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Mörder und andere Gläubige.

Der Hahnwaldmörder in Köln. Eine Antigone- oder Tobit-Geschichte?

Quelle: Kölner Stadtanzeiger 9. Mai 2015

www.ksta.de/region/jva-rheinbach-h…

Es gibt Geschichten, die nur das Leben schreibt oder eben Köln. Verfasser dieser Geschichte ist der sogenannte Hahnwaldmörder Detlef W. Er selbst bestreitet die Mordtat bis heute.

Szene 1: Die Kölner Geschichte beginnt mit einem Ausbruch aus der Justizvollzugsanstalt am 28. April. Gut geplant, mehrfach geprobt und – wie Detlef W. beteuert: Keiner hat ihm geholfen. Das ist wichtig.

Szene 2: Zwei Tage nach der Flucht wird Detlef W. in Ehrenfeld, seinem Stadtteil und Wohnort vor der Verhaftung, auf einem gestohlenen Fahrrad radelnd, von der Polizei wieder in Gewahrsam genommen. Der Flüchtige radelt der Polizei sozusagen in die Arme. Das ist das zweite Mosaiksteinchen.

Szene 3: Was hat Detlef W. zum Ausbruch getrieben? Was musste er unbedingt erledigen? Seit heute wissen wir mehr. Der Mörder musste ausbrechen, um das Grab seiner Mutter auf dem Kölner Westfriedhof zu besuchen. Den Freigang für die Beerdigung hatte man ihm verwehrt. Mit der Straßenbahn ist er zum Friedhof gefahren. Den Pförtner musste er nach dem Urnengrab seiner Mutter fragen: Er habe nicht zu ihrer Beerdigung kommen können, weil er „unabkömmlich“ gewesen sei.

Kommentar:

1. Antigone: Es gibt wie bei Antigone Dinge, die getan werden müssen, weil sie vorstaatliches Recht betreffen. Kreon kann Antigone die Beerdigung des vor den Stadttoren demonstrativ vermodernden Bruders verbieten. Antigone muss ihrer Pflicht folgen, trotz der Schrecken, die Kreon androht und dann auch durchsetzt.

2. Anders wird die neue und revolutionäre Barmherzigkeit uns zu dieser Frage Matthäus um die Ohren hauen. Mt 8,21-22: „Ein anderer aber, einer seiner Jünger, sagte zu ihm: Herr, lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben! Jesus erwiderte: Folge mir nach; lass die Toten ihre Toten begraben!

3. Bleibt noch der gute Tobit, der uns helfen kann. Buch Tobit 2, 1-10: „1 Als ich heimkehrte und meine Frau Hanna und mein Sohn Tobias mir wiedergeschenkt waren, veranstaltete man mir zu Ehren am Pfingsttag dem Fest der Sieben Wochen – ein Festmahl. 2 Ich setzte mich zu Tisch; als ich aber die vielen Speisen sah, sagte ich zu meinem Sohn: Geh zu unseren Brüdern, und wenn du einen Armen findest, der dem Herrn treu geblieben ist, bring ihn her; ich warte auf dich. 3 Er kam zurück und sagte: Auf dem Marktplatz liegt einer von unserem Volk, den man erdrosselt hat. 4 Ich sprang auf, noch ehe ich etwas gegessen hatte, und verbarg den Toten bis zum Sonnenuntergang in einer Hütte. 5 Nach meiner Rückkehr wusch ich mich und aß voll Trauer mein Mahl. 6 Ich erinnerte mich an das Wort des Propheten Amos: Eure Feste sollen sich in Trauer verwandeln und alle eure Freudenlieder in Totenklage. Und ich begann zu weinen. 7 Nach Sonnenuntergang ging ich hinaus, um ein Grab zu schaufeln, und begrub den Toten. 8 Meine Nachbarn aber sagten hämisch: Er hat schon gar keine Angst mehr, wegen dieser Tat hingerichtet zu werden. Eben erst hat er fliehen müssen und schon begräbt er wieder die Toten. 9 Als ich ihn begraben hatte und in der Nacht nach Hause kam, legte ich mich an der Hofmauer zum Schlafen nieder, weil ich unrein geworden war. Mein Gesicht ließ ich unbedeckt, 10 ohne auf die Sperlinge zu achten, die in der Mauer nisteten. Da ließen die Sperlinge ihren warmen Kot in meine offenen Augen fallen, und es bildeten sich weiße Flecke in meinen Augen. Ich ging zu den Ärzten, doch sie konnten mir nicht helfen. Achikar sorgte für meinen Unterhalt, bis er in die Provinz Elymaïs zog. 11 Meine Frau Hanna fertigte zu Hause Webarbeiten an, wie sie Frauen zu machen pflegen, 12 und lieferte sie dann bei den Bestellern ab. Einmal geschah es, dass sie ihr nicht nur den Lohn zahlten, sondern auch noch ein Ziegenböckchen dazuschenkten. 13 Als sie heimkam, fing das Tier an zu meckern. Ich fragte sie: Wo hast du das Böckchen her? Es ist doch nicht etwa gestohlen? Dann gib es seinen Eigentümern zurück! Denn was gestohlen ist, darf man nicht essen. 14 Sie erwiderte: Es wurde mir zusätzlich zu meinem Lohn geschenkt. Aber ich glaubte ihr nicht und verlangte, dass sie es seinen Eigentümern zurückbrachte, und ich schämte mich ihretwegen. Doch sie antwortete: Wo ist denn der Lohn für deine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit? Jeder weiß, was sie dir eingebracht haben.“

4. Eine junge, kluge und belesene chinesische Schülerin ist bei uns zu Besuch. Sie kennt unsere Kultur, sie kennt die Berechnung des Osterfestes, und zur Belohnung schleppen wir sie mit zu Fronleichnam. Irgendwann lacht sie, als ihr Übersetzungscomputer was auch immer vorgeschlagen hat. Dann fahren wir zum Braunkohletagebau. Beeindruckend wie der Drei-Schluchten-Staudamm, nur dass wir die Umweltschützer zu unseren Pressesprechern machen. Aber an der Infotafel stutzt die junge Frau: wir siedeln nicht nur die Dörfer um, nein wir siedeln auch die Friedhöfe um, unsere Toten. Ja, da ist zum erstenmal ein Punkt, den sie nicht versteht.