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DER FALL VON ZÜRICH 1965 von Kaplan A. Betschart

Wir wollen in dieser Maiandacht eine einzige Perle aus dem kostbarsten Perlencollier betrachten, das es gibt: dieses Perelencollier ist die LAURETANISCHE LITANEI, eine herrliche Sammlung der schönsten Titel zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria. Diese Litanei enthält Perlen von unschätzbarem Wert.
Wir Erwachsene haben die LAURETANISCHE LITANEI - dieses eigenartig schöne Gebet -, schon so oft gebetet, dass uns dabei gewöhnlich nichts mehr auffällt oder besonders beeindruckt. Vielmehr erweckt das Beten dieser Litanei in uns ein sanftes Gefühl der Andacht, der Zuneigung und Liebe der allerseligsten Jungfrau gegenüber. Gehen doch die Anrufungen so leicht über die Lippen. Und vielleicht verzaubern sie sogar ein wenig das Gemüt, wenn wir sie vor einem Marienbild beten, das mit Blumen geschmückt ist und verklärt wird vom Glanz der schimmernden Kerzen.
Aber zwischen allen Ehrentiteln steht plötzlich einer, der gar nicht zur Jungfrau Maria zu passen scheint, und die schöne religiöse Gefühlswelt aus den Fugen zu bringen droht, wenn man über ihn nachzudenken beginnt: "DU MÄCHTIGE JUNGFRAU!" Wir sagen da nichts Geringeres, als dass die demütige, kleine "Magd des Herrn" mächtig ist: die "virgo potens", wie es im lateinischen Texte heisst. Das müsste uns im Grunde genommen stören, wenn wir versuchen, diese Aussage mit unserem Verstande zu erfassen. Wie ein Donnerschlag steht zwischen der "weisesten", der "ehrwürdigen", der "lobwürdigen", der "gütigen" und der "getreuen Jungfrau die "mächtige". Ist dies für Maria nicht völlig untypisch, ja geradezu deplaziert?
Lassen Sie mich zuerst auch eine untypische Geschichte im Zusammenhang mit der Muttergottes erzählen. Sie ist etwas gekürzt entnommen dem Buche "Seine Mutter, deine Mutter", verfasst vom verstorbenen Pfarrer A. M. Weigel: "Am Samstag, dem 14. November 1965, am Vorabend der Volksmission der Liebfrauenkirche, veranstaltete eine junge Werkstudentin in ihrer kleinen Privatwohnung in Zürich einen 'gemütlichen' Abend, der gewiss allen Teilnehmern unvergesslich bleiben wird." Etwa ein Dutzend Burschen und Mädchen waren gekommen, alles Nicht-Katholiken, ausser der Gastgeberin und einem Studenten aus St. Gallen. In einer Ecke des Zimmers, in dem ein Cheminée brannte, stand die Couch und auf deren breiter Holzeinfassung eine "prächtig geschmückte Muttergottesstatue ... Gegen Mitternacht, als mancher vielleicht dem Alkohol allzusehr zugesprochen hatte, griffen zwei Burschen mit höhnischen Bemerkungen und beleidigenden Ausdrücken nach dem Marienbildnis und warfen es ins knisternde Kaminfeuer. Merkwürdigerweise verbrannte die hölzerne Statue jedoch nicht, obwohl sich die beiden sehr darum bemühten und dieselbe immer wieder aufs neue in den Flammen drehten. Das verehrungswürdige Muttergottesbild wurde lediglich schwarz ... Leider wagten es weder die katholische Gastgeberin noch der katholische Student die beiden Andersgläubigen von ihrer unwürdigen Verspottung der Gottesmutter abzuhalten ... Als die beiden Burschen einsahen, dass die Muttergottesstatue auf keine Weise Feuer fing, stellten sie dieselbe enttäuscht an ihren Platz über der Couch der Gastgeberin zurück.
Trinken, Tanzen und Lachen dauerten weiter bis in die Morgenstunden des Sonntags hinein. Inzwischen aber war das Kaminfeuer beinahe erloschen, weshalb die beiden Spötter versuchten, es von neuem anzufachen. Vom Tanzen erhitzt, zogen sie ihre Kittel aus und beugten sich über das Cheminée. Da sprang plötzlich ein Feuerfunke auf ihre Nylonhemden, und im Nu standen die beiden Burschen in hellen Flammen. Die Kameraden versuchten eilends mit Decken und Kleidern zu helfen, doch umsonst! Beide erlitten so schwere Brandwunden, dass der eine am selben Sonntagmorgen, am 15. November 1965, auf dem Transport ins Kantonsspital Zürich starb; sein Freund folgte ihm zwei Wochen später ins Grab."
Das Erlebnis war für die Anwesenden derart aufrüttelnd, dass die beiden Katholiken ihre Feigheit tief bereuten. Sie gelobten in der Missionswoche der Pfarrei "Liebfrauen", "künftig öffentlich und privat ihren Glauben und ihre Marienliebe mutig zu bekennen." Soweit diese wahre Geschichte. Persönliche Bekannte von mir im Raume Zürich bestätigten, dass sich diese Geschichte so zugetragen habe. - Maria ist nicht nur die "süsse Jungfrau" des SALVE REGINA, sondern auch die "mächtige Jungfrau", die der Schlange den Kopf zertritt.

Wortdeutung

Die Kirche ruft also in der Lauretanischen Litanei Maria als die MÄCHTIGE JUNGFRAU an. Der lateinische Name "virgo" für Jungfrau enthält das Wort "vir", was Mann, Krieger, Held bedeutet, also das Starke und Mannhafte. Das Jungfräuliche ist in der Tat auch etwas, was Stärke erfordert, und zwar geistige und sittliche Stärke. Denn zur Bewahrung der Keuschheit bedarf es der Tapferkeit. Der grösste Sieg ist immer der, der über sich selbst errungen wird. Dies ist im Wort "virgo - Jungfrau" enthalten.
Das zweite lateinische Wort "potens" entstammt dem Grundwort "posse", was können heisst, aber auch fähig, stark und einflussreich sein bedeutet. So ist denn Maria neben ihrem Sohne, dem Gottmenschen, die einflussreichste Persönlichkeit im Himmel für uns, die wir als Pilger noch auf dieser Erde sind. Das also ist gemeint, wenn wir beten: "Mächtige Jungfrau, bitte für uns!"

Blick in die Geschichte

Wenn wir einen Blick in die Geschichte der Kirche werfen, ist leicht zu erkennen, dass sich Maria als die "mächtige Jungfrau" erwiesen hat. Papst Pius XII. sprach dies in seinem Weihegebet an die Muttergottes aus, wenn er sie als die "Siegerin in allen Schlachten Gottes" nennt. Es würde sich wirklich lohnen, eine Kirchen- und Weltgeschichte einmal unter dem marianischen Aspekt zu schreiben, um in einer Gesamtschau darzutun, wie Maria immer wieder in die Geschichte eingegriffen hat.
Das Wort der Uroffenbarung aus dem ersten Buche der Hl. Schrift

"Sie wird dir den Kopf zertreten" (Gen 3,15)

ist die Offenbarung der Macht Marias. Durch alle Jahrhunderte hindurch, angefangen bei den römischen Christenverfolgungen der ersten drei Jahrhunderte bis hin zu den Verfolgungen der Kirche durch den Nationalsozialismus und den Kommunismus des 20. Jahrhunderts wurde immer irgendwo versucht, die Kirche mit Feuer und Schwert zu vernichten. Es ist nie gelungen. Am Ende steht immer der Sieg der "mächtigen Jungfrau", die die Gläubigen in Zeiten der Not besonders um Hilfe anflehten.
Schlimmer und viel gefährlicher als die blutigen Verfolgungen sind die geistigen Angriffe Satans gegen die Kirche. Auch das begann - wie könnte es anders sein - bereits in der Urkirche. Der hl. Apostel Paulus musste gegen Spaltungen in der Grossstadtgemeinde Korinth auftreten (vgl. 1 Kor 1,10).
Für weitere Verwirrung sorgte die Irrlehre der Gnostiker, gegen die der Evangelist Johannes in seinen Briefen und in der Geheimen Offenbarung, dem letzten Buch der Hl. Schrift, kämpft. Im 4. Jahrhundert steht der Priester Arius auf, der die Gottheit Christi leugnet, eine Irrlehre, die so furchtbar wütete, dass der hl. Hieronymus schrieb: "Als die Welt erwachte, bemerkte sie, dass sie arianisch geworden war."
Viele andere folgten auf Arius: Nestorius, die Albigenser und Waldenser, dann die reformatorischen Irrlehrer des 16. Jahrhunderts; ihnen folgten "die Patriarchen des Unglaubens in Frankreich", im 18. Jahrhundert die Aufklärer, deren Ansichten in den vielfältigen Irrlehren unseres Jahrhunderts immer noch enthalten sind. All diese schweren Angriffe hat die Kirche überstehen können und wird sie überstehen mit der Hilfe Marias. Deshalb betet die Kirche in der Liturgie der Marienfeste:

"Freue dich, Jungfrau Maria, du allein hast alle Irrlehren auf der ganzen Welt vernichtet" (Matutin, 7. Antiphon).

Marias Gehorsam

Warum aber ist Marias so mächtig? Ihre Macht beruht auf ihrem Gehorsam. Sie ist der einzige Mensch, der Gott vollkommen gehorchte; nicht unwissend, nicht aus Unkenntnis dessen, was sich aus ihrem Jawort zu Gottes Plan ergeben wird. Sie gab ihre ganz persönliche Zustimmung, von der die Erlösung der Menschheit auch abhing. Sie gehorchte und war bereit, alle Konsequenzen auf sich zu nehmen, die sich aus ihrem Jawort zu dem "Erschreckend-Unbegreiflichen" ergeben würden, dass Gott sie als Mutter Seines Sohnes auserwählt hatte.
Im Hause ihrer Verwandten Elisabeth, wo sie das "Preise meine Seele den Herrn" betet, steht sie wissend und schauend auf dem Zenit der Zeit. Durch sie, die kleine, demütige Magd des Herrn, bereitet sich eine Revolution, ein Umsturz ohnegleichen vor. Von nun an werden die Mächtigen von ihren Thronen gestürzt, die Niedrigen erhöht, die Hungrigen mit Gütern erfüllt, während die Reichen leer ausgehen. "Maria ist die geschichtsmächtigste Gestalt überhaupt, die die Menschheit hervorgebracht hat; nur der Herr ist geschichtsmächtiger als sie. Da sie sich selber selig preist um dessentwillen, was an ihr geschah, erscheint in ihr eine Macht, wie sie noch nie da war und nie mehr kommen wird in einem Menschen, und zwar in einer beispiellosen Umkehrung der Macht und Wertungen: fortan werden die mächtig sein, die an die Jungfrau-Mutter glauben" (R. Schneider).
Maria selbst war in ihrem irdischen Dasein - mit menschlichen Augen betrachtet - eine hilflose, schutzlose Frau, die ausgeliefert war einer jeden Kränkung, jedem schlimmen Verdacht, die mit ihrem Kinde fliehen musste, die bis zum Ende ihres Lebens gebeugt war unter Unrecht und Schmerz. Durch den Prophetenmund Simeons spricht Gott selbst zu ihr das entsetzliche Wort:

"Deine eigene Seele wird ein Schwert durchbohren " (Lk 2,35).

Macht und Leiden sind fortan unlösbar miteinander verbunden. Aber gerade weil dem Schmerze Marias kein Schmerz gleich war, hat Gottes Macht sie zum mächtigsten Menschen gemacht.

Die Vernachlässigung der Muttergottes

Dies scheint in manchen Teilen der Christenheit langsam in Vergessenheit zu geraten. Der Dogmatiker Prof. Dr. Michael Schmaus schreibt:

"Es ist eine auffallende Tatsache, dass nach dem II. Vatikanischen Konzil die Mariologie und die marianische Frömmigkeit in hohem Masse zurückgegangen sind ... Nicht selten ist nach dem Konzil mit rüder Gewalt das Bild Marias aus den Kirchenräumen entfernt oder fern gehalten worden und damit ein Stück der im Gemüt verwurzelten Frömmigkeit aus dem Glaubensboden herausgerissen worden" (Grosser Ruf, 1977/10).

Vergessen wir nicht, dass die Vernachlässigung der Muttergottes den geistlichen, religiösen Lebensnerv der Kirche, aber auch den jedes einzelnen Gläubigen trifft. Wir müssen nur einmal jene Länder, in denen die Verehrung Marias nicht mehr geübt, ja sogar in kircheneigenen Medienerzeugnissen bewusst unterschlagen oder gar zerstört wird, vergleichen mit Ländern, in denen die Muttergottesverehrung noch intakt ist, dann weiss man, was gemeint ist. Der Zerfall des Glaubens und der Sitte ist in jenen Ländern ohne Muttergottesverehrung verheerend, was sich u. a. in einem bedrohlichen Notstand kirchlicher Berufungen zeigt.
In der Geheimen Offenbarung des hl. Apostels Johannes, dem Buch über die Endzeit, warnt Christus die Gemeinde von Thyatira vor Neuerungen:

"Was ihr habt, an dem haltet fest, bis ICH komme" (2,25).

Das gilt auch für die Muttergottesverehrung, die man nicht ungestraft vernachlässigen oder gar aufgeben kann. Im Altertum gab es Völker, die sogenannte Fliehburgen besassen. In diese zogen sie sich zurück, wenn ein feindlicher Angriff drohte. Für den, der die Muttergottes ehrt und liebt, ist sie ein solch sicherer Ort, wo er vor feindlichen Angriffen gesichert und geschützt ist, vor allem vor jenen Angriffen, die ihn für ewig verderben könnten.
Was Maria dem heiligen Mexikaner Juan Diego bei ihrer Erscheinung in Guadalupe im Jahre 1531 versprochen hatte, bleibt immer gültig:

"Ich will dem Volke all meine Liebe erzeigen, mein Mitleid, meine Hilfe und meinen Schutz ... Ich bin eure mildreiche Mutter, ... (die Mutter) all derer, die mich lieben, derer, die mich anrufen, derer, die mich suchen, derer, die ihr Vertrauen auf mich setzen."

Du mächtige Jungfrau, bitte für uns!

Quellenhinweis:

▸ Kammer C., Die Lauretanische Litanei, Innsbruck 1960.

▸ Moschner Fr. M., Unsere Liebe Frau von der erfrischenden Quelle, Freiburg i. Br. 19534.

▸ Schneider R., Gelebtes Wort, Freiburg i. Br.-Basel-Wien 1961.
luna1
Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir, Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus — Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
luna1
Einmalig schön, das freut das Herz eines jeden Gläubigen, wenn er dort hin kommt.
Bibiana
Ein wunderschönes Marienbild!
RupertvonSalzburg
Gute Lektüre zum Wochenende: www.legion-mariens.at/…/regina-legionis
Zum Lesen gewünschtes Heft anklicken!
RupertvonSalzburg
Hilf Maria, es ist Zeit
Hilf Maria, es ist Zeit, Mutter der Barmherzigkeit!
Du bist mächtig, uns in Nöten und Gefahren zu erretten.
Denn wo Menschenhilf’ gebricht mangelt doch die deine nicht.
Nein, du kannst das heiße Flehen deiner Kinder nicht verschmähen.
Zeige, dass du Mutter bist, wenn die Not am größten ist!
Hilf Maria, es ist Zeit, Mutter der Barmherzigkeit!Mehr
Hilf Maria, es ist Zeit

Hilf Maria, es ist Zeit, Mutter der Barmherzigkeit!
Du bist mächtig, uns in Nöten und Gefahren zu erretten.
Denn wo Menschenhilf’ gebricht mangelt doch die deine nicht.
Nein, du kannst das heiße Flehen deiner Kinder nicht verschmähen.
Zeige, dass du Mutter bist, wenn die Not am größten ist!
Hilf Maria, es ist Zeit, Mutter der Barmherzigkeit!
prince0357
VIRGO ist im lateinischen aus VIR und AGO von agere zusammengesetzt und wurde in der Genesis als "Männin" also die aus dem Mann Geschaffene übersetzt.