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1387

Zum Tod von Helmut Schmidt

*23. Dezember 1918
+10. November 2015

Die Sturmflut im Oktober 1962 habe ich noch vor Augen. Das Wasser reicht bis an unser Haus. Mein Vater kommt von der Sonntagsmesse mit dem Fahrrad und fährt durchs Wasser. Mehr passiert nicht. Näher zur Nordsee ist es schlimmer. Helmut Schmidt hat in dieser Notsituation als Senator in Hamburg das Notwendige getan, auch wenn es nicht korrekt war.

Im Jahr davor hatte er mit dem Buch „Verteidigung oder Vergeltung“ gezeigt, dass er seinen Kissinger gelesen und dessen Strategie zur Vermeidung des globalen Atomkrieges verstanden hatte. Die USA würden fortan den großen Krieg nicht wollen, aber der kleine und begrenzte Krieg konnte für das kleine Deutschland in der Mitte Europas, und genau auf der Grenze einer Blockkonfrontation liegend, tödlich sein. Deutschland hatte Angst vor dem begrenzten Krieg, aber sowohl die USA als auch die Sowjetunion mussten alles daransetzen, genau das zu erreichen: den Krieg begrenzen. So führte die Sonderlage Deutschlands zu der paradoxen Situation, dass das nicht-nukleare Land in der Mitte Europas ein Interesse daran hatte, hier eine Situation mit möglichst hohem Eskalationsrisiko zu schaffen. Das waren keine schönen Gedanken, aber sie waren notwenig. Wie bei der Sturmflut hat Helmut Schmidt das Notwendige gedacht und auch getan.

Willy Brandt, der Sympathische, war 1974 politisch am Ende. Helmut Schmidt, der Macher, übernahm das Regierungsruder, das Notwendige zu tun. Die Bundesrepublik Deutschland befand sich in einem kulturellen Umbruch. Die neomarxistische Ideologie hatte die Jugend erfasst und war bis weit in bürgerliche Kreise eingedrungen. Der Muff von tausend Jahren war einer ganzen Generation zuwider und die Last der Väter war unerträglich. 1975 wurde Peter Lorenz in Berlin von der Bewegung 2. Juni entführt. Dann der Überfall auf die OPEC im Dezember 1975 zeigte, dass die Gesellschaft in einem gefährlichen Wandel begriffen war. Deutschland aber war Grenzland in einem Kalten Krieg der Großmächte und deren primäres Interesse, Kriege begrenzt zu halten, würde im Falle eines Falles für Deutschland tödlich sein. Helmut Schmidt ist der Mann des Notwendigen und er muss zwei Fragen lösen: die innergesellschaftliche Revolution stoppen und angesichts der verbesserten Raketen- und Nuklearwaffentechnologie das mit einem Krieg in Deutschland für die Großmächte verbundene Eskalationsrisiko erhöhen.

Von den beiden Aufgaben kennen wir Schmidts Antwort auf die außenpolitische Frage ziemlich genau. Schmidt setzt auf der Londoner Sicherheitskonferenz im Oktober 1977 den Nato-Doppelbeschluss durch, der dann 1979 in Kraft tritt. Neue Raketen und Marschflugkörper erhöhen das Eskalationsrisiko und senken damit die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen, begrenzten Krieges. Politisch war diese militärisch-strategische Wahrheit nicht zu vermitteln, und der innergesellschaftliche Widerstand gegen den Doppelbeschluss hat schließlich den politischen Sturz von Helmut Schmidt eingeleitet. Der Deutsche möchte ein guter Mensch sein, nicht aber einer, der wie Helmut Schmidt verantwortlich zeichnet für sein Handeln.

Schmidts Antwort auf die innergesellschaftliche Krise kennen wir nur indirekt und nur bruchstückhaft. Michael Buback hat in seiner unnachahmlichen Beharrlichkeit auf der Suche nach den Mördern seines Vater einiges Licht in das Dunkel von 1977 bringen können. Soviel ist heute wohl als gesichert anzunehmen: auf dem Rücksitz der Suzuki, von der aus die tödlichen Schüsse auf den Generalbundesanwalt in Karlsruhe abgegeben wurden, saß eine Frau, vom Geheimdienst geschickt und gesteuert. An dieser Stelle greift die Staatsraison, die als Deutscher Herbst einen Mantel des Schweigens und des Erinnerungsverlustes über unser Land gelegt hat. Der Deutsche möchte ein guter Mensch sein, nicht verantwortlich für das Notwendige, nicht verantwortlich für sein Handeln.

Nehmen wir Zuflucht zu Machiavelli, der in seinem Buch über den Fürsten schreibt, dass der Fürst sehr wohl einen Bürger töten dürfe, es müsse nur schnell geschehen, und niemals dürfe sich der Fürst an der Frau und dem Haus des Bürgers vergreifen, denn leichter werde der Tod des Vaters verschmerzt als der Verlust des väterlichen Erbes. Der viel geschmähte Nachruf des Mescalero auf den Mord an Buback stellt einfach nur die Cui-Bono-Frage, und er legt die Antwort nahe, dass der Mord an Buback die radikale Linke ausschalten werde, und das man wohl von diesem Faktum her über die Urheber der Mordtat nachdenken müssen. Geblieben ist vom Aufruf aber nur die Erinnerung an den Satz von der „klammheimlichen Freude“. Aber wenn Schmidt Sturmfluten bekämpfen konnte, und in der Nachrüstung das Undenkbare denken konnte, dann sollte er auch seinen Machiavelli gelesen haben: die innergesellschaftliche Revolution, tief in bürgerliche Kreise eingedrungen, konnte nur durch eine Überhitzung aufgebläht und dann an der Spitze abgebrochen werden. Schockartige Gewalt hat ja meist die Wirkung, dass die Überlebenden den Täter zu lieben beginnen. Daran ist damals zwar Pontius Pilatus gescheitert, aber ihm kann man zugute halten, dass er es nicht (zwingend) wissen konnte, dass er es mit Ihm, dem Gottessohn, zu tun hatte. Diese Erkenntnis war ja selbst den Aposteln noch schwer gefallen. Helmut Schmidt aber hatte es 1977 weder mit dem noch mit den Gottessöhnen zu tun, nur vom Idealismus getriebene Gewalt. Schmidt hat wohl das Notwendige getan. Ihn dafür zu schätzen, das fällt mir schwer. Und doch überwiegt mit der Zeit eher die Sympathie für Helmut Schmidt. Denn an der Spitze unseres Lands müssen Männer stehen, – Frauen könnten auch Männer sein –, jedenfalls Personen, die das Notwendige tun, das Notwendige für unser Land, nicht aber Personen, die gute Menschen sein wollen. Unsere Lage in der Mitte Europas ist zu verletzlich, als dass wir uns gute Menschen leisten können.

Wie der Herr selbst die Sache sieht, das weiß ich nicht. Aber sollte er Helmut Schmidt durch das Himmelstor hereinlassen, dann hoffe ich, dass Er da irgendwo eine Raucherecke vorgesehen hat. Möge die Seele von Helmut Schmidt ihren Frieden finden.
Roland Wolf
Ich weis ja nicht wer "die Deutschen" in Ihrem Beitrag sein sollen, aber die Bundesrepublik hat die Nachrüstung mit vollzogen und dies mi einer Mehrheit im Bundestag beschlossen. Das eine bekannt linke Bundesversammung der SPD dies nicht mittragen wollte sagt nur das eine Gruppe, bei weitem aber nicht alle Deutschen dagegen waren.
Die Verschwörungstheorie der Staat in Form Helmut Schmidt`s hätte …Mehr
Ich weis ja nicht wer "die Deutschen" in Ihrem Beitrag sein sollen, aber die Bundesrepublik hat die Nachrüstung mit vollzogen und dies mi einer Mehrheit im Bundestag beschlossen. Das eine bekannt linke Bundesversammung der SPD dies nicht mittragen wollte sagt nur das eine Gruppe, bei weitem aber nicht alle Deutschen dagegen waren.

Die Verschwörungstheorie der Staat in Form Helmut Schmidt`s hätte Buback umbringen lassen ist eine der dümmsten und am wenigsten bewiesenen. Dies in einem Nachruf unterzubringen ist pietätlos.