Chronik einer Krise: Der Anteil infizierter Akademiker war viel höher
Den Historikern sind mündliche Überlieferungen zu wenig. Sie suchen nach schriftlichen Beweisen. Die Alltagsgegenstände von heute sind die „Funde“ von morgen. Briefe und Notizen werden wissenschaftliche „Quellen“. Was die Menschen in der Zukunft über uns denken, hängt auch davon ab, was wir ihnen überliefern.
Liebe Pfarrvorsteher!
Dragi farni predstojniki!
Die letzten zwei Jahre waren
eine große Herausforderung.
Wir alle wissen, was geschah.
Doch die Generationen nach uns
werden nur davon erfahren,
wenn wir darüber berichten.
Ich ersuche, die Chronik auf
den neuesten Stand zu bringen.
Meidet Übertreibungen, aber
scheut Euch nicht, die Dinge
auch beim Namen zu nennen.
Danke für Eure Bereitschaft,
als Zeitzeugen Geschichte
zu schreiben!
Diözesanarchivar Klagenfurt, 2022
Aus Pfarrchroniken
„2020 bis 2022 war für unsere Pfarre eine Zeit der Erneuerung. Es begann mit der Erneuerung der Kirche. Dann folgten der Turm und die Glocken. Außer einigen Reparaturen im Pfarrhof gab es keine Vorkommnisse.“
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„Ich konnte nie verstehen, warum ich jede zweite Bankreihe absperren sollte. Es erinnerte mich eher an eine Baustelle als an ein Gotteshaus. Bis ich einmal Besuch von einem Professor der Kunstakademie bekam: ‚Gratulation, Herr Pfarrer! Das ist die beste Kunstinstallation, die ich je in einer Kirche gesehen habe. Ihre Idee war prophetisch. Eben wollte ich Geld abheben und musste feststellen: Jede zweite Bank wurde zugesperrt‘.“
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„In der schlimmsten Zeit, als wir Tag und Nacht alle Fenster und Türen der Kirche offenhielten, mussten wir auch darauf achten, dass unser Schriftenstand sauber blieb. Es kam nämlich immer wieder vor, dass Unbekannte dort ihre Broschüren und Flugblätter ablegten, um die Gottesdienstbesucher in ihrem Glauben an die Pandemie zu verunsichern. Die Videoüberwachung mussten wir allerdings einstellen, als wir entdeckten, dass es der Kaplan war, der sich nachts aus dem Haus schlich“.
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„Aus benachbarten Pfarren erreichten uns Berichte, wonach höchstens fünf Leute zum Gottesdienst zugelassen wurden. Wir bemerkten davon nichts, da sonst auch nicht mehr kommen.“
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„Wir haben einen schönen Himmel. Die Fronleichnamsprozession abzusagen, fiel uns nicht leicht. Zwar hätten die vorgeschriebenen Abstände eingehalten werden können, doch der Pfarrer wollte nicht, dass er geschützt ist, die anderen aber nicht.“
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„Der Domdekan äußerte Bedenken. Am Lockdown hatte er kritisiert, dass es dafür keinen lateinischen Namen gab.“
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„Die Pandemie forderte auch in unserer Pfarre einige Opfer. Laut Finanzausschuss sind 17 Opfer ausgefallen.“
„Nach den Warnungen der Gesundheitsexperten sahen unsere Bischöfe auch Gottesdienste gefährdet. Daher beschlossen sie die Aussetzung an den Ostertagen. Unser Pfarrer war zuerst gegen eine Aussetzung. Als er aber dann erfuhr, dass damit nicht die Anbetung vor dem Allerheiligsten gemeint war, sondern die Absage der Gottesdienste, stimmte er zu.“
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„Seit es das Klima-Ticket gibt, geht unser Pfarrer öfter auf Reisen. Jetzt kann er klimaneutral zum Flughafen fahren, wenn er nach Kuba oder Nicaragua fliegt. Die Rettung der Welt war ihm immer schon wichtig. Dank seiner Tätigkeit an der Universität haben wir in unserer Pfarre zwei Messstationen: eine in der Kirche und eine am Wasser. Die Messdaten vom letzten (!) Winter bestätigen den Klimawandel: unten am See eisgekühlt, oben bei der Kirche heiße Luft.“
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„Die Grenzschließungen zu Slowenien und Italien trafen manche von uns hart. Sie mussten ihre Zigaretten im eigenen Land kaufen.“
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„Mitten in der Pandemie wurden wir von der Pensionierung unseres Pfarrers überrascht. Gegen das Coronavirus war er immun, gegen den Wunsch des Bischofs leider nicht. Tränen ergossen sich über unsere zum Abschied gestrickten Masken. Unser Pfarrhof ist zwar kein Schloss am Wörthersee, doch diente er stets als Einkehr für hungrige und durstige Seelen. Der neue Pfarrer kommt aus Indien und spielt schon im Team. Einst brachte der Apostel Thomas das Christentum nach Indien. Heute bringen die Missionare aus Indien das Kricket-Spiel zu uns.
Nach dem Ende der Kontaktbeschränkungen wurde die Bodenmarkierung in der Haltezone vor der Schule frisch gestrichen. Der Bürgermeister bat den neuen Pfarrer um die Einweihung. Dieser zögerte jedoch, als er die Aufschrift las: ‚Kiss & Go‘. Bei ihm zuhause, meinte der Inder, gebührte ihm dafür eine Strafe.“
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„Die Pandemie verbreitete sich bis in die Täler, mit Ausnahme jener, in denen es keinen Radio- und Fernsehempfang gab. Aus dem Ostfernsehen, das verboten war, erfuhren wir, dass der Anteil der Akademiker unter den Infizierten weit höher war als in der Gruppe derer, die keine Zeitung lasen. Experten sahen darin den Beweis für die hohe Intelligenz dieses Virus. Ein einfaches Virus hätte eine solche Unterscheidung niemals treffen können.“
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Nullum est iam dictum,
quod non sit dictum prius.
Es gibt kein Wort mehr,
das nicht schon früher gesagt ist.
Terenz (195 – 159 v. Chr.)
Der Text ist der Juni-Ausgabe des Satiremagazin „Päpstlicher Ehrenkaplan“ von Hw. Herbert Stichaller entnommen.