„Seht, was ihr seid; seid, was ihr seht“. Diesen Satz (Thomas von Aquin?) hat Kardinal Meisner immer zu Fronleichnam zitiert und ins Zentrum seiner Betrachtungen gestellt. Er konnte das: Der Gedanke ist dialektisch, schwankend zwischen dem Möglichen, dem Anzustrebenden, dem Geschenk der Gnade Gottes und den immer wiederkehrenden Momenten des Versagens, der Sünde, des Abfalls.
Der Satz der …Mehr
„Seht, was ihr seid; seid, was ihr seht“. Diesen Satz (Thomas von Aquin?) hat Kardinal Meisner immer zu Fronleichnam zitiert und ins Zentrum seiner Betrachtungen gestellt. Er konnte das: Der Gedanke ist dialektisch, schwankend zwischen dem Möglichen, dem Anzustrebenden, dem Geschenk der Gnade Gottes und den immer wiederkehrenden Momenten des Versagens, der Sünde, des Abfalls.
Der Satz der Gemeindereferentin hebt den Spannungsbogen der Dialektik auf in eine eindimensionale Wirklichkeit des bereits Erlöstseins und ist insoweit ein gutes Beispiel, dass die „Verinnerlichung“ Gottes (als kulturgeschichtlicher Prozess) zu einer anmaßenden (Ent)-Äußerung strebt. Innerhalb des Denkens der Immanenz Gottes kann das Moment des Versagens nur noch in der Imperfektibilität des eigenen Selbst, des inneren Menschen gesucht und gefunden werden. So strebt die Verinnerlichung zu neuen Formen der Selbstdarstellung des Menschen als göttlich oder eben als Gott. Auch das ist Dialektik, nur eben in der negativen Form.
Im geschichtlichen Rückgriff werden die Dinge greifbarer. Im Jahre 41 v. Chr., also drei Jahre nach der Ermordung des Gaius Julius Caesar schreibt Sallust seine „Verschwörung des Catilina“ nieder. Die Handlung beschreibt einen Aufstand des Aristokraten Catilina im Jahre 63 v. Chr., ein Ereignis am Beginn des politischen Aufstiegs von Caesar, dessen Parteigänger wiederum Sallust war. Doch Sallust geht es um mehr, er will auch das geistige Moment seiner Zeit zu packen bekommen. Sein Einleitungssatz trifft:
“Omnis homines, qui sese student ceteris animalibus praestare, summa ope niti decet, ne vitam silentio transeant veluti pecora, quae natura prona atque ventri oboedientia finxit. Sed nostra omnis vis in animo et corpore sita est: animi imperio, corporis servitio magis utimur; alterum nobis cum dis, alterum cum beluis commune est.” ...
"Für alle Menschen, die danach streben, den übrigen Tieren voranzustehen, ist es Pflicht, mit aller Macht darum zu ringen, nicht unbemerkt durch das Leben zu wandeln, gerade wie das Vieh, das die Natur so geschaffen hat, dass es nur vornüber blickt und dem Bauche frönt. Unser Wesen aber besteht aus Geist und Leib. Richtiger ist in uns der Geist der Herr, der Leib der Knecht: jenen haben wir von den Göttern, diesen mit den Tieren gemeinsam."
Für Sallust, den vor-christlichen römischen Heiden, ist das Moment des Göttlichen im Menschen ein Moment des Strebens und dieses Streben hat mit der Vernunft zu tun und insofern geht es um Selbsterhebung. Den Einleitungssatz des Sallust kann man als Bildungsattitüde jener Zeit abtun. Aber dieser Satz hat auch einen sehr konkreten Hintergrund. Caesar ist 42. v. Chr. zum DIVUS erhöht worden. Der DIVUS Julius gilt in Rom seitdem als höchster Staatsgott neben Iupiter Optimus Maximus. Der Divus Iulius ist die Gottheit, zu der Gaius Iulius Caesar nach seiner Ermordung im Jahr 44 v. Chr. erhöht wurde (IMP·C·IVLIVS·CAESAR·DIVVS: Imperator Gaius Iulius Caesar Divus). Diese julianische Religion gilt als Vorläufer des römischen Kaiserkultes, bestand neben diesem jedoch bis zur Christianisierung des Reiches fort.
Die tiefe Verinnerlichung Gottes tendiert damals wie heute zu neuen Formen heidnischer Entäußerungen als DIVA und DIVUS. Wir sollten uns auf die Begegnung mit diesen DIVEN oder Göttern vorbereiten, wenn sie uns dann nackt auf den Altären mit ihrem „Ich bin Gott“ rumtanzen und in ihrer unnachahmlichen Barmherzigkeit uns die Hand reichen, auch göttlich zu werden.