Labre
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ICH GLAUBE Predigtreihe über den Glauben “... noch nicht von den Massenmedien verdummt." 8. Predigt von Kaplan A. Betschart

"Unser Glaube gleicht einer Blume, die wir Gott schenken."

In Fortsetzung der Predigtreihe über den Glauben geht es im Folgenden um eine nicht minder bedeutsame Pflicht für die Gläubigen - letztes mal sprachen wir von der Pflicht der Glaubensvertiefung - heute geht es um das Glaubenszeugnis im täglichen Leben. Die Moraltheologie lehrt uns darüber folgendes:

“Es besteht die strenge und heilige Pflicht, dem Glauben, wo immer die Ehre Gottes und das Heil des Nächsten es erfordern, ihn unter gar keinen Umständen zu verleugnen” (B. Häring, Das Gesetz Christi).

Dies entspricht dem Wort des Herrn in der Heiligen Schrift:

“Wer Mich vor den Menschen bekennt, den werde Ich vor Meinem Vater bekennen, der im Himmel ist. Wer Mich vor den Menschen verleugnet, den werde Ich vor Meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist” (Mt 10,32 f.).

Es soll nicht gesprochen werden vom blutigen Zeugnis für den Glauben - vom Martyrium -, das im letzten und tiefsten Sinne “Glaubenszeugnis” ist, ein in höchstem Masse heroisches, am meisten Tapferkeit erforderndes Zeugnis. Es soll vom einfachen, schlichten Bekennen des Glaubens gesprochen werden, einem sehr aktuellen Glaubenszeugnis, dem auf seine Art eine wesentliche Bedeutung für die Erhaltung und Bewahrung unseres Glaubens zukommt.

“Über das Zeugnis der Laien in Fragen des Glaubens”

Die Anregung zu folgenden Ausführungen stammt aus dem berühmten Artikel “Über das Zeugnis der Laien in Fragen des Glaubens” vom seligen John Henry Kardinal Newman (1), der entscheidenden Einfluss auf die Erneuerungsbewegung der englischen katholischen Kirche im neunzehnten Jahrhundert hatte. Darin beschäftigt sich Newman mit der Irrlehre des Arius, der die Gottgleichheit Jesu mit Seinem Vater leugnete. Diese Irrlehre wurde im Jahre 325 auf dem Konzil von Nicäa verurteilt.
In seinen Untersuchungen kommt Newman zu folgendem Ergebnis, dass “in den entscheidenden Jahrzehnten nach Nicäa nicht die Bischöfe, sondern das gläubige Volk den katholischen Glauben gegen die Anstürme der Irrlehre gerettet habe ... Aus dieser unzweifelhaften Tatsache folgert Newman mit Recht, dass die Gläubigen nicht eine Herde stummer Schafe, sondern vollgültige Zeugen für den katholischen Glauben sind, die zwar nicht Sitz und Stimme auf einer Kirchenversammlung haben - und darum auch nicht im eigentlichen Sinn ‘befragt’ werden müssen -, deren Zeugnis aber ebenso ernst zu nehmen wie notwendig zu hören ist”.
Newman kann geschichtlich nachweisen, “dass das nicänische Dogma während der grösseren Hälfte des 4. Jahrhunderts ... nicht durch die unerschütterliche Festigkeit des römischen Stuhles, der Konzilien oder Bischöfe, sondern ... durch den ‘consensus fidelium (Übereinstimmung der Gläubigen) aufrechterhalten wurde”.

Newman stellt dann folgende hochbedeutsame These auf: “Die Gemeinschaft der Gläubigen ist einer der Zeugen für die Tatsache der Überlieferung geoffenbarter Wahrheiten; ihr ‘consensus’ (Übereinstimmung) in der ganzen Christenheit ist die Stimme der unfehlbaren Kirche ... Ich kann, denke ich, mit Recht sagen, dass die apostolische Tradition, die der ganzen Kirche in ihren verschiedenen Organen und Ämtern ... anvertraut ist, in verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise hervortritt: bald durch den Mund der Bischöfe, bald durch die Kirchenlehrer, bald durch das Volk, bald durch die Liturgie, die Riten, Zeremonien und Gewohnheiten; auch durch Ereignisse, Streitigkeiten, Bewegungen und all die anderen Erscheinungen, die unter dem Namen Geschichte zusammengeformt werden. Daraus folgt, dass keiner dieser Kanäle der Tradition geringschätzig behandelt werden darf; wobei ich gleichzeitig durchaus zugebe, dass die Gabe der Beurteilung, Unterscheidung, Definition, Verkündigung und Einschärfung irgendeines Teiles der Tradition einzig und allein bei der ‘ecclesia docens’ (lehrenden Kirche) liegt.”
Bischof Graber sagt, dass “Christus, der Herr der Kirche, es so gefügt hat, dass, falls ein Glied in der unverfälschten Weitergabe der apostolischen Tradition funktionsunfähig wird, ein anderes Glied einspringt”.

"Nicht durch Massenmedien verdummt"

Dieses Zeugnis der katholischen Laien geschieht selbstverständlich nicht in der Weise der Theologen, sondern in der Art eines Glaubensinstinktes der Getreuen. Nach Newman ist dies “eine kindliche Weisheit, ein Instinkt (Gespür) für die Wahrheit und eine Inspiration (Eingebung) des Heiligen Geistes, die sich durch einen (verstandesmässig. Red.) nicht erklärbaren Abscheu vor dem Irrtum äussere” (zit. nach I. F. Görres). Die einfachen Gläubigen haben also den Glauben in den ungeheuren Wirren zur Zeit des Arianismus, der die Kirche in ein Chaos von einander sich bekämpfenden Parteien und Sekten stürzte, unverfälscht und unversehrt durch alle Fährnisse hindurch gerettet. Allerdings “waren sie noch nicht durch Massenmedien verdummt”, schreibt I. F. Görres.
Newman zitiert dann den hl. Gregor von Nazianz, der im Jahre 360 über die vielen Synoden in arianischer Zeit klagt: “Sicherlich haben die Hirten wie Toren gehandelt; denn mit wenigen Ausnahmen ... haben alle nachgegeben. Sie unterschieden sich höchstens dadurch voneinander, dass manche sich früher, manche sich später unterwarfen. Einige waren hervorragende Verfechter des Unglaubens, andere nahmen die zweite Schlachtreihe ein, entweder von Furcht überwältigt oder durch persönlichen Vorteil, durch Schmeichelei oder, was das Entschuldbarste war, durch ihre eigene Unwissenheit verleitet.”
Nicht minder gross ist die Klage des hl. Hilarius, Bischof von Poitiers (364): “Die Ohren des Volkes sind heiliger als die Herzen seiner Priester.” Und noch einmal der hl. Gregor von Nazianz, der sich über die Bischofskonferenzen beklagte (382): “Wenn ich die Wahrheit sagen soll, so würde ich am liebsten jede Bischofskonferenz meiden; denn ich sah noch nie eine Synode, die zu einem glücklichen Ende gebracht wurde und die bestehenden Übel geheilt hätte, sie haben sie verschlimmert.”
Newman zitiert auch Quellen, die berichten “vom Widerstand des Volkes gegen die arianische Irrlehre, von der Aufkündigung der Gemeinschaft mit den Arianern, von der inneren und der äusseren Emigration (Abwanderung) der Gläubigen, die sich an einsamen Orten versammeln.

Diese Abwanderung geschah auch in unserer Zeit, in den 70-er Jahren, als man begann, die Zelebration der überlieferten Heiligen Messe zu organisieren, weil für deren Zelebration fast alle Kirchen verschlossen waren. Ich erinnere mich u. a. an Hotelsäle, an eine Autogarage, an einen Luftschutzraum, an eine Holzhütte inmitten von Schrebergärten und an andere Räumlichkeiten, die für diesen Zweck gemietet worden waren.
Gregor von Nazianz berichtet vor allem “vom Gebet (der Gläubigen), so dass man ‘ganze Nächte im Lobgesang Gottes’ zubringt”.

Newman bemerkt, dass man heute “auf das Zeugnis der Laien verzichten und die Wahrung des Glaubens den Hirten der Kirche überlassen könne, weil - wie er sagt - ‘die Bischöfe der Christenheit niemals dem heiligen Stuhl so ergeben waren, so religiös, so ernst in der Erfüllung ihrer besonderen Pflichten, so wenig zu Neuerungen geneigt”.
Es sei die Frage gestattet, ob Newman wohl heute noch derselben Meinung wäre? Ohne zu übertreiben darf man sagen: mit Sicherheit nicht. Denn die geschichtlichen Befunde Newmans über die Zeit des Arianismus haben eine so frappierende Ähnlichkeit mit der unsrigen, dass dem Glaubenszeugnis der katholischen Laien heute wiederum eine ganz grosse Bedeutung zukommt.
Dieses Zeugnis gläubiger Laien kann nun verschiedene Ausdrucksformen haben. Wie wir bereits gehört haben, geschah es zur Zeit des Arianismus durch den Widerstand gegen die Irrlehre, indem die Gläubigen die religiöse Gemeinschaft mit den Arianern aufkündeten und sich von der Irrlehre innerlich und äusserlich distanzierten. Dieselbe Pflicht besteht auch heute überall dort, wo der katholische Glaube durch Irrlehren entstellt oder zerstört wird, sei es in Predigten, im Religionsunterricht oder in den Massenmedien, sei es durch eine Liturgie, die nicht mehr dem katholischen Glauben entspricht. Hier Widerstand zu leisten, ist Pflicht der Gläubigen.

Brüderliche Zurechtweisung

Dann geschieht der Widerstand auch durch das Wort, indem man die Verantwortlichen auf ihre dem Glauben widersprechende Verkündigung aufmerksam macht. Wie das zu geschehen hat, lehrt der grosse Kirchenlehrer und Heilige, Thomas von Aquin, indem er sagt:

“Brüderliche Zurechtweisung, die ein Akt der Liebe ist, steht jedem zu hinsichtlich jeder Person, die er zu lieben hat, wenn in ihr etwas Fehlerhaftes gefunden wird ... Weil aber einem Tugendakt das Mass der nötigen Umstände eigen sein muss, soll die Zurechtweisung von Prälaten in höflicher Weise erfolgen: nicht mit Unverschämtheit und Härte, sondern mit Sanftmut und Ehrfurcht ... Ins Angesicht widerstehen vor allen, überschreitet die rechte Weise brüderlicher Zurechtweisung ... aber im Verborgenen und ehrerbietig mahnen kann auch der nicht Gleichgestellte.”

Und dann fährt der heilige Thomas von Aquin fort:

“Wo jedoch dem Glauben Gefahr drohte, müssten Prälaten auch öffentlich von Untergebenen angeschuldigt werden ... “ (Summa theologica II-II; 33,4).

Diese Art des Widerstandes ist gewiss nicht jedermanns Sache, da sie Taktgefühl, Geschick und eine gewisse Kenntnis der Dinge voraussetzt. Mit saloppem Daherreden und unqualifiziertem Schimpfen wird in diesen äusserst heiklen Dingen der Sache des Glaubens der denkbar schlechteste Dienst erwiesen. Aber eine für jedermann geeignete Form des Widerstandes, die zudem sehr viel wirksamer ist als die zuvor genannte, ist das Gebet, vor allem das Rosenkranzgebet. Es ist das Sturmgebet der Christenheit. Im Verlaufe der Kirchengeschichte sind durch das Rosenkranzgebet bis in die allerneueste Zeit hinein in menschlich aussichtslosen Situationen buchstäblich Wunder erbetet worden. Und wer in die Waagschale Gottes, nebst dem Rosenkranzgebet, ein konsequentes Leben nach den Geboten Gottes hineinlegt, verbunden mit der Annahme von Kreuz und Leid, Krankheit und Schmerz, der wird die heutige sehr schlimme Glaubenskrise am nachhaltigsten beeinflussen.
Doch viele Gläubige bedrückt diese Glaubenskrise so sehr, dass sie im Zeugnisgeben mutlos werden möchten. Es fehlt ihnen auch die Sicherheit der grossen Masse Gleichgesinnter, einer Masse, die imponiert und Stärke zu geben scheint. Im Evangelium der Hl. Messe bei Festtagen heiliger Bekenner steht das tröstliche Wort des Herrn:

“Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn eurem Vater hat es gefallen, euch das Reich zu geben” (Lk 12, 32).

All jenen, die ganz und vorbehaltlos Christus angehören, gilt diese Verheissung des Herrn. Mitten in einer feindlich gesinnten Welt lebend, ist die wahre Herde klein, verachtet, geschmäht und verfolgt. Aber trotz der Kleinheit ihrer Zahl dürfen die Jünger des Herrn wissen, dass sie die Auserwählten sind, denen Gott den kommenden Besitz jenes herrlichen Reiches verheissen hat, von dem der hl. Paulus schreibt:

“Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben” (1 Kor 2,9).

In aller Einfachheit und Demut des Herzens wollen wir den HERRN bitten: ER möge uns die Gnade schenken, zur kleinen Herde gehören zu dürfen.

Quellenhinweis:

(1) Veröffentlicht im Buche von R. Graber “Liebe lässt nicht schweigen”, Pustet Verlag, Regensburg, S. 167-171. Ebenfalls sind die Zitate Newmans und anderer dem genannten Aufsatz entnommen.

▸ Görres I. Fr., Im Winter wächst das Brot, Kriterien Band 19, Einsiedeln 19703.
archangelus
Hervorragende und wichtige Darlegung. Vergelt's Gott an H. H. Kpl. Alfred Betschart
Eugenia-Sarto
Korrektur: "Consensus fidelium".
Eugenia-Sarto
Eine sehr interessante und höchst aktuelle Predigt! Uebrigens hat auch Scheeben über den "cosensus fidelium" geschrieben und ihn als wichtige Glaubensquelle der Tradition bezeichnet, wenn die kirchliche Hierarchie versagen sollte.