eiss
51,3 Tsd.

Morde nicht oder Du sollst nicht töten!

Morde nicht!

oder Du sollst nicht töten?


Das fünfte Gebot im Dekalog des Mose ist eindeutig.

Dass die bisherige Übersetzung des „du sollst nicht töten“ falsch ist und im hebräischen Text das „du sollst nicht morden“ steht, ist eine einfache Wahrheit und, Gott sei Dank, dringt diese Übersetzung von Buber / Rosenzweig (1926-1955) auch in die Einheitsübersetzung (1962-1980) vor und damit sind wir in einer dem alten Wort getreuen Übersetzung wieder angekommen. So weit, so gut.

Von hier aus könnten wir nun nach den Ursachen fragen und uns das Bild zurechtlegen, denn die lateinische Vulgata schreibt: „non occides“. Dabei hatte doch die Septuaginta noch ein Wort verwendet, das richtig ein Wort des „Mordens“ verwendet. Und dabei verbrachte der heilige Hieronymus als Übersetzer der Vulgata einige Jahre in Palästina. Und auch der heilige Augustinus wusste, dass du „sollst nicht töten“ sich nicht auf den Krieg und die Todesstrafe bezieht. Im Katechismus ist in den Absätzen 2263 ff. von Notwehr die Rede, aber auch von Gefahrenabwehr durch die Verantwortlichen eines Gemeinwesens, denen die Notwehr „eine schwerwiegende Verpflichtung sein“ kann.

So zeichnet sich ein Bild des (menschlichen) Fortschritts ab. Und ein Blick auf die Übersetzungen scheint diese Entwicklung zu bestätigen. Morden würde im Lateinischen mit trucidare wiederzugegeben sein, aber die Vulgata schreibt occides. So sind die protestantischen Übersetzungen, auch die Pattloch-Bibel, näher an der Vulgata, während dann mit dem 20. Jahrhundert sich die neue alte Sicht wieder durchzusetzen scheint.

Du sollst nicht töten: Lutherbibel 1984, Elberfelder, Schlachter, Pattloch, Menge, Zürcher Bibel. Tou shalt not kill: King James (KJV). Morde nicht: Die fünf Bücher der Weisung (Buber / Rosenzweig). Du sollst nicht morden: Gute Nachricht, Einheitsübersetzung, Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift (Zeugen Jehovas). U mag niemand doodslan: Het Boek. Tu ne commettras pas de meurtre: Bible du semeur

„Non occides“, woher kommt diese Wortwahl? Im lateinischen Wörterbuch finden wir „occidere, occido: cidi (von cado) 1. niederfallen, untergehen, 2. zugrunde gehen, umkommen, 3. verloren gehen, verschwinden. Gleich danach folgt das Verb „occidere, occido, occidi, occisus (von caedo und langes i) 1. zu Boden schlagen, 2. niederhauen, umbringen, töten, 3. peinigen, martern. Die Wortwurzel des ersten Wortes stammt von cadere und beschreibt fallen, es kann auch sterben, umkommen oder bei Tieren geschlachtet werden meinen. Die Wortwurzel des zweiten Wortes caedere meint schlagen, niederhauen, fällen. Im Grunde haben wir im Deutschen dieselben Sinnunterschiede. Der Baum fällt, weil er gefällt wurde. Der Soldat fällt im Kampf, weil er „gefällt“, getötet wurde. Fallen und fällen. Das Wort „non occides“ umfasst demnach den engeren Wortsinn des „Mordens“. Bei genauerem Hinsehen aber sind die Worte Töten und Morden nicht wirklich kongruent, denn das Töten beschreibt einen Vorgang und Sachverhalt, aber das Wort „morden“ bewertet und deutet die Tat des Tötens bereits in einem bestimmten und engeren Sinne.

Ist Morden darum nur richtig und Töten falsch übersetzt? Der Katechismus nimmt in Absatz 2258 einen anderen Anlauf: „Das menschliche Leben ist heilig, weil es von seinem Beginn an ‚der Schöpfermacht Gottes’ bedarf und für immer in einer besonderen Beziehung zu seinem Schöpfer bleibt, seinem einigen Ziel. Nur Gott ist der Herr des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende [...]“. Wenn das menschliche Leben in diesem grundsätzlichen Sinne heilig ist, dann kann jede Tötung nur als eine Gefährdung unserer Bindung zu Gott empfunden werden.

In der Zeitung „Jüdische Allgemeine“ vom 6. Juni 2006 findet sich ein Betrag von Eliezer Segal über das sechste Gebot, was unser fünftes Gebot ist, was nur eine Nebenbemerkung zu diesem so klaren Gebot ist. Nach Segal haben die mittelalterlichen Kommentaroren Rabbi Samuel ben Meir (Raschbam) und Rabbi Joseph Bekhor-Schor ausführlich erläutert, dass das Gebot sich nur auf das ungesetzliche Töten beziehe. Raschbam schließe seine Abhandlung mit den Worten: „Und dies ist eine Widerlegung der Häretiker, und sie haben es mir zugestanden. Wenn ihre eigenen Bücher sagen: ‚Ich bin es, der tötet und der lebendig macht’ (5. Buch Moses 32,39) – und dafür dieselbe lateinische Wurzel gebrauchen wie für ‚Du sollst nicht morden’ – sind sie nicht exakt.“ Mit diesen Satz habe Raschbam seine Kritiker zum Schweigen gebracht. Aber Segal bleibt nicht stehen, sondern stellt fest, dass auch die jüdischen Autoren über die richtige Wortwahl unterschiedlicher Ansicht sind. So verweise Don Isaac Abravanel auf das 4. Buch Moses (35,27-30), wo es um berechtigte Blutrache und Todesstrafe gehe und das Wort „ratsah“ im hebräischen Text verwendet werde, obwohl es nicht um „morden“ gehe. Für den Rabbiner Maimonides war nach Segal jedes Töten eines Menschen ein Verstoß gegen das sechste, also unser fünftes Gebot, auch wenn mildernde Umstände geltend gemacht werden könnten. Der Verfasser bemerkt, dass der Hintergrund für diese Sicht in der „faktischen Aufhebung der Todesstrafe“ im rabbinischen Gesetz zu suchen sei. Damit haben wir einen wichtigen Hinweis, dass Zeitumstände die Sichtweise, ja selbst die Übersetzung oder Deutung von Worten beeinflussen.

Betrachten wir noch einmal die Liste der Bibelübersetzungen nach der Vulgata, dann fällt der zeitliche Kontext auf, dass das Wort „du sollst nicht morden“ mit dem 20. Jahrhundert sich nach vorne drängt. Fast könnte man glauben, dass hier die unsichtbare Hand eines großen Übeltäters am Werke war, der rechtzeitig vor den großen Morden des Jahrhunderts den Sinn des sechsten Gebotes auf das niederträchtige, hinterhältige und in niederer Absicht erfolgte Töten verengte. Diese verengte Sicht des Tötungsverbotes war und ist gewiss hilfreich für die Täter, wirkt entlastend. In diesem Sinne ließe sich auch die große Zustimmung der Deutschen zum Verbot der Todesstrafe leichter verstehen. Nach dem großen Morden musste die Gesellschaft sich schützen, denn Gründe für die Anwendung dieser schrecklichen Strafe gab es genug, der Mord an den Juden, der verlorene Krieg. In solchen Situationen schreit eine Gesellschaft nach Strafe für die Täter, oder ist wie die Römer nach der Niederlage von Cannae auch bereit, Menschenopfer zu bringen, um sich des Wohlwollens des Himmels zu vergewissern. Das Verbot der Todesstrafe nach dem Zweiten Weltkrieg hat beide Aspekte, den humanitären des „nie wieder solche Verbrechen“ und den pragmatischen Aspekt des Täterschutzes. Die Verengung des Tötungsverbotes auf das „du sollst nicht morden“ und das Verbot der Todesstrafe haben denselben Hintergrund: eine Gesellschaft die sich vor der Schuld ihres eigenen Tuns schützen muss.

Die Schuld des Tötens will aber nicht weichen, nur weil es kein Morden war und der Katechismus formuliert deshalb vorsichtig (2269, letzter Absatz): „Die unwillentliche Tötung eines Menschen ist moralisch nicht anrechenbar. Man ist aber nicht von einem schweren Vergehen entschuldigt, wenn man ohne angemessene Gründe so handelt, dass man, wenn auch unbeabsichtigt, den Tod eines Menschen verursacht.“ Die Bibel kennt diese Stellen, Moses erschlägt den Ägypter, David schickt Urija wegen der schönen Bathseba in den sicheren Tod und Paulus bringt als politischer Staatsanwalt den Diakon Stephanus zur Steinigung. David darf den Tempel nicht bauen, weil Blut an seinen Händen klebt. Aber Paulus wird der Heilige der Mission im Westen und Moses wird „für den Pharao ein Gott“ (Ex 7,1). Töten ist verbunden mit tiefer Schulderfahrung, die Menschen dann auch zu Männern Gottes machen kann. Der Lebensweg des Paulus erinnert an den griechischen Oedipus, der auf der Suche nach seinem Vater ebendiesen tötet, sich dann die Augen aussticht und zum Seher wird. Paulus aber tötet mit Stephanus den Christus Jesus, so wird es ihm vor Damaskus offenbart.

Selbst das klassische Beispiel von Kain und Abel ist seltsam. „Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden, [...] der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen“ (Gen 4,10 ff.). Fast kultische Worte, die alte Fruchtbarkeitsopfer befürchten lassen. Die Antwort aber ist im alttestamentarischen Sinne geradezu milde. Kain ist verflucht, sein Acker wird keine Frucht bringen und rastlos und ruhelos wird er auf der Erde sein. Ihn drückt die Schuld: „Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte.“ Kain sieht sich schon erschlagen durch Jedermann, aber Gottes Wort überrascht: „Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde.“

Die ganze Sache ist so klar wie Kloßbrühe: Weder ist das fünfte Gebot für alle das fünfte Gebot, noch wollen sich die Worte Töten und Morden leicht in unsere Zeit übersetzen.
a.t.m und ein weiterer User verlinken diesen Beitrag
elisabethvonthüringen
Amoklauf ist (nicht) Massenmord??
Psychiater: 'Das ist Massenmord und kein Amoklauf'
Professor der Psychiatrie: Wer sich „akribisch vorbereitet“ und „dann gezielt schießt“, ist kein Amokläufer, sondern „ein Massenmörder“.
[mehr]Mehr
Amoklauf ist (nicht) Massenmord??

Psychiater: 'Das ist Massenmord und kein Amoklauf'

Professor der Psychiatrie: Wer sich „akribisch vorbereitet“ und „dann gezielt schießt“, ist kein Amokläufer, sondern „ein Massenmörder“.
[mehr]
elisabethvonthüringen
"Ora et labora" bekommt einen zusätzlichen Aspekt...TÖTEN ist ARBEIT! Gehört nun zum Alltag??
<<<Ich kann das verstehen. Nach Nizza, München und Würzburg ist ein Mann, der eine Frau mit einer Machete tötet, keine große Nachricht. Er hätte eine Kettensäge nehmen sollen, um etwas ausführlicher gewürdigt zu werden. Eine Machete ist doch heutzutage nichts Besonderes. Ich zum Beispiel achte immer …Mehr
"Ora et labora" bekommt einen zusätzlichen Aspekt...TÖTEN ist ARBEIT! Gehört nun zum Alltag??

<<<Ich kann das verstehen. Nach Nizza, München und Würzburg ist ein Mann, der eine Frau mit einer Machete tötet, keine große Nachricht. Er hätte eine Kettensäge nehmen sollen, um etwas ausführlicher gewürdigt zu werden. Eine Machete ist doch heutzutage nichts Besonderes. Ich zum Beispiel achte immer darauf, dass ich meinen PA, mein Handy, meine Lesebrille und meine Machete bei mir habe, wenn ich das Haus verlasse. So viel Zeit muss sein.<<<
Tina 13
Viele machen sich ein neues Gottesbild, einen bequemen Gott, einen lieben Opa der sich alles gefallen läßt. Doch Gott und Sein Gesetz haben sich nicht geändert! Das Erwachen wird schrecklich sein.
Tina 13
🙏
eiss
In Spiegel-Online findet sich ein Kommentar von Gisela Friedrichsen zum einem aktuellen Entwurf für eine Reform des Mordparagraphen. Der Entwurf gehe auch ihr zu weit.
Das Du-sollst-nicht-töten relativierte sich zum Du-sollst-nicht-morden. Nun aber kommt der nächste Schritt, denn Morden muss auch differenzierter betrachtet werden. Friedrichsen nennt den Fall eines Lustmordes auf Verlangen. Das mit …Mehr
In Spiegel-Online findet sich ein Kommentar von Gisela Friedrichsen zum einem aktuellen Entwurf für eine Reform des Mordparagraphen. Der Entwurf gehe auch ihr zu weit.
Das Du-sollst-nicht-töten relativierte sich zum Du-sollst-nicht-morden. Nun aber kommt der nächste Schritt, denn Morden muss auch differenzierter betrachtet werden. Friedrichsen nennt den Fall eines Lustmordes auf Verlangen. Das mit Verlaub scheint für den Spiegel befremdlich. Nein, es geht hier um die Anpassung der Gesetzgebung an die neue alltägliche Situation des Tötens auf Verlangen.
Mose ist out, Kindermord, Lustmord und Altenmord ist in?
www.spiegel.de/…/reform-des-mord…