor hatten auch israelische Forscher von synthetischen Mausembryonen berichtet.
Die Erzeugung von menschlichen Embryonen im Labor soll der Erforschung früher zellulärer Entwicklungsprozesse dienen und im besten Fall dazu beitragen, Fehlentwicklungen in der Embryogenese zu verhindern. In vielen Ländern ist die Erzeugung und die Implantation menschlicher Embryonen aus Stammzellen verboten, sie wirft viele ethische Fragen auf. In Großbritannien ist diese Forschung erlaubt, allerdings müssen aus Stammzellen erzeugte menschliche Embryonen spätestens nach 14 Tagen vernichtet werden. Zu diesem Zeitpunkt nisten sich Embryonen natürlicherweise in der Gebärmutterschleimhaut ein, Experten sprechen von Nidation.
Von den nun angeblich erzeugten menschlichen Embryonen hatte die britische Zeitung „The Guardian“ am Mittwochabend als Erste berichtet. Auf einer wissenschaftlichen Konferenz hatte demnach Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge und dem California Institut of Technology bei einem Treffen der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung von ihren Experimenten berichtet.
Stammzellexpertin berichtet auf Konferenz
Die britisch-polnische Entwicklungsbiologin ist führend auf dem Gebiet der synthetischen Biologie. „Wir haben ein menschliches embryonenartiges Modell durch die Reprogrammierung von (embryonalen) Stammzellen erzeugt“, soll sie laut „The Guardian“ auf der Konferenz gesagt haben.
Die Embryonen seien aus menschlichen Stammzellen bis zum Beginn des Gastrula-Stadiums gezüchtet worden. Dies ist die dritte Phase der Embryonalentwicklung: Zunächst entsteht ein undifferenzierter Zellhaufen (Morula), aus dem eine Art Hohlkugel entsteht (Blastula). Diese stülpt sich an einer Stelle ein, es entsteht der Becherkeim (Gastrula). Durch die Einstülpung der Hohlkugel bilden sich bei der Gastrula drei verschiedene Schichten, sogenannte Keimblätter aus. Sie differenzieren sich im weiteren Verlauf zu den unterschiedlichen Zell- und Gewebearten des Körpers aus. Im Stadium der Gastrula haben Embryonen weder Herz noch Gehirn, keine Organe oder Extremitäten.
In der Embryonalforschung wird viel mit Stammzellen gearbeitet. :Bild: AP
Es sei, laut „The Guardian“, nicht klar, ob die erzeugten Zellhaufen sich überhaupt zu einem lebensfähigen Embryo hätten entwickeln können. Einen solchen zu erzeugen war auch nicht das Ziel der Forscher. „Unser menschliches Modell ist erstmals ein menschlicher Embryo mit drei Keimblättern, inklusive Amnion und Keimzellen, den Vorläuferzellen von Eizellen und Spermien“, wird Zernicka-Goetz von „The Guardian“ zitiert. „Es ist wunderschön und vollständig aus embryonalen Stammzellen hergestellt worden.“
Dass überhaupt aus Stammzellen menschliche Embryonen erzeugt werden, dient der Erforschung der sehr frühen Embryonalentwicklung. In Großbritannien etwas dürfen solche Zellhaufen nur vierzehn Tage lang gezüchtet werden, danach werden sie zerstört. Die weitere Entwicklung lasse sich, so die Aussage von Stammzellforschern, auch gut mithilfe von gespendeten Embryonen erforschen, die im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation aus Ei- und Samenzellen entstanden sind oder in späteren Phasen auch mithilfe von Ultraschalluntersuchungen.
Erste Reaktionen aus der Wissenschaftsgemeinde reichen von Skepsis bis Euphorie. So sagte James Briscoe, Stammzellforscher am Francis-Crick-Institut, dem britischen Science Media Center: „Ohne einen detaillierten Vorabdruck oder eine von Fachleuten geprüfte Arbeit, die diese Pressemeldung begleitet, ist es nicht möglich, die wissenschaftliche Bedeutung dieser Geschichte im Detail zu kommentieren.“
Generell hätten synthetische Modelle menschlicher Embryonen, die aus Stammzellen erzeugt wurden, aber ein großes Potential. Briscoe selbst arbeitet ebenfalls an der Etablierung solcher Modelle aus Stammzellen, in seinem Labor wurde beispielsweise ein synthetischer Hühnerembryo erzeugt. Die humanen Embryomodelle könnten „grundlegende Erkenntnisse über kritische Phasen der menschlichen Entwicklung“ liefern. „Diese Stadien waren bisher nur sehr schwer zu erforschen, und es ist eine Zeit, in der viele Schwangerschaften scheitern“, so Briscoe.
Ethische und rechtliche Fragen
Der Wissenschaftler betont auch, dass diese synthetischen Modelle tiefgreifende ethische und rechtliche Fragen aufwerfen. „Anders als bei menschlichen Embryonen, die durch In-vitro-Fertilisation (IVF) entstanden sind und für die es einen festen Rechtsrahmen gibt, gibt es derzeit keine klaren Vorschriften für aus Stammzellen gewonnene Modelle menschlicher Embryonen“, sagt Briscoe. Solche aufzustellen sei dringend nötig.
Auch Evie Kendal, Bioethikerin von der Swinburne University of Technology in Melbourne, betont die ethischen Fragen, die derartige Versuche aufwerfen. Die Forschung mache deutlich, dass ethische Leitlinien erforderlich seien, wenn es um Entitäten ginge, „die bisher noch nicht existierten und nicht von den bestehenden ethischen und rechtlichen Systemen erfasst werden“.
Kendal, die sich mit neuen Technologien in der Wissenschaft beschäftigt, betont aber auch mögliche Vorzüge dieser Forschung: Sollten synthetische Embryonen solchen, die aus Ei- und Samenzellen entstanden sind, nicht gleichgestellt sein, könnte man mit ihnen Fragen erforschen, die für normale Embryonen zu riskant wären.
Transparenter Umgang und offener Diskurs
Rachel Ankeny von der School of Humanities der University of Adelaide betont, dass ein Konsens über den Umgang mit synthetischen menschlichen Embryonen gefunden werden muss. Sie geht davon aus, dass diese Forschung zu einer Debatte über die bestehende 14-Tage-Regel führen wird. „Wir müssen die verschiedenen Öffentlichkeiten über ihr Verständnis und ihre Erwartungen an diese Art von Forschung und ganz allgemein über ihre Ansichten zur frühen menschlichen Entwicklung befragen, da diese biologischen Prozesse eng mit unseren Werten und dem, was wir als menschliches Leben ansehen, verbunden sind.“ Die Forscher müssten zudem herausfinden, ob diese Art von Modellen sich tatsächlich „grundlegend“ von menschlichen Embryonen unterscheidet: „Obwohl sie aus anderen Quellen und Prozessen stammen, haben sie ähnliche Eigenschaften wie menschliche Embryonen, was die Frage, wie wir sie betrachten und behandeln, sehr viel komplexer macht“, so Ankeny.
Am wichtigsten sei es, dass die Forscher diese Art von Forschung transparent machen und aufzeigen, was bekannt und was unbekannt ist. Es müsse sichergestellt werden, „dass unsere Regulierungsverfahren die notwendigen Fragen behandeln und dass die Öffentlichkeit die Gewissheit hat, dass es angemessene Kontrollmechanismen und Schutzmaßnahmen gibt“.
In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe Fortschritte in der synthetischen Biologie. So wurden aus Hautzellen von männlichen Mäuseembryonen Eizellen hergestellt, die sich mit Samenzellen der männlichen Maus befruchten ließen. Auf dem Forschungsfeld liegen nicht nur große Hoffnungen aus der Medizin. Artenschützer bemühen sich beispielsweise, mithilfe von embryonalen Stammzellen und reprogrammierten Zellen Tiere vor dem Aussterben zu bewahren.
Synthetische menschliche Embryonen von Forschern hergestellt